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TAHITI

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Als Martin am Airport Faa’a in Papeete aus der Maschine auf die Rolltreppe steigt, überfällt ihn das Gefühl, in eine andere Welt geraten zu sein.

Nach der angenehmen Kühle der klimatisierten Kabine des Jumbos, fühlt er schlagartig die tropische Wärme durch Hemdärmel und Jeans kriechen, gleich einem aufgeheizten Föhnstrahl.

Ungewöhnlich dazu die hohe Luftfeuchtigkeit eines heftigen Tropenregens, der kurz vor der Landung über Tahiti niederging.

Die Erde dampft aus allen Poren und taucht das erste zarte Licht des werdenden Morgens in eine magische Farbenorgie. Langsam schälen sich die hohen, schlanken Palmen aus dem Morgendunst und wiegen sich im ewigen Rhythmus der sanften Morgenprise.

Unzählige Arten von Südseevögeln trällern und jubilieren um die Wette, flattern um die üppigen Blütensträucher der Tiare, Hibiskus und Bougainvillea und freuen sich sichtlich über den aufkeimenden tropischen Morgen.

In den verschwenderischen Duft ihrer Blüten mengt sich noch ein Hauch von Vanilleschoten von der Nachbarinsel Moorea herüber, der verführerisch durch die Nase zieht und gut in dieses paradiesische Ambiente passt.

Leise plätschern die Wellen der nahen Lagune, das ab und zu nur vom papierenen Rascheln der dichten Palmen übertönt wird, wenn der milde Passatwind vom Meer her ihre wiegenden Kronen streichelt.

Das ist der Stoff, aus dem die Südseeträume gemacht sind. Ein Rausch der Sinne, ein Fest für Auge, Herz und Ohr.

Die Ankunftshallen der Flughäfen zeigen wohl alle dasselbe Bild. Dicht gedrängt stehen die Wartenden vieler Nationen in Aufregung und freudiger Erwartung. Öffnen sich die Ankunftskorridore, kommt Bewegung in den Menschenknäuel. Tränen und Umarmungen folgen in rührenden Szenen. Enttäuschungen und Frust von nicht Erschienenen. Wildes Gestikulieren an den Informationsschaltern, das so gar nicht in dieses Südsee-Klischee passt.

Unübersehbar, ruhig und gelassen dagegen eine junge, polynesische Vahine (Frau), eine Südseeschönheit, die wohl jeden Empfang zum Erlebnis werden lässt.

Ihr pechschwarzes Haar schmückt ein buntes Blumenkränzchen, das den Täfelchen in ihren Händen noch mehr Aufmerksamkeit schenkt: Pearl Beach Resort Hotel Tahiti. Mr. VÖLLER. Als Martin auf sie zugeht, kommt sie ihn trippelnd entgegen.

„Mr. Völler?

Welcome on Tahiti“, flötet sie auffällig einschmeichelnd.

„My name is Lalia, from your hotel.“ Sie reicht ihm lächelnd die Hand und versucht, ihm einen duftenden Blumenkranz zur traditionellen Begrüßung in der Südsee um den Hals zu legen.

Etwas verlegen bemüht sie sich dabei notgedrungen, auf den Zehen zu stehen. Martin jedoch kommt ihr charmant entgegen, indem er – ganz Kavalier – in die Knie geht.

Dabei kreuzen sich ihre Blicke in einer Welle spontaner gegenseitiger Sympathie.

„Is it your first stay on Tahiti, Mr. Völler?“ „Yes it is, but not the last, so I think!“ Dann führt sie ihn leichten Schrittes aus dem Airport zu einem schnittigen Toyota Coupé, auf einem von Blumensträuchern umsäumten Parkplatz. Staunt sichtlich über sein Gepäck und hat Mühe alles unterzubringen.

Auf der Fahrt zum Hotel weist sie mit allem Stolz der Polynesierinnen auf die morgendliche magische Skyline von Papeete hin, wenn der Dunstschleier vom Meer her die Stadt unter Palmen allmählich erst erkennen lässt.

Aber auch Sunset Time, meint sie, wenn die Sonne im Ozean versinkt und Papeete einmal noch in ihre verschwenderische, purpurne Glut hüllt, wäre ein Geschenk des Himmels, wie Europäer immer sagen.

Üppige Blumenbeete und tropische Vegetation säumen den Weg. Und als sie endlich einmal die Sicht auf das freie Meer freigeben, deutet Lalia gegen Westen.

„Moorea“ meint sie mit freudiger Stimme. Und man merkt, dass sie auf diesen Moment wohl schon gewartet hat.

„The most popular island here!“ Und tatsächlich ist es diesen Hinweis wert. Die palmenumsäumte Küste zeigt sich noch im düsteren Violett der Morgendämmerung, während in den gezackten Bergspitzen leuchtende Sonnenstrahlen den neuen Tag bereits ankünden.

Lalia nützt die Gelegenheit, wie es Frauen eben so meisterhaft verstehen, mit einem schnellen Blick auf Martin, sich ein Urteil über seine männliche Erscheinung zu bilden.

Hoch aufgerichtet und breitschultrig, in Jeans und azurblauem T-Shirt sitzt er lässig neben ihr. Der säuselnde Passatwind spielt in seinem fülligen, schwarzen Haar und von den schönen, verträumten, ausdrucksvollen Augen, den buschigen Brauen mit dem markanten, gebräunten Gesicht fühlt sie sich auf Anhieb angetan.

Ein Europäer, wie er wohl selten in unserem Hotel zu Gast war. Lalia ist hell begeistert.

Nach kurzer Fahrt erreichen Sie das Pearl Beach Hotel. Herzlich wie bei seiner Ankunft verabschiedet sich Lalia mit dem Charme der polynesischen Vahines: „Have a nice stay, Mr. Völler, thank you for your coming and enjoy your visit!“ Und während Martin ihr noch schnell einen Dollarschein zusteckt, wendet sie sich graziös trippelnd dem Hoteleingang zu.

Das Pearl Beach Resort Hotel liegt wunderschön, inmitten einer tropischen Vegetation, direkt am Strand. Eingebettet in einem blühenden Rund duftender, haushoher Tropengewächse, Bambus, Fächerpalmen und Brotfruchtbäume.

Vorsichtshalber gönnt sich Martin, seinen Erfahrungen gemäß, einige Stunden Schlaf, um die Umstellung auf den neuen Nacht-Tag-Rhythmus besser zu verkraften.

Frisch ausgeruht, voller Tatendrang, freut er sich auf diesen ersten Tag in der so viel gepriesene Südsee.

Die Sonne steht schon hoch am Himmel und legt sich silbrig gleißend auf das Meer, um den Neuankömmling, zwischen den dichten Palmenhainen hindurch, einen ersten Gruß zu senden. Martin antwortet mit einem Traumfoto und kann es kaum erwarten, noch vor dem Frühstück zum Strand zu eilen, um ins Wasser zu springen. Aber da ist kein blendend weißer Strand und blaues Meer. Stattdessen schwarzer Lavasand.

Es ist wohl seine erste, vage Enttäuschung in der Südsee. Eine wirkliche Entschädigung dafür jedoch ist das Frühstücksbuffet am Pool, unter dem Schatten einer Palmengruppe, dem Zwitschern der Vögel und dem Kreischen der Möwen.

Gaumenfreuden für Leib und Seele. Alles was sich in der Nacht noch im Meer tummelte, durch beste internationale Küche bereits am Buffet, Berge von klassischen und weniger bekannten Südseefrüchten, frisch gepresste Säfte für den verwöhntesten Geschmack, Tropen pur, Juice und Champagner.

Mein Gott, Advent. Zu Hause wird es schneien, die Stube nach Kloatzenbrot und Weihrauch duften und ich schlemme hier im paradiesischen Tahiti, lausche im milden Passatwind unter Palmen der bunten Vogelwelt und dem Gurren der Tahiti-Tauben.

Also, dann schauen wir einmal, was das andere Ende der Welt zu bieten hat und Martin macht sich auf den Weg zur Küstenstraße gleich vor dem Hotel.

Soeben hält ein Truck, die kleinen offenen Busse, die laufend durch Papeete pendeln. Nach kurzer, holpriger Fahrt entlang der mit verschwenderisch blühenden Sträuchern gesäumten Küstenstraße zur Bucht von Papeete.

Ein Gewirr von hupenden Autos, Motorräder, Handkarren mit Fischen, Obst, Booten, Möbeln und allem Krimskrams, heulenden Schiffssirenen und Kreischen der Möwen, schlendert er dem Boulevard Pomare der Jachtpromenade entlang.

Zuerst ein Besuch der Notre Dame Cathedral, wobei der Name wohl augenscheinlich übertrieben ist. Ohne merkliche Kunstschätze strahlt sie jedoch im lärmenden Gedränge von Papeete eine wohltuende, richtig anheimelnde Ruhe aus.

Martin genießt den Stadtbummel mit dem mediterranen Ambiente von Papeete. Die vielen kleinen Straßencafés und Snackbars, Souvenirgeschäfte, Boutiquen, Schmuck- und Juwelierläden mit den schwarzen Perlen der Südsee, Fluglinienbüros, internationalen Zeitungen und Magazinen, sogar aus Deutschland. Und piekfeine Restaurants.

Endlich eine einladende Boutique für eine passende Tropenkluft. Als er den Laden wieder verlässt, erkennt er sich im Spiegelbild der Fensterscheiben selbst kaum.

Ausgefranzter Strohhut, dunkle, tropentaugliche Sonnenbrillen, weißes Yacht-T-Shirt, dunkelblaue Bermuda-Short, in der seine kräftigen, sehnigen Beine gut zum Vorschein kommen und den weichen Ledersandalen auch noch eine exklusive Note geben.

Über der Schulter noch einen Mini-Lederseesack für das Handling von Stadtplänen, Reiseführer, Handy, Leica-Kamera und Sonstiges für unterwegs.

Eine zusätzliche Shorts und zwei Hawaii-Hemden. Ein buntes mit Tiare- und Bougainvillea-Muster und ein zweites mit Gauguin-Motiven.

In diesem Outfit könnte man auf Anhieb annehmen, einen Globetrotter vor sich zu haben, der soeben seine sündteure Yacht im Hafen verstaute, um in der Südsee einfach so nebenbei einen kurzen Stopp einzulegen.

Wen wundert´s, dass sich auch so manche Südseeschönheit ganz spontan nach ihm umsieht.

Endlich vor einem Bistro ein tahitianisches Ehepaar mit Kokosnüssen, die sie geschickt öffnen und mit Trinkhalm anbieten. Auf Wunsch auch mit ein wenig Eiswürfeln, die Martin freundlich verweigert. Aus guten Gründen, wie er aus bösen Erfahrungen eben weiß. Trotzdem ist die Kokosmilch kühl und schmeckt typisch nach Südsee. Wie wohl kein anders Getränk zu dieser Zeit in diesem Umfeld.

Die Mittagssonne knallt unbarmherzig auf die Hafenpromenade, die Luft ist aufgeheizt und ein Schattenplatz ist gefragt.

Martin findet diesen auf einer einladenden Bank unter einem mächtigen, ausladenden Hibiskus-Strauch mit schönem Blick auf das Meer bis hin zum Außenriff, wo die Gischt in den Himmel schießt.

Schiffe aller Kaliber, wohl aus allen weltweiten Routen, passieren endlich die sehnlichst erwartete Einfahrt in den Hafen und bilden ein sehr stimmungsvolles Bild.

Mit welchen Erwartungen und Südseeträumen, soweit es Kreuzfahrten sind, werden sie wohl nach Tahiti kommen? Frachtschiffe mit Matrosen, monatelang auf See, sich auf den Hafen freuend. Abenteurer und Aussteiger mit kühnen Hoffnungen, gut betuchten Kreditkarten oder blank wie eine Kirchenmaus.

Alles nichts Neues in diesem verlockenden Winkel der weiten Welt.

Martin schließt die Augen. Mein Gott, nie hätte er geahnt, dass es auch ihn einmal hierher verschlagen würde. Tahiti.

Was ist er, der Mythos der Droge Südsee, dem die Menschheit immer schon verfallen war? Kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe sieht es eben so:

„… man sollte oft wünschen, auf einer der Südseeinseln als sogenannter Wilder geboren zu sein, um nur einmal das menschliche Dasein, ohne falschen Beigeschmack, durchaus rein zu genießen.“

Man schreibt das Jahr 1767, als Captain Samuel Wallis seinen Fuß für die englische Krone auf Tahiti setzt und jährlich darauf Luis Bougainville für Frankreich.

Gerade seine aufsehenerregenden Berichte über das ungezwungene, paradiesische Leben dieser Inseln im ewigen Sommer war für Europa wohl pure Sehnsucht auf der Suche nach dem Paradies auf Erden.


Und wieder vergeht ein Jahr als endlich Captain James Cook, schon vorgewarnt, auf seiner ersten Pazifikreise auf Tahiti aufkreuzt. Allerdings als englischer Sir und lediglich besessen mit Forschungsaufgaben über den Pazifik, dem stillen Ozean.

Europa ist also auf diese Inseln im Südpazifik aufmerksam geworden. Die Missionary Society London sendet die ersten Missionare, um das heidnische Treiben auf den Inseln zu beenden, arrangiert sich mit der königlichen Herrscherdynastie Pomare zur Einführung christlicher Normen, was bis zum Verbot der freizügigen polynesischen Tänze führt, ohne zu bedenken, dass man ihnen damit auch eine festgefügte, gewachsene Kultur raubt.

1880 dann wird Tahiti schlussendlich französische Kolonie. Zwanzig Jahre nach Cook, beauftragt die englische Krone keinen Geringeren als den in die Geschichte eingegangenen Kapitän William Bligh, ehemals Schiffsoffizier unter Cook, mit besonderer Mission nach Tahiti.

England benötigt dringend Nahrungsmittel für die Sklaverei auf ihren westindischen Kolonien und Captain Cook war es, der dazu den Rat gibt, doch Brotfruchtsetzlinge von Tahiti zu holen, die dortselbst zuhauf gedeihen.

Die unheilvolle Mission, eine der abenteuerlichsten Seefahrten der Menschheit, ist eröffnet. Der Mythos „Die Meuterei auf der Bounty“ nimmt seinen Anfang.

Der Keim vom Südseeparadies war gesät. Ein Bazillus, der um die Welt geht.

Es ist der 27. Oktober 1789, als Captain Bligh mit der Bounty in Tahiti vor Anker geht. Die Crew steht an der Reling und ist sprachlos über die paradiesische Offenbarung der Natur. Fünf Monate führt seine Besatzung ein ausschweifendes, paradiesisches Leben. Sie sammeln Brotfruchtsetzlinge, plantschen in der Lagune, laben sich in der Mittagshitze mit Kokosnüssen, abends verwöhnen sie die Insulaner mit gewürztem Schweinefleisch, das in Erdlöchern mit heißen, ausgelegten Steinen, mit Bananen und Palmblättern überdeckt gegart wird.

Ein flammender Abendhimmel, die singenden Seiten einer Ukulele im Fackelschein an der Lagune und ferne Trommeln des Inselritus bilden den paradiesischen Rahmen.

Vor allem jedoch ist es die Sanftmut und Freizügigkeit der Frauen, der aufreizende und schamlose Umgang der blutjungen Mädchen in ihrer angeborenen, polynesischen Schönheit; er entspricht durchaus ihrem Kulturempfinden und Liebesleben. Es war das Paradies.

Liebende Paare bilden sich, Cliquen entstehen, da und dort Streit und Eifersucht. Kapitän Bligh hat alle Hände voll zu tun, um mithilfe des König Teina alles im Griff zu haben. Trotzdem nimmt er seinen zweiten Offizier Fletcher Christian immer mehr in die Mangel und Verantwortung. Rügt ihn öffentlich in seinem unbeherrschten Jähzorn und drängt die Mannschaft immer heftiger auf baldmöglichste Abreise.

Randvoll ist sie, die Bounty, mit Brotfruchtsetzlingen und Kokosnüssen, als Abschiedsgeschenk Teinas, als es dann endlich so weit ist. Rührende Abschiedsszenen der Mannschaft von ihren Geliebten, wobei einige sogar in den Busch fliehen, um auf der Insel zu bleiben. Bligh lässt sie mithilfe der Eingeborenen wieder einfangen und in Ketten legen.

Dann geht es schnell, als an einem herrlichen Tropenmorgen, den 5. April 1790, die Bounty die Segel setzt und aus der Lagune gleitet.

Es ist ein bewegter Abschied. König Teina und seiner Frau Iddia rollen dicke Tränen über die Wangen. Die Mannschaft steht geschlossen an der Reling und winkt ihren zurückgebliebenen, geliebten Südseemädchen und Freunden, die ihnen so unvergesslich ans Herz gewachsen sind.

Eine milde Morgenbrise wiegt die Palmenwipfel, die das Letzte sind, was von „Otaheite“ (Tahiti), durch die tränenden Augen der Männer noch zu sehen ist. Aber auch die Insulaner blicken der Bounty wehmütig nach, bis sich ihre weißen Segel im Morgendunst des weiten Pazifik verlieren.

Ia orana“, rufen sie ihnen nach. „Lasst euch lange leben!“.

Jedoch die Bounty hörte ihren Ruf nicht mehr … und auch der Himmel nicht …

Auf dem spiegelglatten Pazifik unter sengender Südseesonne, nimmt die Bounty Kurs auf die Freundschaftsinseln Torfu und Tongapatu.

Es ist nicht die übliche Athmosphäre an Bord eines Dreimasters von Kommandos, Befehlsstimmen und das stete „Aye, aye, Sir“.

Ruhig, einem Geisterschiff ähnlich, segelt die Bounty im grenzenlosen, pazifischen Ozean. Die Stimmung ist spürbar gereizt.

Das Paradies liegt hinter ihnen, das kalte England vor ihnen. Die Männer hängen mit ihren Gedanken dem enteilten Paradies nach. Nur das Nötigste wird besprochen, die See ist ruhig, der Kurs klar.

Kapitän Bligh jedoch, sucht den Disput, die Konfrontation wegen jeder Kleinigkeit. Was ist nur in ihn gefahren, fragt sich die Mannschaft. Rügt laufend Christian Fletcher, macht ihm Vorhalte wegen lächerlichen Vorkommnissen.

Als er eines Tages einige Männer wegen angeblichen Disziplinvergehen auspeitschen lässt, wird es Fletcher zu viel und er stellt Bligh zur Rede.

„Sir, die Männer tun ihr Bestes und außerdem unterstehen sie auch meiner Person, ich dulde Ihr Verhalten der gesamten Mannschaft gegenüber keineswegs.

Wir haben alle Verständnis, Sir, für Ihre ungemein große Verantwortung, diese Mission mit der gesamten Mannschaft zusammen, für die englische Krone zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.

Gehen Sie in sich, Sir, und ändern Sie Ihr Verhalten, ansonsten bin ich nicht mehr bereit, Ihr erster Offizier zu sein, Sir. Und wenn sie mich in Ketten legen, Sir!“ Es kam, wie es kommen musste.

Der angeborene Jähzorn Blighs war voll entflammt und nicht mehr zu bremsen. Ständig maßregelt er die Mannschaft und sät Hass und Zwietracht.

Tags darauf lässt er seinen Offizier Christian Fletcher vor angetretener Mannschaft auf die Brücke holen. Sein persönlicher Kokosnussvorrat sei merklich geschrumpft, wahrscheinlich geraubt worden. Seiner Vermutung nach, könnte dies nur Fletcher gewesen sein. Da nur er Zugang hätte. Er werde dieser Vermutung mit aller Konsequenz nachgehen und untersuchen.

Abtreten!

Die Mannschaft schäumte. Für sie war Fletcher ein Edelmann. Bligh war eindeutig zu weit gegangen.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Es ist der 27. April, als fahles Dämmerlicht in die Kajüte des Kapitän Bligh fällt. Die See ist ruhig und plötzlich reißt ihn ein heftiger Druck aus dem Schlaf.

Es sind die Hände von Christian Fletcher und seinen Helfern. Am Abend schon wurde generalstabsmäßig diese Meuterei unter dem Großteil der Besatzung abgesprochen, die für die Übernahme der Bounty durch Fletcher war.

Die Waffenkammer wurde problemlos übernommen und die beteiligten Männer bewaffnet. Kapitän Bligh, die Hände auf den Rücken gebunden, eine Barkasse von nur sieben Metern Länge und zwei Metern Breite zu Wasser gelassen und mit achtzehn Männern, die sich Bligh freiwillig anschließen möchten, gefüllt.

Dazu Proviant, Schiffszwieback, Rum, ein Fass Trinkwasser für fünf Tage sowie ein Kompass. Seekarten und Sextant blieben auf der Bounty.

Unter wüsten Flüchen und Drohungen von Bligh wird das Seil gekappt und das überfüllte Boot seinem Schicksal überlassen.

Für Bligh und seine Mannschaft gab man keinen Pfifferling mehr. Als die Morgensonne den wallenden Dunst über den Ozean durchbricht und ihre ersten Strahlen auf die ruhige See legt, als wäre nichts gewesen, ist eine der spektakulärsten Meutereien der Seefahrt, die wie keine andere die Fantasie der Menschheit anregte, Geschichte.

Es war ein unglaubliches Meisterstück der Seefahrt, ein nur 7 Meter langes, überladenes Boot, 3.618 Meilen bis zur Insel Timor im Indischen Ozean zu steuern. Bligh machte das Unmögliche möglich und setzte seine verwilderte und halb verhungerte Crew nach 48 Tagen unter unmenschlichen Strapazen und Qualen in Kupang an Land.

Kein Hahn krähte mehr nach den Brotfruchtsetzlingen. Die Botschaft der Südseemeuterei rast wie ein Lauffeuer durch Europa. Tahiti war mit einem Schlag das Maß aller Dinge, der Inbegriff vom Paradies auf Erden.

Die Bounty segelte einstweilen mit lärmendem Gelage an Deck und grölenden Triumphrufen unter ihrem neuen Kapitän Christian Fletcher gegen Osten.

Auf nach „Otaheite“, wir kommen Tahiti, Tahiti wir kommen heim!“ Die Heimkehr gestaltet sich zu einem großen Fest. Man fällt sich in die Arme, singt, tanzt und trinkt nach Herzenslust. Ein neues Lebensgefühl in ihrem Paradies war erwacht.

War es noch ein Paradies? An einer Palme, abseits dieser paradiesischen Euphorie, lehnt Fletcher mit kummervollem Blick hinaus auf die ruhig plätschernde Lagune.

Wohin soll ich sie führen, meine Schafe? Mein Gott, sie begreifen die neue Situation noch nicht. Ihm war klar, dass die englische Admiralität diese Schlappe der Meuterei nicht auf sich sitzen lassen kann und alles unternehmen wird, die Meuterer aufzuspüren. Und dies zu allererst auf Tahiti.

Sein Plan steht fest und die einzige Möglichkeit, sich der drohenden Festnahme zu entziehen. Eine Fluchtinsel muss gefunden werden.

Nach einigen Tagen wilder Diskussionen, Beratungen, negativen Prophezeiungen, ist man endlich bereit, die gefahrenvolle Irrfahrt hinaus auf den endlosen Pazifik zu wagen.

Sechzehn Meuterer machten die Reise nicht mehr mit. Sie haben von den Irrfahrten genug und bleiben auf Tahiti.

Am Tag der Abreise, an dem die Bounty ein letztes Mal ihr Paradies auf Tahiti verlassen wird, ging die Sonne blutrot auf. Das bedeutet nichts Gutes und so drängt Fletcher zur Eile.

Heimlich holt er sich noch einen jungen Zurückbleibenden, dem er stets vertraute, hinter einen dichten Tiare-Strauch.

„Eine Bitte, mein lieber Freund, musst Du mir noch erfüllen, falls das Glück dir hold ist und du Old England nochmals sehen wirst. Deine Unschuld wird sich herausstellen und du kannst mit Milde rechnen.

Lass diesen Brief meinen Angehörigen zukommen. Sie werden mich dann verstehen. Gott mit dir!“ Es war eine Notiz von Bligh, die er zufällig in seinem Logbuch entdeckte:

„Dieser Ort ist gewiss das Paradies auf Erden. Und könnte das Glück aus der Lage und den Annehmlichkeiten entspringen, dann findet man es hier in höchster Vollendung.

Ich habe viele Gegenden auf der Welt gesehen, doch Otaheite (Tahiti) ist allen vorzuziehen.“

Der Schiffsjunge verspricht mit Tränen in den Augen sein Bestes, umarmt Fletcher und rennt heulend in den Busch.

Nach 18 Monaten kommt der Tag, da das Verfolgungsschiff der englischen Admiralität „Pandora“ überraschend vor Tahiti aufkreuzt, die Meuterer stellt und in Ketten legt.

Die Frauen der Männer, Fletcher mit seiner Gefährtin sowie einige Polynesier sind bereit für ein neues Leben in der Weite der Südsee.

Aber wo ist eine neue Heimat, wo ist weiteres gefahrloses Dasein für unser junges Leben?

Für neues Glück? Himmel öffne dich!

Ein Heer von Trommlern war zusammengekommen und gab der Bounty einmal noch das Geleit, als sie langsam aus der Lagune gleitet. Die See frischt auf und trägt die Blumensträuße, die man zum Abschied in die Wellen wirft, auf ihren schäumenden Kronen dem Pazifik zu. Wehmütig erklingen Gitarren, Frauen heulen, Kinder kreischen und der Passatwind rauscht in den Palmwipfeln.

Es ist ein bewegter Abschied, der an das Herz greift.

Fletcher segelt nach Nord-Ost um augenscheinlich den Kurs vorzutäuschen. Als die weißen Segeln von der Insel nicht mehr auszunehmen sind, wechselt er auf Nord-West.

Monatelang kreuzt die Bounty auf ihren Irrfahrten durch Polynesien im unendlichen Ozean, auf der Suche nach einem passenden Versteck. Es findet sich keines.

Die Stimmung schlägt um. Verzweiflung und Ratlosigkeit schaffen eine Grabesstimmung. Soll man sich stellen, einem ehrenhaften Tod ins Auge sehen, alles, alles sei umsonst gewesen?

Kapitän Christian Fletcher blickt in die Augen der Frauen. Diese schönen, sanftmütigen Pupillen mit dem leuchtenden Glanz des Meeres. Erwartungsvoll erwidern sie seinen Blick und er hat begriffen. Bis zum Ende der Welt führe ich euch, wenn es sein muss.

Es ist ein Tag wie viele andere.

Als milchige, orangefarbene Scheibe erhebt sich die Sonne aus dem Stillen Ozean. Steigt höher und höher in ihrer Bahn, die ihr die Schöpfung vorgezeichnet hat.

Fletcher sitzt wie immer frühmorgens in seiner Kajüte, studiert Seekarten und Literatur. Plötzlich ein gellender Schrei vom Krähennest auf dem Mast: „Land in Sicht!“ Fletcher ist von einem Irrtum überzeugt. Eine Fata Morgana. In diesen Breiten gibt es keine Insel, kein Atoll.

Nichts!

Der Himmel hat ihren Ruf gehört. Zufällig stoßen Sie auf eine felsige Insel, abseits aller Seewege und Routen die auf keiner der Seekarten verzeichnet war. Und auch niemals angesteuert werden wird. Es ist, als hätte sie einer der Meeresgötter der Südsee da hingeleitet.

Die Bounty besiedelte die Insel, nannte sie „Pitcairn“, nach dem Namen des jungen Polynesiers, der diese zu allererst im Krähennest gesichtet hat.

Fletcher lässt die Bounty verbrennen und versenken, um alle Wege zurück für alle Zeit abzubrechen und keinem zufällig vorbeikommenden Schiff den Anblick einer bewohnten Insel zu geben.

Als die Wellen des rauschenden Pazifiks die letzten Flammen des Dreimasters verschluckt hatten und sich noch ein blasser Feuerschein auf der ruhigen See spiegelt, herrscht Totenstille auf Pitcairn.

Lediglich das Schluchzen der Frauen ist zu hören und die Tränen der Männer zu sehen.

Heute noch leben die Nachkommen des Christian Fletcher und seiner Männer auf Pitcairn.

War es auch Jahrhunderte ein Leben in Hölle und Paradies. Was soll’s? Die Grabsteine ihrer Vorfahren, der Meuterer, sind so für alle Zeiten Zeugen der abenteuerlichsten Meuterei der Seefahrt im endlosen Pazifik, dem Stillen Ozean.

Eisblumen

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