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Sie vertrat in ihr ihre eigene “austromarxistische” Richtung, die ein wichtiges Ferment der geistigen Entwicklung des Sozialismus der Nachkriegszeit gewesen ist. Vier Jahre zuvor hatte Österreich den Ersten Weltkrieg verloren - und in der Hunger leidenden Bevölkerung, speziell in den industriellen Zentren der zusammenbrechenden Monarchie hatte sich eine revolutionäre Stimmung aufgebaut. Aber die Revolution ist natürlich nicht gekommen. Es kamen allerdings Revolutionäre - Otto Bauer zum Beispiel, der als Leutnant in den Krieg gezogen war, in russischer Kriegsgefangenschaft die Revolution miterlebt hatte und nach seiner Rückkehr nach Wien eine zentrale Rolle in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und dann in der Regierung Renner einnahm. Bauer repräsentierte den linken Parteiflügel der Sozialdemokratie. Mehrheitsfähig war das nicht, stand aber umso mehr unter Druck von beiden Seiten: Einerseits war da die pragmatisch denkende Mehrheit der sozialdemokratischen Funktionäre. Auf der anderen Seite entstand die kommunistische Bewegung, die in den ersten Monaten der Republik enormen Zulauf finden konnte - im Jahr 1919 dürfte die junge Partei bis zu 40.000 Mitglieder geworben haben. Sie ist 1918 in den revolutionären Unruhen aus links oppositionellen Gruppen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) hervorgegangen. Gegründet am 3. November 1918 durch radikale Studentinnen, von der Sozialdemokratie enttäuschte Linksintellektuelle und einige Arbeiter, versuchte die Kommunistische Partei (KP), sich als radikal gesellschaftsverändernde Kraft zu etablieren.

Der Staatsrat hatte die Mitteilung des Armee Oberkommandos entgegengenommen, am 3. November 1918, dass sich das Armeeoberkommando infolge der vollständigen Auflösung der Armee gezwungen gesehen hatte, sich den Bedingungen des Siegers zu unterwerfen. Deutsch - Österreich hatte keine eigene Armee. Es funktionierte das bisherige gemeinsame Kriegsministerium nicht mehr in seiner bisherigen Eigenschaft als höchste militärische Verwaltungsinstanz, sondern — im Interesse aller beteiligten Nationen — nur mehr als gemeinsame Liquidierungsstelle.

Das in einem Polizeibericht überlieferte erste Programm der KP:

"1. Die Übernahme der politischen und wirtschaftlichen Macht durch die Arbeiter- und Soldatenräte und durch die Bauernschaft sowie deren Ausschüsse und zentrale Organe. Aufstellung einer Arbeitermiliz.

2. Die Volksabstimmung in allen für das arbeitende Volk wichtigen Fragen.

3. Die Entziehung aller politischen Rechte (Wahlrecht, Militärrecht, politische Presse usw.) denjenigen, welche großes Privateigentum in irgendeiner Form besitzen.

4. Die Beschlagnahme aller Vorräte an Rohstoffen, Lebensmitteln und notwendigen Industrieprodukten durch die Gesellschaft behufs gleichmäßiger Verteilung.

5. Die Entziehung des privaten Verfügungsrechtes über alle Bank- und Betriebskapitalien und Unterstellung unter die Kontrolle der Arbeitenden.

6. Enteignung des Großgrundbesitzes und Übergabe an die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter und an arme Bauern zum Zwecke der Bewirtschaftung für die Gesellschaft."

Dieses Programm war der Untergang des Austromarxismus.

Der Austromarxismus beschritt einen "dritten Weg“ zwischen dem Leninismus und dem sozialdemokratischen Revisionismus, der eine Überwindung des Kapitalismus durch soziale Reformen und nicht durch Revolution postulierte, und wollte dadurch die Spaltung in der Arbeiterbewegung überwinden. Heute könnte man den Austromarxismus als "Marxismus - ligth" bezeichnen. Aber die starke politische Machtstellung der österreichischen Sozialdemokratie geriet allmählich in Widerspruch zu der infolge des Ökonomischen Schrumpfungsprozesses schwindenden, zu zusammenschrumpfenden ökonomischen, gesellschaftlichen Kraft der Arbeiterklasse. Es wurde der Gedanke geboren: die österreichischen Arbeiter sind berufen und befähigt, aus dem verlotterten alten Österreich einen modernen bürgerlichen Staat zu machen. Das war der Adler - Austerlitzsche Gedanke, aus dem Karl Renner die Theorie realisierte. Was sie vereinigte, war nicht etwa eine besondere politische Richtung, sondern die Besonderheit ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Sie waren alle herangewachsen in einer Zeit, in der Männer wie Stammler, Windelband, Rickert den Marxismus mit philosophischen Argumenten bekämpften; so hatten diese Genossen das Bedürfnis, sich mit den modernen, philosophischen Strömungen auseinanderzusetzen. Waren Marx und Engels von Hegel, waren die späteren Marxisten vom Materialismus ausgegangen, so sind die jüngeren "Austromarxisten" teils von Kant, teils von Mach her gekommen. Anderseits haben sich diese jüngeren "Austromarxisten" an österreichischen Hochschulen mit der sogenannten österreichischen Schule der Nationalökonomie auseinandersetzen müssen; auch diese

Auseinandersetzung hat die Methode und Struktur ihres Denkens beeinflusst. Und schließlich haben sie alle im alten, von den Nationalitätenkämpfen erschütterten Österreich es lernen müssen, die marxistische Geschichtsauffassung auf komplizierte, aller oberflächlichen, schematischen Anwendung der Marxschen Methode spottende Erscheinungen anzuwenden.

Die damals , wie auch heute, Austromarxismus genannt wird; es war der Gedanke des Austromarxismus. Nehmen wir die bedeutendste Leistung des Austromarxismus, Hilferdings Finanzkapital. Was ist an diesem Buch austromarxistisch? Auch ein Gegner des Austromarxismus hätte es schreiben können. .Man wird sagen: Aber auch die Auffassung, dass das Proletariat einen bürgerlichen Staat aufbauen soll, kann ein Zentrist oder Reformist teilen, ja der Wiederaufbau des kapitalistischen Staates ist heute das Endziel aller reformistischen Politik. Wenn sich der Austromarxismus also wirklich vom gewöhnlichen Reformismus unterscheidet, so muss der Unterschied wo anders liegen, als in der Staatsauffaissung. Alle Reformisten stellen sich heute zum Staat ganz so wie der Austromarxismus. Sie spielen sich als die Gönner und Beschützer des bürgerlichen Staates auf.


Die Sozialdemokratie

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