Читать книгу Die Sozialdemokratie - Karl Glanz - Страница 9
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ОглавлениеDas Jahr 1900 wird entscheiden, ob Österreichs Verfassung nicht ein toter Buchstabe ist, ob das feudal kapitalistische Parlament die Fähigkeit besitzt, die konstitutionellen Rechte auszuüben. Vor der Zukunft braucht es niemanden bange sein, auch dann nicht, wenn der § 14 das Parlament ersetzen, auch nicht, wenn ein Staatsstreich geführt werden sollte. Denn es kann in Österreich nicht besser werden, bis es nicht noch schlechter geworden ist. Mögen die Schwarzen die Oberhand gewinnen, möge die Verfassung mit Füßen getreten werden, dem Volke Österreichs darf es nicht bange sein, früher oder später muss es besser werden. Von diesem Parlament hat das Volk auch für den Fall der Arbeitsfähigkeit nichts als neue Steuern zu erwarten. Besser eine einsichtsvolle absolutistische Regierung als diese Volksvertretung. So dachten die Österreicher zu Beginn 1900.
Der freie Mann, der keine Pflichten, keine Rücksichten hat, mag ungestört seinen Liebhabereien nachgehen und sich das Leben nach seinen eigenen Grundsätzen zurechtlegen. Wer Pflichten zu erfüllen hat, dem nötigt die Pflicht zunächst die Grundsätze seines Verhaltens auf: sie wandelt den Hochmut in Bescheidenheit und die Schüchternheit in Selbstbewusstsein, sie räumt auf mit den Vorurteilen und den Idealen, sie zwängt den Geist in die Logik der Tatsachen. Und diese Logik beherrscht in unseren Tagen auch die Politik. Furchtbar sind die Anforderungen gewachsen, welche an die Staaten gestellt sind für ihre Sicherheit nach innen und außen, für das geistige und materielle Wohlbefinden ihrer Bürger. In gleichem Maße sind auch die Ansprüche gewachsen, welche die Staaten an ihre Bürger stellen müssen.
Österreichs Volk seufzte unter dem Druck der Steuerschraube, die Industrie blieb zurück, die Zollschranken wurden ausgedehnt, und das Alles aus Rücksicht auf Galizien und Ungarn. Hinweg mit diesen Volksvertretern, die durch eine Hintertreppenpolitik ihre eigenen Interessen schützten, die Volksinteressen preisgebend. Hinweg mit den Kapitalisten, Feudalen und Klerikalen, die Sonderinteressen verfolgten, die Volksrechte mit Füßen traten. Entweder eine wahre Volksvertretung oder gar keine — das war ihr Wunsch zur Jahreswende 1900. Und wenn im kommenden Jahr das Abgeordnetenhaus aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden würden, dann könnte die Regierung — sobald sie ehrlich sein sollte — das freie Wahlrecht schützen: denn ohne dieses wird nicht das Volk, sondern das Kapital, der Adel und die Kirche vertreten und der alte Zustand wird wieder hergestellt sein. Also weg damit.