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Breite Massen von Arbeitern waren zu Dauerarbeitslosigkeit verurteilt. Diejenigen, die noch Arbeit hatten, zitterten um ihre Arbeitsstellen. Die Führerschaft der österreichischen Sozialdemokratie versteht es seit jeher, der Parteimitgliedschaft eine "linke" Funktion der SPÖ. innerhalb der Zweiten Internationale vorzumachen. Und die Mitgliedschaft der österreichischen Sozialdemokratie ist auf diese "linke" Rolle ihrer Partei nicht wenig stolz; sie glaubt vielfach ganz ernst daran, dass die SPÖ wirklich etwas ganz Besonderes, ein "revolutionierender Faktor"; innerhalb des internationalen Reformismus ist. Die Macht der SPÖ. entspringt also im Grunde genommen dem von ihr geförderten Ohnmachtsgefühl der österreichischen Arbeiterklasse. Die Größe und überragend herrschende Rolle der SPÖ. innerhalb der Arbeiterschaft Österreichs ist in hohem Maße nur die politische Erscheinungsform der österreichischen Art kapitalistischer Stabilisierung. Für die breite Masse der Arbeiterschaft ist entscheidend die Erhaltung bürgerlicher Reste wirtschaftlicher Existenzmöglichkeit, die sie trotz der wachsenden Erkenntnis über den unsozialistischen und unrevolutionären Charakter der SPÖ nur durch die numerische Stärke und der im bürgerlichen Staatsapparat verankerten Einfluss der SPÖ. garantiert sieht. "Austromarxismus" Das ist war ein Lieblingsschlagwort im bürgerlichen Sprachgebrauch. "Austromarxismus" — das ist in ihren Munde so eine ganz besonders bösartige Spielart des Sozialismus. Der Widerspruch zwischen der in der Revolution von 1918 eroberten und seither von Wahl zu Wahl bestätigten politischen Machtstellung der Partei und der infolge des ökonomischen Schrumpfungsprozesses schwindenden Kampfkraft der Arbeiterklasse fand seine gewaltsame Lösung im Februarkampf 1934; während die Schutzbündler in heroischem Verzweiflungskampf der proletarischen Welt ein Vorbild gaben, wie sich revolutionäre Arbeiter gegen den Angriff des Faschismus zur Wehr setzen, scheiterte der Generalstreik an der Angst der Arbeiter um ihre Arbeitsstellen und verurteilte sein Scheitern den Heldenkampf der Schutzbündler zur Niederlage. Mit dem Siege des Klerikofaschismus im Februar 1934 war dem österreichischen Sozialismus zum zweiten Mal der gewohnte Kampfboden entrissen, war er zum zweiten Male vor gänzlich neue Aufgaben gestellt. Der Sozialismus war in die Illegalität geschleudert.

Krieg und Revolution haben freilich die "austromarxistische" Schule aufgelöst: in den Diskussionen der Kriegs- und Nachkriegszeit standen die Männer, die dieser Schule angehört hatten, innerhalb des internationalen Sozialismus in verschiedenen, oft entgegengesetzten Lagern. Das Wort "Austromarxismus" bekam infolgedessen eine andre Bedeutung. Die Gegner gewöhnten sich, ganz einfach die österreichischen Sozialdemokraten "Austromarxisten" zu schimpfen. Das war natürlich Unfug, der Unfug von Unwissenden, die eine politische Partei mit einer wissenschaftlichen Richtung verwechseln. Aber gerade die Hetze der Gegner gegen den "Austromarxismus" hat das Wort manchen unserer Genossen - der SPÖ - lieb gemacht; so haben sich denn manche unserer jüngeren Genossen gewöhnt, das Wort Austromarxismus zu verwenden zur Bezeichnung jener theoretischen Auffassungen der großen Streitfragen des internationalen Sozialismus der Nachkriegszeit, die sich in der österreichischen Sozialdemokratie nach dem Kriege allmählich entwickelt und in den Linzer Programm ihre Zusammenfassung, ihre Formulierung gefunden haben. Das von Bauer verfasste "Linzer Programm" von 1926 ist als "Herz und Hirn" des Austromarxismus bezeichnet worden. Das 1882 ausgearbeitete deutschnationale Programm, das die Stärkung des deutschen Charakters der westlichen Hälfte der österreichisch-ungarischen Monarchie zum Ziel hatte und eine bloße Personalunion mit Ungarn vorsah. An ihm arbeiteten G. von Schönerer, V. Adler und E. Pernerstorfer mit. Letztere zogen sich zurück, als G. von Schönerer einen antisemitischen Teil einbrachte, so dass es nur für Schönerers politische Gruppe Bedeutung erhielt; das 1923 beschlossene "Programm der christlichen Arbeiter Österreichs", das aber keine Bedeutung erlangte; das 1926 auf dem Parteitag der SDAP beschlossene, von O. Bauer wesentlich beeinflusste marxistische Programm. Obwohl es eine defensive Grundhaltung aufwies, gab der ohne zwingende Notwendigkeit verwendete Passus "Diktatur der Arbeiterklasse" den politischen Gegnern ein brauchbares Argument für den politischen Tageskampf und trug wesentlich zur Verschärfung der ideologischen Gegensätze bei.

Zwischen der Bourgeoisie auf der einen, der Arbeiterklasse auf der anderen Seite stehen das Kleinbürgertum, die Kleinbauernschaft, die freien Berufe. Sie haben nur noch die Wahl, den Tross der Bourgeoisie zu bilden oder Bundesgenossen der Arbeiterklasse zu werden.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs, gestützt auf die Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus und auf die Erfahrung jahrzehntelanger sieghafter Kämpfe, eng verbunden den sozialistischen Arbeiterparteien aller Nationen, führt den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und setzt ihm als Ziel die Überwindung der kapitalistischen, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung.

Der Parteitag wurde beendet in Begeisterung und Ergriffenheit. Die Vertrauensmänner des deutschösterreichischen Proletariats waren auseinandergegangen im Bewusstsein, dass das ein ganz außergewöhnlicher Parteitag, ein Parteitag von ganz außerordentlicher Bedeutung gewesen sei. Denn dieser Parteitag hat ihnen ein neues Parteiprogramm geschaffen, das Programm, das fortan als das Linzer Programm in der Geschichte der Partei leben und wirken wird. Diese Programm sollte als Richtschnur der Erziehung der Jugend, wirken als das geistige Band, das die Hunderttausende ihrer Parteigenossen zu enger Gemeinschaft des Denkens, Wollens, Handelns verknüpft, wirken als der Wegweiser zu den großen, begeisternden Zukunftszielen des Sozialismus, die kleinen Kämpfe ihres Alltags einordnend dem geschichtlichen Ringen der Arbeiterklasse der Welt um eine neue Menschheit.

Die Schwäche des "Linzer Programms" war zweifellos sein Lavieren zwischen dem Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie – Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie und unter allen Bürgschaften der Demokratie ausüben – und einer klassenkämpferischen Rhethorik – Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen, heißt es an anderer Stelle –, die wesentlich zur Verschärfung der ideologischen Gegensätze in Österreich beitrug und den politischen Gegnern ein brauchbares Argument für ihre politische Propaganda lieferte.

1934 war das alles wieder vergessen.


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