Читать книгу Die Orgel - Karl-Heinz Göttert - Страница 6
Kapitel 1 Vorgeschichte Von Orgeln vor der Orgel Ingenieurskunst
ОглавлениеFür die Erfindung der Musikinstrumente hält unsere Kultur einen Mythos mit einigermaßen abstoßenden Zügen bereit. Danach schuf Athene die »Doppelflöte«, den Aulos. Er ist oft auf antiken Vasen abgebildet, zum Beispiel auf dem sogenannten Glockenkrater mit Bankettszene aus Cumae um 340 v. Chr. Die Töne werden allerdings nicht nach Flötenart durch Luftbrechung an einem Kern, sondern nach Oboen- oder Klarinettenart von einem Rohrblatt erzeugt und mittels Grifflöchern abgewandelt. Athene warf diesen gerade erfundenen Aulos jedoch genervt weg, als sie im Wasserspiegel sah, wie das Spiel auf ihm ihr Gesicht verzerrte. Da kam der Halbgott Marsyas im Gefolge der trommelnden Kybele vorbei, fand das Instrument, erlernte es und forderte höchst übermütig den Gott Apollon zum Wettbewerb mit dessen Kithara, einer Art Harfe, heraus. Als die richtenden Musen zunächst Marsyas den Preis zuerkannten, ließ sich Apollon schäbigerweise etwas einfallen, verschärfte die Bedingungen und forderte, dass zum Spiel zu singen sei. Das entschied natürlich, Marsyas unterlag. Weil zuvor auch noch ausgemacht war, dass der Überlegene mit dem Unterlegenen nach Belieben verfahren könne, zog Apollon Marsyas die Haut ab. Auch davon gibt es zahlreiche Abbildungen des ebenso brutalen wie ekligen Ergebnisses – Die Schindung des Marsyas von Tizian zum Beispiel.
Auf dem »Glockenkrater mit Bankettszene« aus Cumae um 340 v. Chr. ist links eine Dame beim Spiel eines Aulos abgebildet. Man sieht deutlich die beiden »Flöten«, deren Grifflöcher getrennt zu bedienen sind. © Bärenreiter Bildarchiv
Man hat den Mythos schon im Altertum so gelesen, dass in ihm die Überlegenheit der Götter und die Dummheit all derer demonstriert werden sollte, die diese Überlegenheit nicht anerkennen. Wir können ihm aber auch etwas schlichter die Erfindung der drei Instrumentengattungen entnehmen: der Schlaginstrumente (mit der Trommel), der Blasinstrumente (mit dem Aulos) und der Saiteninstrumente (mit der Kithara). Aus dem ersten Schlaginstrument entwickelte sich alles, was anschlagbar ist – bis hin zur Glocke. Aus den Blasinstrumenten entwickelte sich alles, was blasbar ist – Trompeten zum Beispiel. Aus den Saiteninstrumenten entwickelte sich alles, was zupf- und streichbar ist – die Gitarre wie die Geige. Wozu, bitte schön, gehört dann unsere Orgel?
Natürlich ist sie ein Blasinstrument. An ihrem Anfang steht irgendwie Athene mit ihrer »Flöte«. Wenn man sich diese Flöte als Panflöte denkt, deren verschiedene Töne sich anstelle der Grifflöcher der Doppelflöte verschieden langen Pfeifen verdanken, liegt die Entstehung der Orgel auf der Hand. Sie ist eine Art vergrößerte Panflöte, auf der nur niemand mehr blies, sondern bei der die Luftzufuhr auf technischem Wege erfolgte. Wobei die Entstehung der Panflöte, im Griechischen »Syrinx«, wieder ihren eigenen Mythos besaß. In diesem Fall verfolgte der für seine Geilheit berüchtigte Halbgott Pan (der mit Marsyas übrigens oft verwechselt wurde) die Nymphe Syrinx, die sich zu ihrer Rettung lieber in ein Schilfrohr verwandeln ließ. Als der frustrierte Pan streichelnd in das Gewächs hineingriff, entstand ein wunderschöner Klang. Darauf schnitt sich der immer noch Verliebte etwas Schilfrohr ab und fertigte daraus die bekannte Panflöte, die fortan sein Zeichen wurde.
Nur verdeckt auch dieser Mythos, wenn wir nach dem Ausflug in die Mythologie wieder zu unserm Ausgangspunkt zurückkehren, etwas für die Orgel außerordentlich Wesentliches. Die Orgel scheint nämlich überhaupt nicht als Musikinstrument entstanden zu sein. An ihrem Anfang steht vielmehr ein Automat, man könnte auch von einer rein technischen Spielerei sprechen. Es kam bei ihrer Erfindung nämlich nicht auf die Töne an, sondern auf die Erzeugung des Tönens. Die Geschichte oder vielleicht besser: die Vorgeschichte des Musikinstruments Orgel führt jedenfalls in das antike Ingenieurswesen. Wer nach den Ursprüngen der Orgel sucht, muss diese zwischen komplizierten Baumaschinen und bedrohlichem Kriegswerkzeug suchen. Dafür gibt es unwiderlegliche und erstaunlich präzise Quellen.
Am Beginn steht dabei ein Grieche aus Alexandria mit Namen Ktesibios, der im 3. Jahrhundert v. Chr. lebte und ein Werk über Pneumatik (den technischen Einsatz von Druckluft) verfasst hat, das leider verloren ging. Aber Ktesibios hatte einen Schüler, Philo von Byzanz, der über das Werk berichtete, wovon immerhin Fragmente existieren. Zwei weitere antike Experten haben nun entweder Ktesibios selbst oder Philo ausgewertet – und deren Schriften sind erhalten. Dabei handelt es sich einmal um Vitruv in seinem Buch De architectura, um 30 v. Chr., zum andern um Heron von Alexandria mit gleich zwei Werken: den Pneumatica und den Automata, beide um 50 n. Chr. In allen diesen Quellen gibt es nun Berichte über ein Instrument mit dem griechischen Namen »organon hydraulikon«, latinisiert »organum hydraulicum«, später zitiert auch als »hydraulica«, »hydraulis«, sogar »hydra«. Und in allen spielt es die gleiche Rolle. Es handelt sich um einen Automaten, der Töne hervorbringt.
Für einen näheren Bericht halten wir uns an die überlieferten Quellen, aber es sei auch etwas zu Ktesibios gesagt. In seinem Fall interessiert hier nicht die wohl rein legendenhafte Nachricht aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., dass er Friseurssohn gewesen sei und die Kraft der Pneumatik entdeckt habe, als er im Salon seines Vaters einen auf- und abwärts bewegbaren Spiegel konstruierte. Auch die Nachricht, dass er seine Frau als erste Organistin ausbildete, wollen wir rasch übergehen. Denn ihr Name »Thais«, den der Grammatiker Athenaios von Naukratis im 2. Jahrhundert n. Chr. in seinem Gastmahl der Gelehrten bezeugt, ist mehr als verdächtig. Unter Thais verstand jeder Grieche eine Hetäre, sprich: Edelhure, die ihre Gäste auf vielerlei Weise unterhielt. Athenaios wies ihr also auch die Orgel zu, wobei man nicht recht versteht, weshalb er diese Thais zur Ehefrau erklärte. Mit einer Frau lag er durchaus richtig, denn Frauen als Organistinnen sind gut bezeugt. Auf einem noch zu besprechenden antiken Mosaik ist eine ganze Reihe von Instrumentalisten abgebildet, ausschließlich Frauen und darunter auch eine Organistin.
Alles sehr schöne Geschichten, aber uns interessiert an Ktesibios Handfesteres, vor allem das 3. Jahrhundert als gesicherte Entstehungszeit seiner Erfindung. Wir befinden uns damit in der Phase der antiken Geschichte kurz nach dem Tod Alexanders des Großen im Jahre 323 v. Chr. Das Weltreich war an seine drei Nachfolger gegangen: an die Seleukiden in Kleinasien, die Antigoniden in Griechenland und die Ptolemäer in Ägypten. In allen diesen Reichen setzte eine Blüte der Wissenschaft ein, besonders in Ägypten bzw. in der von Alexander noch selbst gegründeten Stadt Alexandria. Dort entstand die größte Bibliothek der antiken Welt mit entsprechenden Forschungen. Nachrichten über Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaften führen regelmäßig in diese Metropole. Im 1. Jahrhundert v. Chr. erbten die Römer den Riesenbesitz auf die übliche Art der militärischen Eroberung, bei der es auch zu Nebenwirkungen wie der kam, dass die Bibliothek von Alexandria in Flammen aufging, weil Cäsar die sonst nicht einnehmbare Stadt einfach angezündet hatte. Aber die Kultur wurde eben nicht zerstört, im Gegenteil: Die Sieger sammelten, lasen, werteten aus, wussten genau, was das griechische Wissen wert war. Vitruv stützte sich auf diese Tradition, Heron war selbst Grieche.
Worauf es hier ankommt: Die Quellen über die Entstehung der Orgel führen zu einem der damaligen Zweige der Wissenschaft, und zwar nicht dem bekannteren theoretischen, sondern dem weniger bekannten praktischen. Wir stoßen mit anderen Worten auf das hoch und immer höher entwickelte Gebiet der Technik. Dazu gehört das Problem der Kraftübertragung mithilfe von Maschinen. Vitruv, unser erster Autor, behandelt Fragen dieser Art in seinem genannten Lehrbuch der Architektur, das er aus Renommeegründen dem damaligen Kaiser Augustus widmete, den er auch immer wieder im Text anspricht. Die heutige zweisprachige Ausgabe umfasst mehr als 500 Seiten. Vitruv behandelt natürlich in erster Linie die Technik, die mit dem Bauwesen zu tun hat: also Fragen der Baustoffe (Ziegel, Kalk, Holz usf.), den Entwurf von Tempeln (mit ihren Säulenordnungen), Theatern, Privathäusern, die Herstellung von Estrich, Verputz, Marmor- und Malerarbeiten. Es folgen Angaben über die Nutzung von Wasser samt dem Bau von Wasserleitungen, eine komplette Astronomie unter spezieller Berücksichtigung der Konstruktion von Uhren und schließlich im zehnten und letzten Buch Ausführliches über Maschinen, wo dann unsere »Orgel« auftaucht.
Es ist nicht unwichtig, den Einstieg in dieses zehnte Buch zu beachten: die Unterscheidung von Maschinen und Werkzeugen. Werkzeuge, so lesen wir, werden von einem einzigen Menschen bedient, Maschinen bedienen mehrere. Dies gilt zum Beispiel für Zug-Hebe-Maschinen, die zur Beförderung großer Lasten dienen und mit Hebeln und Seilen funktionieren. Dazu muss man die Gesetze der Mechanik kennen, wo geradlinige Bewegungen aus kreisenden erzeugt werden wie zum Beispiel im Falle der Mühlen. Neben der Mechanik aber gibt es eine weitere Kraft: die Luft, also das Gebiet der Pneumatik. Und damit ist Vitruv beim »Wasserdruckwerk des Ktesibios«, dem als mehr oder weniger kurioses Anhängsel ein Bericht über die »Wasserorgel« folgt, ehe Vitruv ausführlich über Katapulte, Belagerungsmaschinen und anderes Kriegsgerät (wie die berühmte »Schildkröte«, unter der sich Belagerer an die Stadtmauer vorpirschten) berichtet. Fragen wir zuerst, wie hier Wasser und Luft zusammenhängen, womit viel Verwirrung über die Wasserorgel zu vermeiden ist, die schließlich ihre Töne nicht mit Wasser erzeugt, sondern mit Luft, die durch Wasserdruck komprimiert wird.
Wer in Mechanik unbedarft ist und das Prinzip trotzdem verstehen will, kann einmal eine Schüssel mit Wasser füllen und dann ein Trinkglas mit Öffnung nach unten in die Schüssel halten. Er wird merken, dass das Wasser nicht ins Glas strömt, weil es von der Luft daran gehindert wird. Er wird weiter spüren, dass er Druck benötigt, um das Glas hineinzustoßen. Etwas technischer ausgedrückt: Das Wasser drückt gegen die Luft im Glas, komprimiert sie. Wenn man nun in den Glasboden ein Ventil einbaut, kann man die Luft nach oben ausströmen lassen. Wenn man ein zweites Ventil am Glas anbringt, kann man Luft hineinpumpen und damit die oben entweichende Luft unten nachfüllen. Genau das hat Ktesibios getan und damit sein »Wasserdruckwerk« erfunden. Er hat dann weiter experimentiert und das obere Ventil über Schläuche mit Figuren, zum Beispiel Vögeln, verbunden. Diese Vögel konnten sich dann mithilfe des Luftdrucks bewegen und, ebenfalls mithilfe des Luftdrucks, Töne von sich geben. Vitruv beendet die kurze Ausführung mit dem Hinweis, man könne bei Ktesibios Weiteres über solcherlei Maschinen nachlesen, die der »Unterhaltung« dienten.
Etwas ausführlicher stellt er dann in einem eigenen Kapitel die Erfindung der »Wasserorgel« dar. Es ist letztlich nur die komplizierteste Maschine bzw. das komplizierteste Spielzeug dieser Art. Denn Vitruv berichtet nicht nur über Ventile oben und unten, sondern führt aus, wie die oberen zu Pfeifen gehören, die auf einem Kasten (der »Windlade«) stehen. Vitruv spricht bereits von mehreren Pfeifenreihen mit jeweils mehreren Pfeifen und sagt auch, dass die einzelnen Pfeifenreihen durch Schieber Luft bekommen oder von der Luft abgeschnitten werden. Weiter können die gewünschten Töne aus den Registern über Tasten erzeugt werden, wobei Federn dafür sorgen, dass die Tasten zurückspringen. Ein wichtiger Satz lautet: »Wenn daher die Tasten, von den Händen berührt, unaufhörlich die Schieber vor- und zurückschieben und so die Löcher abwechselnd öffnen und schließen, so bringen sie mit musikalischer Kunst in mannigfaltiger Abwechslung der Weisen die Orgeltöne hervor« (»e musicis artibus multiplicibus modulorum varietatibus sonantes excitant voces«). In zwei Schlusssätzen erklärt Vitruv, dass diese Technik nicht leicht zu verstehen ist – wie wahr!
Wovon genau war also die Rede? Vitruvs Hydraulis besaß drei wesentliche Elemente heutiger Orgeln, wenn man einmal von der etwas umständlichen Windversorgung durch Wasserdruck absieht. Das erste Element sind die Pfeifenreihen (»Register«), die je für sich gespielt werden konnten. Bewegte man – als zweites Element – den Schieber (die »Schleife«) so, dass seine Löcher unter die Pfeifen zu stehen kamen, bekam die entsprechende Pfeifenreihe Wind. Aber es sollten nicht alle zugehörigen Pfeifen gleichzeitig tönen. Also bedurfte es des dritten Elements: Zu jeder Pfeife gehörte ein Ventil, das man ein- oder ausschalten konnte. Man konnte demnach einerseits ganze Register ein- und ausschalten und andererseits einzelne Töne der jeweiligen Register zum Klingen bringen. Genauso ist es noch bei jeder heutigen Orgel. Es gibt die Register sowie die Züge, mit denen man einzelne Register zieht, und es gibt die Klaviatur, auf der man einzelne Tasten drückt, die dann die Pfeifenventile öffnen. Auch auf der Hydraulis konnte man also eine Melodie spielen oder auch mehrere Töne als Klänge zusammenstellen. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied, den Vitruv fast im Vorübergehen erwähnt, der aber die antike von der neuzeitlichen Orgel grundsätzlich unterscheidet: Die einzelnen Tonreihen der Register bildeten verschiedene Tonzusammenstellungen (sogenannte Tetrachorde, Hexachorde, Oktachorde, also die Abfolge von vier, sechs oder acht Tönen), sozusagen verschiedene Tonarten.
Rekonstruktion einer Hydraulis nach Vitruv. Der »Wind« wird durch eine Pumpe erzeugt und durch den Wasserdruck konstant gehalten. © Bärenreiter Bildarchiv
Um es noch deutlicher zu sagen: Die verschiedenen Tonreihen wurden nicht miteinander kombiniert, wie es in der späteren Orgel nicht nur der Fall ist, sondern womit die Orgel ja zu dem orchesterähnlichen Instrument wird, das sich von allen anderen Instrumenten unterscheidet. Die Hydraulis war demgegenüber ein Melodieinstrument, das allenfalls zum Melodie- einen weiteren Begleitton innerhalb desselben Registers ermöglichte. Man zog also nicht »alle Register«, womit alle Töne erklingen, die zu einer bestimmten Taste gehören. Das hätte aufgrund der unterschiedlichen »Stimmung« zu einem üblen Gequietsche geführt. Man entschied sich vielmehr dafür, welche »Tonart« für ein Stück gewünscht war, zog das entsprechende Register und legte los. Danach konnte man eine andere Melodie in einer anderen Tonart spielen. Das aber entspricht sehr genau dem, was wir ansonsten über antike Musik wissen. Denn für diese Musik waren »Tonarten« im Sinne einer bestimmten Anordnung der Ganz- und Halbtöne entscheidend. Über diese Tonarten wird immer wieder berichtet, ja philosophiert. Platon etwa handelt davon und bezeichnet bestimmte Tonarten als männlich und empfehlenswert (dorisch oder phrygisch), andere als unmännlich und verwerflich (lydisch oder äolisch). Wir können uns das heute sehr schwer vorstellen. Aber auch wir bevorzugen für den Ausdruck der Trauer Moll, für den der Freude Dur – allerdings ohne eine der beiden Varianten aufzugeben.
Jedenfalls macht all dies die Konstruktion der Hydraulis im Sinne eines Instruments für verschiedene Tonarten sehr wahrscheinlich. Denn wir wissen ja: Die Mehr- bzw. Zweistimmigkeit steht beim Aulos gerade am Anfang der Entwicklung. Allerdings zeigen alle Pfeifen, die man auf Abbildungen und bei Funden entdeckt hat, Flötenform, also »Rohre« mit Labien. Wann man von Rohrblattpfeifen auf solche mit Labium umkonstruierte oder ob am Anfang überhaupt Rohrblattpfeifen verwendet wurden (weil im Wort »hydraulis« nun einmal der »aulos« steckt), ist völlig unklar, aber auch nicht so wichtig. Denn am Prinzip änderte sich ja nichts. Es waren eben Pfeifen, mit denen man verschiedene Arten von Melodien oder Mehrklängen erzeugte. Und dies mithilfe von Automaten, die beliebig lange Luft lieferten, um diese Töne auszuhalten. Vitruv ist ganz gebannt von der technischen Seite und widmet der musikalischen kein einziges Wort – leider! Davon ist allerdings weniger als ein Jahrhundert später die Rede.
Bevor ich darauf zu sprechen komme, noch ein Wort zum zweiten antiken Spezialisten, zu Heron, der das Thema noch ausführlicher und darüber hinaus mit Abbildungen behandelt, also das Problem der Verständlichkeit erheblich abmildert. Nur zeigt sich bei Heron noch mehr als bei Vitruv, dass sämtliche Maschinen ausschließlich der Unterhaltung durch Demonstration des technischen »Wunderwerks« dienen. So gibt es einen automatischen Vogelgesang, der sich einem Röhrchen verdankt, das in ein Wasserbecken gelenkt ist. Bei entsprechender Luftzufuhr erzeugt es Zwitschergeräusche, wie es genauso noch heute bei Orgeln der Fall ist, die einen »Nachtigallenzug« besitzen. Bei Heron sitzt am Rande des Beckens ein Vogel, um die Illusion perfekt zu machen. Wer ahnt schon, dass der Effekt auf der danebenstehenden Vase beruht, deren Öffnung hübsch klein gehalten ist, sodass man das Wasser in ihr nicht bemerkt? Weiter gibt es einen halben Wald mit singenden Vögeln und auch noch einer Eule, die zwar nicht mitzwitschert, sich dafür aber dreht. Außer Vögeln existiert ein Automat, der Pfeiftöne erzeugt, die in Glucksen übergehen, wenn das nachströmende Wasser die Pfeife erreicht. Ein Trompeter ist die nächste Attraktion, dann eine sich öffnende und schließende Tempeltür, bei Bedarf kombiniert mit einer Signaltrompete. Es folgt ein Donnerautomat, bei dem der Wind Kugeln in Bewegung setzt.
Einer der Automaten von Heron: ein »Vogelgezwitscher«, das durch ein in Wasser getauchtes Röhrchen zustande kommt, wenn es unter Wind gesetzt wird. © Bärenreiter Bildarchiv
Und dann der Höhepunkt: eine Hydraulis mit einer einzigen Pfeifenreihe und ausführlicher Beschreibung der Konstruktion der Ventile, nicht allerdings der Windversorgung. Dafür gibt es bei Heron neben der Wasserorgel auch eine Windorgel, die allerdings nicht mithilfe eines Blasebalgs betrieben wird, sondern mithilfe eines Windrades, das als Luftpumpe dient. Auch in diesem Text erinnert rein gar nichts an ein Musikinstrument. Herons Apparate sind wie diejenigen von Vitruv Automaten. Sie bezeugen als pneumatische Maschinen Ingenieurskunst. Die Wasserorgel gerät nicht als Musikinstrument in den Fokus von Spezialisten, sondern als Automat. Aber mit diesen Automaten wurde eben irgendwann von irgendwem Musik gemacht, die über mehr als ein paar Töne oder Vogelgezwitscher hinausging. Um darüber etwas zu erfahren, müssen wir die Quellenart wechseln. Wir finden Näheres nicht bei den komplett unmusikalischen oder jedenfalls musikalisch desinteressierten Vertretern der Ingenieurskunst, sondern bei Philosophen, Historikern und Theologen.