Читать книгу Liebessagen - Karl-Heinz Hummel - Страница 18
ОглавлениеDER HEIMLICHE LIEBHABER, DER FÜNFMAL IST UMGEBRACHT WORDEN
uf einem kleinen Hof in Wälschtirol8 hausten einmal ein Mann und ein Weib, die mochten sich früher wohl einmal recht liebgehabt haben, aber eher in der Zeit, bevor sie geheiratet hatten und vielleicht noch ein paar Jahre danach. Aber der graue Alltag war unmerklich in ihr Leben getreten und hatte langsam allen Reiz, den Zauber der Liebe und das vergnügliche Schaudern der Lust vergehen lassen. Die schönste Zeit der begehrenden Zuneigung war längst verstrichen. Alles war anders gekommen, als die beiden es sich anfänglich erträumt hatten.
Beim Mann selber hatten die alte Faulheit und Unlust zur Arbeit wieder Oberhand genommen, seine Frau aber wurde immer durchtriebener und eigensinniger. Und: Sie hatte sich heimlich einen Liebhaber angelacht. Der kehrte ihr gerne zu, wenn der Mann im Wirtshaus war, und sie hätte denselben gerne viel öfter bewirtet und umschmeichelt. Der Ehemann aber ahnte, dass da ein anderer zugegen war, er wurde misstrauisch, wollte sich keine Hörner aufsetzen lassen. So ging er immer seltener aus dem Hause und stand so ihren Abenteuern im Wege. Daher dachte sich das durchtriebene Weib: »Ei, wenn du nur blind wärest, dann könnte ich mein Geheimnis vor dir verbergen!«
Eines Tages sagte die Frau: »Heut geh’ ich beichten.«
»Ja, geh nur«, erwiderte der Mann. »Aber geh hinunter zum Bach, dort in der alten, hohlen Eiche sitzt ein weiser, gütiger Beichtvater, der ist gerade der rechte für dich!«
»Ei, was redest du für dummes Zeug?«, gab sie zurück. »Wie soll denn in einer Eiche ein Priester sitzen?«
»Du wirst es schon sehen«, sagte er. »Das ist ein kluger Eremit, der gar viel von allerlei geheimen Künsten versteht. Ich bin auch schon dort gewesen. Geh nur heute gegen Abend hinab und du wirst guten Rat bekommen, wie du künftig ein besseres Leben führen kannst.«
Vor Sonnenuntergang warf der Mann heimlich ein schwarzes Hemd über, nahm ein weißes Tuch mit, um sein Gesicht zu verbergen, schlich zum Bach hinab und setzte sich in die hohle Eiche.
Dem einfältigen Weib hatte sich die Empfehlung ihres Mannes von dem Beichtvater, der sich auf geheime Künste verstehe, den ganzen Tag lang keine Ruhe gelassen. Sie stieg also am Bach entlang zur Eiche hinab und beichtete durch ein ausgebrochenes Astloch in den Baum hinein. Der Beichtvater saß nämlich wirklich darin, hörte ihr aufmerksam zu, stellte Nachfragen und gewann ihr Vertrauen. Endlich kam sie auf den Kern ihrer Anliegen zu sprechen: »Ich bin noch zu jung, um im Haus zu verdorren. Ich möchte von daher meinen Mann gern blind machen, dass er nicht mehr alles und jeden im Hause sieht. Gebt mir einen Rat, wie ich das anstellen kann!«
Da erwiderte der Beichtvater: »Liebe Frau, das ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Als Erstes muss ich Euch fragen: Habt Ihr Hühner zu Hause?«
»Freilich! Ich habe recht viele und einen schönen fetten Hahn dazu«, sagte sie.
»Wohlan«, fuhr die Stimme aus dem Astloch fort. »Dann bratet Eurem Manne jeden Tag ein Huhn, schön saftig und würzig mit Rosmarin, Salbei und Knoblauch und setzt ihm das vor. Vergesst auch nicht, ein Glas Wein, oder noch besser eine Flasche, dazu zu stellen und weißes, frisches Brot zu backen. Das macht Ihr Tag für Tag. Zuletzt bratet auch noch den Hahn und wenn Ihr das aufs Genaueste befolgt, dann wird Euer Mann unfehlbar erblinden.«
Sie dankte dem vermeintlichen Beichtvater und ging schnurstracks nach Hause. Ihr Mann aber eilte ihr auf einem anderen Weg voraus und erwartete sie schon an der Haustüre.
»Nun, wie hat dir der geistliche Herr gefallen?«, fragte er sie.
»Oh, sehr, sehr gut«, erwiderte sie. »Das ist ein grundgescheiter Mann! Er hat mir auch befohlen, ich solle dich mehr verwöhnen und dir bessere Speisen zu essen geben. Warte nur, gleich morgen schon will ich dir ein fettes Huhn braten, mit Zwiebeln, Knoblauch, Kräutern, so wie du es liebst.«
Nun kam alle Tage ein Huhn auf den Tisch. Der Mann aß und trank und wurde immer runder und fetter. Jedoch beklagte er Tag für Tag mehr: »Mein Augenlicht, es wird immer weniger, alles wird dunkler und dunkler. Was ist das, dass ich immer schlechter sehe?«
»Beruhige dich«, gab seine Frau zurück. »Das wird wohl alles sein Gutes haben!«
Als er auch noch den Hahn aufgegessen hatte, jammerte er: »Tiefe Nacht ist um mich herum. Stockblind bin ich und sehe gar nichts mehr.«
Das war seinem unruhigen Weibe ganz recht und sie bestellte ihren Liebhaber gleich auf den folgenden Tag.
»Zieh’ dir aber das Gewand eines Geistlichen an«, sagte sie. »Damit die Leute meinen, du bist der Kurat. Du weißt doch, wie übel und boshaft die Nachbarn hinter einem herreden.«
Der Hausfreund kam und fand den armen Blinden jammernd auf der Ofenbank vor. Da der Ehemann aber noch hören konnte, nahm der Galan dessen Pantoffeln, schlich unhörbar auf diesen um seine Geliebte herum, sprach auch ganz leise, um sich nicht zu verraten. Während das Weib zum Herd ging, um ihrem Liebhaber knusprige Ausgezogene zu backen, streckte sich der auf dem Canapé aus und schlief wohlig mit geöffnetem Mund ein. Da tappte der Ehemann wie ein Blinder in die Küche hinaus und als das Weib auf einen Augenblick in die Speisekammer ging, ergriff er die Pfanne mit dem heißflüssigen Schmalz, lief in die Stube und goss es dem schlafenden Liebhaber in den Mund. Dieser schrie erst furchtbar auf, stemmte sich noch hoch, taumelte in den letzten Atemzügen einige Schritte vorwärts und fiel sodann tot zu Boden.
Auf den Lärm hin rannte die Frau in die Stube und schrie entsetzt: »Du Unhold, nun hast du den Kuraten verbrannt!« Der Mann aber hielt ihr die Faust unter die Nase und rief: »Hast gemeint, ich bin blöd! Du wirst schweigen, dumme Gans, oder ich schlage dich auch tot!«
So erkannte sie, dass er von den Brathühnern nicht erblindet war und wer hinter dem vermeintlichen Beichtvater gesteckt hatte. Voll Scham warf sie sich auf die Knie und bat ihren Gemahl um Verzeihung. Er vergab ihr auch, aber nur unter der Bedingung, dass sie über das Geschehene schweigen müsse. Danach hob er den Toten hoch, trug ihn zum Stall hinüber und band ihn aufrecht auf seinen alten Esel. Danach setzte er ihm noch den Hut auf. In der Mittagshitze, als kein Mensch mehr draußen zu sehen war, jagte er das Grautier mit dem toten Reiter hinaus auf die Straße.
Der Esel trottete mit dem ungewöhnlichen Reiter auf dem Rücken sehr gemächlich zum Dorf hinaus, hinüber zu einem Feld und tat sich bald in einem Kornacker gütlich. Dessen Eigentümer hatte die Schritte des Esels vernommen, blickte zum Fenster hinaus und schrie sofort zornig: »Herr Kurat, reitet sofort mit dem Esel von meinem Acker weg!«
Als der vermeintliche Geistliche dem nicht Folge leistete, ergriff der jähzornige Mann sein Gewehr, stellte sich vor die Türe, legte an und schoss ihm eine Kugel mitten durch die Brust. Doch kaum war der Schuss verhallt, lief er voll Reue in sein Haus zurück, sperrte die Tür zu und fiel jammernd vor seiner Frau auf den Boden: »O weh, o weh, ich habe den Kuraten erschossen!«
Der Esel aber, durch den Schuss erschreckt, lief mit seiner Bürde weiter und geradewegs auf den Kirchplatz zu. Dort war Markttag und ein Töpfer hatte auf einem Stand viele Teller, Krüge und Schüsseln zum Verkauf ausgestellt. Der Esel trabte wie von Hornissen gejagt mitten hinein und zertrat und zerschlug die ganze kunstvolle Keramik mit seinen Hufen. Der Händler war außer sich: »Herr Kurat, seid Ihr von Sinnen, was treibt ihr denn?«
In seinem Zorn hob er einen großen Pflasterstein auf, warf und traf den Diener Gottes direkt am Kopf.
Aber sein aufgewühltes Gemüt wechselte aus der Wut schnell in Reue zurück: »O weh, o weh, ich habe den Kuraten zu Tode gesteinigt!« In dem allgemeinen Tumult, der entstanden war, fing er den Esel ein, hob den falschen Geistlichen herunter und lehnte ihn heimlich von innen an die Kirchentüre. Zum Glück hatte niemand genau darauf geachtet.
Spätabends ging der Mesner zum Abendläuten. Als er die Kirchentüre aufmachen wollte, merkte er, dass irgendjemand dahinter lehnte und den Eingang blockierte. Er vermutete, es sei ein Betrunkener vom Markt oder gar ein heimliches Liebespaar. »Wartet nur ab, ihr Flegel!«, dachte er sich und stieß das Portal mit aller Kraft und Wucht auf. Da fiel der Tote auf den Boden und der Mesner rief verzweifelt: »O weh, o weh, nun hab’ ich den Kuraten zu Tode gestoßen!«
Schnell schaute er sich um, zum Glück schien ihn niemand beobachtet zu haben, trug den Leichnam in die Sakristei, legte ihm dort ein Chorhemd an und stellte ihn anschließend an den Altar. Daraufhin läutete er die Glocken, verschwand aber sofort und legte sich vorsichtshalber krank ins Bett.
Die Nacht ging vorüber. Im Morgengrauen kamen einige Betschwestern zur Frühmesse und zwei Ministranten. Die liefen zum Altar und wollten zur Messe dienen. Sie warteten einige Zeit, aber der Kurat bewegte sich nicht. Da meinten sie, er schlafe, und zogen ihn von rückwärts, um ihn aufzuwecken. Da fiel der Tote polternd über die Stufen herab. »O weh, o weh, nun haben wir den Kuraten zu Tod fallen lassen!«, jammerten die Knaben und liefen davon.
Unter den Betschwestern war die Totenfrau. Die untersuchte den Leichnam und kam zu der Erkenntnis, der heilige Mann musste von auswärts sein. Außerdem habe der Arme wohl fünf Tode erleiden müssen. Um diese Schande zu vertuschen, zog sie ihn mit den anderen Weibern hinüber zum Leichenschauhaus, wo ein dünner Schneider in einem viel zu großen Sarg lag. Sie legten den fünfmal zu Tode Gekommenen dazu, schlossen den Deckel und beteten für sein Seelenheil einige Rosenkränze.
So endete die merkwürdige Geschichte vom Liebhaber, der fünfmal umgebracht worden ist.