Читать книгу Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte. - Karl Reiche - Страница 4

Die Wölfe bei den Menschen

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Erst als Kaar die Terrasse vor der Höhle betrat, blieben die Wölfe zurück und beobachteten das weitere Geschehen vorsichtig aus sicherer Entfernung. Die vielen Menschen, die jetzt aus der Höhle herauskamen, waren ihnen nicht ganz geheuer. Die meisten von ihnen, zumindest die Männer, hatten sie zwar schon irgendwann einmal von Weitem gesehen, aber in näheren Kontakt zu ihnen waren sie noch nie gekommen. Sie legten sich am Rand der Terrasse hin und warteten erst einmal ab.

Kaars Rückkehr löste bei seiner Sippe unterschiedliche Reaktionen aus. En und Petr nahmen ihm das Fellbündel ab, schnürten es auf und breiteten es aus. Als sie die Größe des Bären sahen, fragte En ungläubig: „Du hast diesen riesigen Höhlenbären erlegt?“

„Ja, aber ich hatte auch tatkräftige Unterstützung.“

„Durch wen?“

„Die Wölfe haben mit dem Bären gekämpft, als ich hinzukam. Ich musste ihn nur noch töten.“

Alle Mitglieder der Sippe sahen ihn jetzt ungläubig an.

„Na ja“, Kaar versuchte die Dramatik des Kampfes mit dem Bären als Bagatelle hinzustellen, war aber trotzdem innerlich sehr stolz auf sich. „Es war ganz einfach. Der Bär war anfangs so sehr mit den beiden Altwölfen beschäftigt, dass er mich gar nicht wahrgenommen hat. So konnte ich meine Wurfspeere in ihn hineinjagen, bevor er überhaupt mitbekam, dass ich auch noch da war.“

Das lenkte die Aufmerksamkeit aller wieder auf die wartenden Wölfe.

„Warum hast du sie mitgebracht?“, fragte Ian schließlich.

„Ich habe sie nicht mitgebracht, sie sind einfach mit mir gekommen. Ihre Eltern sind tot.“

„Du willst sie doch nicht etwa hier bei uns aufnehmen?“, fragte Aja entsetzt. „Sie sind gefährlich und könnten unsere Kinder fressen, besonders die Säuglinge. Die sind doch den Wölfen vollkommen hilflos ausgeliefert. Und wir können doch nicht ständig aufpassen, dass die Wölfe ihnen nicht zu nahe kommen.“

Aber Kaar hatte nicht umsonst in diesem Sommer viel Zeit mit den Wölfen verbracht. Er war der Meinung, dass man es schaffen könnte, sie so mit einzubeziehen, dass sie sich künftig als Teil eines menschlich-wölfischen Rudels betrachten würden. Außerdem hoffte er, dass der junge Wolf und die halbwüchsigen Welpen die Kinder und Säuglinge der Menschen wie Welpen ihres neuen Rudels betrachten würden. Dann waren die Kinder und Säuglinge vor ihnen vollkommen sicher. Er hatte den jungen Wolf lange genug beobachtet und gesehen, wie liebevoll und fürsorglich der sich um seine kleinen Geschwister gekümmert hatte. Er entschied also, einen Versuch zu wagen und den anderen Mitgliedern der Sippe zu zeigen, dass die Wölfe für sie und die Kinder völlig ungefährlich waren.

„Aina und Sera, kommt doch bitte einmal mit mir und bringt Daar und Sita mit.“

Er nahm seine beiden Frauen in die Arme und führte sie zu den Wölfen am Rand der Terrasse. An der leichten Verkrampfung von deren Schultern merkte er, dass den beiden die Situation nicht ganz geheuer war, aber sie liebten ihn und vertrauten ihm. Sie wären überall hin mit ihm gegangen, selbst barfuß durch Eis und Schnee.

Was war da schon ein Rudel junger Wölfe?

Inmitten der Wölfe setzte Kaar sich hin und bat Aina und Sera, sich mit den Babys im Arm neben ihn zu setzen.

Etwas zögernd taten sie es.

Die Wölfe waren bei seinem Näherkommen aufgestanden. Jetzt kamen sie neugierig, aber etwas zurückhaltend zu ihm. Erst beschnüffelten sie Aina und Sera ausgiebig, dann die beiden Säuglinge. Auf einmal fing einer der Welpen an, es war eine junge Wölfin, freudig zu winseln. Sie leckte erst Seras Hand, mit der sie ihr Kind vor der Brust hielt, dann fuhr sie Sita mit der Zunge über das Gesicht.

Jetzt waren alle Wölfe um sie herum, wedelten mit den Ruten, winselten, jaulten leise und drängten sich an Aina und Sera heran. Kaar fühlte sich bestätigt, denn er hatte beobachtet, dass die Welpen früher mit diesem Verhalten der Alphawölfin gegenüber ihre Zuneigung, ihre Unterwürfigkeit und die Anerkennung ihrer höheren Rangordnung zum Ausdruck gebracht hatten.

Eine andere junge Wölfin legte sich sogar neben Aina auf den Boden, hob dann den Kopf und legte ihn Aina auf den Schoß.

Kaar spürte deutlich, wie sich die Verkrampfung in den Schultern seiner beiden Frauen löste. Erst begannen sie zu kichern, dann lachten sie los.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal inmitten eines Rudels Wölfe sitzen würde, die mir die Hand lecken“, prustete Sera unter Lachen los.

„Kaar weiß was er tut“, entgegnete ihr Aina, „ich hatte keinen Zweifel, dass die Wölfe freundlich zu uns sein würden.“

Kaar dachte an ihre verkrampfte Schulter, schmunzelte ein wenig und sagte aber lieber nichts.

Den Welpen fiel es nicht leicht, den vielen ihnen fremden Menschen so nahe zu sein. Erst als Aina und Sera sich mit ihren Säuglingen in ihre Mitte setzten, begannen sie langsam zu begreifen, dass die Menschenrudel eine ähnliche Struktur hatten, wie die Wolfsrudel, und dass Frauen die weiblichen Mitglieder waren und die Säuglinge so etwas wie die Welpen der Menschen. Bisher kannte ja nur der junge Wolf diesen Unterschied aufgrund seiner früheren Beobachtungen.

Die kleinen Wölfinnen verstanden es als Erste und begannen freudig zu winseln. Bei den beiden Frauen fühlten sie sich wohl und übertrugen das Vertrauen, das sie bereits zu Kaar gefasst hatten, jetzt auch auf diese.

Die anderen Menschen hatten das Schauspiel mit weit aufgerissenen Augen und vor Erstaunen offenen Mündern beobachtet. Jetzt kam En langsam auf sie zu.

Sofort richteten sich die Wölfe auf und nahmen eine vorsichtige Haltung ein.

„En hock dich hin und streck ihnen deine beiden Hände entgegen“, wies Kaar ihn an.

Der junge Wolf und der dunkle Welpe näherten sich En vorsichtig und schnüffelten erst einmal insgesamt an ihm, dann an seinen Händen. Er roch wohl ähnlich wie Kaar, denn auf einmal leckte ihm der Welpe die Hände. Nur unter größter Willensanstrengung konnte En verhindern, dass er instinktiv die Hände zurückzog.

„Lass den anderen etwas Zeit, sich an diese Situation zu gewöhnen“, sagte er zu Kaar.

„Und du solltest die Wölfe auch nicht in unsere Höhle lassen. Noch haben die anderen viel zu viel Angst vor ihnen.“

Zeit brauchten auch die Wölfe, um sich an die neue Situation und die vielen fremden Mitglieder ihres neuen Rudels zu gewöhnen.

Doch aus der Sippe kam jetzt lautstarker Protest.

Aja hatte ihn bereits früher formuliert und jetzt schlossen sich ihr auch Ina, Lia und Eta mit ihren Männern, insbesondere Ian an. Sie wollten die Wölfe nicht in ihrer Nähe haben.

„Lasst uns die Wölfe töten. Dann ist die Gefahr für uns alle beseitigt und wir können hier weiter in Ruhe leben“, brachte Ian die Meinung dieses Teils der Sippe auf den Punkt.

„Wolfspelze halten außerdem im Winter schön warm.“

Ian sah endlich eine Gelegenheit gekommen, Kaar als Anführer der Sippe zu verdrängen und schwang sich zum Sprecher dieser Gruppe auf.

Kaar begriff ebenfalls, dass seine Rolle als Anführer der Sippe auf dem Spiel stand. Auf gar keinen Fall würde er die Tötung der Wölfe dulden. Eher würde er mit seiner Familie und den Wölfen die Höhle verlassen und fortziehen. Er sah sich um.

Außer Aina und Sera hielten nur noch En und seine Frau Mona zu ihm. Fragend sah er Rerr an. Der verständigte sich mit seiner Frau durch einen kurzen Blick und trat dann, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln, mit ihr gemeinsam neben ihn und wurde sofort von den Wölfen neugierig beschnüffelt. Er war zwar den Wölfen gegenüber skeptisch, aber seine Freundschaft zu Kaar war stärker. Kurz darauf traten auch Bor und mit ihm Erra zu Kaar und demonstrierten damit, auf welcher Seite sie standen.

Die Wölfe spürten an der lautstark geführten Auseinandersetzung, dass etwas nicht in Ordnung war, und scharten sich Schutz suchend um Kaar und seine Leute.

Jetzt standen sich zwei Gruppen gegenüber. Eine gemischte aus Menschen und Wölfen und eine Gruppe aus Menschen. Noch aber hatten sich nicht alle entschieden. Die restlichen Frauen und älteren Kinder der Alten standen zögernd etwas abseits und sahen unsicher zwischen den Gegnern hin und her.

Plötzlich erhielten Kaar und seine Leute unerwartete Unterstützung von der alten Frau. Die war in letzter Zeit immer gebrechlicher geworden und konnte nur noch unter großen Anstrengungen laufen. Mühsam humpelte sie, gestützt auf einen Stock, in den Raum zwischen den beiden Gruppen und nahm umständlich auf dem Boden Platz. Mit ihrer schrillen Altweiberstimme begann sie in ihrer alten Sprache zu erzählen, während Aina und Sera übersetzten:

„Es gibt bei meinem Volk eine uralte Legende. Früher, als die Menschen noch jung auf dieser Welt waren und es dort, wo sie lebten, immer Sommer war, haben die Wölfe für die Menschen gejagt und die Menschen haben oft von der Jagdbeute der Wölfe gegessen. Die Wölfe waren damals die Freunde der Menschen und so soll es wieder werden! Ich hatte einen Traum, der mir die Zukunft geweissagt hat: Die Wölfe werden eines Tages die besten Freunde der Menschen sein und ihnen oft das Leben retten. Ich bin deshalb dafür, dass die Wölfe bei uns bleiben.“

Die restlichen Frauen und Kinder der Alten hatten der alten Frau aufmerksam zugehört. Aufgrund ihres Alters und ihres Wissens war diese eine unangreifbare Respektsperson für sie, deren Worten alle bedingungslos vertrauten. Die Ansprache der alten Frau gab deshalb den Ausschlag. Das Blatt wendete sich. Immer noch ängstlich traten die restlichen Menschen aus der Gruppe der Alten zögernd zu Kaar, seinen Leuten und den Wölfen. Auch die Alte erhob sich, humpelte zu Kaar und setzte sich in seine Nähe. Zur großen Verwunderung aller anderen scharten sich die Wölfe sofort um sie und leckten ihr freundschaftlich die Hände und das Gesicht, was sie sich mit stoischer Ruhe gefallen ließ.

Ian, Aja, Lia und ihre Gruppe waren überstimmt.

Kaar wollte aber auf keinen Fall, dass die Anwesenheit der Wölfe einen Riss in der Sippe verursachte. Er wandte sich deshalb an Ian und seine Gruppe.

„Würdet ihr es akzeptieren, wenn die Wölfe zwar in unserer Nähe, aber nicht in unserer Höhle hausen?“

Zögernd nickte Ian. Er hatte erkannt, dass er und seine Gruppe nachgeben mussten, sonst blieb ihm und seinen Freunden nur der Auszug aus der Gemeinschaft und der so bequemen und sicheren Höhle. Also stimmte er dem Kompromiss zu.

Kaar deutete auf den Felsüberhang, in dem sie in den vergangenen Wintern das Mammutfleisch gelagert hatten. Er war jetzt leer und lag in ihrer Nähe am Rande der Terrasse. Die Mauer aus Steinbrocken, mit der sie diesen Überhang zum Schutz des Fleisches verschlossen hatten, war bis auf einen kleinen Rest abgetragen worden. Der Platz schien ihm als Lager für die Wölfe ideal.

„Die Wölfe werden ihr Lager unter diesem Felsüberhang einrichten. Damit sind sie weit genug vom Eingang unserer Höhle entfernt, aber doch in unserer Nähe. Sie werden nicht zu uns in das Innere der Höhle hinein kommen. Seid ihr damit einverstanden?“

Wieder nickten Ian, Aja und ihre Freunde.

Kaar erhob sich zufrieden. Er hatte die Sippe vor dem Auseinanderfallen bewahrt und einen sicheren Platz für die Wölfe gefunden. Der Felsüberhang war als Lager für die Wölfe wirklich gut geeignet. Er war trocken und bot durch seine Lage auch vor den eisigen Nordwinden Schutz.

Nur, wie sollte er das den Wölfen vermitteln?

Am besten wird es sein, überlegte er, wenn er selbst sich dort für einige Nächte ein Schlaflager einrichten würde. Die Wölfe hingen sehr an ihm. Wenn sie zu ihm kamen und sich dort niederlegten, dann akzeptierten sie diesen Überhang als neues Wolfslager.

Am Abend, als die Menschen sich alle in die Höhle zurückgezogen hatten und Kaar sich auf sein Lager unter dem Überhang gelegt hatte, wurden die Wölfe mutiger und erkundeten erst einmal die Terrasse und ihre nähere Umgebung. Danach kamen sie alle, einer nach dem anderen, unter den Überhang und legten sich zu ihm.

Als Aina nachts im schwachen Licht der Sterne zu ihm kam und sich unter das Schlaffell legen wollte, hatte sie Mühe, bis zu ihm vorzudringen. Überall um ihn herum und dicht an ihn gedrängt lagen die Wölfe. Nur zögernd machten sie Aina etwas Platz, so dass sie sich neben Kaar legen konnte.

Kaar war müde von dem Kampf mit dem Bären und der langen Diskussion über die Wölfe, aber Aina war viel zu aufgeregt, um sofort einschlafen zu können. Sie zappelte unter dem Fell, fummelte an ihm herum, ließ ihre Hände unter seiner Kleidung wandern und drängte sich ganz eng an ihn.

Auch die Wölfe rückten wieder näher und die kleine Wölfin, die vorhin ihren Kopf auf Ainas Schoss gelegt hatte, schnaufte zufrieden und schob ihren Kopf auf Ainas Hüfte.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit meinem Mann mitten in einem Rudel Wölfe schlafen würde“, kicherte diese Kaar ins Ohr und rückte noch näher an ihn heran.

Beim ersten Licht des neuen Tages kam nacheinander jedes Mitglied der Sippe zu dem Überhang, um nachzusehen, ob sie nicht in der Nacht von den Wölfen gefressen worden waren. Auf manchen Gesichtern sah Kaar Unglauben, auf anderen Erstaunen. Aber alle kehrten sehr nachdenklich wieder in die Höhle zurück.

Kaar bat die anderen Männer, die Reste des Bärenfleisches von dem Kampfplatz vor der Wolfshöhle zu holen und ging am Abend dann mit den Wölfen selbst noch einmal dorthin. Er entzündete ein kleines Feuer vor dem Wolfsbau, dort wo er die beiden Altwölfe begraben hatte. So versuchte er, den Geist des Bären, den er getötet hatte und die Geister der beiden Altwölfe zu beschwichtigen.

Auf dem Rückweg beschäftigte ihn nur noch der Gedanke, wie er seine Zusage einhalten sollte, dass die Wölfe das Innere der Höhle nicht betreten würden. Er wusste, wie neugierig sie waren.

Wie sich aber bald herausstellte, war seine Sorge unbegründet. Die Wölfe hielten sich weiterhin vorsichtig am Rand der Terrasse auf und näherten sich nicht einmal den Eingängen der Höhle. Die davor hängenden Mammutfelle taten ein Übriges, ihnen den Eingang der Höhle unheimlich erscheinen zu lassen.

In den nächsten Tagen wurden die Wölfe immer mutiger und erkundeten einzeln oder in kleinen Gruppen die nähere Umgebung. Kaar beschäftigte sich jetzt ständig mit ihnen. Er schlief nach einigen Tagen auch nicht mehr unter dem Überhang, sondern hatte nur seine Schlafunterlage dort zurückgelassen.

Ihm war klar, dass, wenn die Wölfe bei ihnen überwintern sollten, sie viel mehr Fleisch brauchten. Selbst ohne die Wölfe waren ihre Vorräte für den Winter noch erschreckend gering. Er wollte aber seiner Sippe auch begreiflich machen, dass die Wölfe für ihr künftiges Leben ein Gewinn sein würden, keine zusätzliche Last.

Dafür musste er möglichst schnell allen Wölfen beibringen, was der junge Wolf schon kannte, nämlich wie sie mit ihm zusammen jagen sollten.

Zunächst einmal musste er deshalb herausfinden, wie man als Mensch überhaupt mit einem großen Rudel Wölfe gemeinsam auf die Jagd geht. Bisher war er ja hauptsächlich nur mit dem jungen Wolf jagen gewesen. Die wenigen Male, bei denen die Altwölfe dabei gewesen waren, hatte im Grunde genommen der Altrüde die Führung der Jagd übernommen.

So ging er zunächst mit den Wölfen in einen abgelegenen Teil ihres Tals und beobachtete, wie die inzwischen halb ausgewachsen Welpen als Rudel Wild hetzten. Immer wieder trieben sie aufgescheuchtes Wild auf den in einer Lauerposition liegenden jungen Wolf zu. Er überlegte, wie er ihnen Kommandos beibringen könnte, mit denen sie das Wild künftig auf ihn zu treiben sollten.

Das war aber gar nicht nötig. Er begriff bald, dass die kleinen Wölfe einen angeborenen Jagdtrieb hatten, aber die Welpen noch nicht wussten, wie man ein in die Enge getriebenes Wild auch tötete. Sie überließen diese Aufgabe immer dem jungen Wolf, beobachteten diesen aber und lernten von ihm. Diese Beobachtung brachte ihm die Lösung. Anfangs legte er sich mit dem jungen Wolf gemeinsam auf die Lauer und später brachte er auch diesen dazu, sich an der Hetzjagd des Wildes zu beteiligen.

Als er aus dieser Position mehrmals die auf ihn zu getriebenen Rehe erlegt hatte, sah Kaar, dass sie den Ablauf dieser neuen Jagdmethode gelernt hatten. Wie schon bei dem Bären, der Ente und seinen früheren Jagdausflügen mit den Wölfen achtete er nach einer erfolgreichen Jagd immer sorgfältig auf die Rangordnung. Er sorgte dafür, dass er von der Beute zuerst aß. Er nahm sich immer die rohe frische Leber. So demonstrierte er seine Rangstellung als Anführer. Erst nach ihm durften die Wölfe von der Beute fressen.

Der junge Wolf akzeptierte, dass seine Rolle in diesem neuen Jagdrudel die der Nummer „Zwei" war. Er begriff, dass er seine jüngeren Geschwister bei der Hetzjagd anführen musste, während die neue Nummer „Eins“, der Mensch, die Beute tötete. Er brachte den fast ausgewachsenen Welpen auch die Jagdmethoden bei, die er seinerseits von den beiden Altwölfen gelernt hatte. Zusätzlich aber gab er auch das an sie weiter, was er selbst bei seinen Jagdausflügen mit dem Menschen von dem gelernt hatte.

Seine Geschwister lernten begierig und zusammen mit Kaar wurden sie bald eine gute Jagdgemeinschaft.

Da die Welpen immer noch sehr verspielt waren und immer wieder, besonders auf der Terrasse, Unfug anstellten, Geräte zerkauten oder auch schon einmal mit seinem Lederhemd oder anderen Lederteilen stiften gingen, disziplinierte Kaar sie genauso, wie er es bei dem jungen Wolf gesehen hatte, wenn er sie auf frischer Tat ertappte.

Er drückte den Übeltäter mit einer Hand auf den Boden, stülpte ihm seine andere Hand über die Schnauze und drückte leicht zu. Es funktionierte fast immer. Zumindest diesen Unsinn machte der betreffende Welpe nicht wieder.

Er überlegte, dass es sinnvoll wäre, den Wölfen Namen zu geben, an die sie sich gewöhnen sollten und mit denen er sie rufen konnte. Ihnen menschliche Namen zu geben widerstrebte ihm und ihnen Namen zu geben, die sich auf Wölfe bezogen wie zum Beispiel Reißzahn oder Ähnliches fand er albern. Wenn er an den jungen Wolf dachte, dann bezeichnete er den immer als den Ersten; den ersten Wolf, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte. Das brachte ihn auf eine Lösung, die er für sinnvoll hielt.

Er nannte den jungen Wolf aber nicht Erster, sondern Eins.

Eins war bereits voll ausgewachsen und der stärkste der Wölfe.

Die Namensgebung für die anderen Wölfe ergab sich dadurch von selbst.

Zwei war der größte und stärkste der jungen Rüden.

Er war der dunkle kleine Welpe, der damals als Erster aus dem Bau gekommen war, ihn in Augenschein genommen und Kaar seitdem immer mit großer Freude begrüßt hatte. Er war der mutigste, pfiffigste und übermütigste der Welpen und derjenige, der immer mit den ausgefallensten Spielen begonnen hatte.

Drei war eine sehr kräftige junge Wölfin, die, genau wie Zwei, alle Merkmale eines künftigen Leittieres zeigte.

Vier war wieder ein junger Rüde. Er war sehr gutmütig, stark, aber auch ein wenig behäbig und bequem, weshalb er nicht der Anführer der Welpen war.

Fünf und Sechs waren wieder junge Wölfinnen.

Fünf war wie Zwei sehr schlau. Jetzt, als fast ausgewachsene Wölfin, wirkte sie immer sehr ruhig und ausgeglichen. Aber ähnlich wie Zwei hatte sie sich als ganz kleiner Welpe sehr viele Spiele einfallen lassen und mit ihm zusammen manchen Unfug angestellt.

Bemerkenswert war besonders Sechs. Sie war diejenige, die Aina bei ihrem ersten Zusammentreffen den Kopf auf den Schoss gelegt hatte und die kleinste und schwächste der Jungwölfe. Aber sie hing bald mit einer leidenschaftlichen Hingabe an Aina und Sera. Beide Frauen verhätschelten sie, fütterten sie mit Leckerbissen und überließen ihr nach einer Weile auch die Bewachung ihrer Säuglinge, wenn sie unten im Tal nach essbaren Pflanzen und Früchten suchten. Sechs legte sich dann voller Anspannung neben Daar und Sita und passte auf sie auf. Niemand aus der Sippe, außer Aina, Sera oder Kaar, durfte sich dann den beiden Kindern nähern, ohne von Sechs angeknurrt zu werden und mit der Drohhaltung der Wölfe unmissverständlich mitgeteilt zu bekommen, dass er sich entfernen sollte.

Etwas verunsichert zogen sich die anderen Sippenmitglieder zurück und beschwerten sich bei Kaar, dass Sechs sie bedrohte.

Kaar war von dem Verhalten von Sechs anfangs ebenfalls überrascht. Dann aber begann er nachzudenken und erinnerte sich daran, dass ihn am Anfang sowohl die Wölfin als auch der Altrüde angeknurrt hatten. Sechs bewacht die beiden Säuglinge wie Welpen, erkannte er nach einer Weile. Sie wird sich wohl, wie damals auch die erwachsenen Wölfe, mit der Zeit beruhigen und die beiden Säuglinge nicht mehr so aggressiv bewachen. Er erklärte deshalb den anderen Mitgliedern der Sippe, dass Sechs nur das tat, was in ihrer Natur lag, nämlich die Welpen der Menschen zu bewachen.

Erst nach einer Weile verstanden es die anderen und hielten sich von Daar und Sita fern, wenn Sechs neben den beiden Kindern lag. Nach einer kurzen Zeit beruhigte sich auch Sechs und bedrohte die anderen Sippenmitglieder nicht mehr, wenn sie sich Daar und Sita näherten.

Die Wölfe gewöhnten sich an die Gegenwart der Menschen. Anfangs, wenn diese auf der Terrasse ein Feuer anzündeten, verkrochen sie sich in das Wolfslager oder verschwanden ganz von der Terrasse. Nach einer Weile nahmen sie das Feuer aber nur noch zur Kenntnis, hielten sich zwar fern, fürchteten es aber nicht mehr, wie am Anfang.

Fünfunddreißigtausend Jahre vor unserer Zeit oder wie der Mensch den Wolf zähmte.

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