Читать книгу Das Buch Karl - Karl Renz - Страница 10
Ich möchte erleuchtet werden
ОглавлениеFrage: Auch wenn es altmodisch klingt, ich möchte erleuchtet werden.
Karl: Da kann ich dir nur viel Glück wünschen.
F: Was heißt das? Ist das Unsinn, dieser Wunsch?
K: Nein, kein Unsinn, nur ein bisschen Gedankenzauber.
F: Ich glaube, es ist ein bisschen mehr.
K: Erleuchtung und Nicht-Erleuchtung sind Ideen. Erleuchtung ist lediglich ein Konzept in der unendlichen Reihe von Konzepten zur persönlichen Optimierung oder Selbstfindung oder Glücksbeschaffung.
F: Und was ist daran verkehrt?
K: Es ist unnötig. Denn nie hat es für irgendjemanden einen Bedarf an Erleuchtung gegeben.
F: Das bezweifle ich.
K: Wer will denn erleuchtet werden?
F: Wie gesagt: Ich.
K: Also, das Ich will leuchten.
F: Natürlich. Ist das verboten?
K: Vom Standpunkt der elektrischen Sicherheit auf jeden Fall.
F: Wie bitte?
K: Es ist äußerst zweifelhaft, ob ein Ich diese Energie aushalten kann. Diese Energie, die dann zum Leuchten führt. In dieser absoluten Energie von Sein verglüht das Ich. Es platzt. Und die Reste verdampfen. Wenn man zehntausend Volt durch eine Glühbirne jagt, wie geht es der Glühbirne dann?
F: Sie hat einen Orgasmus.
K: Von dem sie allerdings nichts mehr merkt.
F. Soll das heißen – dass ich eine schwache Glühbirne bin?
K: Was meinst du mit Ich?
F: Meine Persönlichkeit. Mich. Das, was vor dir sitzt. Das, was ich bin.
K: Das, was du bist, braucht keine Erleuchtung. Es ist nie verdunkelt gewesen.
F: Gut, lassen wir den Begriff Erleuchtung. Nennen wir es Erwachen.
K: Es braucht auch kein Erwachen. Weil das, was du bist, nie geschlafen hat. Es kennt kein Schlafen und kein Wachsein. Wachsein und Schlafen tauchen in ihm auf. Es gibt auch keinen Erwachten oder Schlafenden. Keinen Erleuchteten oder einen, der Erleuchtung bräuchte. Das sind nur Ideen. Sie sind bedeutungslos. Sie tauchen auf und verschwinden wieder in dem, was du bist.
F: Aber um das zu sehen oder zu begreifen, müsste ich doch eine Art Erwachen erfahren!
K: Nicht du. Nicht das Ich. In dem Moment, in dem du das bist, was du bist, hat die Glühbirne keinen Platz mehr. Sie ist verglüht, verdampft, verschwunden. Als hätte es sie nie gegeben. Und, das ist der Witz, es hat sie tatsächlich nie gegeben. Denn wo das ist, was ist, gibt es nichts anderes als das, was ist.
F: Das wo… das das… das was… also, wo bleibe ich?
K: Du bist verglüht, verdampft, verschwunden. Scheinbar. In Wahrheit hat es dich vorher nicht gegeben. Und es wird dich hinterher nicht geben.
F: Das Ich muss also verschwinden?
K: Wie soll etwas verschwinden, was nie da war?
F: Aber es gibt mich doch. Hier sitze ich. Die Frage ist höchstens: wie lange noch?!
(Ein Handy klingelt)
K: Nimm ruhig ab. Dein Elektriker will wissen, ob er den Strom anstellen darf.