Читать книгу Das Buch Karl - Karl Renz - Страница 9
Was geschieht hier eigentlich?
ОглавлениеFrage: Irgendetwas geschieht hier. Irgendetwas teilt sich mit, in den Worten und ohne die Worte. Etwas steckt an und bleibt.
Karl: Für eine Weile ist dein Schutzpanzer weg. Der Filter deiner Vorstellungen. Da ist nur die Unwissenheit. Nacktheit von jeglicher Definition, was du bist. Und diese Nacktheit bleibt. Sie erkennt sich selbst. In ihr kann keine Idee sich halten. Das schwingt in den Worten mit. Sie löschen deine Vorstellungen aus, jedenfalls für eine Weile, bis sie wiederkommen. Und nach einiger Zeit kann es passieren, dass du die Ideen als Ideen erkennst.
F: Und dieses Erkennen nützt etwas?
K: Nein. Nicht, wenn der Erkennende übrig bleibt.
F: Stimmt. Der Erkennende bin ich – ich bin es ja, der möchte, dass es etwas nützt.
K: Dagegen lässt sich nichts machen. Der Erkennende fällt erst um, wenn er umfällt. Man nennt dies Gnade. Der Erkennende fällt um mit dem winzigen Aha, dass dem, was du bist, nie etwas passiert ist.
F: Nie etwas passiert – aber heißt Nacktheit nicht auch, verletzlich zu sein?
K: Ja, es gibt keinen Schutzpanzer mehr. Selbsterkenntnis bedeutet vollkommene Berührbarkeit. Wehrlosigkeit. Alles, was in deiner Wahrnehmung auftaucht, fühlst du mit. Du kannst nicht mehr Nein sagen. Zu nichts. Du bist vollkommen das, was du erkennst. Du bist vollkommen das, was in deiner Wahrnehmung ist. Da ist keine Trennung zwischen Wahrnehmen und Wahrgenommenem.
F: Das klingt überwältigend.
K: Viele, die das erfahren und nicht wissen, was es bedeutet, landen in der Psychiatrie. Da ist kein Filter namens Ich mehr. Alle Informationen der Außenwelt strömen ungefiltert ein. Und wir reden hier darüber für den Fall, dass es auftreten sollte. Damit dann keiner ausflippt.
F: Oder damit wir wenigstens wissen, warum wir ausflippen.
K: Ich kann nur darauf hinweisen, wie dumm es ist, das abzuwehren. Im Schutzpanzer des Ich-Gedankens gibt es die Vorstellung, dass es etwas anderes gebe als dich. Dass es jemanden gebe, dem etwas passieren könnte. Aber du bist das, was ohne Zweites ist. Und alles, was dich berührt, alles, was du erfährst, bist du selbst. Das ist Selbsterkenntnis.
F: Und nur der Schutzpanzer verhindert sie?
K: Ich kann ihn dir nicht nehmen. Das hieße ja auch, dass irgendetwas verkehrt wäre mit dir. Aber es ist nichts verkehrt daran, einen Panzer zu haben, solange er da ist. Irgendwann fällt er. Spätestens im Tod. Er könnte auch jetzt schon fallen. Dann würdest du sehen, dass du dich nicht wehren kannst.
F: Manchmal sehe ich das.
K: Zum Beispiel, wenn du dich verliebst. Du kannst nicht beschließen, dich zu verlieben oder dich nicht zu verlieben. Es kommt einfach. Du bist wehrlos. Das Gefühl des vollkommenen Verliebtseins und der Wehrlosigkeit ist dein natürlicher Zustand.
F: Aber das ist ein Zustand, den ich deutlich erleben kann.
K: Und du wirst ihn, wenn es sein soll, nicht mehr relativ erfahren, sondern absolut. Das heißt: Es wird keinen mehr geben, der den Zustand erfährt. Das könnte auch keiner ertragen. Dieses Mitgefühl, dass alles in dich reinströmt – in dein Wahrnehmen und in deine emotionale Welt – ist für ein Ich unerträglich. Für das Selbst ist es vollkommen natürlich.
F: Hört sich aber anstrengend an.
K: Wenn die Gnade auftaucht, entsteht die Leere, in der die Person nicht mehr sein kann. Mit dem Gewahrsein taucht das Höllenfeuer auf, in dem das kleine Ich nicht existieren kann.
F: Sagtest du Höllenfeuer?
K: Nenne es Gnade oder Höllenfeuer. Keiner kann es verhindern und keiner beschleunigen. Die Gnade ist ein Mysterium und wirkt in einer mystischen Sphäre. Unbedingbar, unkontrollierbar.
F: Aber die Präsenz im Satsang bringt sie doch hervor?
K: Oder auch nicht. Präsenz ist keine Bedingung. Satsang ist keine Bedingung. Es gibt keine Bedingung. Die Möglichkeit besteht immer.
F: Ich merke nur, seit ich häufiger im Satsang bin, habe ich Schlafstörungen.
K: Andere empfinden mich als Schlaftablette. Aber wenn es so sein soll, dass du durch Schlaflosigkeit erfährst, was du bist – und du bist Schlaflosigkeit an sich! –, dann wird es so geschehen. Das, was du bist, erwacht nie und schläft nie. Schlafen und Wachwerden erscheinen darin als Zustände. Aber das, was du bist, kennt keinen Schlaf. ’Awareness’ im Englischen ist Wachheit. Wachheit, die nie schläft und auch im Tiefschlaf vollkommen da ist. Wachheit, Schlaflosigkeit – wenn es so sein soll, und das ist der Weg für dich, wunderbar!
F: Aber ich bekomme Kopfschmerzen…
K: Warum sollte es dir besser ergehen als mir? Fünf Jahre Migräne, Schlaflosigkeit, immer in diesen Donner von Licht eintauchen und nur selten abschalten. Wenn die Energie losgelassen wird, kann das passieren.
F: Klingt sehr verlockend.
K: Schlaflosigkeit, elektrische Blitze, der Kopf eine weite dröhnende Glocke, Schmerzgewitter, Zirkusvorstellung. Das Bewusstsein ist reine Energie und wird in jeder Zelle wach, im Kopf, im ganzen Körper. Das ist Höllenfeuer. Die Gedankenwelt wird auseinandergeblasen, der Körper dreht durch. Alles muss gehen. Die absolute Intelligenz wird wach in dir, da kann die Energie nicht schlummern. Wegen der Lichterscheinungen ist das Erleuchtung genannt worden. Materie und Antimaterie fusionieren und werden zu Gewahrsein. Da gibt es Kernreaktionen wie auf der Sonne. Du bist ein Kernreaktor!
F: Früher war ich gegen Atomkraft.
K: Und jetzt bleibst du vielleicht ruhig, weil du weißt, was diese Symptome bedeuten. Es sind nur Begleiteffekte. Die Ruhe und das Schweigen sind immer da. Die Stille ist die Quelle.
F: Dann kann ich doch auch einfach still bleiben?
K: Je stiller du wirst, desto energetischer wird das Phänomenale.
F: Es gibt kein Entkommen.
K: Nicht aus deinem eigenen Reaktor.
F: Du sagtest, er hat keine Schutzhülle?
K: Wenn es darauf ankommt, hat er auch keinen Betreiber mehr.