Читать книгу Wie war Ihr Tag, Caesar? - Karl-Wilhelm Weeber - Страница 11
Оглавление„Ich-Stärke ist mein Erziehungsziel“
CORNELIA, ALLEINERZIEHENDE MUTTER
Die historische Tradition ist sich einig, dass Cornelia (2. Jahrhundert v. Chr.) eine für ihre Zeit außergewöhnlich selbstbewusste und gebildete Frau gewesen ist. In späterer Zeit wurde sie von vielen einseitig als Gracchorum mater wahrgenommen. Wie sie zu den sozialreformerischen Plänen ihrer Söhne Tiberius und Gaius Gracchus stand, die beide in innenpolitischen Wirren den Tod fanden, lässt sich nicht ermitteln. Spätere Gegner wie Befürworter haben sich nach Kräften bemüht, Cornelia für ihre jeweilige Position zu vereinnahmen. Seit augusteischer Zeit wird auch das zunehmende Bemühen deutlich, Cornelia zu einem exemplum des altrömischen Frauenideals zu stilisieren. Das dürfte ihr sicher nicht gerecht werden. Wir verlegen unser Interview in das Jahr 147 v. Chr. Tiberius Gracchus war damals sechzehn Jahre alt, sein Bruder Gaius sieben Jahre. Seit dem Tode ihres Mannes im Jahre 153 v. Chr. war Cornelia alleinerziehende Mutter. Von den zwölf Kindern, die sie zur Welt brachte, überlebten nur drei das Kindesalter.
Wir danken Ihnen, dass Sie jetzt am späten Abend Zeit für ein Gespräch mit uns gefunden haben, Cornelia. Wie war Ihr Tag?
Gut. Es hat keine Katastrophen gegeben, alles ist ziemlich routiniert vonstattengegangen. Alle Kinder sind im Bett. Endlich.
Wie viele sind es, die tagsüber ihre Mutter fordern?
Leider nur noch fünf. Es waren einmal mehr als doppelt so viele. Zwölf Kinder – das war nicht einfach, aber ich hätte keines freiwillig hergegeben.
Aber die Natur hat Sie dazu gezwungen?
Ja, sieben sind gestorben. Eine trotz der üblichen Kindersterblichkeit bedrückende Zahl. Jedes Mal ein Unglück für die Mutter, auch wenn sich der Tod bei einigen Kindern im Voraus angekündigt hat.
Dass auch andere diese Erfahrung machen, hilft, vermuten wir, wenig.
Statistik ist eine Sache des Verstandes, nicht des Herzens. Aber es ist eine große Aufgabe, für die anderen Kinder da zu sein. Bei fünfen gibt es genug zu besorgen und zu tun. Man muss nach vorn schauen.
Sie können sich auf Hauspersonal, Kindermädchen und Pädagogen stützen.
Das stimmt. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass mir die Mittel einer der bedeutendsten Aristokratenfamilien Roms fast unbeschränkt zur Verfügung stehen. Materiell haben wir keine Sorgen. Aber der Vater fehlt an allen Ecken und Enden, auch wenn er zu Lebzeiten viel Zeit für die Allgemeinheit und wenig für seine Familie aufgewendet hat.
Seit seinem frühen Tode sind Sie auf sich allein gestellt.
Ich habe, wie gesagt, Hauspersonal und ich kann mich jederzeit an die Familie wenden. Da habe ich viel Hilfsbereitschaft und Solidarität erfahren.
Aber die Erziehung Ihrer Kinder wollen Sie, wenn wir Sie recht verstehen, nicht aus der Hand geben.
So ist es. Die Verantwortung kann und will ich nicht abgeben – zumal ich da sehr genaue Vorstellungen habe. Ich möchte möglichst viel von dem an meine Kinder weitergeben, was ich selbst mitbekommen habe.
Was heißt das konkret?
Ich bin in eine der berühmtesten Familien Roms hineingeboren worden. Mein Vater ist Scipio Africanus, der Hannibal-Bezwinger. Die Scipionen sind für ihre Weltläufigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen kulturellen Einflüssen bekannt. Rom wird sich dem überlegenen hellenischen Geist stärker öffnen müssen – das war meinen Eltern klar. Und entsprechend weitsichtig haben sie meine Ausbildung und Erziehung angelegt.
Sie hatten gute Lehrer?
O ja – wobei es ja selbst in aristokratischen Kreisen noch alles andere als selbstverständlich ist, Mädchen mehr als nur notdürftig Lesen und Schreiben beibringen zu lassen. Ich dagegen hatte einen eigenen grammaticus, der mir literarische Bildung vermittelt hat. Das war nicht immer vergnüglich, aber sehr förderlich. Ich durfte sogar in rhetorischen und philosophischen Unterricht Einblick nehmen. Dafür bin ich meinen Eltern unendlich dankbar.
Beifall geklatscht haben vermutlich die wenigsten dieser neuartigen Bildung für Mädchen.
Das kann man wohl sagen. Im Gegenteil. Da gab es viele Nachfragen, auch viele Animositäten. „Neu“ ist ja bei uns in Rom nicht gerade eine Empfehlung. Und griechische Bildung, und sei sie noch so oberflächlich, ebenfalls nicht. Ich weiß, dass mein Vater von manchen Standesgenossen sehr – na, sagen wir: erstaunt auf diese „neue Mode“ angesprochen worden ist. Zum Glück hat er sich da nicht irritieren lassen.
Beschäftigen Sie sich auch heute noch mit Literatur?
Soweit es meine Zeit erlaubt, ja. Ich schreibe auch selbst, nichts Großartiges, nichts mit literarischem Anspruch. Und ich fördere aufstrebende Wissenschaftler und Literaten. Mein Haus steht Gelehrten und Weisheitslehrern offen.
Ist es nicht ungewöhnlich, dass Sie als Witwe ein so gastfreundliches Haus führen?
Ich denke schon. Aber sowohl die Scipiones als auch die Sempronii, zu denen ich durch meine Heirat gehöre, sind für solche Offenheit bekannt. Ich setze hier eine Tradition beider Adelshäuser fort. Das Ungewöhnliche ist, dass ich das als Frau tue. Mag sein, dass das nicht jedem passt.
Sind auch griechische Intellektuelle ab und zu bei Ihnen zu Gast?
Selbstverständlich. Sie sind herzlich willkommen. Ich bin über jeden Besucher froh, von dem ich viel lernen kann. Klar, griechische Intellektuelle können manchmal etwas anstrengend sein, sie provozieren auch schon mal mit ungewöhnlichen Thesen. Aber ich empfinde das als anregend. Ehrlich gesagt: Meine Gastfreundschaft ist nicht ganz selbstlos. Auch meine älteren Kinder profitieren von solchen Besuchern – einfach durch die Atmosphäre, die diese Gäste ausstrahlen.
Mutter vieler Kinder, Engagement in der Kindererziehung, Verzicht auf Wiederheirat – viele sehen in Ihnen geradezu ein Musterexemplar der römischen Matrone. Entspricht das Ihrem Selbstverständnis?
Was Sie genannt haben, sind wichtige Aspekte. Ja, ich will für meine Kinder da sein. Zu diesem traditionellen Rollenbild stehe ich. Aber ich möchte mich nicht darauf reduzieren lassen. Ich meine doch, dass ich mit meiner Ausbildung, meinen kulturellen Interessen und der Art, wie ich mein Haus führe, ein paar wichtige Akzente setze.
Stimmt eigentlich die Anekdote, dass Sie einer schmuckbehängten arroganten Dame auf deren Frage, wo denn Ihr Schmuck sei, geantwortet hätten, indem Sie einfach nur auf Ihre Kinder zeigten?
So leid es mir für die rührigen Vertreter und Propagandisten „guter alter Römerart“ tut – ich kann das nicht bestätigen. Sie finden ähnliche Anekdoten für den griechischen Raum schon bei griechischen Historikern. Das ist der ziemlich durchsichtige Versuch, mich ideologisch zu vereinnahmen. Da spiele ich nicht mit.
Obwohl Sie zur Creme des römischen Hochadels zählen?
Gerade weil wir dazu gehören. Ich meine, wir sollten uns an der Realität orientieren. Zu der gehört, dass wir Griechenland zwar de facto beherrschen, aber geistig ein Entwicklungsland sind, das gut daran tut, sich zu öffnen und sich auch mit anderen Lebensstilen auseinanderzusetzen – ohne unsere römische Tradition einfach so über Bord zu werfen. Ich will keinen Bruch mit unserer Vergangenheit, sondern einen vernünftigen Übergang in die Zukunft. Manches scheint mir verkrustet und überholt, das sage ich ganz offen.
Wie bereiten Sie Ihre Kinder auf die Zukunft vor?
Vor allem dadurch, dass ich Ihnen eine gute Bildung zuteilwerden lasse und sie intellektuell fordere.
Auch mit Hilfe griechischer Lehrer, wie man hört?
Natürlich. Die haben ja eine Menge zu bieten! Gerade die Philosophen, aber auch die Rhetoren. Wenn man sieht, wie wichtig das Reden im öffentlichen Raum auch hier in Rom ist und künftig sein wird, ist es absolut notwendig, diese Fähigkeit – Sie können sie auch modisch „Kompetenz“ nennen – unbedingt zu fördern. Ich freue mich, für die Ausbildung meines Ältesten Diophanes von Mytilene engagiert zu haben, einen der renommiertesten griechischen Redner unserer Zeit. Und ich werde das auch meinen anderen Kindern ermöglichen.
Auch den Mädchen?
Vielleicht nicht so intensiv wie den Jungen, weil Mädchen ja in der Öffentlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu sagen haben. Aber auch sie sollen nach Möglichkeit das lernen, was meine Eltern mir ermöglicht haben und was ich als wichtigstes Ziel von Erziehung ansehe.
Und das wäre?
Ich-Stärke. Selbstbewusstsein, gepaart mit Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft. Wer in die gens Sempronia geboren wird, muss sich selbstverständlich für das Gemeinwesen einsetzen. Das hat eine lange Tradition. Aber mit offenen Augen, mit Blick auf die Zukunft, ohne die Scheuklappen aristokratischer Verbiestertheit oder gar Arroganz. Davon gibt es in Rom, finde ich, genug.
Haben Sie den Eindruck, dass dieser Erziehungsstil bei Ihren Kindern ankommt?
Die meisten sind ja noch recht klein. Aber ja, im Rahmen dessen, was sich da jetzt schon beobachten lässt, glaube ich, dass sie zu ebenso selbstbestimmten wie verantwortungsvollen Persönlichkeiten heranreifen werden.
An Ihrem Ältesten, Tiberius Gracchus, müsste das ja am ehesten „abzulesen“ sein.
Ein prächtiger junger Mann! Er wird demnächst seine ersten militärischen Sporen verdienen, voraussichtlich in Afrika, bei der Belagerung Karthagos. Was ich an ihm schätze, sind seine Offenheit und sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Ein bisschen Sorge macht mir ein gewisses Ungestüm, eine Entschlossenheit, die wenig Kompromissbereitschaft zeigt, wenn er sich einmal für eine Haltung oder einen Standpunkt entschieden hat.
Ist das nicht normal in seinem Alter?
Sie haben recht; er ist 16, da kann man keine Abgeklärtheit erwarten. Das gäbe ja bei einem so jungen Burschen auch eher zur Sorge Anlass als jugendliches Ungestüm. Obwohl es da in den sogenannten besten Kreisen auch andere Beispiele gibt … Tiberius will sich in ein paar Jahren, erzählt er mir, vor allem sozialpolitisch engagieren – eine Initiative zugunsten der Kleinbauern und Besitzlosen, wenn ich ihn richtig verstehe. Aber vorher wird er sich erst einmal beim Militär bewähren müssen.
Passt es zusammen, wenn ein Spross aus der Hocharistokratie sich für bessere Lebensbedingungen von Kleinbauern stark macht?
Warum denn nicht? Wir Adligen haben die Pflicht, auch die Interessen der kleinen Leute im Auge zu haben. Das ist Teil unserer Daseinsberechtigung – finde jedenfalls ich und erziehe meine Kinder in diesem Geiste. Nur so können wir das Vertrauen rechtfertigen und stabilisieren, das auch die einfachen Leute in die Führungskraft der Elite setzen.
Sie stellen sich demnach hinter die sozialpolitischen Anliegen, die Ihr Sohn Tiberius verfolgt?
Ich habe ganz allgemein gesprochen. Welche konkreten Projekte Tiberius plant, das weiß keiner, nicht einmal er selbst, denke ich. Wichtig ist nur, dass er mit offenen Augen durch die Welt geht und dort, wo er Reformbedarf sieht, verantwortungsvoll dafür eintritt, die Situation zu verbessern. So habe ich ihn erzogen, so ist er von seinen Lehrern erzogen worden.
Das Credo einer alleinerziehenden Mutter.
Das Credo einer vorausdenkenden, fürsorglichen Mutter und einer römischen Patriotin. Wir brauchen, finde ich, weniger Klischees und mehr Offenheit und Mut zu Reformen in einer Gesellschaft, die im Wandel begriffen ist. Ich hoffe, dass meine Kinder das begreifen und ihren Teil dazu beitragen, dass Rom weiter stark und mächtig ist.
Wir wünschen Ihnen, verehrte Cornelia, viel Glück und Erfolg auf Ihrem weiteren Lebensweg. Ihnen und Ihren Kindern.