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„Der Auster gehört die Zukunft!“

GAIUS SERGIUS ORATA, LUXUS-UNTERNEHMER

C. Sergius Orata war ein Zeitgenosse Ciceros. Im ersten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts v. Chr. trat er in Kampanien im Umkreis des Nobel-Badeortes Baiae als Unternehmer in Erscheinung, der von dem zunehmenden Wohlstand der Oberschicht zu profitieren verstand. Zum einen kaufte er Häuser in dieser beliebten Feriengegend, sanierte sie und verkaufte sie als Luxusimmobilien mit hohem Gewinn. Zum anderen gilt er als Vater der Austernzucht am Lukriner See. Von Moralisten wurde er als Förderer und Fürsprecher luxuriöser Lebensführung stark angefeindet.

Sie machen einen sehr zufriedenen Eindruck, Gaius Sergius. Da fragen wir sie umso lieber: Wie war Ihr Tag?

Sie haben recht. Es war ein guter Tag, ein beruflich ausgesprochen erfolgreicher, der vorhin mit dem nicht unerfreulichen Abschluss eines Immobiliengeschäfts geendet hat.

Sie haben wieder einmal eine Villa verkauft? Und das zu einem guten Preis – für den Verkäufer?

Auf die erste Frage heißt die Antwort „ja“. Die zweite würde ich etwas differenzierter beantworten: Es war für beide Seiten ein guter Abschluss, für den Käufer und den Verkäufer.

Was selten vorkommt in der Immobilienbranche – jedenfalls von der Wahrnehmung der beiden Seiten aus gesehen.

Mag sein, aber wir agieren in einem anderen Segment des Immobilienmarktes. Bei Komfort- und Luxusimmobilien schaut der Käufer auf Qualität, der will in der Regel nicht schachern, sondern etwas Werthaltiges, Vorzeigbares haben. Die Leistung muss stimmen, dann stimmt auch der Preis.

Sie haben sich auf das spezialisiert, was man Luxussanierung nennen könnte?

Genau. Ich kaufe Gutshäuser und Villen in landschaftlich bevorzugter Lage hier im wunderschönen Kampanien – möglichst nahe der Küste – auf und lasse sie vor dem Wiederverkauf baulich, technisch und ästhetisch auf Vordermann bringen – mit edlen Materialien, die immer stärker nachgefragt werden. Ohne Marmor geht in dieser Preisklasse kaum noch etwas. Bei vielen Objekten konzipieren wir auch die Gärten oder Parks neu – großzügiger, mit weiten Blickachsen, in einer hübschen Mischung aus Natur und Kunst, sodass sie gemeinsam mit der Villa zu einem urbanen Leuchtturm in rustikalem Ambiente werden. Statuen, Säulen, Springbrunnen im Park – das ist ein ganz starker Trend der letzten Jahre. Wir arbeiten mit mehreren Importeuren griechischer Originalplastiken zusammen.

Als eigentliche Revolution in der Villenarchitektur gilt aber der Einbau von „schwebenden Böden“. Will sagen: einer Unterbodenheizung. Sie haben dieses System erfunden?

Zu viel der Ehre! Nein, ich bin nicht der Erfinder der Hypokausten-Heizung; die gibt es im Osten des Imperiums schon lange. Der Ruhm gebührt griechischen Ingenieuren. Richtig ist aber, dass wir diese großartige Idee übernommen haben und die „schwebenden Böden“ in alle unsere Sanierungsobjekte einbauen – nicht unter jeden Raum, aber unter die wichtigsten Zimmer. Und natürlich in die Bäder.

Was gerade bei bestehenden Häusern aufwendig ist?

Ja, klar, das ist technisch anspruchsvoll und eben auch nicht billig. Aber es bietet unglaubliche Vorteile. Mit den alten Kohlebecken im Raum überhaupt kein Vergleich! Wohlige, von unten aufsteigende Wärme, keine Geruchsbelästigung, keine Gefahr durch offenes Feuer. Das ist wirklich ein Quantensprung in Sachen Wohnkomfort. Unsere Kunden sind begeistert.

Das klingt auch ganz überzeugend. Aber ist das nicht ein ziemlich träges Heizungssystem, das lange Vorlaufzeiten braucht?

So lange nun auch wieder nicht. Aber im Prinzip stimmt das schon. Nur – wofür gibt es Sklaven? Bevor der Eigentümer aus Rom anreist, setzt er seine Bediensteten vor Ort über Laufboten in Kenntnis. Und wenn er selbst ankommt, sind die Räume wohlig geheizt. Erst recht das Bad – endlich kann man das Baden im eigenen Haus so richtig genießen, zumal nach den Strapazen der Reise.

Und die Badeanstalten in Baiae und anderen Kurorten, die von heißen Quellen gespeist werden, werden überflüssig?

Ach was. Erstens gibt’s noch genug Leute, die den Heizungskomfort nicht haben. Und zweitens können Sie die therapeutische Wirkung des natürlichen Thermalwassers durch nichts ersetzen. Die Menschen werden weiterhin in die Heilbäder hier in Kampanien und anderswo kommen – und am zusätzlichen Villenluxus auch in Sachen Heizung und geheizter Privatbäder ihren Spaß haben.

„Spaß“ sagen Sie, und Sie sprechen auch ganz offen von „Luxus“. Sie wissen, dass das nicht überall auf Begeisterung stößt?

Und ob ich das weiß! Glauben Sie nicht, dass ich von den Anfeindungen der Luxus-Kritiker verschont bleibe! Für die bin ich oft genug geradezu die Zielscheibe. Selbst bei Gastmählern im Bekanntenkreis bekomme ich so einiges zu hören. Gut, die Leute bleiben höflich, aber in dem Rahmen lässt manch einer durchblicken, was er von mir hält.

Nämlich was?

Dass ich eine Art servus luxuriae sei, ein „Sklave des Luxus“. Dass ich den mos maiorum, die Sitte der Väter, mit Füßen träte. Dass sich die alten Recken Roms im Grabe umdrehten, wenn sie an ihre verzärtelten Nachfahren dächten. Dass ein echter Römer eher nach Schweiß und langer Bade-Abstinenz rieche als nach täglichem Reinigungsbad und Salben mit exotischen Parfums. Und dass Rom auf diese Weise dem moralischen und, wer weiß, auch dem physischen Untergang entgegentaumle. All dieser ideologische Ballast, der nach 650 Jahren römischer Erfolgsgeschichte nun wirklich nicht mehr in die Zeit passt – abenteuerlich-anachronistischer Nostalgie-Kram.

Während Sie sich – fast programmatisch, scheint es mitunter – offen zur luxuria bekennen.

Sagen wir lieber „Lebensgenuss“. luxuria – das ist so ein Kampfbegriff, ein Reizwort, das mit Degenerierung oder Dekadenz konnotiert wird. Die wortgewaltigen „Prediger“ gegen die luxuria kapieren eines nicht: dass auch das ein relativer Begriff ist; dass das, was man vor 200 Jahren voller Empörung als unangemessene Üppigkeit verdammen konnte, heutzutage in der Oberschicht fast die Normalität des Lebensstils beschreibt. Wir sind die Herren der Welt, wir sind nicht nur mächtig, sondern auch reich geworden. Wir schwimmen im Geld – und das sollen wir alles nach alter Väter Sitte auf die hohe Kante legen, statt es zu einem genussvollen Leben zu nutzen? Da müssen wir fein aufpassen, dass die hohe Kante nicht unter der Last der auf sie gepackten Gelder eines Tages zusammenbricht!

Das ist ein klares Bekenntnis – und eine Kampfansage an altrömische Moralvorstellungen.

Das ist, mit Verlaub, großer Unsinn. Der mos maiorum ist ein wertvoller ethischer Orientierungsrahmen, aber wir müssen aufpassen, ihn nicht zu statisch zu definieren. Er müsste gewissermaßen dynamisiert, an die heutigen Verhältnisse angepasst und entsprechend weit interpretiert werden. Was übrigens die allermeisten de facto schon lange tun. Nur zuzugeben traut sich das kaum einer.

Warum nicht?

Weil man sich dem Geschrei der Gralshüter des mos maiorum nicht aussetzen will, weil man sich Unterstellungen, Beleidigungen und offene Feindseligkeiten ersparen will.

Während Sie klar dagegenhalten. Sorgen Sie sich nicht um Ihren guten Ruf?

Der ist ohnehin ruiniert, jedenfalls bei den mosmaiorum-Hardlinern. Und als Geschäftsmann müssen Sie sich schon entscheiden: Mit dem, was die ideologisch Altvorderen luxuria nennen, Geschäfte machen und gleichzeitig in die Nostalgierufe nach dem alten – und kalten! – Rom mit einstimmen, das geht nicht. Da werden Sie unglaubwürdig. Und, nebenbei bemerkt, meine Kunden finden es gar nicht so schlecht, wenn bekennende Luxus-Jünger wie ich die Aggressionen der moralischen Bedenkenträger auf sich ziehen. Das bringt sie selbst ein bisschen aus der Schusslinie.

Auch wenn sie zu den piscinarii gehören?

Ja, ja, das entwickelt sich allmählich zum Schimpfwort: „Fischteichbesitzer“! Leute aus der Führungsschicht, die sich um ihre fischigen Lieblinge mehr sorgen als um die Politik!

Ist das wirklich nur Polemik? Und nicht auch Ausdruck berechtigter Sorge, dass ein Rückzug vieler Oberschicht-Angehöriger ins Privatleben ein Alarmsignal für die politische Stabilität Roms ist?

Ich bitte Sie! Die meisten dieser sogenannten piscinarii gehen doch nur im Urlaub einem wunderbaren Hobby nach. Die halten sich hier im kampanischen „Wonnekessel“ für ein paar Wochen, manche vielleicht für ein paar Monate auf. Die übrige Zeit des Jahres residieren sie in Rom und kümmern sich natürlich um die Staatsgeschäfte. Aber es ist eben auch der Urlaub als solcher, der den Moralisten suspekt ist. otium, Muße, Ausspannen – griechisches Teufelszeug in den Augen unserer kernigen „Altrömer“. Obwohl es ja so etwas Harmloses wie die Fischzucht als Freizeit-Liebhaberei kein zweites Mal gibt. Oder sollen sich die Leute lieber um ihre Mätressen als um ihre Muränen kümmern?

Die Alternative stammt von Ihnen. – Sie bieten bei Ihren Luxus-Sanierungen auch den Einbau von piscinae, Fischbecken, an?

Ja, aber nur im verbindlichen Auftrag eines festen Käufers. Als Teil eines normalen Sanierungspakets wäre das zu riskant. Wir sprechen da unter Umständen von Investitionen in Millionenhöhe, wenn Sie etwas Ordentliches haben wollen – eine piscina, die über Kanäle mit frischem Meerwasser verbunden ist, sodass Sie Salzwasserfische im eigenen Zuchtbecken angeln können, auch wenn über der See ein Orkan tost und kein Fischer hinauszufahren wagt. Aber so etwas will nicht jeder – möglicherweise noch nicht.

Sie werden Mittel und Wege finden, die Nachfrage anzukurbeln.

Ich hoffe es.

Fürchten Sie keine Konkurrenz für Ihre eigene, wie man hört, sehr lukrative Austernzucht im Lukriner See, wenn Privatleute zunehmend Fischzucht betreiben und vielleicht ähnlich wie Sie künstliche Austernbänke anlegen?

Überhaupt nicht. Zum einen müssen Sie sehr viel Geld in solch ein Projekt stecken, bevor es rentabel ist. Das lohnt schlicht nicht in kleinem, privatem Maßstab. Da kaufen Sie lieber auf dem Markt oder direkt von der Austernfarm. Zum zweiten: Der Bedarf an Delikatessen steigt bei der zahlungskräftigen Klientel enorm, die Gegend hier um Baiae entwickelt sich zum Ferien-Dorado der reichen Römer. Was meinen Sie, wie diese beiden Trends – Edelfresswelle und der Lockruf des Nobelbads Baiae – den Absatz an Austern in die Höhe schießen lassen werden? Zumal Austern bekanntlich nicht nur gut schmecken.

Sondern?

Auch sehr gesund und bekömmlich sind und manches mehr …

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, künstliche Austernbänke im Brackwasser des Lukriner Sees anzulegen?

Einfach weil die Austern aus dieser Region nach Meinung der Feinschmecker die besten sind, die Nachfrage groß und der Preis erfreulich hoch ist. Bei der Kombination kommt ein Unternehmer schon mal auf eine lukrative Geschäftsidee.

Sie bestätigen also unseren Eindruck, dass Ihre ostriaria, „Austernzuchtbecken“, ein Riesenerfolg sind?

Sagen wir: ein Erfolg. Es wird jetzt wichtig sein, die Marke „Austern aus dem Lukriner See“ langfristig als Qualitätsbegriff zu etablieren. Austern lassen sich im Übrigen in geeigneten Behältnissen auch mehrere Tage lang über Land transportieren. Ich sehe da gute Entwicklungsmöglichkeiten für die Ausweitung des Handels und damit auch der Zucht. Glauben Sie mir: Die Auster ist im Kommen! Ihr gehört die Zukunft. Erst recht der aus lukrinischer Produktion.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg beim Markenauf- und -ausbau. Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Ist ihr Cognomen „Orata“ alias Aurata, „Goldforelle“, eigentlich ererbt? Oder ein Spitzname für einen rührigen Fischzucht-Lobbyisten? Oder gar ein selbst erfundener cleverer Marketing-Gag?

Sie glauben gar nicht, wie oft ich das gefragt werde. Aber ich finde: Ein kleines Geheimnis darf auch und gerade der behalten, der als prominenter Unternehmer in der Öffentlichkeit und als bekennender luxuriosus in der Kritik steht. Aber ich bin gern bereit, ein anderes Geheimnis zu lüften, wenn Sie mögen.

Nur zu, wir sind gespannt.

Tippen Sie mal auf meine Lieblingsspeise.

Austern?

Genau. Und zwar, von kühlem Weißwein begleitet, im behaglichen Ambiente eines fußbodengeheizten Speisezimmers geschlürft – so genießt man sie am besten.

Vielleicht stimmt’s ja sogar. Zumindest finanziell dürfte das für einen „Goldfisch“ wie Sie kein Problem sein. Wir wünschen guten Appetit.

Wie war Ihr Tag, Caesar?

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