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APPIUS CLAUDIUS CAECUS, POLITIKER, ERBAUER DER VIA APPIA

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Appius Claudius Caecus (ca. 340 bis ca. 280 v. Chr.) war im Jahre 312 v. Chr. Censor; auch in den nächsten Jahrzehnten bekleidete er noch wichtige Ämter. Er ist eine der frühesten historisch greifbaren Gestalten der Geschichte Roms. In seiner Censur erwies er sich als entschiedener Reformer. Mit seinem Namen verbinden sich bis heute zwei große Bauprojekte: die Via Appia, später als regina viarum, „Königin der Straßen“, gerühmt, und die Aqua Appia, Roms erste Wasserleitung. Den Beinamen Caecus, der „Blinde“, erhielt er, weil er angeblich im Alter erblindete.

Seit wenigen Tagen sind Sie aus dem Amt des Censors ausgeschieden. Damit dürfte es in Ihrem Leben wieder ruhiger zugehen. Wie war Ihr Tag, Appius Claudius?

Sie haben recht: Ich bin froh, dass ich mal wieder ordentlich durchatmen kann – obwohl es noch reichlich „Nachlesen“ in Form von Gesprächen gibt. Wir hatten heute eine Senatssitzung, in der auch Dinge diskutiert wurden, die in meiner Censur angeschoben worden sind. Sie können sich denken, dass ich da noch stark engagiert bin. Danach war ich beim Arzt, was den Tag auch nicht gerade entspannter gemacht hat.

Geht es Ihnen nicht gut?

Doch, im Allgemeinen schon. Sorgen machen mir die Augen. Meine Sehkraft lässt rapide nach.

Konnte der Arzt Ihnen helfen?

Er hat mir eine Salbe mitgegeben. Grundsätzlich ist er aber eher pessimistisch. Nach aller Erfahrung müsse man mit einem progredienten Verlauf rechnen, meint er – bis hin zur völligen Erblindung.

Hoffentlich nicht! Wir wünschen Ihnen alles Gute – und hoffen, dass der Arzt sich irrt.

Ich danke Ihnen sehr. Warten wir’s ab! Mein politisches Engagement wird unter dieser Sehschwäche sicher nicht leiden. Ich werde im Senat weiter Stellung beziehen. Man redet ja schließlich nicht mit den Augen.

Aber Sie können jetzt ein vorläufiges Fazit ziehen, nachdem die Censur hinter Ihnen liegt. Wie sieht es aus? Sind Sie zufrieden?

Unbedingt. Ich habe das meiste von dem durchsetzen können, was ich mir vorgenommen hatte. Das ist – bei allem Ärger, der auch damit verbunden war – ein großartiges Gefühl. Ja, ich bin sehr zufrieden.

Bevor wir auf Einzelheiten Ihrer Tätigkeit zurückblicken: Gab es eine Art Masterplan, mit dem Sie angetreten sind, eine Vision?

Im Unterschied zu anderen Politikern, die Kollegen mit Visionen am liebsten zum Arzt schicken möchten, stehe ich zu meiner Vision. Die hieß und heißt: Rom zukunftsfähig machen! Reformen und Projekte anstoßen und nach Möglichkeit auch durchführen, die diesem aufstrebenden Gemeinwesen für die nächsten Jahrzehnte sozusagen stabile Leitplanken für eine positive Weiterentwicklung setzen.

Teil dieses Konzepts „Zukunftsfähigkeit“ war es, den Senat für Angehörige anderer Klassen – bis hin zu Söhnen von Freigelassenen – zu öffnen. Das hat Ihnen wütende Proteste eingetragen.

Und manche persönliche Feindschaft. Natürlich. Immer wenn Sie die Basis der politisch Verantwortlichen erweitern wollen, stoßen Sie auf Widerstand bei der etablierten Elite. Die verteidigt ihre Privilegien und schottet sich nach unten ab. Das war hier nicht anders – und angesichts des politischen Gewichts, das der römische Senat als letztlich wichtigstes Entscheidungsgremium hat, auch durchaus zu erwarten.

Sie haben diese Reform betrieben, obwohl der massive Widerstand vorauszusehen war?

Anders kriegen sie keine Kursänderung hin. Mein Punkt ist: Im Laufe der letzten Jahrzehnte, die militärisch und politisch äußerst erfolgreich für Rom waren, haben sich auch die Strukturen unserer Gesellschaft verändert. Da gibt es Aufsteiger, die es finanziell geschafft haben und die bereit und willens sind, entsprechende Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Die sind ganz heiß auf politische Teilhabe. Und es wäre ein schwerer Fehler, diesen Integrationsprozess zu stoppen. Wir brauchen diese „hungrigen“ Leute dringend.

Daher Ihre Pläne, den Zugang zum Senat zu erleichtern.

„Erleichtern“ ist vielleicht das falsche Wort. Es geht ja nicht darum, die grundsätzliche Qualifikation – im Wesentlichen das Vermögen – abzuschaffen, sondern schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass, wenn Sie so wollen, soziale Newcomer eben diese Qualifikationskriterien erfüllen. Es gehört zur Zukunftsfähigkeit unseres Staates, solche gesellschaftlichen Entwicklungen auch politisch umzusetzen – auch wenn die alte Elite ihre Vorrechte mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Haben Sie mit der Intensität des Widerstandes gerechnet, der Ihnen da entgegengeschlagen ist?

Ehrlich gesagt nicht. Aber gut. Ich habe breite Schultern. Unsere Familie hat das Fähnchen nie in den Wind gehalten. Wir Appier sind keine Opportunisten.

Mindestens ebenso großen Unmut hat Ihre Reform erzeugt, besitzlose Bürger in alle 35 Wahlbezirke aufzunehmen, nicht nur in die vier städtischen. Damit schwächen Sie die konservativen Landbezirke. Die darin dominierenden Grund- und Großgrundbesitzer fühlen sich politisch entwertet, wenn städtische Habenichtse – so deren Ausdrucksweise – auch in die ländlichen Tribus eingeschrieben werden und sich die Mehrheitsverhältnisse dort womöglich ändern.

Ja, das Geschrei war groß. Die Senatsaristokratie ist gegen diese – von ihr so empfundene – Entmachtung Sturm gelaufen. Aber ich bin sicher, dass auch diese Integrationsmaßnahme im wohlverstandenen Interesse der Gesamtbürgerschaft liegt. Wir müssen auch den kleinen Leuten deutlich machen, dass sie uns wichtig sind. Auch die werden ja zunehmend zum Kriegsdienst herangezogen. Da können Sie sie auf Dauer politisch nicht durch administrative Tricks kleinhalten. Tricks, die in ihrer wenig volksfreundlichen Tendenz leicht zu durchschauen sind. Rom will weiter wachsen, darin sind wir uns alle einig. Dann müssen wir das auch in konkrete politische Entscheidungen umsetzen. Rom wird ja dadurch beileibe keine Demokratie wie Athen zur Zeit des Perikles werden. Da hätte auch ich erhebliche Vorbehalte.

Trotzdem sind Sie wegen Ihrer „volksfreundlichen“ Politik heftig angefeindet worden. Sie gelten bei vielen Senatoren als gefährlicher Erneuerer, als „Volksfreund“, der die Stellung des Senats gefährdet.

Was dummes Zeug ist. Mit der Zuführung frischen Blutes, um es mal so auszudrücken, stärke ich auf Dauer den Senat – und den Staat.

Da haben Sie unseres Erachtens noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir kennen viele, die extrem verärgert sind. Können Sie ein politisches Rollback in den nächsten Jahren ausschließen?

Leider nein. Ich fürchte, dass vieles von dem, was wir an politisch-administrativen Reformen erreicht haben, demnächst wieder auf den Prüfstand kommt. Da kann es in der nächsten Zeit noch zu „Korrekturen“ kommen, die ich als Rückschritte empfände. Aber ich werde gemeinsam mit meinen politischen Freunden dagegen ankämpfen. Mit welchem Erfolg, wird man sehen.

Völlig unumstritten sind dagegen die großen Bauprojekte, die Sie in Auftrag gegeben haben.

Unumstritten? Na ja. Auch da hat es eine Menge Gegenwind gegeben. Manche meinten, von „Plünderung der Staatskasse“ sprechen zu sollen. Aber das sind die üblichen Bedenkenträger, kleine Geister, die den künftigen Nutzen dieser Infrastrukturmaßnahmen einfach nicht erkennen.

Welches Ihrer beiden großen Projekte ist das wichtigere – die Straße oder die Wasserleitung?

Ich glaube nicht, dass sich die Frage so stellt. Wir brauchen beides, beide Maßnahmen sind von gleicher Bedeutung. Vordergründig mag die Straße eine gewisse Priorität haben.

Weil sie die Kriegführung weiter im Süden der Halbinsel erleichtert?

Natürlich, das war ja das ausschlaggebende Motiv für den Bau. Wenn wir mittel- oder langfristig ganz Italien unter römische Kontrolle bekommen wollen, müssen wir schnelle Truppenbewegungen ermöglichen – zur Sicherung der schon eroberten Gebiete nicht minder als zum raschen Transport an die Front, wenn es um die Expansion unseres Territoriums geht. Das ist übrigens auch eine volksfreundliche Maßnahme. Je kürzer die Einsatzzeit für unsere Bürgersoldaten, umso dankbarer sind vor allem die Bauern, die das Rückgrat unserer Armee bilden. Wer zum Kriegsdienst eingezogen wird, kann seine Felder nicht bewirtschaften. Diese Abwesenheitszeiten müssen wir verringern.

Der Bau der nach Ihnen benannten Via Appia war also im Wesentlichen eine militärische Maßnahme?

Gleichzeitig eine soziale, wie ich gerade versucht habe zu erläutern. Auch die wirtschaftliche Bedeutung darf man nicht unterschätzen, erst recht, wenn man an die künftige Weiterführung der Trasse denkt. Wir haben jetzt ein Teilstück gebaut, rund 200 Kilometer bis nach Capua. Auf Dauer kann es nicht dabei bleiben.

Sie planen eine Verlängerung?

Das ist, wie gesagt, Zukunftsmusik. Das kann noch ein paar Jahrzehnte dauern. Aber grundsätzlich wird die Via Appia weitergebaut werden müssen. Ich meine, bis nach Brundisium.

Das aber noch gar nicht in römischer Hand ist.

Mit Betonung auf „noch nicht“! Irgendwann einmal werden römische Kaufleute von Brundisium nach Griechenland übersetzen. Die Via Appia wird sich zu einer wichtigen Handelsroute entwickeln, die zum Wohlstand unseres Staates erheblich beitragen wird.

Und damit die enormen Kosten rechtfertigen wird?

Da übernehmen Sie die Alarmposition einiger Gegner, die in ihrer kleinkarierten Beschränktheit das gewaltige Entwicklungspotential nicht erkennen, das sich mit diesem, wenn ich so sagen darf, infrastrukturellen Paukenschlag verbindet. Ja klar, Straßenbau ist teuer, wenn Sie einen wirklich soliden, belastbaren Unterbau und eine ordentliche Straßendecke aus Stein haben wollen, eine echte Straße, die sich nicht nach jedem Landregen in eine Schlammwüste verwandelt. Andererseits haben unsere Straßenbau-Ingenieure ja streckenweise schon auf vorhandene Trassen zurückgegriffen und damit kostenbewusst geplant.

Und die Staatskasse war durch die militärischen Erfolge der letzten Zeit gut gefüllt?

So ist es. Das sind doch keine Investitionen auf Pump, die wir da ins Werk gesetzt haben, sondern solide aus dem Bestand finanzierte Maßnahmen. Wenn da einige über die „Plünderung der Staatskasse“ lamentieren, dann ist das eine ausgesprochen zukunftsweisende Plünderung!

Ihr Kollege in der Censur, Lucius Plautius, hat das aber wohl kritischer gesehen. Er ist früher als Sie vom Amt zurückgetreten – wie man hört, auch aus Frust über Ihre „Dominanz“ und „Alleingänge“.

Ich hatte mit dem Kollegen Lucius Plautius keinen Dissens. Er hat alle wesentlichen Entscheidungen mitgetragen.

Auch das zweite große Bauprojekt, die erste Wasserleitung Roms?

Aber ja! Er war ganz wesentlich daran beteiligt. Was meinen Sie, warum ihm das Cognomen „Venox“ verliehen worden ist, der „Aufspürer von venae, Wasseradern“? Das zeigt doch, wie stark er gerade bei diesem Wasserbau-Projekt engagiert war. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, dass Rom eine vom Tiber unabhängige Wasserversorgung brauche. Die Leute werfen ja allen Dreck in den Fluss, und wenn das jetzt vielleicht noch kein großes Problem ist, wird es mit wachsender Bevölkerung eines werden.

Sie fürchten um die Gesundheit der Bürger Roms?

Ich will hier keine Panik verbreiten. Aber sicher ist, dass der Bau dieser Wasserleitung eine wichtige Investition in die Siedlungshygiene unserer Stadt war. Ich bin auch ziemlich sicher, dass sie nicht die einzige Wasserleitung bleiben wird.

Aber es war eben auch eine teure Maßnahme – und eine, die deutlich weniger sichtbar ist als die Via Appia.

Weil die Leitung größtenteils unterirdisch verläuft – wozu übrigens mein Kollege und die Fachleute dringend geraten haben. Ein bisschen schade ist das schon. Denn damit bleibt ein Meisterwerk unserer Wasserbautechniker sozusagen im Dunkeln: Mit einem Gefälle von nur 0,5 Prozent leiten sie auf einer Strecke von zwölf Kilometern eine Riesenmenge frisches Quellwasser nach Rom: 73 000 Kubikmeter pro Tag! Finden Sie nicht, dass das eine zukunftsweisende Versorgungstechnik ist? Und glauben Sie im Ernst, ein so kluger, weitsichtiger Politiker wie Lucius Plautius hätte sich diesem Projekt in den Weg gestellt?

Dann wundert uns nur, dass er vor Ihnen zurückgetreten ist und Ihnen und Ihrer gens damit den Ruhm beider Projekte sozusagen kampflos überlassen hat: Via Appia und Aqua Appia! Mehr Nachruhm geht doch kaum!

Da hat Lucius vielleicht etwas vorschnell gehandelt oder die Nerven verloren, als unsere offizielle Amtszeit zu Ende ging. Er hält sich ja gern an Regeln. Am besten, Sie fragen ihn selbst danach. Mir fällt da nur eine Einsicht ein, die ich demnächst zusammen mit anderen eigenen Sentenzen in einem kleinen Sammelband veröffentlichen will.

Und die wäre?

faber est suae quisque fortunae, „jeder ist seines Glückes Schmied“.

Wie war Ihr Tag, Caesar?

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