Читать книгу Beste Freunde und ein Leben im Chaos - Karla Voß - Страница 11
Nur Streit
ОглавлениеDer Wecker schrillte und Toni erschrak. War es wirklich schon so spät? Murrend schälte sie sich aus ihrer Decke. Sie hatte schlecht geschlafen und war immer wieder aufgewacht. Ihr Kopf brummte und alles drehte sich. „Guten Morgen, naaa, hast du gut geschlafen?“ Das war ihre gut gelaunte Mutter.
„Nein!“, antwortete Toni und fiel zurück in ihr Bett.
„Beeil dich. Es gibt gleich Frühstück. Die Männer sind aus dem Haus. Frauenpower! Wenn du gleich kommst, kann ich dich zur Schule fahren.“
Toni richtete sich auf, musste sich aber an einem Stuhl festhalten, damit sie nicht umfiel. Sie fühlte sich elend. Dennoch erschien sie wenig später angezogen, gewaschen und sehr erschöpft unten vor ihrer Mutter. Die stand in der Küche und sang gut gelaunt ein Lied im Radio mit. Toni setzte sich an die Bar, die die Küchenzeile zum Essbereich abtrennte. Sie nippte an ihrem Kakao und knabberte an ihrem Brot.
„Schatziiii, ich habe heute einen freien Tag und würde gern heute Nachmittag etwas mit dir unternehmen“, sagte ihre Mutter und drehte sich zu Toni um. Doch als sie Toni sah, erschrak sie und ließ sogleich ihren Kaffeebecher fallen. Mit einem lauten Scheppern fiel dieser zu Boden und zerbrach in tausend Stücke. „Alles okay bei dir?“, fragte ihre Mutter besorgt und nahm Toni in den Arm.
„Nein, Mama, es ist nichts in Ordnung. Ich habe schlecht geschlafen und fühle mich elend.“ Tonis Mutter legte eine Hand auf ihre Stirn und nickte bedenklich.
„Du hast Fieber, meine Süße. Dann machen wir uns wohl einen schönen Nachmittag zu Hause.“ Frau Behnke lächelte matt.
„Tschuldigung, ich wollte dir nicht den Tag versauen.“
„Ach Maus, du versaust keinen meiner Tage. Ich hab dich doch lieb.“
„Ich dich auch, Ma!“
Wenig später lag Toni auf der Couch und las in einem Buch. Ihre Mutter holte ihr eine Decke. Draußen schien die Sonne und es sah alles so friedlich und lebendig aus. „So, hier ist deine Decke. Ist es so okay oder brauchst du noch was?“, fragte sie. Toni schüttelte den Kopf und kuschelte sich in die dicke Decke. Sie fror am ganzen Körper und ihre Lippe zitterte. „Soll ich dir noch was bringen?“
„Nein, das geht!“, hauchte Toni mit dünner Stimme. Sie schloss die Augen und versank in einen tiefen Schlaf. Ihre Mutter wachte über sie und hielt ihre Hand.
Am Nachmittag ging es Toni viel besser. Sie lachte und freute sich über das schöne Wetter. Ihre Mutter war einkaufen und sie lag am Pool der Familie. Die Sonne brannte und es war heiß. Toni lag auf einer blau-rot geringelten Decke. Sie hatte bis eben geschlafen. Jetzt las sie ein Buch.
Dieses handelte von einer Frau und einem Mann, die sich geschworen hatten, für immer zusammenzubleiben, doch der Mann betrog die Frau mit einem Geist. Der Geist war die früh verstorbene Schwester der Frau. Die beiden Frauen hatten sich gehasst, seit sie auf der Welt waren und die eine Frau hatte die andere umgebracht. Gerade las Toni, wie der Mann zu dem Friedhof ging, wo die Frau seit über 30 Jahren begraben lag. Heute war ihr Geburtstag. Die Uhr der Friedhofskapelle schlug Mitternacht und Toni überlief ein Schauer, als plötzlich ein Hupen erklang. Darauf rief eine bekannte Stimme: „Hallo Antoniaschatziiiiiii!“
Kurz darauf bog ihr Bruder Theo mit seiner Freundin Ronja um die Ecke des Hauses. Er war 18 Jahre alt und wollte bald ausziehen. Er hatte braune Locken, die sich um seinen Kopf kringelten. Seine Haut war braun gebrannt und er trug eine bunt gemusterte Badeshorts und dazu ein weißes ärmelloses Shirt. Ronja trug, wie immer, High Heels und ein buntes Sommerkleid, das sich im leichten Wind aufblähte. Ihre rot gelockten Haare bissen sich mit dem Rotton in ihrem Kleid. An ihrem rechten Handgelenk klimperten goldene Armreifen. Sie winkte und kam auf Toni zugelaufen. Na ja, laufen konnte man das nicht nennen, eher watscheln. Obwohl sie jeden Tag mit hohen Schuhen rumlief, konnte sie darin nicht laufen.
„Na, wie geht es meiner kleinen Prinzessin denn heute? Deine Mutter hat bei uns angerufen und gefragt, ob wir dich aufmuntern können. Daraufhin sind wir sofort ins Auto gestiegen und zu dir gefahren.“ Ronja setzte sich zu Toni auf die Decke und küsste sie auf die linke und rechte Wange.
„Ja, es war echt schrecklich, so was mit anzusehen“, sagte Toni gedehnt. Manchmal war Ronja ein bisschen aufdringlich, aber Toni mochte sie gern. Mit ihr konnte man über alles reden.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Ronja ein bisschen ruhiger. Sie winkte Theo zu sich her.
„Nein, ich denke nicht. Aber irgendwie muss ich es Jette ja erzählen und das wird, glaube ich, der größte Happen“, meinte Toni und rückte ein Stück beiseite, damit Theo auch noch Platz hatte.
„Hallo. Mann, was hörst du dir auch immer an? Selbst schuld, wenn du jetzt ein schlechtes Gewissen hast!“ Theo setzte sich ohne Bedenken zwischen die Mädchen. Toni zuckte mit den Schultern.
„Theo, hol doch mal ein paar kühle Getränke für uns und eine zweite Decke!“, bat Ronja ihn.
„Äh ... na klar, Schatz, für dich tu ich alles, ähh ... für euch“, stotterte Theo und war schon im Haus verschwunden.
„Und so einen Kommentar gegen Toni möchte ich auch nie wieder hören, ist das klar?“
Toni musste grinsen. In der Beziehung ihres Bruders hatte Ronja eindeutig die Hosen an. Sie war drei Jahre älter als er und wohnte schon alleine in einer Wohnung. Toni war mal dort gewesen. Die Wohnung war nicht sehr groß, aber supergemütlich. Überall hingen Bilder von Hawaii oder von Paris, New York, Las Vegas ... überall dort war Ronja schon gewesen. Sie war Modedesignerin und viel in der Welt unterwegs.
„Ich habe das Gleiche auch schon mal erlebt“, meinte Ronja.
„Was, echt?“ Toni war fassungslos.
„Ja, ich glaube, da war ich fünfzehn oder so ... meine Freundin hatte einen Freund und der war echt total süß zu ihr.“ Sie machte eine Pause und strich über ihr Kleid. „Ich mochte den Typen nicht und misstraute ihm. Eines Tages habe ich ihn verfolgt und herausgefunden, dass er fünf weitere Freundinnen hatte. Alle wussten nichts voneinander. Und weißt du, was das Komische war?“, fragte Ronja und sah Toni an.
„Nee, erzähl weiter!“
„Alle seine sechs Freundinnen hatten Unmengen an Kohle. Als ich das herausgefunden habe, war ich ziemlich geschockt. Meine Freundinnen haben sich große Sorgen um mich gemacht, aber ich habe ihnen nichts erzählt. Irgendwann habe ich ein Treffen organisiert, zu dem alle Mädels kamen, und habe die Sache aufgeklärt.“ Toni war beeindruckt, konnte aber nichts damit anfangen.
„Aber Fanny und Jette wissen, dass es sie beide gibt.“ Theo kam und brachte allen eine kalte Cola. Er breitete eine Decke aus und setzte sich darauf.
„Ich glaube, du musst es ihr einfach erzählen, Antoniamaus, sonst wird es auch nicht besser“, meinte Ronja und schlürfte an ihrem Getränk.
„Wenn du sie siehst, sag es ihr und dann überlegt ihr euch, wie ihr Fanny und Henrie wieder auseinanderbringt“, sagte Theo und zog sein T-Shirt aus. Mit einem Platschen sprang er in den Pool. Als er wieder an die Oberfläche kam, sah er zwei nass gespritzte Mädchen am Poolbecken sitzen.
„Theo!“, rief Ronja empört. Sie blickte zu Toni rüber, die in letzter Sekunde ihr Buch in Sicherheit gebracht hatte. Wie auf Kommando lachten alle drei los. Theo hüpfte aus dem Wasser und die drei legten sich auf die Decken und lachten immer noch. „Ach Theo, du bringst mich immer zum Lachen, darum liebe ich dich“, kicherte Ronja und gab ihm einen Kuss. Toni verdrehte die Augen und brachte einen Würgelaut hervor. Ronja lachte und drehte sich wieder zu Toni um. „Lachen ist die beste Medizin!“
„Ja, aber ich glaube, bald gibt es nichts mehr zu lachen.“ Toni malte sich schon aus, wie es sein würde. Am Ende brachte sich Jette noch um, wie in den Gruselkrimis. Sie schüttelte sich bei dem Gedanken daran. „Und wenn ich es Jette erzähle, glaubt sie es mir nicht und denkt, ich bin eifersüchtig oder so. Ich habe ja keine Beweise.“ Toni nahm einen großen Schluck von ihrer Cola, doch diese schmeckte eher nach Poolwasser.
„Dann geht zu Henrie und stellt ihn zur Rede“, sagte Theo und zog eine Augenbraue hoch.
„Mein Gott, Theo, der wird das abstreiten, du Dummi“, schnaufte Toni.
„Hast du denn keinen Beweis? Gar nichts? Vielleicht irgendein Foto oder jemanden, der da noch war? Ein Passant oder so?“, fragte Ronja und nippte an ihrem Glas. Sie verzog das Gesicht und schickte Theo los, neue Cola zu holen.
„Also, eigentlich war da keiner, weil das Training ja gleich anfing. Aber ... oh Mann!“, rief Toni und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wie blöd war sie denn? „Warte, ich hole mein Handy!“, nuschelte sie.
Wenig später hatte Toni ihr Handy gefunden und rannte zum Pool, wo Theo und Ronja knutschend auf der Decke saßen. Toni war so aufgeregt, dass sie dies übersah und Theo beinahe noch einmal ins Wasser schubste.
„Ich habe es gefilmt“, rief Toni begeistert. „Eigentlich nur, um Fanny zu filmen, wie sie eine Abfuhr von Henrie bekommt. Ich habe es total vergessen.“ Aufgeregt und mit schwitzigen Händen ging Toni auf Galerie und klickte das Video an. Es war zwar nicht die beste Filmqualität, aber man hörte alles. Sogar, wie Toni atmete. Theo und Ronja beugten sich über das Handy und verfolgten alles.
„Ich habe mich auch in dich verliebt!“, flüsterte Henrie mit leiser Stimme. Toni erinnerte sich daran und sie überlief eine Gänsehaut. Jetzt hatte sie die Augen geschlossen, aber weitergefilmt. Toni hielt den Atem an. Die kommende Szene hatte sie nicht miterlebt, umso gespannter starrte sie jetzt auf den kleinen Bildschirm. Henrie zog Fanny an sich ran und legte eine Hand um ihre Taille. Fanny legte daraufhin ihren Arm um seinen Hals und schloss die Augen. Langsam, ganz langsam bewegten sich die beiden Gesichter aufeinander zu, bis nur noch ein Spalt zwischen ihnen war. Toni holte Luft und versuchte, den Kloß in ihrem Hals runterzuschlucken. Plötzlich ging alles ganz furchtbar schnell. Henrie drückte seine Lippen auf Fannys. Nur für den Bruchteil einer Sekunde standen sie so da, dann lösten sie sich voneinander und gingen jeder ihren eigenen Weg. Nun war es still. Das Bild der Kamera schwenkte ab und man sah jetzt Tonis Füße. Irgendwas brabbelte Toni vor sich hin und dann wurde das Bild wieder schwarz.
Toni ließ das Handy sinken. Ronja nahm sie in den Arm. „Ich hatte meine Augen geschlossen und habe den Kuss nicht mitbekommen. Ich muss Jette anrufen“, sagte Toni.
„Willst du es ihr wirklich heute sagen? Bei dem schönen Wetter? Ich meine ja nur, dass du sie zwar anrufen kannst, aber ich will heute noch in Frieden am Pool liegen bleiben und keine drei bis fünf verheulten Mädchen sehen. Mach das woanders!“, motzte Theo und setzte seine viel zu große Sonnenbrille auf.
„Du hast hier gar nichts zu entscheiden! Schließlich wohne ich hier auch noch, und wenn du keinen Bock hast, heulende Mädchen zu sehen, kannst du ja gehen!“, motzte Toni zurück. Ihr lief das Blut im Kopf zusammen. So ein Blödmann!
„Du kannst ja auch Jette besuchen fahren! Auch wenn ich hier bald nicht mehr wohne, darf ich auf Einladung unserer Mutter hier meinen Nachmittag verbringen!“
„Ja, unsere Mutter hat aber zu dir gesagt, dass du und Ronja mich trösten sollt! Aber nur Ronja macht das und du bist hier nur und machst uns nass und motzt rum!“ Toni geriet richtig in Fahrt und brüllte weiter. „Außerdem ist das eine ernste Sache! Du bist soooo blöd!“
Ronja schaute Theo streng an. „Theo, reiß dich zusammen! Hör auf, hier so rumzukommandieren! Hier geht es um etwas Wichtiges“, sagte Ronja.
„Baby, halt du dich da raus, okay?! Schließlich ist es meine Sache, ob ich meiner blöden Schwester zustimme oder nicht“, gab Theo zurück. So langsam ging er wirklich zu weit.
„Sag mal! Wie redest du überhaupt mit mir? Spinnst du?“, brüllte Ronja. Sie war aufgestanden und zog ihr Kleid an.
„Das kann ich dich ja wohl fragen, schließlich brüllst du mich immer so an. Soll ich die ganze Zeit immer nur meinen Kopf hinhalten? Nein! Also. Was willst du überhaupt? Du bist meine Freundin und nicht ihre!“
„Theo, ich warne dich! Was mich das angeht? Ja, ziemlich viel! Deine Mutter hatte schließlich MICH angerufen und ich bin ja wohl mit Antonia gut befreundet! Wenigstens kümmere ich mich um sie, wenn es ihr schlecht geht! Nicht so wie ihr großer Bruder, der sich noch nicht einmal um seine eigene Freundin kümmert!“
„Was soll das denn bitte heißen? Ich kümmere mich ja wohl mehr um dich als nötig! Wer fährt dich überall hin? Wer geht immer mit dir shoppen, obwohl das total öde ist? Ohne mich wärst du wahrscheinlich längst nicht so weit mit deiner Karriere“, gab Theo zurück.
„Du willst mich immer überall hinfahren, okay? Es ist immer noch MEIN Auto! Shoppen kann ich alleine, da wolltest du auch immer mit, weil du noch neue Unterhosen brauchst! Ich lass dich bei mir wohnen! Ich koch für dich Essen! Ich leihe dir MEIN Auto! Ich, ich, ich!“
„Ich wohne doch nur bei dir, weil du es willst! Ich gehe einkaufen! Ich helfe dir bei deinen Arbeiten! Ich putze DEINE Wohnung, damit du dich auf DEINE Arbeiten konzentrieren kannst! Ich, ich, ich!“
Toni schaute mit großen Augen zu. Dass erwachsene Menschen sich so streiten konnten, verstand sie nicht.
„Ich komm auch ohne dich klar! Du brauchst ab jetzt nichts mehr für mich zu machen, du kannst wieder bei deinen Eltern einziehen! Und ich fahre jetzt mit MEINEM Auto einkaufen und dann putze ich MEINE Wohnung!“
„Ronja, wo willst du hin?“, rief Theo verzweifelt. Toni verkniff sich ein Lachen. Ronja hatte es echt drauf. Erst machte sie ihm Vorwürfe und dann ließ sie ihn bluten. Alle wussten, dass Theo nicht ohne Ronja und Ronja nicht ohne Theo konnte. Sie passten wie die Faust aufs Auge.
„Ich gehe weg!“, sagte Ronja schnippisch. Sie nahm ihre Tasche von der Liege und setzte sich ihre Piloten-Sonnenbrille auf die Nase. Toni sah noch, wie Ronja ihr zuzwinkerte. Ronja winkte Toni zu und malte sich die Lippen in einem krassen Rosa an. Mit großen Schritten stolzierte sie zum Auto. Theo war ganz aufgebracht und stürzte hinter ihr her. Ronja saß bereits im Cabrio.
„Ronja, es tut mir so leid! Warte, ich habe es so nicht gemeint! Bitte!“ Theo lief zu ihr und schaute sie traurig an.
„Aha!“, sagte Ronja nur und startete den Motor.
„Ich machʼs wieder gut, aber bitte fahr nicht weg! Ich liebe dich doch.“
„Davon hab ich ja gar nichts gemerkt!“ Sie zog eine Augenbraue hoch und rollte die ersten Meter vorwärts.
„Doch, Roni, bitte!“, sagte Theo und in seiner Stimme lag Verzweiflung.
Ronja stoppte den Motor und schaute ihn eindringlich an. „Du willst also für mich putzen?“, fragte Ronja nach einer Weile.
„Wenn ... wenn ich dich dann wiederhaben kann!“ Theos Stimme zitterte. Ronja nahm die Brille ab und schaute ihm in die Augen. Ohne den Blick abzuwenden, machte sie die Tür auf und lehnte sich an das Auto.
„Du kannst nicht ohne mich und diesen Body, oder?“, fragte sie und fuhr sich mit der Hand von der Brust über den Bauch. Mit offenem Mund starrte Theo sie an.
„Ich kann nicht ohne dich und vor allem nicht ohne diesen Body.“ Er legte eine Hand auf ihren Bauch und die beiden fingen an zu knutschen. Toni schüttelte den Kopf. So waren also Erwachsene wirklich.