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Karoline Bauer?
ОглавлениеEs war im Spätherbst 1868. Ich saß am Redaktionstisch von »Über Land und Meer« und las einen Brief und dann ein beiliegendes Manuskript: Bühnenerinnerungen, von Karoline Bauer …
Karoline Bauer? Ich muss ehrlich bekennen, der Name war mir völlig fremd. Die alte tapfere Theater-Garde aus den zwanziger und dreißiger Jahren, die so fröhlich lebte und schwärmte und kunstenthusiastisch glühte und sich so gern und so stolz — ergab, möge dem Nachgeborenen verzeihen.
In dem Briefe stand: … »Ich war nicht die bedeutendste und berühmteste Künstlerin meiner Zeit, aber ich hatte das Glück, in der Blütezeit dramatischer Kunst mit den größten Mimen unseres Jahrhunderts zusammenwirken zu dürfen. Von diesen edlen Künstlern und von dem ganzen vergangenen Künstlerleben zu erzählen, treibt mich mein Herz, das einst so heiß für die Kunst glühte und sich noch immer so gern an dem Blütenduft der Erinnerung aus jenen unvergesslichen Frühlingstagen erquickt. Ich habe treu und ehrlich und schmucklos nach dem Leben gezeichnet — auch nach dem meinigen. Ich habe mich bemüht, wahr über mich und gerecht gegen Andere zu sein. Vielleicht gehen diese Spiegelbilder aus alten Tagen auch nicht ganz nutzlos an den Augen und Herzen meiner jungen Leser vorüber …«
Dann las ich das Manuskript — und bald hatte sich mein ganzes Herz liebevoll versenkt in diese Blätter, in jene verschollenen großen Künstlertage und vor Allem in das liebenswürdig fesselnde, anmutig erheiternde und belehrende … und dann wieder so wunderbar tief rührende »Bühnenleben« der Schreiberin. — Das war keine gewöhnliche Ware auf meinem so viel belagerten und gemissbrauchten Redaktionstisch.
»Haben Sie Karoline Bauer spielen sehn?« fragte ich einen alten Tapferen jener aussterbenden Berliner Theater-Garde … Wie seine Augen da leuchteten, so stolz und dann so wehmütig feucht! Und sein altes — unsterblich junges Herz lag in den Worten: Karoline Bauer? — Cara memoria! La bella Donna Diana — das holdeste Käthchen von Heilbronn — die liebreizendste Julia — die edelste Maria Stuart — die rührendste Gabriele — — und dann wieder das übermütigste Suschen — der keckste Page in den Pagenstreichen — der flotteste Armand Richelieu … Karoline Bauer war entzückend schön, aber doch noch ausgezeichneter durch Grazie, Anmut, Liebenswürdigkeit, Wohllaut der Stimme und vor allen Dingen durch edelste Naturwahrheit in der Darstellung. Sie spielte ihre Rollen nicht, sie lebte sie. Darum gelangen ihr auch am besten die liebenswürdigen Partien, weil sie in diesen sich selber gab. Sie war vielseitig, wie heute wenige Schauspielerinnen. Eine gediegene Geistes- und Herzensbildung unterstützten ihr reiches Talent auf der Bühne, und machten die bewunderte Künstlerin fast noch mehr zum Liebling der Gesellschaftskreise. Sie und ihre schöne hochgebildete Mutter waren ebenso ganz anders, als die meisten Theaterdamen — wahrhaft vornehm! — Im Übrigen verweise ich Sie auf das Theater-Lexikon von Robert Blum, Herloßsohn und Marggraff und auf die »Portraits und Silhouetten« von Gustav Kühne …«
Robert Blum, der damals als Theater-Sekretär in Leipzig lebte und später durch seinen traurigen Tod so berühmt werden sollte, schreibt nach der kurzen Biographie, die der Leser in dem »Bühnenleben« ja ausführlicher wiederfindet, 1839: »Karoline Bauer ist eine der lieblichsten und achtungswertesten Schauspielerinnen; im feineren Lustspiel, im höheren Konversationsstücke, in naiven, kecken, koketten, pikanten und schalkhaften Charakteren ist sie ausgezeichnet und dürfte nicht leicht eine würdige Rivalin in diesem Genre finden; in der Tragödie hat sie in der letzten Zeit außerordentliche Fortschritte gemacht und sich als eine treffliche Darstellerin gezeigt, deren Mittel und Fähigkeiten das Vollkommenste erwarten lassen. Ihre Leistungen zeugen ebenso sehr für ihr tiefes Gefühl und ihren klaren Verstand, als für ihr eminentes Darstellungs- Talent und ihre vollendete allseitige Bildung; sie erhalten einen besonderen Reiz durch den Umstand, dass sie alle Effekthascherei verschmäht und nur durch die Totalität eines vollkommen gerundeten Bildes zu wirken strebt. Die reizendste Persönlichkeit unterstützt ihre lebensvollen Darstellungen und sie weiß die ihr von Natur verliehenen schönen Mittel aufs vorteilhafteste zu benutzen, ohne dieselben jemals an unpassender Stelle geltend zu machen. Ihrer liebenswürdigen Charaktereigenschaften wegen wird sie ebenso geliebt und geehrt, als wegen ihrer künstlerischen Vortrefflichkeit gepriesen und bewundert!«
In Gustav Kühnes »Portraits und Silhouetten« (Hannover 1843) heißt es über Karoline Bauer aus dem Jahre 1836:
»Nach dreiwöchentlicher Landestrauer wurde die Leipziger Bühne mit dem Gastspiel von Fräulein Bauer wieder eröffnet. Ein Leipziger Korrespondent in der Allgemeinen Zeitung nannte Fräulein Bauer eine — Repräsentantin echt klassischer Schauspielkunst. Dieser Ausdruck, falls er Sinn haben soll, lässt bei dem geehrten Herrn auf die entgegengesetzte Annahme einer romantischen Schauspielkunst schließen.
Diese Unterscheidungsweise mag etwas für sich haben. Eine Repräsentantin romantischer Schauspielkunst dürfte sich in der Schröder-Devrient finden, und wem aus der Erinnerung Wolffs und Devrients Gestalten aufsteigen, der hätte recht eigentlich Belege für diese zwiefache Richtung der Bühnenkunst. In Wolff war Klassizität: sein ganzes Spiel ging lediglich aus dem Verständnis des Dichters hervor; die Idee des Poeten zu erreichen, schien ihm das Höchste, ein anderes Ziel kannte er nicht. Devrients Spiel war nie das Ergebnis der Reflexion, er hatte nie den Zweck, durch Studium den Gedanken des Dichters zur Erscheinung zu bringen. Er hatte gleichsam seinen eigenen Gott für sich, der ihn so, und nicht anders seine Rolle auffassen hieß, ihn nicht selten ganz irre führte, aber ihn, wo er zutraf, der größten Effekte gewiss machte. War seine Darstellung einer Rolle mit der Intention des Dichters identisch, hatte sein Genius richtig getappt, so sah man wie durch wunderbares Walten das Höchste zur Erscheinung kommen. In Wolff feierte das Talent, in Devrient das Genie seine Triumphe.
Bei dieser Unterscheidung aber stehen bleiben und sie auf eine einzelne Erscheinung, die vielleicht noch nicht das Höchste, was sie vermag, erreicht hat, beziehen, hieße irre gehen. Hier wird weit weniger von einem großen Stil, als von Manieren in der Spielart die Rede sein müssen. Und in dieser Beziehung muss man an den Leistungen des Fräulein Bauer rühmlichst anerkennen, dass sie in einer Manier gehalten sind, die gar keine Manier ist. Bei Mad. Crelinger, Mad. Haizinger, Fräulein von Hagn kann man in der Tat von Manieren reden, von großen, interessanten und liebenswürdigen, womit sie zu effektuieren im Stande sind, und mir fällt dabei das Wort der Catalani über die Sontag ein, von der sie sagte: sie sei groß in ihrer Manier, aber ihre Manier sei nicht groß. Fräulein Bauer hat in ihrem Spiel den eigentümlichen Vorzug, keine effektuierenden Nebenrücksichten zu kennen, ihr Spiel geht wesentlich aus dem Verständnis des Dichters hervor, und tritt niemals aus dem Rahmen heraus, der ein Kunstwerk zu einem Ganzen gestaltet. Künstlerische Persönlichkeiten dieser Art erhalten ihre wahre Stellung recht eigentlich nur in einem allseitig durchbildeten Ensemble, dessen Zusammenspiel nur den Zweck hat, ein echtes Kunstwerk zur vollendeten Erscheinung zu bringen. Wolff musste sich immer erst seine Mitspieler erziehen, damit sie ihm so, wie es zu einem Totaleindruck nötig war, in die Hand spielten. Devrient bedurfte kaum talentvoller und konvenabler Mitspieler, er riss in seinen großen Momenten Alles mit sich fort, und zwang dann auch den Stümper, wie ein willenloses Werkzeug ihm zu folgen; in Nebenzügen ließ er das Stück und die Mitspieler fallen.
Von effektuierenden Momenten ist bei Fräulein Bauer eigentlich keine Spur. Mag das Bedingung ihres Naturells, oder Ergebnis ihres poetischen Verständnisses oder Beides sein; so brillant ihre Erscheinung auf der Bühne genannt werden kann, so wenig besteht ihr Spiel aus brillanten Einzelheiten. Sie scheint selbst auf Kosten der Wirksamkeit nur einen — Totaleindruck zu erzielen. Es liegt hierin etwas sehr Schönes und echt Künstlerisches; allein wie viel Rollen, selbst gute Rollen gibt es nicht, deren Wert nur in der Entwickelung dieses oder jenes Momentes beruht! Stände Fräulein Bauer immer in einem kunstfertigen, ausgebildeten Ensemble, und brächten unsere Bühnen nur immer Klassisches, so würde das Talent dieser Künstlerin wohl niemals seiner Wirksamkeit entbehren. Wie schön ist in Dresden ihr Zusammenspiel als Julia mit der humoristisch-salbungsvollen Werdy als Amme! — Auf unserer Bühne hatte sie mit ihrer Amme förmlich zu kämpfen, und der Zauber ihrer musikalischen Stimme in den Balkonszenen zerbrach fast an einem wortkargen Romeo, dem der Souffleur mit seinem Kasten hätte nachlaufen müssen in die grüne Schattenlaube. Durchaus glänzend — und von dem Effekt, den die Dichtung bezweckt, war der große Monolog, nach welchem Julia den Giftbecher leert. In der Szene mit dem alten Capulet war ihr Kampf zwischen Liebe, Schmerz, Verzweiflung und kindlicher Ergebung meisterhaft. Dagegen erschien sie in der Totengruft zu kühl. Wie sehr ihr Spiel jedoch, selbst mit Aufopferung des Effekts, dem poetischen Verständnis huldigt, beweist unter anderem die Art und Weise, wie sie in der Szene auf dem Ball die Worte: »Ihr küsst recht nach der Kunst« — von jeder sonst üblichen Betonung verschieden, zu geben wusste. Diese Worte lassen sich im Sinne der Julia kaum recht deuten; man weiß nicht, wie Julia zu dieser auffälligen Rede kommt. In der Regel tappen die Darstellerinnen über diese Schwierigkeit sehr oberflächlich hin, Fräulein Fournier schlägt wie errötend den Blick dabei zu Boden. Fräulein von Hagn sieht dem Romeo dabei listig ins Auge, sowie denn diese Schauspielerin überhaupt dem Charakter einen Beigeschmack von moderner Schalkhaftigkeit gibt, von der das Shakespeare'sche Mädchen nichts weiß. Beide Darstellerinnen effektuieren aber mit dieser Auffassung der Stelle. Fräulein Bauer spricht die Worte gewissermaßen ganz harmlos ins Blaue, wie ein junges Ding einmal Gehörtes gedankenlos nachplaudert. Mich dünkt, Shakespeare habe so und nicht anders seiner Julia dergleichen in den Mund gelegt.
An Fräulein Bauer als Donna Diana ist vielerlei als Missgriff zu bezeichnen. Der ganze Charakter war mädchenhaft, deutsch, nicht spanisch, nach ihrer Auffassung. In der Eifersucht war sie mehr die empfindlich Gereizte, als die Leidenschaftliche, vor deren Liebesschmerz die Säulen des Stolzes zusammenbrechen. Ihre Leidenschaft drohte nicht, sie zu verzehren, sie wurde nur gepeinigt von dem Gefühl der erwachten Liebe. Der ganze Charakter wird von der Darstellerin durchaus deutsch gefühlt und gegeben, mit allen Nuancen weiblicher Empfindsamkeit, weiblicher List und mädchenhafter Lust zu triumphieren.
In den ersten Akten musste der Stolz pointierter, in der Gartenszene die Koketterie raffinierter gehalten werden. In Beiden ist die Crelinger bedeutsamer, während sich in ihrem Spiel wieder das verwischt, was Fräulein Bauer, die an der Naturtreue allgemein menschlicher Auffassung festhielt, durch den Reiz elegischer Rührung hervorruft. Meines Wissens war die zu früh für die Kunst gestorbene Sophie Müller diejenige Diana, welche den spanischen Typus mit dem allgemein poetischen Grundelement am richtigsten vereinte. Die heißeren Farben des Gemäldes waren in der Darstellung von Fräulein Bauer viel zu sehr durch Lieblichkeit und mädchenhafte Grazie vertuscht.
Als Hedwig im Ball zu Ellerbrunn gab sie ein vortreffliches Bild der modernen Salondame. Als Suschen und Walpurgis entfaltete sie die ganze Spielerei einer ersten jungfräulichen Neigung in allen ihren Stufengängen von der erwachenden Lust bis zur listigen Verschlagenheit. Wie die unbefangene Seele sich überraschen lässt von ihrem eigenen Gefühle, trat in diesen Bildern idyllischer Gemütswelt als ganz besonders glücklicher Moment hervor. Als Goldschmidts Tochter ließ sie den Zug einer religiösen Stimmung nicht außer Acht und sprach das Gebet vor Schlafengehen, das andere Darstellerinnen in falsch verstandener Auffassung dieses Charakters fortlassen, mit jener echten Natureinfalt des Gemüts, die bei Rollen dieser Art so leicht in Koketterie umzuschlagen pflegt. So hob sie auch ihres Vaters Rang als Altbürger von Ulm gegen den Ritter ganz besonders hervor, und gab der Walpurgis dadurch jene Beimischung von mittelalterlich-bürgerlichem Stolz, der diese Figur von aller modernen Naivität abscheidet.
Als Margarethe (in den Hagestolzen) war sie eine Erscheinung, wie sie alte niederländische Maler in ihren Bildern eines idyllischen Friedens so gern zeichneten.
Ihr Käthchen von Heilbronn war von ganz besonderem poetischen Verdienst. Diesen mittelalterlichen Charakter sieht man oft mit einer Sentimentalität versetzt, die ihn völlig vernichtet. Weil das Mittelalter schwärmte, glaubt man, es sei auch sentimental gewesen.
Heinrich von Kleist war ein zu tiefer Poet, umso fehlzugreifen. In dem Unbewussten, in dem Rätselhaften des inneren Dranges liegt die Romantik des Mittelalters, und diese dunkle Entzückung zeigt der Dichter in der spiegelreinen Mädchenseele. Dies ist die unverwüstliche Poesie in diesem Käthchen von Heilbronn.
Fräulein Bauer war in jeder Beziehung das lebendige Bild dieser Dichtung.«
So Gustav Kühne. Mein Interesse an dem »Bühnenleben« der mir unbekannten Künstlerin, die sich in so bescheidener Weise bei »Über Land und Meer« einführte, wuchs natürlich nach diesen glänzenden Kränzen, welche die Mitwelt ihr geflochten und die so freundlich bis in unsere Tage fortgrünen und duften. Mit Liebe ging ich an die Redaktion des Bühnenlebens — eine fröhliche Oase in der sonst oft recht dürren Redaktionstätigkeit. Und die Früchte blieben nicht aus. Keine Artikel fanden während der 3 Jahre, in denen die Bühnen-Erinnerungen von Karoline Bauer in »Über Land und Meer« erschienen, eine solche Teilnahme bei den Lesern, wie dies »Bühnenleben«. Dafür zeugten die vielen herzlichen Briefe aus ganz Deutschland, aus Russland, ja aus Amerika, die bei der Redaktion einliefen und von der unvergessenen und unvergesslichen Karoline Bauer sprachen und um Fortsetzungen und schließlich um eine Buchherausgabe der Erinnerungen baten.
Dieser Wunsch — auch mein wiederholter dringender Wunsch — ist mit diesem Buche erfüllt. Die Verfasserin hat mir eine Sammlung und Herausgabe ihrer Bühnenartikel gestattet. Für dies Buch übernehme ich als Herausgeber die volle Verantwortlichkeit. Also, meine Herren Kollegen mit den flinken Rezensentenfedern, respektieren Sie die Anonymität der Verfasserin, die sich seit 1844 in ein hervorragendes glückliches Privatleben still zurückgezogen hat, — und halten Sie sich freundlichst bei Ihren Besprechungen an das »Bühnenleben« von Karoline Bauer und — wenn's sonst noch Not tut — an den
verantwortlichen Herausgeber.
Wien, im Oktober 1871.