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II. Das erste Engagement.
ОглавлениеAls Debütrolle auf der Karlsruher Hofbühne gab ich in Kotzebues Zigeunerin die Lazarilla. Es war eine höchst unglückliche Wahl. Diese Aufgabe erfordert mehr Bühnengewandtheit, als natürliches Gefühl und Anmut. Überdies sollte mir beim Einstudieren neuer Rollen der Beistand meiner trefflichen Lehrerin schon bei dieser Lazarilla fehlen. Sie zog sich zurück — wegen einer grünen Schürze! Nach Mlle. Demmers bühnenerfahrenem Rat sollte ich nämlich in meiner dritten Proberolle als Rosalie im Inkognito eine schwarzseidene Schürze wählen. Die Mutter wollte mich aber zum weißen, einfachen Kleide lieber mit einer grünen sehen. Mlle. Demmer vermochte ihre verletzte Autorität nicht zu verschmerzen, — und versagte fortan ihre mich so fördernde Hilfe. Sie war vollkommen im Recht und ich — musste die kleine so verzeihliche Eitelkeit der Mutter büßen. Noch sehe ich die erstaunten Blicke der guten Lehrerin, als sie vor der Vorstellung kam, um im Theaterwagen mit uns ins Schauspielhaus zu fahren, und mich weiß und grün fand.
Die Freude über den freundlichsten Empfang und Beifall als Rosalie war keine so ungetrübte wie nach den Hagestolzen, als Ifflands Elise von Valberg. Die Mutter kämpfte während der Vorstellung mit den Tränen, denn kein Wort kam über die Lippen der neben ihr sitzenden, sonst so sanften Lehrerin. Diese ominöse Schürze lehrte uns Künstler-Empfindlichkeit schonen. Die Mutter und ich warnten uns später oft gegenseitig: »Denk' an die grüne Schürze!«
So mussten Mutter und Tochter nun auf eigene Hand versuchen: de conduire leure barque! … Dass der arme Nachen nicht gleich am Beginn des klippenreichen Theater-Fahrwassers zerschellte, begreife ich jetzt — da ich mich am Abende meines Lebens redlich bemühe, mit der Devise: »Gerecht gegen Andere, streng gegen mich« klaren, leidenschaftslosen Blickes die ferne Vergangenheit zu schildern — oft selber kaum.
Wie waren die gute Mutter und ihr vierzehnjähriges Töchterchen doch so gar unerfahren und unpraktisch in allen Kulissendingen — — und viel zu bescheiden fürs Theaterleben!
Wir verstanden nicht einmal: mich vorteilhaft zu schminken. Als einige ebenso unerfahrene Freundinnen mir rieten, die blonden Augenbrauen zu schwärzen, um meinem weichen kindlichen Gesicht mehr Ausdruck zu geben, — da zog ich im Eifer so kühne, schwarze Bogen, dass ich förmlich entstellt aussah. Zu meinem Unglück hatte ich überdies gehört, dass schwarze Punkte unter den Augenwimpern dem Auge flammende spanische Glut geben … und ich tat auch hier des Guten mehr als zu viel.
Es stand wahrhaftig schlimm um die kleine Komödiantin, und schon bekamen wir unter dem Mantel der Teilnahme manches mitleidige Lächeln zu sehen, manch' zweifelndes Wort über mein Talent zu hören.
Das Alles trieb mich, etwas Entscheidendes zu wagen. Ich wählte als zweites Debüt unverzagt — Preziosa!
Ganz Karlsruhe geriet in Aufruhr, dass ich — das blutjunge, unerfahrene Ding, überhaupt erst viermal vors Publikum getreten, nach der gefeierten, schönen Amalie Neumann die schwere Rolle der Preziosa spielen wolle. Die arme Mutter kam immer halbtot aus ihren Tarock-Partien nach Hause — so sehr hatten die Damen ihr wegen meiner »Preziosa« bange gemacht. Selbst Bruder Karl, der inzwischen Offizier geworden, berichtete oft kleinlaut, dass seine besten Kameraden am Erfolge zu zweifeln anfingen. Die Frau Markgräfin ließ mir durch Major Hennehofer teilnehmend ihr Bedenken äußern, ob meine junge Stimme auch für die pathetischen Stellen der Preziosa ausreichen würde.
Wenn ich aber die bangende Mutter ansah, so wuchs mir das mutige Wollen. Und ich setzte meine ganze junge Kraft daran, die Feuerprobe würdig zu bestehen.
Auf meine Bitte arrangierte Ballettmeister Zeisig ein brillantes Solo: Pas de zephir der Gavotte für mich zu Webers entzückender Musik. — Preziosas berühmtes Lied: »Einsam bin ich nicht alleine!« studierte mir Gesanglehrer Berger fleißig ein, und die melodramatische Deklamation übte ich unermüdlich nach dem Klavierauszuge. Bruder Karl besorgte eine leichte Jagdflinte und exerzierte mich wie einen Rekruten damit ein: blitzschnell zu zielen, während der Rede absetzend und bei der geringsten Bewegung des Zigeunerhauptmanns wieder anzulegen.
Und mit welchem Entzücken staffierte die gute Mutter ihre Preziosa heraus: spanisches Kostüm, himmelblau mit Silber, graziöse Marabouts auf dem Kopf! So wünschte mich später Maler Muxel in München zu malen. Er wählte die Szene, wo Preziosa wie verklärt Alonsos Bouquet aufgehoben. Ob das Bild noch in einer Münchener Galerie hängt — ob in einer Trödelbude … ich weiß es nicht.
Das Haus war überfüllt und vor Beginn des Stückes in aufgeregter — ja, die Verehrer von Mad. Neumann in kampfgereizter Stimmung. Und wie klopfte mir selber das junge, bange Herz! Aber schon während der süßen, beseligenden Melodien der Ouvertüre kam mir eine wunderbare Ruhe … und mit Gefühl und Begeisterung konnte ich sprechen:
»Lächelnd sinkt der Abend nieder,
Rings erschallen Jubellieder …«
Der freundliche Beifall erhöhte meinen Mut — meine Begeisterung — mein Glück!
Das eingelegte Solo tanzte ich, den Tambourin schwingend, wie von Flügeln getragen … und ich dachte lächelnd dabei an des wilden Linchens Seiltänzersprünge auf der Dielenritze. Auch mein durch das Einfallen des Horns und der Flöte im Takt so schwieriges Lied gelang glücklich. Das Haus wurde nicht müde, die neue Preziosa zu rufen. Ich hatte vollständig gesiegt … und doch war mein Glück kein so harmloses, ungetrübtes, wie nach meinem ersten Erfolge als Margarethe. Ich hatte in diesen wenigen Monaten die »heißen Bretter« ahnen gelernt. Das Anfangs so lachend nahe Feenland der idealen Kunst war in immer weitere Fernen gerückt. Würde ich es je erreichen? würde ich je eine wahre, edle Künstlerin werden? Dass es nur nach vielen bitteren Erfahrungen — nach bangen, schweren Kämpfen und Ringen sein könne, wusste ich jetzt schon. Aus der fröhlich und unbefangen durchs Leben hüpfenden kleinen Komödiantin war — die nachdenkende Schauspielerin einer bretternen Welt geworden.
Nach diesem zweiten glücklichen Debüt trat ich in Reih und Glied mit den meist ausgezeichneten Künstlern des Karlsruher Hoftheaters.
Hätte Ludwig Tieck doch diese »echten Komödianten« — wie er am liebsten den wahren, kunstbegeisterten Schauspieler nannte — sehen können! Er wäre entzückt gewesen. Behauptete er mir gegenüber doch späterhin in Dresden stets hartnäckig: »Es ist ein Nachteil für die wahre Kunst, dass die Komödianten nicht mehr die »Parias« des bürgerlichen Lebens sind. Werden sie fein bürgerlich, so ist es mit dem Künstler vorbei. Ihr Boden, auf dem sie nur wachsen können, ist das Land der Ideale. Ich kann trotz meiner 75 Jahre den Glauben an ein romantisches Künstlertreiben nicht verlieren. Nennen die Herren Kritiker mich doch auch immer — den Romantiker!«
Unsere Karlsruher Komödianten machten sich selber zu »Parias« des geselligen Lebens. Und doch hätten sie nach ihrer meist gediegenen Bildung in den besten Gesellschaftskreisen glänzen können. Aber sie, die einst in Jugendbegeisterung Heimat, Freunde, glückliche Verhältnisse verlassen hatten, dem verführerischen Locken der Kunst zu folgen — — Kummer, Not, Enttäuschungen jeder Art hatten sie mit der Zeit — menschenscheu gemacht.
Woher stammte der Liebling des Publikums, der auf der Bühne so lebensfrische, fein humoristische — ja übermütig frohe Hartenstein? Durchs Leben eilte er finster, — in trübe Gedanken versunken.
In dem trefflichen Bassisten Sehring und seiner lieblichen Frau schäumte echtes, unruhiges Komödiantenblut. Beim Beginn der Theaterferien verschwanden beide immer spurlos. Und einst fand ein Bekannter das geheimnisvolle Paar — in einem winzigen Landstädtchen, auf einer aus Betttüchern und Fenstergardinen improvisierten Bühne … Verkleidungsrollen spielend. Sie konnten nun einmal die Komödiantenfahrten nicht lassen!
Der köstliche, närrische Komiker Labes, der das ganze Haus bei seinem Auftreten stets vom homerischen Lachen der Zuschauer erschüttern machte — lächelte im Leben nie. In seinem Hause war er sogar ein hypochondrischer kleiner Tyrann. Er spielte prächtig Violine — aber im abgelegensten Winkel seiner Wohnung, hinter mehreren verschlossenen Türen.
Bei welcher Wandertruppe hatte der tiefgebildete Regisseur Mittel seine Theaterlaufbahn begonnen? — Er sprach nie darüber.
Auch die Karlsruher Oper hatte damals einen wohlverdienten Ruf. Mad. Gervais, die gefeierte erste Sängerin, war die Tochter eines Pariser Tanzmeisters.
Die Perle unserer Bühne war aber unstreitig Amalie Neumann, die noch heute als Frau Haitzinger am Wiener Hofburgtheater glänzt und im Fach der »komischen Alten« unübertroffen in Deutschland dasteht. Wer aber damals zu sagen gewagt hätte: Amalie Neumann — das reizendste Blondchen in der »Entführung aus dem Serail« — der lieblichste Benjamin in »Jakob und seine Söhne« — die entzückendste jugendliche Liebhaberin in hundert naiven oder sentimentalen Lustspiel-Rollen … wird einst eine prächtige »komische Alte« werden und die guten Wiener als »Martha« im Faust entzücken, — den hätten unsere jungen Theaterenthusiasten sicher auf Pistole gefordert. »Unsere himmlische Amalie Neumann — unmöglich!« … Und doch wird in 50 Jahren, die seitdem hinabgerollt sind, im Leben so Manches möglich.
Amalie Morstadt war 1800 in Karlsruhe geboren. In einer Wohltätigkeitsvorstellung betrat das liebliche zehnjährige Kind in Wranitzkys jetzt vergessener Oper »Oberon« in der Titelrolle zum ersten Male die Bühne. Der Erfolg des seltenen Kindes entschied für ein Künstlerleben. Mit fünfzehn Jahren war Amalie Mitglied des Karlsruher Hoftheaters, Anfangs nur in kleinen Opernpartien tätig. Ein Jahr darauf heiratete sie den Schauspieler Neumann und trat ihre erste glänzende Gastspielreise durch Deutschland an. Aus einem zweiten Gastspiel in Berlin im Jahr 1824 schrieb mir Amalie Wolff, Goethes geliebte Schülerin und die damals geistreichste Künstlerin der Berliner Hofbühne, über die bezaubernde Persönlichkeit von Amalie Neumann: »Ein Wesen, wie eine verkleidete Prinzessin anzusehen, trat zu mir ins Zimmer, strahlend wie die Frühlingsgöttin in blühender Schönheit. Hellblauer Musselin umwallte die etwas zu volle und gedrungene, aber doch zierliche Gestalt. Ein runder italienischer Strohhut mit weißem Band, wie ihn die englischen Touristinnen tragen, beschattete reiche hellblonde Locken. Vergissmeinnicht-Augen blickten mich schelmisch-freundlich an. Griechisches Profil, purpurroter lieblicher Mund, Grübchen in den Wangen, rosig angehaucht — sanfte, wohlklingende Stimme … so bezaubernd die ganze Erscheinung, dass ich vor staunender Bewunderung kaum zu antworten vermochte!«
Wenn eine Kollegin — eine Rivalin in solche Begeisterung ausbricht: ist es da zu verwundern, wenn in jener Zeit des Theaterenthusiasmus die ganze junge und alte Männerwelt bei Amalie Neumanns Gastrollen fast närrisch vor Entzücken wurde? In Leipzig begnügte man sich nicht mit Serenaden, Gedichten, Pferdeausspannen — nein, die Enthusiasten gründeten in allem Ernst zu Ehren Amalie Neumanns einen »Rosenorden«, und als Königin musste die Gefeierte präsidieren. In Wien hatten ihre extravagantesten Verehrer sich einen von den goldenen Schuhen zu verschaffen gewusst, die Mad. Neumann als »Aschenbrödel« getragen … und aus diesem Goldschuh auf das Wohl der Vergötterten die Reihe herum Champagner getrunken …
Neben dieser reizenden Künstlerin spielte ich mit großem Fleiß zweite und dritte Rollen. Auch ich bewunderte sie neidlos mit kindlicher Begeisterung. Sie war damals unstreitig die vielseitigste Schauspielerin Deutschlands und unnachahmlich in heiteren Konversationsstücken, naiven und sentimentalen Mädchenrollen. Sie spielte mit unerschöpflicher Wärme des Gefühls, reizender Anmut und nie müder Laune. Dazu sang sie allerliebst. Nur das hochtragische Fach war ihr verschlossen.
Während meines Debüts war Amalie Neumann auf Gastreisen. Sie nahm die jugendliche Kollegin bei ihrer Wiederkehr freundlich auf. Nur einmal wussten taktlose, schlechte Freunde die Harmonie des Verkehrs zu stören. Sie hatten gegen die Neumann das an mir gerühmt, was sie nicht besaß: die schlanke, geschmeidige Figur und Leichtigkeit des Tanzes … und die sonst so reich Ausgestattete hatte darauf gereizt und unfreundlich über die Anfängerin gesprochen. Natürlich wurde mir dies schleunigst hinterbracht und ich fühlte mich sehr geschmeichelt, dass die prächtige bewunderte Rose der bescheidenen Knospe nicht gönnen wollte, auch bemerkt zu werden!
Das Lob über mein Tanzen als Preziosa konnte sie nicht vergessen. »Liebe Kleine, welche Pas haben Ihnen zu dem Beifall verholfen?« fragte sie mich einst. — »Pas de zephir aus der Gavotte!« — »Oh, die tanze ich auch!« rief sie vergnügt. »Wir wollen sie im »Räuschchen« zusammen tanzen.«
Ich ging gern darauf ein. Amalie Neumann hatte die brillante Rolle der Wilhelmine, ich die langweilig sentimentale der Elise. Eigentlich soll Wilhelmine tanzen, um dem armen Brandchen den Kopf zu verdrehen, und Elise dazu Klavier spielen. Aber wir wussten es uns schon zurechtzulegen und übten fleißig das Pas de deux. Im dritten Akt sagte dann auch Wilhelmine zum Entzücken des Publikums: Brandchen, spiel' ein lustig Stück auf Deiner Violine — wir wollen tanzen!«
Brandchen-Labes geigte die Gavotte — und ich tanzte mit Herzenslust und — — bemerkte gar nicht, dass mein Vis-à-vis nicht gleichen Tritt hielt.
Am andern Morgen erhielt ich ein herrliches Blumenbouquet mit einem anonymen Billett: »Die Blumenspender gratulieren der leichten Infanterie zum Siege über die schwere Kavallerie.«
Als alte Frau darf ich wohl von einem solchen kleinen Triumphe sprechen. Zu meiner innigen Freude kann ich aber hinzufügen, dass Amalie Neumanns liebliches Bild und ihre liebenswürdige Kollegialität gegen die junge Anfängerin bei mir noch heute unvergesslich sind. Ich habe späterhin keine erste Liebhaberin neben mir gehabt, die ihren Kolleginnen gegenüber so wenig herrschsüchtig war, wie Amalie Neumann.
Zwei liebliche kleine Mädchen knospten damals neben der vollblühenden Mutter auf. Louise Neumann entfaltete sich zur leuchtendsten Wunderblume des deutschen Lustspiels, — bis Graf Schönfeld in Graz sie der Kunst entzog. Adolphine Neumanns kaum entfalte Blüte brach — der Tod.
Sechs Monate nach dem Debüt als Preziosa trat ich mit achttägigem Urlaub meine erste Gastreise an — nach Mannheim! Der Gedanke, mit den ausgezeichneten Künstlern aus der Schule Ifflands, Dalbergs und Schillers spielen zu dürfen, erfüllte mein fünfzehnjähriges Herz mit Stolz und Entzücken. Glückselig packte ich mein bescheidenes Reisekofferchen für Margarethe und Preziosa, und für die dritte Rolle die Husarenuniform zu Kotzebues Lustspiel: »Braut und Bräutigam in einer Person« ein.
Ferdinand Löwe stand damals im Vollglanz männlicher und künstlerischer Schönheit, — eine edle, hochpoetische Erscheinung. Ein wunderbarer Zauber umduftete alle seine Kunstgebilde. Er hatte gleich mein junges, enthusiastisches Herz gefangen. Während der Probe von Preziosa, als ich im zweiten Akt Alonsos Züge zu beschreiben hatte, hielt ich plötzlich inne: »Hat Alexander Wolff Sie persönlich gekannt? — »Ja, — aber warum?«
»Oh, da hat er also an Sie gedacht, als er diese Verse dichtete!«
Löwe lächelte anmutig über den Ausbruch meiner kindlichen Bewunderung … und jetzt wurden auch Preziosas Worte!
»Und dies Grübchen Schelmerei!«
aufs Schönste wahr.
So oft ich Heinrich Heines Verse aus den Atriden lese:
»Blühend blieb mir im Gedächtnis
Diese schlanke Heldenblume —
Nie vergess' ich dieses schöne
Träumerische Jünglingsantlitz.
Das war eben diese Sorte,
Die geliebt wird von den Feen!
Und ein märchenhaft Geheimnis'
Sprach aus diesen edlen Zügen …«
— muss ich dabei an Ferdinand Löwe denken. Schon nach zehn Jahren sollte diese »Heldenblume« zu Magdeburg ins Grab sinken. Sein Sohn ist der geniale Darsteller von Helden- und ersten Liebhaberrollen und der wissenschaftlich gebildete Regisseur des Stuttgarter Hoftheaters, Feodor Löwe, seine Tochter Sophie die einst hochberühmte Opernsängerin zu Wien, vor wenigen Jahren als Fürstin Friedrich von Liechtenstein zu Pest gestorben, während seine zweite Tochter Lilla als Schauspielerin glänzte, bis sie die Gattin des Freiherrn v. Küster wurde. Ein jüngerer Bruder Ferdinands — vor kaum einem Jahre als edelste Kunstgröße des Wiener Burgtheaters gestorben: Ludwig Löwe wurde nach dem frühen Tode des Vaters von Ferdinand erzogen und zu seiner idealen Größe mit Liebe herangebildet,
Türnagel, im Fach Ludwig Devrients, Brand als Tell und Wallenstein, die noch immer schöne und anmutige Frau von Busch standen Ferdinand Löwe würdig zur Seite.
Ifflands Geist lebte in Mannheim, wie auch in Karlsruhe besonders wohltuend fort: im maßvollen, klar durchdachten und naturtreuen Spiel! Auch dem Publikum war nichts unsympathischer, als affektiertes Übertreiben und zu kühnes Wagen, selbst bei genialen Gästen.
Der Mannheimer Intendant Graf Luxburg sorgte wahrhaft väterlich für seine Schauspieler und wurde von ihnen geliebt und verehrt. Leider fehlte ihm die einem Theater-Intendanten unentbehrliche hohe Geistesbildung. Er war aber so verständig, dies selber einzusehen und seine trefflichen Regisseure gewähren zu lassen.
Als ich 1835 zu Mannheim in Charlotte Birch- Pfeiffers »Günstlingen« Katharina II. als Gast gab, spielte Mlle. Kinkel die Liebhaberin Seraphine. Von Kindheit an bei der Mannheimer Bühne, wurde sie von dem noch immer rührigen Intendanten Grafen Luxburg echt patriarchalisch kurzweg »Du« angeredet. So hörte ich nach dem vierten Akt von ihm in seinem treuherzigen Pfälzer Dialekt: »Kinkele, Du hascht im Ganzen ziemlich schlecht gespielt, bischt aber schön in Ohnmacht g'fallen.«
Welch' einen Kontrast bildete dieser behäbige, wohlgenährte Intendant, der wie ein gutmütiger Landedelmann aussah, zu unserm fein ritterlichen Karlsruher Intendanten, dem Dichter von »Alhambra«, »Löwe von Kurdistan« und dem Trauerspiel »Viola«: — Freiherrn von Auffenberg!
Das kleine Mannheimer Gastspiel hatte den beglückendsten Erfolg für mich und erhöhte meine Zuversicht nicht wenig. Die edle Großherzogin Stephanie, die ohne Schönheit durch Geist, Güte und Liebenswürdigkeit zu bezaubern wusste und von den Mannheimern ebenso geliebt als hochverehrt wurde, ließ mich am Morgen nach der »Preziosa« zu sich rufen. Noch heute höre ich ihre lieben, guten Worte und sehe ihre milden, klugen Augen.
Große Reichtümer sollte ich von meiner ersten Gastspielreise nicht heimbringen. Aus Bescheidenheit hatte ich vorher kein Honorar ausgemacht. Für mein dreimaliges Auftreten vor stets vollem — bei Preziosa sogar überfülltem Hause erhielt ich von der Intendanz in Summa — — zehn Dukaten!
Wie mitleidig werden unsere heutigen Gastspieler, die sich für einen Abend 100, ja 500 Tlr. und noch mehr zahlen lassen, auf diese winzige Summe herniederlächeln!
Ja, wir »Komödianten« von ehemals waren bescheidener — — und ich bin noch heute stolz darauf, dass wir es waren. Wir reisten damals mit den primitivsten Lohnkutschen, auch Hauderer genannt, logierten in Gasthöfen zweiten Ranges, begnügten uns mit einem einzigen Zimmerchen — und waren dabei ein harmlos fröhliches Künstlervölkchen.
Für die Einnahme von Gastrollen kaufte ich mir eine eigene Sparbüchse — und war glückselig, da ich als Überschuss von der ersten Mannheimer Gastreise Einen Gulden hinein tun konnte. Der führte lange ein melancholisches Einsiedlerdasein. Erst nach meinem zweiten Gastspiel (Hamburg 1826) erhielt er einige Gesellschaft … und nach der Petersburger Gastreise (1828) ward die Büchse zu eng.
Der Wunsch, einer größeren Bühne anzugehören, bei der ich mehr beschäftigt werden konnte, wurde immer sehnlicher in mir. Die erst 23-jährige Amalie Neumann dürfte sich noch Jahre lang im Fach erster jugendlicher Rollen behaupten — und da wöchentlich nur dreimal gespielt wurde, konnte sie mir beim besten Willen ohne Opfer keine bedeutenden Rollen überlassen.
Das gesellige Leben Karlsruhes bot wenig Ersatz für mein dürftiges Rollenfach. Der Adel sonderte sich streng ab und nur auf den Museumsbällen tanzte er wenigstens im gleichen Saale mit dem höheren Bürgerstande. Aber auch auf diesen Bällen gab es eine adelige und bürgerliche Française. Ich sehe noch die pikierten Blicke einiger hochadeligen Fräuleins, als ein junger Gleichgeborener — wahrscheinlich ein verkappter Republikaner — es wagte, mich bei meinem ersten Erscheinen als Hofschauspielerin auf dem Museumsballe in die adelige Française am oberen Ende des Saales einzuschmuggeln. Mich amüsierten diese frostigen Blicke nicht wenig — ich rächte mich durch das Aufbieten meiner ganzen Tanzkunst und die unbefangenste, heiterste Konversation mit meinem kühnen Tänzer … und bald war in die so schön geschlossene hochadelige Phalanx für immer eine Bresche getanzt — durch eine Schauspielerin.
Erst in Berlin begriff ich, dass Geist und Gemüt, erfrischende Geselligkeit, herzliches Entgegenkommen, liebenswürdige Gastfreundschaft in Karlsruhe ums Jahr 1823 gar nicht existierten.
Und mein Sehnen, aus diesen kleinlichen Verhältnissen fortzukommen, sollte früher erfüllt werden, als ich selbst zu hoffen gewagt.
In der Probe zu Kotzebues »Wirrwarr« sah ich neben dem Regisseur Mittel einen ältlichen Herrn mit wohlwollendem Gesicht und feinen Manieren. Ich hörte, es sei Heinrich Bethmann, der liebenswürdige Schauspieler und Gatte der so früh verstorbenen berühmten Friederike Unzelmann-Bethmann. Zum Direktor des in Berlin von reichen Aktionären neu gegründeten »Königstädter Theaters« gewählt, machte er jetzt eine große Rundreise, um von den deutschen Bühnen für das neue Unternehmen die besten Kräfte zu gewinnen. Auf dieser Tour hatte er sich bereits den Namen »Bühnen-Pirat« erworben, den er mit großem Stolz trug.
»Oh, wenn er doch auch mich wegkapern wollte!« dachte ich sehnsüchtig — und war während der ganzen Probe zerstreut … Und als ich nach Hause kam, saß der Pirat traulich neben der Mutter auf dem Sofa und — bot mir mit dem Zauber seiner berüchtigten Beredsamkeit ein sehr verlockendes Engagement an als — Erste Liebhaberin. »Den 4. August wird unsere Bühne eröffnet, aber schon Ende Mai beginnt das Einstudieren. Sie können bei uns nach Herzenslust mit den bewährtesten Künstlern spielen — und sich an den Vorbildern erhabenster Kunst auf der königlichen Bühne weiterbilden. Die guten Berliner werden Ihnen und der Frau Mutter schon gefallen …« Wie berauschend klang dies Alles aus Bethmanns Munde! Freudestrahlend unterzeichnete ich ein Engagement auf ein Jahr … und bald schied ich mit tausend Tränen von dem schönen Vaterlande, von den mir so herzlich wohlwollenden Kollegen und all' den andern guten, herzigen Menschen in dem stillen Karlsruhe. Hinaus ging's zum ersten Mal — und jetzt nicht im Hauderer, nein, mit der Mutter im eigenen Wägelchen mit Extrapostpferden und lustig blasendem Postillon — hinaus in die weite, bunte, schimmernde Welt — in den lachenden Frühling hinein … Was wird diese fremde Welt dem jungen, quellenden, sehnenden Herzen bringen? — Rosen oder Dornen?
Wenn ich jetzt bei der sich sanft neigenden Sonne auf die seitdem herabgeglittenen vielen Jahre zurückblicke, so kann ich mit dankerfülltem Herzen — gegen Gott und die Menschen! — niederschreiben: jene weite, unbekannte Welt hat mir so viel köstliche Rosen gebracht, dass sie die Dornen fast verdeckten!