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I. Die erste Gage.

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Ich hatte das Glück, eine engelsmilde, vortreffliche Mutter zu besitzen. Sie liebte mich und meine drei Geschwister zärtlichst und hätte ihr Leben freudig für uns geopfert, — aber sie konnte auch streng und energisch verfahren.

Mit 23 Jahren Witwe geworden — mein Vater blieb in der Schlacht bei Aspern, als ich noch nicht zwei Jahre zählte — schön, anmutig, geistreich, wies sie jeden Heiratsantrag zurück, um sich ganz ihren Kindern widmen zu können und das Andenken des Seligen treu zu bewahren. Es war keine leichte Aufgabe für eine so junge Witwe: ohne bedeutendes Vermögen vier Kinder zu erziehen, fern vom heimatlichen freundlichen Coburg und den Verwandten, — ohne jede andere Stütze, als die allgemeine Achtung der Menschen und ihr unerschütterliches Vertrauen zu Gott! — So steuerte sie mutig vorwärts und überwand das Schwerste.

Meine ältere Schwester war ein wunderbar begabtes Wesen, hold und lieblich; sie starb am Nervenfieber, erst zwölf Jahre alt. Die Brüder waren gutmütig, geistig aufgeweckt, aber wild und unbändig, wie die meisten Knaben in unserem Wohnorte Bruchsal im Großherzogtum Baden. Die fast ununterbrochenen Truppendurchmärsche 1813—1814, die Einquartierungen störten die Hausordnung der Familien und die gequälten Eltern vermochten ihre Kinder nicht vom Umgang mit den Soldaten zurückzuhalten. Da hatte auch unsere Mutter ihre liebe Not. Sie strafte zwar sehr streng, sperrte nicht selten die Brüder bei schmaler Kost ein, — doch das half nur auf kurze Zeit.

Auch ich drohte zu verwildern, denn ich liebte die Brüder über Alles und begleitete sie nur zu gern, wenn Kosaken oder Mameluken zu sehen waren. Ich jauchzte dann lustig mit: Hurra! oder: Vive l'Empereur!! —

Bis zu meinem sechsten Jahre kleidete die Mutter mich als Knabe, weil ich zu unschön als Mädchen aussähe. Die starken Züge, die große Nase passten eher zum gelockten Tituskopf, und ein leichter Gang und Mobilität in allen Bewegungen ließen mich im Knabenkostüm hübscher erscheinen. Ich war auch nicht wenig stolz auf meinen Sonntagsanzug von dunkelblauem Tuch mit Spitzenkragen und hellgelben Saffianstiefelchen. Ich hatte zwei Titel: »Großnase« und »kleine Komödiantin«. Der erste demütigte mich gar nicht, der zweite erfüllte mich mit Stolz. Ich bildete mir nicht wenig darauf ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchsal einige Vorstellungen gegeben, nachahmen zu können, so auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angesehen. Wenn Trübsinn im Hause herrschte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Komödiantin, spiele uns etwas vor!« — und die kleine Komödiantin gab sich alle Mühe, die Traurigen zu erheitern. Wenn bei Kaffeevisiten die Unterhaltung stockte, hieß es: »Linchen, tanze!« und freudestrahlend tat ich mein Bestes. Einen Stock als Balancierstange nach Art der Seiltänzer haltend, stellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pseudo-Seil mit den zierlichsten Pas. Eine alte Dame, die einst diese Seiltänzersprünge sah, hielt mich für — behext — und schlug das Kreuz vor mir. Erst meine der Kammerjungfer abgelauschten Lieder: »In einem Thal bei armen Hirten«, und »Willst Dich, Hektor, ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend gesungen haben soll, vermochten sie etwas zu beruhigen. — Einst mussten viele Knaben Bruchsals ins Gefängnis wandern, so auch meine Brüder als Hauptschuldige — als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen — und verbrannten sich dabei nebst einigen Scheunen. Die Brüder saßen im Nord- und Südturm. Da war es wenigstens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südturm. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufsprechen und Obst und Brot für sie abliefern. Da stand ich denn zuerst am Nordturm: »Louis! wie geht's Dir da oben?« — Ein blasses, feines Gesicht sah zum kleinen Fenster heraus: »Ganz gut, Linchen!« — »Hast Du Hunger?« — »Nein! gib es dem Karl, der hat immer Hunger; lebe wohl! grüß' die Mutter.« — Dann eilte ich nach dem Südturm: »Karl, wie geht's Dir in Deinem Krähennest?« — Das runde, sonst so übermütig lustige Gesicht meines ältesten Bruders sah wehmütig nieder. »Nicht gut, Lina.« — »Willst Du Obst und Brot?« — »Gewiss! ich habe Hunger,« und der Wärter trug ihm meine Schätze hinauf …

Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine Pension, um sich zum Kaufmann auszubilden, Karl in die Junkerschule, um Offizier zu werden. Die Mutter trennte sich ungern von Bruchsal, sie hatte mit unserm Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot stand, dort glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen ging sie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward beseitigt; und ich erschien schon weniger hässlich als Mädchen; die Nase hielt glücklicherweise im Wachstum inne und mich schmückte blühendste Gesundheit.

In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf — und vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes »Komödiantin«, nachdem ich im großherzoglichen Theater einige Vorstellungen gesehen hatte. Nichts vermochte mich so zu beseligen, als wenn ich das Theater besuchen durfte; mit nichts wurde mein Fleiß mehr angespornt, als durch das Versprechen: »Du darfst dann auch morgen ins Theater gehen!« Als die Händel-Schütz »lebende Bilder« stellte, stand ich mit den der Mutter abgebettelten 24 Kreuzern schon zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung an der Eingangstür des Museumssaales. Aber nachdem ich diese in der Tat lebensvollsten Bilder gesehen, wurde es der Mutter mit mir fast zu bunt. Was einem Vorhang, Shawl, einer Draperie glich, wurde zusammengeschleppt und benutzt, um die Händel-Schütz nachzuahmen, bis endlich das mütterliche Machtgebot dem Treiben ein Ende machte. Ja, die »kleine Komödiantin« durfte nur selten noch das Theater besuchen. Meine Mutter eiferte mich stets zum größten Fleiße an: »Benutze die kostbare Zeit!« Sie erlaubte auch nie, dass ich mich bedienen ließ. Ich musste mich ohne Hilfe frisieren, mich selbst ankleiden, das Zimmer aufräumen, meine Kleider und Wäsche in Ordnung halten … und auf rebellische Fragen: »Aber, Mama, wozu ist denn die Kammerjungfer da?« gab's die ernste Antwort: »Kind, Du wirst es mir später noch danken! — Je mehr Du lernst, Dir selber zu helfen, desto unabhängiger wirst Du sein und jede schwierige Lage leichter ertragen!«

Ich lernte eifrig und wurde bald die Erste in der Klasse. Auf dem Klavier übte ich mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit. Die Mutter hielt mir den besten und teuersten Klavierlehrer, Marx. Noch nicht 13 Jahre alt, spielte ich das D-moll-Konzert von Mozart mit Orchesterbegleitung in einem Dilettantenkonzert im Museumssaal. Gern hätte ich mich ganz der Musik gewidmet. —

Einige Wochen später, als ich das Mozartsche Concert gespielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem Siegel an. »Poststempel Eisenach?« sagte die Mutter, »dort kenne ich Niemand, als meine Stiefschwester.« — Als sie den Inhalt überflogen, sank sie totenblass aufs Sofa … Die Stiefschwester hatte eine gerichtliche Klage wegen der Erbschaft vom seligen Großvater angestrengt. Sie beanspruchte die Hälfte von Allem, was meine Großmutter zurzeit erhalten.

Verlor die Mutter den Prozess und musste herauszahlen, so blieb ihr nur die mäßige Pension als Rittmeisterswitwe. Unsere Erziehung und die Kriegsjahre hatten große Opfer gefordert. — Der berühmteste Advokat wusste auch keinen besseren Trost: »Im schlimmsten Falle müssen Sie das Geld erst nach einem Jahr herauszahlen.«

Sogleich war mein Entschluss gefasst. Als wir allein waren und die Mutter blass und angegriffen ihr Herz durch Tränen erleichterte, fiel ich ihr um den Hals — und fröhlich, zuversichtlich rief ich aus: »Sei ruhig! — in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen ab! Mutter, lass die kleine Komödiantin Schauspielerin werden — ich fühle: es soll so sein — gewiss, ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrat Kazner mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu sprechen, mich von sechzig vornehmeren, reicheren und begabteren Mädchen! — Weshalb? — — Weil er voraussetzte, dass ich es am besten vortragen würde … Und hat man nicht in der großen Kirche jedes Wort verstanden? Weinten nicht Viele und sagten nachher, ich hätte sie durch meine gefühlvolle Rede zu Tränen gerührt? Oh, ich will mich übermenschlich anstrengen, um vor dem vierzehnten Jahre auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich die erste Gage ein.« Die Mutter umarmte mich, sagte aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte und Freunde wurden zu Rat gezogen, es wurde dafür und dagegen gesprochen. Die Mutter schrieb nach Kassel an den Bruder des seligen Vaters, den General Bauer, allein dieser riet zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt der Familie in Coburg sollte entscheiden, der Neffe der Mutter, der nachher so berühmt gewordene Baron Stockmar. Wir reisten nach Coburg, die Verwandten lernten mich kennen, und — — der kluge, prächtige Vetter sagte in seiner humoristischen, herzigen Weise zur Mutter: »Tante Christiane! — Bis jetzt ist unsere Familie mit Talenten nicht gesegnet gewesen, es soll mich freuen, eine Künstlerin Cousine nennen zu können; aber das bitte ich mir aus, Lina, dass Du eine wahre, edle, tüchtige Künstlerin wirst.«

Ich hatte also gesiegt! — und mit Riesenschritten ging es dem ersten Versuch entgegen.

Mein Lehrer der Ästhetik war der berühmte Aloys Schreiber (Herausgeber der rheinischen Taschenbücher), ein herzlicher Freund des lieben alemannischen Hebel. Oft wurde mir das Glück, diese herrlichen Männer sprechen zu hören. Hebel kam gern ins gastliche Haus des Professors und fühlte sich behaglich in dem trauten Familienkreis, in dem ich bald heimisch war. Wie lauschten wir Jungen auf jedes Wort! Mit innigster Verehrung blickte ich auf die Sprechenden mit dem niederwallenden Haar, den edlen Zügen und den ausdrucksvollen, klugen, mild verklärten Augen. Gütiges Lächeln umspielte die Lippen und ermutigte zu bescheidenen Fragen. Welch' goldene Lehren prägten sich da uns ein ins junge Herz und Gedächtnis! Und wie harmlos heiter konnten diese liebenswürdigen Greise dann wieder sich und uns necken!

Nie werde ich vergessen, wie anmutig scherzend Schreiber einst fragte: »Weshalb benahmen Sie denn Ludwig Tieck jede Hoffnung, Neues schaffen zu wollen, lieber Freund?« — »Weil ich nicht gegen meine Überzeugung sprechen durfte!« entgegnete Hebel. — »Dürfen wir nichts davon erfahren?« riefen wir im Chor. — Hebel nickte lächelnd und Schreiber fuhr fort: »Tieck hielt sich auf seiner Reise nach Baden einige Tage hier auf und wir sahen ihn öfters. Als ich ihm mit Freund Hebel Lebewohl sagte, kam das Gespräch auf die alemannischen Gedichte. Tieck erschöpfte sich in Lobeserhebungen und sagte: »Weshalb, Verehrtester, schreiben Sie nicht mehr solcher allerliebsten Sachen?« Treuherzig und mit größter Ruhe antwortete unser Kirchenrat: »Weil mer nix, mehr einfalle tut!«

»Tieck schien seinen Ohren nicht zu trauen, und wiederholte in seiner gewinnenden, bezaubernden Sprachweise im feinsten Hochdeutsch: »O! Sie wollen die Welt mit herrlicheren Dingen überraschen!« Aber unser Hebel wiederholte unerschütterlich in seiner gemütlichen Mundart: »Gewiss, lieber Herr, es will mer nix mehr einfalle!« — Da lachte Hebel recht herzlich und wir Jungen getrauten uns einzustimmen. Der Professor aber sagte gerührt: »Kinder, wem die alemannischen Gedichte eingefallen, der kann auf seinen Lorbeeren ruhen« — und dem Dichter die Hand reichend, fügte er hinzu: »Und hätten Sie auch nur »Vergänglichkeit« geschrieben, teurer Freund!«

Mlle. Demmer, eine Schülerin Ifflands, welche sich in Mannheim zur vortrefflichsten Künstlerin herangebildet hatte, gab mir Stunden in der Deklamation. Sie musste der Bühne im Zenit ihres Ruhmes Lebewohl sagen und wurde pensioniert, — weil sie einige Mal während des Spielens plötzlich von einem Starrkrampf überfallen wurde … Die Worte verhallten, und unbeweglich, leeren Blickes starrte sie die entsetzten Zuschauer an! Ihr Bruder (auch in Mannheim gebildet und ein geschätzter Künstler) stürzte leichenblass aus der Kulisse und trug die Schwester fort. Einmal war ich Zeugin von dieser erschütternden Szene; sie erinnerte an den Aktschluss in der Jungfrau von Orleans, als alle Welt sich von Johanna wendet, sie allein dasteht (im 4. Akt) — und der treue Raimond ihre Hand fassend sagt: »Ich will Euch führen.« Ich konnte den Eindruck gar nicht los werden. Die Familie Demmer, Mutter, Bruder, Schwester, waren sehr liebe, achtungswerte Menschen; sie lebten aber seit der Pensionierung ganz zurückgezogen.

Die Schwester litt an nicht zu besiegendem Trübsinn, seit sie der Bühne entsagen musste. Monate lang wanderte ich jeden Vormittag zu ihrer abgelegenen Wohnung, und meine Anwesenheit belebte dann die sonst so stillen Räume. Sie hallten wieder vom »Kampf mit dem Drachen« — »Ein frommer Knecht war Fridolin« — und als das Einstudieren der Margarethe in den Hagestolzen von Iffland begann, da glaubte ich das glücklichste Geschöpf der Welt zu sein! Wie ein Feenland lag die Zukunft vor mir! Nichts schien mir zu schwer. Ich gelobte mir, Alles zu erreichen durch beharrlichen Fleiß und begeistertes Streben. Da ich auch groß für mein Alter war, glaubte meine Lehrerin, ich könne den ersten Versuch bald wagen. Drei Monate, bevor ich 14 Jahr wurde, stand auf dem Theaterzettel: »Die Hagestolzen, Schauspiel von Iffland … Margarethe — Mlle. Karoline Bauer, als erster Versuch!« Aus besonderer Rücksicht für mich fanden zwei Proben von dem oft gegebenen Stück statt, damit ich mit der Bühne, dem Proszenium, dem Kommen und Abgehen bekannt werde. Der große altväterische Theaterwagen, den ich so oft sehnsüchtig betrachtet hatte, brachte mich mit Mlle. Demmer ans Schauspielhaus. Diese wollte im Zuschauerraum der Probe beiwohnen, um zu hören, ob ich laut genug spräche, und mir überhaupt noch manche Winke geben.

Ein unbeschreibliches Gefühl erfasste mich, als ich an der Hand meiner Lehrerin auf meine die Welt bedeutenden Bretter trat. Sie stellte mich den Mitgliedern vor, bat um Nachsicht für die Anfängerin, und Alle bewillkommten mich freundlich. Es wurde mit einer gewissen Feierlichkeit begonnen, — wenigstens kam es mir so vor. Später sollte ich die Überzeugung gewinnen, dass da, wo Achtung und Pietät für die Kunst herrscht, die Proben stets mit Ernst und größter Aufmerksamkeit abgehalten werden. Die schwache Beleuchtung, der große dunkle Raum, die feierliche Stille, die Angst, dass ich nun bald sprechen müsse, raubte mir fast den Atem und das Herz klopfte hörbar. Zum Glück konnte ich nach und nach etwas Fassung erringen. Ich hatte erst im vierten Akt zu erscheinen. Mit welchem Interesse beobachtete ich jetzt in der Nähe das Spiel der von mir so oft schon bewunderten Künstler — wie benahmen sich Alle so würdig, einfach, edel! Ich hätte laut rufen mögen: »Habt mich doch ein bisschen lieb, ich gehöre ja nun auch zu Euch — und ich will mit Ernst und Fleiß an meine Aufgabe gehen!« Das Zeichen zum vierten Akt ertönte, ich musste sprechen … und die peinigende Angst war nach den ersten Worten wie durch Zauber entschwunden! Immer vertrauter wurde mir die Umgebung, ich sang auch das Lied ohne Bangen, und am Schluss der Probe lobten, ermunterten mich Alle. Mlle. Demmer schien zufrieden, ja — gerührt zu sein und hatte wenig zu tadeln. In erhöhter, glückseliger Stimmung kam ich nach Hause und erzählte der besorgten Mutter, wie Alles über Erwarten gegangen sei. Die Hauptprobe andern vormittags ging prächtig, ich wurde viel zutraulicher begrüßt. Die Schauspieler mochten sich wohl ihres ersten Versuches erinnern.

Mittags vermochte ich vor Aufregung keinen Bissen zu essen. Selbst Bruder Karls Fröhlichkeit und himmelstürmender Übermut hatte sich in Ernst verwandelt, und die Mutter versuchte umsonst ihr Bangen zu verbergen. Um vier Uhr schon kleidete ich mich als Bäuerin — ich seh' mich heute noch im grünen, wollenen Rock, roten Tuchleibchen, weißen Ärmeln, großer, faltiger Schürze, am schwarzen Samtbande das silberne Kreuzchen, von dem Margarethe zu sprechen hat, die Haare zurückgestrichen und in Zöpfe geflochten niederhängend. — Ich kam mir schließlich aber doch furchtbar dünn vor und fand mich nur — ziemlich hübsch in dem Kostüm. Um 5 Uhr holte Mlle. Demmer die Mutter ab; sie sah aufgeregt aus und ihre Wangen glühten. Sie zeigte mir noch, wie ich mich verbeugen müsste … im Fall ich hervorgerufen würde, und fragte, was ich dann sprechen wollte? — »Oh, in die Verlegenheit werde ich wohl nicht kommen!« — »Aber, Kind, im Fall es doch geschehen sollte, wie wollen Sie danken?« — »Nun, ich werde sprechen — — was mir gerade einfällt!« entgegnete ich resolut. Die Demmer schüttelte bedenklich den Kopf. Der Wagen rollte heran, der Theaterdiener klopfte und bat um die mitzunehmenden Sachen. Ich umarmte Mutter, Bruder, Mlle. Demmer und bat Alle, ja ruhig zu sein. — — Schnell flog ich die Treppen hinab, in den Wagen — der Schlag klappte zu — und einer Ohnmacht nahe schloss ich die Augen und bat Gott um seinen Beistand … Im Konversationszimmer verhielt ich mich sehr still und ging die Rolle noch in Gedanken durch. Herr Demmer, der den Konsulent Wachtel spielte, schminkte mich. — Ich hörte die Ouvertüre, vernahm das Klingeln am Aktschluss, wagte aber vor lauter Bangigkeit nicht zuzusehen. Da klingelte es zum dritten Male — Herr Demmer führte mich zu dem Hügel, von welchem herab ich zu kommen hatte. Ich stand, des Stichworts harrend, mit Rechen, Hut, Wasserkrug — nein! der war vergessen. — »Mein Wasserkrug!« rief ich — und der Requisiteur vermochte ihn mir noch zu geben. »Jetzt!« flüsterte Herr Demmer — ich trat vor und wurde mit Beifall empfangen! — Darauf war ich nicht vorbereitet, ich wusste nicht, sollte ich mich verbeugen oder sprechen, es flimmerte mir vor den Augen, die helle Beleuchtung blendete mich förmlich, aber mein Stoßgebet: »Lieber Gott, steh' mir bei« — half — und hell und fröhlich begann ich: »Ist der Schwager noch nicht da?« … — — Wie ich die Margarethe darstellte — weiß ich nicht; ob ich den Beifall verdiente — eben so wenig, ich erinnere mich nur, dass es mir war, als sei ich wirklich die Margarethe! — dass ich mit Entzücken spielte, den Hofrat trotz seiner 45 Jahre liebte, weinte, lachte, wie es die Rolle mit sich bringt, und als Herr Meierhofer (der den Hofrat hinreißend darstellte) die letzten Worte sprach, indem er mir die Feldblumen überreichte: »Blühe wie sie, nütze wie sie, und bleibe dem Schmucke getreu, mit dem deine Felder Dich schmückten« — sank ich an seine Brust und erwachte wie aus einem Traum, als nach dem Fallen des Vorhangs »Margarethe« stürmisch gerufen wurde.

Die Mutter schilderte den ersten Versuch in dem Brief an eine teure Verwandte:

»Lina wagte gestern ihren ersten Versuch, worüber die ganze Stadt sich freute. Ich selbst bin noch wie betäubt davon. Jedermann wusste, welche Liebe und Lust sie zu diesem Berufe führte, und so war denn das Haus schon um 5 Uhr so besetzt, dass kaum noch ein Plätzchen zu finden war. Sie wurde vom Offizierskorps, das wohl damit das Andenken ihres tapferen Vaters ehren wollte, freundlich empfangen. Dies machte sie etwas beklommen, doch fasste sie sich bald und spielte über Erwarten. Mit Enthusiasmus wurde sie gerufen. Ich musste weinen; ich allein wusste ja, dass Lina außer durch Talent und Lust noch durch edlere Zwecke zur Bühne geführt wurde. Sie ist nach diesem Erfolg ebenso bescheiden, so innig wie ein Kind. »Hast Du mich lieb, Mutter?« war das Erste, was sie mir nach der Vorstellung sagte …«

Meine zweite Rolle war Ifflands »Elise von Valberg«, die dritte »Rosalie« im Inkognito von Ziegler. Es wurde mir Engagement angetragen, und stolz unterschrieb ich den Kontrakt »Großherzoglich badische Hofschauspielerin.«

Als ich an meinem 14. Geburtstage ganz still mit der Mutter, den Brüdern und unserm gerichtlichen Beistand um den Kaffeetisch saß, trat der Theaterdiener ins Zimmer — — mit meiner ersten Monatsgage! Wir sahen uns lächelnd an; wir hatten in demselben Augenblicke von meinem vor einem Jahre gegebenen Versprechen geplaudert. Ich nahm die 50 Gulden in Empfang, — zitternd vor Bewegung. Jubelnd, schluchzend warf ich mich der Mutter an den Hals: »Nicht wahr, Mütterchen — jetzt hat die kleine Komödiantin ihr Wort gehalten!«

… Später hatte ich größere Gagen einzunehmen, Kunstreisen, Benefize, Glücksfälle brachten Gewinn, der Prozess endete auch bald nach meinem Engagement in Karlsruhe zu unsern Gunsten — — aber keine noch so große Summe beglückte mich wieder so unaussprechlich, wie diese 50 Gulden — meiner ersten Gage.

Aus meinem Bühnenleben

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