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IV. Heiße Bretter.
ОглавлениеDie Freude über den Erfolg meines ersten Auftretens in Berlin sollte von kurzer Dauer sein. Während dreier Wochen wurden nur Stücke gegeben, in denen ich Nebenrollen zu spielen hatte. Wenn ich den Regisseuren vorstellte, wie wenig sie die Bedingungen meines Kontraktes erfüllten, — hieß es: »Nur Geduld; gehen Sie als Jüngste mit gutem Beispiel voran, bereitwillig zum Wohl des Ganzen mitzuwirken. Der Wunderschrank und Ihre Glanzrolle darin werden Wunder wirken!« — Kunowsky schien verlegen jede Erörterung vermeiden zu wollen, — es war eine recht unerquickliche Epoche, und ich wollte schon kündigen. Da stand eines Morgens in der Spenerschen Zeitung: »Die erste Stelle unter dem weiblichen Personal des Königstädter Theaters gebührt unbedingt Fräulein Bauer. — Wir sahen sie leider nur wenig …« und eine sehr schmeichelhafte Kritik über meine Leistungen folgte.
Mit der Rezension bewaffnet kam ich zur Probe, und bat die Herren Regisseure, das Urteil zu lesen! — sie stellten sich an, als hätten sie es vorausgesehen.
Der Wunderschrank gab meiner Stellung eine andere Wendung! — Beifall, volle Häuser, neue Rollen entschädigten mich für die erste trübe Zeit. Das Melodrama »Die Waise aus Genf« erregte Furore, man überschätzte meine Leistung als Therese. Dann gefiel sehr »Die diebische Elster«, »Der Schwabe in Berlin«, — die Aktionäre überboten sich in Lobeserhebungen und Kunowsky vergoss reichliche Freuden- und Rührungstränen. Voll Eifer und mit Herzenslust spielte ich wohl vier- bis fünfmal wöchentlich. Der neue Wirkungskreis wurde mir lieb und nur kleine Wolken verdüsterten vorübergehend meinen Bühnenhimmel.
Eine solche Wolke war Saphirs erstes öffentliches Auftreten in Berlin als — Kritiker.
Der bekannte geistreiche und witzige — aber ebenso gesinnungs- als charakterlose Schriftsteller erzählt späterhin, bei Gelegenheit meines Gastspiels in Wien im Mai 1839, in seinem »Humoristen« diese kleine, aber sehr lehrreiche Geschichte. Man ersieht daraus, in welcher leichtfertigen Weise oft Kritiken geschrieben wurden und werden … ohne dass die Herren Kritiker daran zu denken scheinen, wie tief ihre scharfen, giftigen Federn ein armes Menschenherz verwunden …
Saphir schreibt in seinem Humoristen vom 22. Mai 1839: Als ich zum ersten Male nach Berlin kam, war das »Theater« mehr als je das einzige Magen- und Kräutersäckchen der ganzen Berliner Konversationswelt. Weder Cholera oder Politik, weder Frauen- noch Tabakrauchen-Emanzipation, weder junges Deutschland noch alter Mystizismus hatte die geselligen Elemente angefressen und zersetzt; es war Alles ein einziges Atemholen in dem unbegrenzten Element: Theater! Nie, nirgend und auf keine Weise war je die Theaterwut so ausschließlich das Lebensprinzip, die Daseinsbedingung, der Brustkern der Existenz und der Pulsschlag aller Geselligkeit, als dazumal in Berlin! Hegel, Neander und Ancelot verklangen in dem Namen Sonntag; Literatur, Kunst und Wissenschaft zerstoben in den Namen Stich, Devrient, und Gewerbe-, Industrie- und Erfindungsgeist flüchteten vor dem Namen: Olle. Karoline Bauer. Diese Letztere betrat dazumal gerade die theatralische Laufbahn auf dem Königstädter Theater und bildete neben der gefeierten Sonntag den zweiten Stern der Dilettanti, der feurigen und der sogenannten, dazumal weitverzweigten und in Norddeutschland lange geneckten Theater-Alte-Garde. Von den Zelten Charlottenburgs bis zu Stralows Krebsfluren, von den Rüben Teltows bis zum Königsberger Klops zog sich nur ein Schall durch die ganze Menschheit: Theater! Theater! Theater!
Um diese Zeit des allgemeinen Theaterkultus kam ich nach Berlin, und hatte gleich die große Wahrheit inne: Rede vom Theater, schreibe vom Theater, gleichviel ob dumm oder klug, wenn du gehört sein willst. Ich war dazumal noch fremd und fast ungekannt in Berlin, ein Neuling in dieser großen Theaterepidemie, kein Blatt stand mir zum Rezensieren offen, und doch war es nur eine »Theaterkritik«, die mir den Weg zur öffentlichen Beachtung bahnen konnte.
Ich besuchte also das königliche und das Königstädter Theater und schrieb eine Kritik über Madame Stich (jetzt Crelinger) und Dlle. Bauer. Diese Kritik trug ich in das Bureau der »Spenerschen Zeitung« und fragte, ob sie aufgenommen werden könnte. Der Mann, der da saß, nahm mir die Kritik ab und zählte die Zeilen. Ich stand ganz verwundert da, denn ich glaubte, er zählte an den Zeilen den Wert des Inhalts ab. Allein bald wurde ich eines anderen, wenn auch keines Besseren belehrt. Der Mann wendete sich phlegmatisch zu mir: »Acht Taler und fünfzehn Silbergroschen!«
Ich glaubte nun, ich bekäme diese Summe als Honorar; allein ich sollte sie als Insertionsgebühren bezahlen! Furchtbarer Moment! Nie werde ich dich vergessen! Acht Taler überstiegen die Hälfte meines damaligen Vermögens mitsamt »meinen Gütern in der Provence!« Und dennoch hing an dieser Kritik das Wohl Deutschlands, wie ich wähnte.
Ich lächelte und bezahlte! — Was ich dabei empfunden, mehr beim Bezahlen, als beim Lächeln, das, lieber Leser, bist Du nicht fähig, mitzuempfinden, wenn Du nicht in der Lage warst, ausschließlicher Besitzer von dreizehn Talern zu sein und acht davon für einen Kritikdruck auszugeben.
Die Kritik erschien in der »Spenerschen Zeitung«, in der sogenannten Löschpapiernen, mit der blassesten Tinte auf dem schwärzesten Papier, und gleich hinter ihr stand, wie das bei allen Kunst- und Literaturkritiken jener Zeiten der Fall war, die Ankündigung, dass bei Wisotzky guter Entenbraten und dabei Erpelgreifen stattfinden werde. Ich las diese Kritik mit großem Vergnügen, nicht ohne dennoch im Geiste zu berechnen, wie viel ich von der untenstehenden Ankündigung hätte genießen können, wenn ich die obenstehende Kritik nicht verfasst hätte!
Als die Kritik erschien, war es in Berlin, als ob ein Erdbeben gewesen wäre; Alles war in Bewegung. Der Leser wird und kann es nicht glauben, und nur wer die damalige, an Phrenesie grenzende Theatersucht der Berliner kannte, wird es nicht übertrieben finden. Ich ging zu Stehely, um zu hören, was darüber gesprochen würde, fand Alles in Gärung, und ein Referendar sagte zu seinem Nachbar:
»Det muss ein janzer Racker sind!« worauf jener lächelte und sprach:
»Nicht nur sind, sondern auch sein!«
Wer die Blume des Berliner Referendaren-Witzes kennt, der weiß, dass obige Phrasen so viel heißen, als: das muss ein verdammter, gesalzener, gewaschener, geriebener, dickhinterdenohrenhabender, hutantreibender, nierenguckender, hautundseelbeizender Gottseibeiuns sein!
Ich hatte nämlich in dieser Kritik mein auf zwei Seiten aufzumachendes Talent entwickelt: die zerrinnende, himmelbläuliche, duftschwüle und blumengestickte Kunst des Lobens, und auch die wortspielvolle, witzüberladene, antithesengespickte, abspringende, bunte und scheckige Kunst des Tadelns. Ich stellte den kritischen Jean qui rit und Jean qui pleure auf einmal aus, die Jakobsstimme mit den Esauhänden!
Das Weitere gehört nicht hierher; es ist also Olle. Bauer, die mich so zu sagen zuerst in die nordisch-kritische Schule einführte.«
Ich habe wohl kaum, nötig, hinzuzufügen: dass Saphir die »zweite Seite« seines »aufzumachenden Talentes« an mir »entwickelt« hatte.
In Wien machte er für mich auch »die erste Seite« auf.
Da hieß es plötzlich: Karoline Müller *)ist angekommen … der Liebling der Grazer, die hochberühmte Künstlerin will am Königstädter Theater als Franziska in »Minna von Barnhelm« debütieren …
Mir recht, — dachte ich, — chacun à son tour!
*) Später beim Burgtheater in Wien viele Jahre hindurch sehr gern gesehen im Fach der Koketten und scharf gezeichneten Lustspiel-Rollen.
Sie ist älter, geschickter, spielt schon viele Jahre … Ich bin nur froh, dass mir die langweilige Minna nicht zugeteilt wurde. — Als ich mit diesen philosophischen Ansichten mich so recht beruhigt hatte, ließen sich melden: — Kunowsky, Biedenfeld, Angeli und Bankier Fränkel. — Ganz erstaunt frug ich: wie ich zur Ehre des Besuches der gesamten Direktion käme? … Endlich kam die verlegene Bitte ziemlich kleinlaut zum Vorschein: Ich möchte die Minna in drei Tagen einstudieren, denn in fünf Tagen sei das Lustspiel der königlichen Bühne verfallen … es müsste daher am vierten Abende aufgeführt werden … die Franziska sei der Triumph der Müller …
Sprachlos starrte ich die naiven, unbegreiflich aufrichtigen Herren an … Erst nach langer Pause konnte ich erwidern: »Und da muten Sie mir zu, meine Herren, ich soll mich blamieren — um der neu Angekommenen zum Siege zu verhelfen?! — ich soll die Minna in drei Tagen auswendig lernen — wie viel Bogen hat die Plaudertasche zu sprechen?«
»Einundzwanzig!« sagte Angeli sehr leise.
»Dann ist es ja von vornherein unmöglich!« rief ich entsetzt, — »kaum die Worte vermöchte ich ins Gedächtnis zu drängen — aber den Geist der Rolle — die schwere Darstellung … nein! nein! ich kann Ihre Bitte nicht erfüllen — acht Tage wenigstens ist gesetzlich …«
»Dann ist das Stück verfallen!« schrie Kunowsky verzweiflungsvoll. »Ein immenser Schaden für unser junges Institut — die Tragweite gar nicht zu berechnen … Wertes Fräulein — bitte! — willigen Sie ein!« — so drang es nun wahrhaft Schwindel erregend von allen Seiten auf mich ein.
Biedenfeld, als ich in meiner Verwirrung nichts mehr erwiderte, legte die Rolle auf den Tisch … und fort waren die Herren. Ein Brief aus jenen Tagen an meinen Bruder berichtet das Resultat meiner Opferbereitwilligkeit am treusten:
… Ich muss Dir mitteilen, dass ich bald von der neuen Bühne scheiden und Engagement bei dem königlichen Theater nehmen werde. Denke nur: in drei Tagen habe ich Minna von Barnhelm auswendig gelernt, um mich gefällig zu erweisen. Wie habe ich studiert! Ich musste die Nächte zu Hilfe nehmen, denn eine solche Plaudertasche par excellence war mir noch nicht vorgekommen. Die Worte hatte ich endlich inne, aber von Einsicht, von Auffassung war keine Rede, — ich sprach tollkühn drauf los — und wurde gleich der Franziska am Schluss gerufen; auch ist mir so oft wie der Müller applaudiert. — Während der Probe gefiel sie mir ungemein. Sie spielte gewandt, pikant, bewegte sich gar zierlich, und die Aussprache i statt ü — der wenig klangvolle Ton der Stimme störte als Franziska nicht. Karoline Müller scheint hoch in den Zwanzigern zu sein, ist mehr hübsch als schön, hat braune, beim Lampenlicht funkelnde Augen, schelmisches, anziehendes Lächeln, und verdient Künstlerin genannt zu werden. Du siehst: ich bin gerecht, — obgleich die Müller sich sehr spröde gegen mich benommen, und nach dem Schluss der Vorstellung sogar unartig — feindlich.
Als wir im Garderobezimmer die Schminke abwischten und uns einhüllten, um über den Platz nach Hause zu gehen, kam noch Kunowsky, um uns Beiden seinen Dank zu Füßen zu legen … Fräulein Müller — zog ihn in die Ecke und flüsterte, heftig gestikulierend — ich konnte hören: »Ja, ja, Kabale war angezettelt worden — mein Name wurde am wenigsten gerufen!« … Er suchte sie zu beruhigen — aber vergebens! Ohne mir gute Nacht zu wünschen stürzte sie fort. Ich aber rief außer mir, Kunowsky festhaltend: »Ist das mein Dank? Ich opferte mich, der Direktion und Fräulein Müller zu Gefallen, und nun muss ich von Kabale hören — und ein unartiges Benehmen dulden … Nein! Herr Justizrat, ich verlasse dieses Institut nach sechs Monaten, teilen Sie dies den Actionären mit!« — ein Tränenstrom folgte und weinend verließ ich das Zimmer, Kunowsky wie erstarrt stehen lassend. »Das sind heiße Bretter!« — klagte ich der betrübten Mutter — »o, wären wir doch in unserem schönen friedlichen Karlsruhe geblieben! …«
Den folgenden Vormittag trat wie ein Friedensbote ein stattlicher Herr ins Zimmer — der Geheimrat v. Gräfe.
Mit größtem Interesse betrachtete ich »den ersten Augenarzt und Chirurgen seiner Zeit!« Und wie verehrte ich bald den feingebildeten, höflichen Mann! — Noch in den besten Jahren, mit intelligenten Zügen, klugen, freundlich blickenden Augen, die Haare von der freien Stirn zurückgestrichen, sprach er so bezaubernd angenehm, mit herzlicher Anerkennung von meinen Bühnenleistungen … und fragte dann im Namen seines Freundes, des Intendanten der königlichen Schauspiele, Grafen Brühl vertraulich an: ob ich geneigt sei, zur königlichen Bühne überzusiedeln …
Ich sagte mit Freuden: ja! — und wie glücklich ich sein würde, mit einem Ludwig Devrient, Wolff und so vielen andern edlen Künstlern spielen und von ihnen lernen zu dürfen … Wir mussten dem liebenswürdigen Manne versprechen, zum Diner zu kommen, seine Frau hätte schon längst gewünscht, uns kennen zu lernen.
Die Wohnung des Geheimrat Gräfe solltest Du sehen! Da fühlt man sich erhoben durch die edelsten Kunstwerke. — Die weiten, hohen Zimmer bilden eine herrliche Gemäldegalerie — von oben bis unten ist kein Plätzchen frei. — Seine Gattin, sehr zart und vornehm aussehend, empfing uns äußerst liebreich, ein holdes Töchterchen und ein bildschöner Knabe *) zeigten sich so wohlerzogen und kindlich — und nach und nach füllten sich die Räume mit den interessantesten Persönlichkeiten Berlins. Ein aristokratischer Ton herrschte vor, aber ohne Steifheit. Gräfe wurde von hilfesuchenden Kranken oft vom Tisch abgerufen — und stets ging er bereitwillig, ohne das geringste Missvergnügen zu zeigen. So soll er auch die Kranken seines Klinikums äußerst sanft behandeln. Mein Tischnachbar war Herr v. Bredow, alter Freund des Hauses und glühender Patriot. Er erzählte mir charmante Anekdoten vom Könige. So auch diese:
»Finden Sie folgenden Zug seines Charakters nicht rührend — edel? Ein höherer Offizier, wegen politischer Vergehen zur Festungsstrafe verurteilt, wendete sich an des Königs Gnade — um Hilfe für seine Familie zu erflehen. Die Räte des Königs nannten das Gesuch unverschämt. Der König aber sagte nach einer Pause: »Der Mann ist aber so unglücklich und umso beklagenswerter, weil durch eigene Schuld. Seiner Familie — muss geholfen werden!« und reichliche Unterstützung wurde ihr zu Teil.«
Einen sehr genussreichen Abend — nach der Minna- Alteration — verlebten wir bei Zelter, dem Freund Goethes, dem Direktor der Singakademie. Ich lernte diesen herrlichen Greis bei seiner Tochter, der Doktorin Rintel, kennen, und war nicht wenig stolz auf den Ehrenplatz an seiner Seite. Er liebt es sehr, des Sonntags im engen Familienkreise bei der Doktorin zu speisen. Er hasst allen Prunk und flieht elegante Visitenzimmer, sowie große Gesellschaften. Einstens hatte die Tochter ihn zur Einweihung eines Ballsaales herbeizulocken gewusst. Lange grollte Zelter aber, dass sie mit dem alten Vater paradieren wollte. — Als ich den großen, ernsten Mann zum ersten Mal sah, verstummte ich verschüchtert; seine blauen, ausdrucksvollen Augen schienen bis in den Kern meines Herzens dringen zu wollen — doch bald blickten sie freundlich mild — er vermochte wohl in den meinen keine Abgründe zu entdecken. Er sprach zu mir in väterlichem Ton und munterte mich auf, unverzagt meine Ansichten zum Besten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige Einfälle! »Ich liebe fröhliche Jugend!« sagte er, — »nur frisch ins Leben geschaut, übermütige Blondine … es wird leider schon anders kommen!« — Zelter erinnert an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere Wesen, das kluge Sprechen, die edlen Züge … nur, ich möchte sagen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponist und Freund Goethes, der sein Abgott ist. Wie oft fasste ich seine weiche Hand und küsste sie — rasch — ehe er es verhindern konnte; — und so wurde mir denn die seltene Ehre zu Teil, von ihm eingeladen zu werden. Er empfängt selten Gäste und lebt sehr zurückgezogen, sorglichst gepflegt von seiner jüngeren Tochter Dorotea, welche jeden Heiratsantrag zurückgewiesen, um sich dem Vater widmen zu können; ein sanftes, liebenswürdiges Mädchen. Als wir ins Vorzimmer getreten — ich zitternd vor freudiger Erwartung, denn Zelter hatte verkündet, Louis Berger, der liebenswürdige Komponist und beliebteste Klavierlehrer Berlins und Mendelssohn, sein bester Schüler, Sängerinnen mit süßem Sopran und herrlicher Altstimme würden zugegen sein — kam uns Dorotea entgegen und flüsterte: »Nur ganz leise — bis die Diskussion beendet ist, die Herren sprechen eifrigst über die Urteilsfähigkeit des Berliner Publikums, — hören Sie?« — — — Da vernahmen wir eine jugendliche helle Stimme: »Wie grausam sind Ihre bewunderten Musikkenner mit meinem ersten Versuch — mit meiner Operette verfahren!« — und eine tiefere, gemütvolle Stimme fügte hinzu: »Ich musste während vierzehn Tagen das Bett hüten, so hatte mich die Gemütsbewegung ergriffen — das Mitgefühl für meinen jungen Freund!« … Das war der gute, herrliche Ludwig Berger. Zelter erwiderte in seiner voll und kräftig klingenden Redeweise: »Hat nicht der beste Mensch seine Launen, — darf ein Publikum nie irren? Und dennoch sind meine Berliner wahre Kunstverehrer; Felix Mendelssohn-Bartholdy wird bald den entmutigenden Eindruck verschmerzt haben und glänzende Anerkennung erringen …« Wir folgten Dorotea in den Saal — und nun folgten seltene Genüsse für Geist und Ohr … Berger und Mendelssohn spielten vierhändig — dann Mendelssohn Solo — Zelter schlug mächtige Akkorde an — ergreifende Choräle, und begleitete dann der seelenvollen Altstimme eines jungen, schönen, bleichen Mädchens seine herrlichen Goethelieder: »Rastlose Liebe« und »Der König in Thule.« … Zelter flüsterte ihr vor dem letzteren Liede zu: »Bitte, sanft und frei — als säßen Sie am Meeresufer ganz in Gedanken versunken.«
Und wie durchschauerte mich das wundersame Lied — besonders die letzten Takte … traurig verhallend — wie ins Meer versinkend … Die andere Schülerin mit der Sopranstimme trug »Rose, die Müllerin« von Berger vor, dann sein »Veilchen«, — ein wehmütig klagendes Lied, welches er nach dem Tode seiner Frau komponiert hatte:
»Von blauen Veilchen war der Kranz,
Der Hannchens Locken schmückte,
Als ich zum ersten Mal beim Tanz
Sie schüchtern an mich drückte …«
Zwölf Jahre hatte Berger in St. Petersburg, von Field protegiert, sich übermenschlich angestrengt, um sein Hannchen, die geliebte Braut, heimführen zu können, und nach einem Jahre glücklichster Ehe — starb sie samt dem Kinde. — Da verließ Berger Petersburg und zog nach Berlin. Er ist allgemein geachtet, von seinen Schülern innigst verehrt, nicht nur als ausgezeichneter Klavierlehrer, sondern als fein gebildeter, geistreicher Mann. Seine Physiognomie trägt noch die Spuren tiefen Grames, auch sieht er kränklich aus; aber man empfindet Sympathie für den so schwer Geprüften. Sein Benehmen ist gewinnend und sein Äußeres wie das eines vierzigjährigen deutschen Gelehrten, der aber die Toilette — nicht vernachlässigt.
Mendelssohn ist der anmutigste Jüngling, den man sich denken kann. Kaum achtzehn Jahre alt, das dunkle Haar gescheitelt, die sanften, braunen Augen, der liebliche Mund, schönes Profil … könnte er als Benjamin einen, Maler zum Modell dienen. Ja, wie ein echter Benjamin, »ein Sohn des Alters«, — ein »Sohn der rechten Hand«, (ich hoffe, Du bewunderst meine hebräische Gelehrsamkeit!) erschien mir Mendelssohn, wenn er so liebevoll, so kindlich Zelter und Berger ansah, so zutraulich sprach.
Lächle nicht über diesen Vergleich, Louis — Du weißt, wenn ich Jemand schildere, versuche ich es nach Bildern zu tun. So möchte ich Zelter mit Jakob vergleichen, denn patriarchalisch zeigt sich Zelter in seinem würdevollen und doch so einfach edlen Benehmen.
Es war hohe Zeit, dass wir uns zum Souper niederließen und als Sterbliche den guten Sachen zusprachen, — denn alles Gehörte, Empfundene, hatte uns in fieberhafte Aufregung gebracht — wenigstens mich und Mendelssohn. Seine Wangen glühten gleich den meinigen, und Zelter sagte scherzend: »Die Augen der lieben Jugend glänzen gleich dem Karfunkel!« — Es wurde viel geplaudert, auch gelacht; selbst Berger wurde heiter und verglich Zelter mit einem Dirigenten, der mit Wohlgefallen sein Orchester den Gaben Gottes zusprechen sieht.
Kurz vor dem Gehen erbat ich mir Zelters Rat: ob ich Engagement bei der Hofbühne annehmen solle?
»Unbedingt!« entgegnete er rasch. »Was helfen momentane Erfolge, wenn Sie den Launen von unkünstlerisch denkenden Privatunternehmern unterworfen sind? Das Wohlwollen solcher Herren richtet sich nach vollen Häusern und Applaus und ist unzuverlässig. Nur im Kreise bewährter Künstler, unter den Augen eines für wahre Kunst glühenden Intendanten vermag ein junges Talent sich heranzubilden!«
Ich bin also entschlossen, Graf Brühls Bedingungen zu akzeptieren. In vierzehn Tagen wird Alles entschieden sein.
Den 15. Oktober spiele ich die Gräfin Elsbeth im »Turnier zu Kronstein« und erscheine im letzten Akte auf einem stattlichen Schimmel. Der gute Rosinante wird aber wohl nicht über die Lampen setzen, denn er ist lammfromm und wie alle Theaterschimmel — stockblind … Louis, was habe ich erlebt — und was werden wir erleben! »Wenn ich den Verstand nicht verliere, habe ich auch keinen zu verlieren!« möchte ich fast mit der Gräfin Orsina sagen.
Das Turnier ging nebst dem Festspiel am 15. Oktober, dem Geburtstage des Kronprinzen, glänzend von statten. Lies selber! Die Mutter hat die Rezensionen mit himmelblauer Seide zusammengenäht und sah dabei wie verklärt aus.
Zwei Tage darauf, als ich eben die Kündigung absenden wollte, kam Kunowsky zu uns, außer sich vor Erregung. Er hätte vernommen, ich sei abtrünnig geworden! Das sei undankbar, schändlich! Die Mutter erwiderte: »Meine Tochter hatte Sie ja bereits mündlich davon in Kenntnis gesetzt!« … »Das habe ich nicht für ernst genommen!« entgegnete er. — »Weshalb nicht?« fiel ich ein. »Und inwiefern bin ich undankbar? Erst wurde ich von der Direktion zurückgedrängt, dann half mir das Publikum siegen. Jetzt versucht Karoline Müller auch wieder, mich zurückzudrängen — nein! Lassen Sie mich in Frieden ziehen, lieber die Dritte bei der königlichen Bühne, als hier die Erste sein . . Kunowsky stürzte fort, um mit den Aktionären Rücksprache zu nehmen, — und nach einigen Stunden langte ein Brief der Direktoren an, mit dem Anerbieten »doppelter Gage« und allen möglichen Versprechungen.
Ich hatte bereits den Kontrakt von der königlichen Intendanz unterzeichnet — und wenn auch nicht, ich hätte mich nicht verlocken lassen.
Nun folgten schreckliche Tage: alle Rollen wurden mir abgefordert, sogar die Elsbeth dem Fräulein Müller eingehändigt, und mir schriftlich erklärt: ich dürfe nicht mehr auftreten, die Gage würde bis zum Dezember fortbezahlt … So glaubte man mich dem Publikum zu entfremden.
Sollen wir prozessieren? Vor Schluss des Prozesses dürfte ich doch nicht spielen. Alles hätte ich verschmerzt, nur die Elsbeth tat mir leid und — ich bekam ordentlich Heimweh nach der Rolle und — — nach dem Schimmel! Du glaubst nicht, wie prächtig ich mich zu Pferde ausnahm, wie eine rechte Soldatentochter! Ich kam auch glücklich vom Schimmel wieder herab, ohne mich in die Schleppe zu verwickeln. — Denke nur: die Herren Aktionäre sollen an dem Tage, als Kunowsky sie von meinem Abgang in Kenntnis gesetzt hatte, gar nicht auf die Börse gegangen sein, — es ist, als ob jetzt ohne mich das Institut gar nicht bestehen könnte. Erst unterschätzt man mich, jetzt werde ich überschätzt. Und die vielen Gratulations-, Kondolenz- und Neugierbesuche! Die Mutter wird sicher noch krank und ich habe verweinte Augen. Plötzlich bin ich berühmt geworden, in so kurzer Zeit: vom 4. August bis 21. Oktober! — aber es freut mich nicht, — ich bin tief betrübt.
Nun habe ich Muße bis zum 15. Dezember und kann mit Bethmann, der jetzt wieder hier ist und mich den ehemaligen Kollegen an der königlichen Bühne vorstellen und empfehlen will, Besuche machen. Einladungen gibt's auch die Fülle und wir dürfen den Vorstellungen der königlichen Bühne beiwohnen; aber es ist eine traurige, unfreiwillige Muße … Ich hätte doch nie gedacht, dass die weltbedeutenden Bretter so rotglühend und furchtbar heiß werden könnten …«