Читать книгу Die Stunde der Narren - Karsten Flohr - Страница 7
»Sie haben es wieder getan!«
ОглавлениеNun ritt Erec auf den Kampfplatz. Er hatte einen alten, schweren riesigen Schild – er und das Pferd waren nur halb geschützt – und unhandliche, lange Speere, die ihm der Alte geliehen hatte. Die Zuschauer riefen wie aus einem Munde: ›Gott stehe dir jetzt bei!‹
Der junge Erec war ein echter Ritter, sein Mut verlieh ihm große Kraft. Heftiger Zorn trieb beide an, sie gaben ihren Pferden die Sporen, da flogen die Beine. Seine hochmütige Verblendung führte jenen jetzt in die Irre. Er glaubte, einen unerfahrenen Jungen vor sich zu haben. Aber als sie zusammenstießen, bekam er es deutlich zu spüren, daß Erec von Heldenmut erfüllt war. Sein Speerstoß schlug ihm den Schild gegen den Kopf. Davon wurde er so betäubt, daß er kaum im Sattel bleiben konnte. Nie war ihm das zuvor geschehen. So stark war der Stoß, daß die Pferde sich auf den Hinterbeinen aufbäumten. Einen solchen Angriff hatte der Ritter noch nie erlebt …
Als nun beide in gleich tapferer Weise den fünften Angriff führten, bei dem keiner von beiden fehlschlug und sie die Speere so gegeneinander führten, daß sie ganz zu Bruch gingen, da hatte Erec keinen Speer mehr. Das beeinträchtigte ihn sehr. Er hatte jedoch den alten Speer des Alten bis zu diesem Augenblick verwahrt. Und er hatte ihn deswegen zurückgehalten, weil der Schaft besonders dick und fest war. Auch seine eigene Kraft hatte er klugerweise bis zu diesem Augenblick aufgespart. Als er den Speer aufgenommen hatte – sein Schild schützte ihn bis zum Hals –, ritt er ein Stück seitwärts, dorthin wo die edle Enite, die Tochter des Alten, saß und weinte. Über den Rand seines Schildes hinweg sagte Erec zu ihr: »Verzagt nicht, liebes Mädchen. Ich bin ganz zuversichtlich. Eure Sorge wird ein Ende haben«. Und er wendete sein Pferd, um auf den Ritter loszudreschen.
Gern hätte Jakob mehr gelesen, aber was jetzt an seine Ohren drang, machte ihn noch neugieriger: Hufgetrappel, das sich schnell näherte! Er schob die Buchseiten unter einen Strohballen, und als er eben den Stall verlassen hatte, kam der Vater im Galopp auf dem alten Ackergaul herangeritten, der eigentlich schon sein Gnadenbrot erhielt und nur noch selten vor den Pflug gespannt wurde. »Warum treibst du den alten Gaul so hart an?«, fragte er, als der Vater abgesprungen war, noch bevor das schweißnasse Tier zum Stehen gekommen war. »Rede nicht, komm ins Haus!«, sagte der Vater und stürmte voran.
Drinnen ließ er sich auf den Sandboden fallen, schlug die Hände vors Gesicht und atmete schwer. Die neue Mutter, die gerade dabei war, die Feuerstelle zu entfachen, sah besorgt herüber. »Sie haben es wieder getan!«, sagte der Vater schließlich. »Diesmal im Dorf hinter der Flusskehre. Der Rauch hat sich noch nicht verzogen.«
»Wieso bist du dort gewesen?«, fragte die Frau, »was hattest du dort zu suchen?«
»Ich war mit dem Ziegenbauern dort, es ging um einen Bock, den er sich ausleihen wollte. Aber …« er brach ab und sah mit leerem Blick auf seine Fußspitzen.
»Aber …?«, fragte Jakob.
Der Vater krümmte sich, als hätte er Schmerzen, dann sah er Jakob an: »Wir konnten aus der Ferne beobachten, wie sie die Bauern jagten und töteten. Frauen, Männer, Kinder, Alte und Kranke flohen vor dem Feuer aus ihren Häusern, das sie gelegt hatten, und draußen warteten sie und erschlugen sie.«
»Wie? Wer?«
»Mit ihren Schwertern. Es waren Ritter. Viele! Und sie saßen hoch zu Ross.«
»Zu wem gehörten sie?«
Der Vater zuckte die Achseln, dann straffte er sich, erhob sich und sagte eindringlich: »Wir müssen alles dafür tun, dass es uns nicht ebenso ergeht! Sie dulden keinen Widerspruch und keine Ausflüchte mehr. Wir müssen ihnen geben, was sie verlangen.«
»Aber das geschieht doch ohnehin!«
»Nicht immer. Manche haben den Zehnten nicht, andere können die Schweine nicht liefern, die Hühner, den Honig, das Bier, das Getreide …«
»Das Getreide!«, unterbrach Jakob ihn, »wir müssen nach dem Weizen sehen, dass er nicht zu faulen beginnt! Der Weizen ist ihnen das Wichtigste, er muss vom Feld, bevor der nächste Regen kommt!«
»Recht hat der Junge«, sagte die neue Mutter. »Mach dich gleich auf den Weg, sieh nach und berichte uns!«
Der Vater stand noch zu sehr unter dem Eindruck des Erlebten, als dass er die Frau für ihre Anmaßung, so zu sprechen, zurechtwies. Als Jakob schon fast aus der Tür war, murmelte er nur: »Geh nur, ja geh!«
Jakob hatte recht: Der Weizen bog sich schwer unter der Last seiner goldenen Ähren, es war höchste Zeit, sie zu ernten und zu dreschen, damit das Weißbrot der hohen Herren gebacken werden konnte. Alle gemeinsam würden sie in das Feld gehen müssen, auch die Kleinsten müssten helfen, um die Arbeit so schnell wie möglich zu tun. Denn dass das Wetter bald umschlagen würde, konnte man bereits riechen: Die Luft war schwer und feucht, kein Windhauch zu spüren.
Jakob stand am Rande des Feldes und blickte zum Himmel hinauf, als hinter ihm ein Zweig knackte. Er fuhr herum – und zum Greifen nah stand sie vor ihm! Diesmal senkte sie nicht den Blick, wandte sich nicht ab, sondern stand nur still da mit einem Strauß Kräuter in der Hand und sah ihn ernst und aufmerksam an.
Wieso bist du heute allein? Seit wann stehst du hier schon? Seid ihr zufrieden mit der Tinte? Braucht ihr mehr davon? Wie heißt du? Warum lebst du bei den Nonnen? Musst du den ganzen Tag beten? Leuchten die Kerzen gut? Dies und viel mehr wollte Jakob das Mädchen fragen. Aber sein Mund war so trocken, als hätte er eine Handvoll Sand darin, und es kam kein Ton heraus.
Schwester Sarah hat mich allein zum Kräutersammeln geschickt. Ich habe dich schon eine ganze Weile beobachtet, wie du durch das Feld gegangen bist. Deine Tinte ist gut, sie ist die beste. Ich fülle sie in die Kuhhörner. Ich heiße Begina, ich bin ein Findelkind, so sagen sie. Wir beten alle zwei Stunden. Wie ist dein Name?
Das alles wollte Begina sagen. Aber ihr Hals war wie zugeschnürt. Trotzdem schien Jakob alles zu verstehen, ebenso wie sie all seine Fragen verstanden hatte. »Ich bin Jakob«, sagte er und erschrak über seine raue, laute Stimme. Begina jedoch erschrak nicht, sie lächelte. Und als Jakob sah, dass nicht nur ihr Mund lächelte, sondern auch ihre Augen, ihre Nase, ihre Ohren und sogar ihr Haar, das heute nicht verdeckt war, strahlte er so glücklich, dass sie laut lachen musste. Und da lachte auch Jakob. Und so lachten sie beide und spürten ein großes Glück in der Brust und im Bauch und in den Beinen bis zu den Füßen und ganz oben am Kopf, da wo die Haare sprießen. Es kribbelte so, dass sie noch mehr lachen mussten, bis sie außer Atem waren.
Jakob dachte, wie gern er das Mädchen begleiten würde auf ihrem Weg zurück ins Kloster, aber Begina schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Weg sehr gut«, sagte sie, »jede Distel, jedes Wurmloch, jeden Stein. Du solltest zu den deinen zurückeilen, die dich schon sehnsüchtig erwarten.« Und sie streckte die Hand aus und reichte Jakob den Strauß. »Koch dir einen Sud daraus, dann wirst du klaren Verstandes sein! Denn den wirst du brauchen«, sagte sie.
Was weißt du über mich, dachte Jakob und nahm den Strauß entgegen. »Ich möchte dich wiedersehen«, sagte er. »Komm bald zurück an diesen Ort.«
Jakob sah ihr nach, bis sie hinter einer Hecke verschwand, führte den Kräuterstrauß an seine Nase und sog Beginas Duft ein. So muss es im Paradies riechen, dachte er.
*
»Du solltest das Getreide prüfen und nicht Kräuter sammeln!«, tadelte der Vater, als Jakob das Haus betrat. Jakob trat ans Bett seiner Mutter und legte ihr den Strauß auf die Brust. »So duftet es im Paradies«, sagte er. Dann wandte er sich zum Vater: »Der Weizen muss sofort runter! Wir werden alle hinaufgehen und ihn schneiden«, sagte er, »jetzt gleich.« Und zur neuen Mutter gewandt fuhr er fort: »Ruf alle zusammen und wickle ihnen das feste Leder um die Füße. Der Weizen sticht in die Sohlen, wenn er geschnitten ist.«
Der Vater beobachtete stumm seinen Sohn, die neue Mutter eilte aus dem Haus und rief die Kinder zu sich. Als Jakob die Kiste öffnete, in der die Sicheln und Sensen lagen, fragte der Vater: »Was hast du gesehen oben am Feld, was ist dir widerfahren?«
»Ich habe gesehen, was du mir aufgetragen hast: Die Ähren sind so schwer, dass die Halme sich schon zu Boden neigen. Noch zwei Tage oder drei und sie werden verfaulen.«
Der Vater nickte ernst und gemeinsam trugen sie die Werkzeuge vor das Haus. »Ich bin froh, einen solchen Sohn zu haben!«, sagte er. »Ich würde keinen anderen wollen.«
Jakob sah ihn verwundert an. Solche Worte hatte der Vater noch nie gesagt. »Ich bin klein, ich bin schwach, ich habe einen Hinkefuß – und du willst keinen anderen …?«
In diesem Moment kam die neue Mutter um die Hausecke und trieb die sechs Kinder vor sich her wie eine Schar Gänse. Und so sahen sie auch aus: zerzaust und zerrupft, gackernd und schnatternd. Jakob händigte ihnen Sicheln aus, die neue Mutter band ihnen die Lederriemen um die Füße. Vor dem Kleinsten, dem Dreijährigen, kniete Jakob nieder und sagte: »Du bist jetzt der Wichtigste von uns allen, denn du wirst nicht mit uns gehen, sondern du wirst die schlafende Mutter hüten. Wenn sie zu sprechen beginnt, schlag mit dem Stock gegen die Regentonne, das werden wir hören und ich werde herbeieilen. Wirst du das können?« Damit drückte er ihm einen Knüppel die Hand. »Regentonne, verstehst du?«
Der Junge nickte und wandte sich zur Haustür. Dort blieb er noch einmal stehen und fragte: »Huhn?«
»Ja, Huhn«, erwiderte Jakob, wedelte mit den Armen, als wären es Flügel und krähte dabei, während er auf den Jungen zusprang. Der lachte, zog schnell die Tür auf und verschwand im Haus.
Es würde mich nicht wundern, wenn Ihr, mein verehrter Leser, Zweifel daran hegt, ob eine Kinderschar ein ganzes Weizenfeld zu Fall zu bringen vermag. Nun: Nicht jede Kinderschar könnte das – diese jedoch schon. Kaum den Windeln entwachsen und auf eigenen Beinchen stehend, wurden sie mit allen Arbeiten, die in Haus und Hof zu erledigen sind, vertraut gemacht. Und auch scharfes Gerät wie die Sicheln, die sie nun fleißig schwangen, handhabten sie geschickt. Sensen natürlich nicht, die sind ein wenig zu groß, als dass ein Kind sie schwingen könnte, das will ich wohl einräumen.
Und so war es nicht allzu verwunderlich, dass bei Einbruch der Dunkelheit die Hälfte des Feldes am Boden lag, sorgsam zu Bündeln geschnürt, die am nächsten Morgen in die Scheune getragen werden würden, um dort von der neuen Mutter gedroschen zu werden, die sich wahrhaftig meisterlich darauf verstand. Ohne ihre Tüchtigkeit schmälern zu wollen, muss man gerechterweise darauf hinweisen, dass diese Tätigkeit alle Weiber auf den Höfen der Umgebung beherrschten. Denn Dreschen ist Frauensache, so hat Gott der Herr es gefügt.
Und so zogen alle am frühen Morgen des nächsten Tages erneut in den Weizen – bis auf den Dreijährigen, der wieder bei der schlafenden Mutter wachte, und die neue Mutter, die mit dem Dreschflegel in die Scheune eilte. Es dauerte nicht lange, die Sonne hatte gerade ihren höchsten Punkt erreicht und brannte unbarmherzig auf die gebeugten Leiber im Weizenfeld, als dort der Klang der Regentonne klar und deutlich zu vernehmen war, gegen die offenbar heftig geschlagen wurde. Jakob und der Vater, die Seite an Seite arbeiteten, sahen sich an, dann lief Jakob zum Hof zurück.
Er wunderte sich nicht schlecht, vor dem Haus ein ihm unbekanntes Pferd zu erblicken, dass mit seinen Hufen ungeduldig Sand aufwirbelte und wenig freundlich schnaubte, als Jakob an ihm vorbei ins Haus lief. Drinnen stand ein fremder Mann am Bett der Mutter und redete auf die Schlafende ein.
Als Jakob eintrat, schnellte er herum. »Wo ist der Mann?«, fragte er dann ohne weitere Vorrede.
»Im Feld, wie wir alle.«
»Dann hol’ er ihn her! Er muss mit mir kommen. Der Grundherr braucht alle gesunden Männer seiner Dörfer.«
Noch bevor Jakob nach dem Grund fragen konnte, trat der edle Herr forsch auf ihn zu und schlug ihm ins Gesicht. »Eil er sich«, sagte er, »oder soll ich ihm Beine machen?«
Was Jakob nicht wissen konnte: Der Grundherr, ein Gourmet von hohen Gnaden und ein Freund edler Speisefische, hatte beschlossen, einen neuen Fischteich anzulegen – den größten des gesamten Königreichs! Und da er nur über wenig Geduld verfügte, musste es schnell gehen, was bedeutete, dass er seine Verwalter und Eintreiber ausschickte, auf dass sie aus allen seinen Dörfern und Marktflecken die gesunden Männer herbeiholten, um den Teich auszuheben.
Es nutzte wenig, dass der Vater auf die Dringlichkeit der Weizenernte aufmerksam machte und auch nicht, dass er darauf hinwies, dass gerade dieses Getreide ausschließlich für die adligen Herren angebaut wurde, die auf ihr Weißbrot gewiss nicht verzichten wollten – man zog ihm kurzerhand einen Sack über den Kopf, um sein lästiges Gerede zu unterbinden, band um seine Hände ein Seil, dessen anderes Ende am Sattelknauf befestigt wurde, und los ging es im Eiltempo.
Alle standen wie erstarrt und blickten dem Vater nach, der neben dem Gaul herlief, so schnell er konnte, und als er um die Biegung des Weges verschwunden war, herrschte eine ganze Weile Stille. Dann sagte die neue Mutter zu Jakob: »Nun wirst du zwei Sensen zugleich schwingen müssen, wenn wir es noch schaffen wollen …«
Und sie schafften es! Die neue Mutter ging mit ins Feld, bis es dunkelte, und in der Nacht drosch sie bei Mondschein in der Scheune bis zum Morgengrauen das Korn. Erst dann legte sie sich in das große Bett, das sie nun für sich allein hatte, und schlief einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch, und dann noch einen halben Tag.
Zwei schlafende Mütter und sechs hungrige Mäuler – Jakob hatte alle Hände voll zu tun und musste sich überdies noch sorgen, da der Jüngste, der das Regenfass geschlagen hatte, sich unvermittelt wortlos zu seiner Mutter legte und nur noch zur Zimmerdecke starrte. Er war blass und heiß und zitterte dabei, als wäre ihm eiskalt. Das Kind war krank, zweifellos – aber was fehlte ihm? Jakob versuchte, die neue Mutter aufzuwecken, aber diese schlief wie ein Stein.
Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Jakob saß neben dem Kind und beobachtete, wie es immer heißer wurde. Sein Gesicht schwoll an, die linke Seite wurde feuerrot. Vorsichtig schob Jakob ihm die Lippen auseinander und blickte in seinen Mund. Was er sah, war eindeutig: Eitrige Zähne verursachten das Leid des Kindes, sein Zahnfleisch war geschwollen, gelber Saft trat heraus.
Jakob hob den Jungen aus dem Bett, legte ihn sich über die Schulter und trat ins Freie. »Wenn sie aufwacht, sagt ihr, ich bin oben am Feld, dort wo der Weg zum Kloster beginnt«, erklärte er den Geschwistern, bevor er mit seiner Last davon hastete.
Jeder Muskel schmerzte, als er den Jungen schließlich von seiner Schulter gleiten ließ und vorsichtig im Gras ablegte an ebenjener Stelle, an der er wenige Tage zuvor Begina getroffen hatte. Er setzte sich neben den Jungen und wischte ihm den Schweiß von der Stirn. Um ihn abzukühlen, lief er zum Fluss, wo er in einem großen Blatt, das er wie eine Tüte rollte, Wasser holte, das er ihm behutsam einflößte.
Jakob schlief schließlich erschöpft ein, bis er von einem Schatten, der ihn bedeckte, erwachte und direkt in das Gesicht des Mädchens blickte. Seine Zähne sind entzündet, dachte er, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann.
Begina kniete sich neben das Kind und legte einen Finger auf dessen Mund. »Versuch es mit Sauerampfer und Natterwurz, die du auskochen musst und ihm dann den Sud so heiß wie möglich auf die Lippen streichst«, sagte sie. »Ich werde derweil zur Heiligen Médart beten und um Heilung bitten. Bisher hat sie Zahnleiden noch immer ausgetrieben.« Sie legte ihre Hand auf eine Wange des Jungen. »Warte noch, bevor du aufbrichst und sammle Kraft für den Weg zurück. Ich werde dir die Kräuter holen.«
Tatsächlich schlief Jakob erneut, als Begina zurückkehrte und ihn berührte. »Hier«, sagte sie und legte ihm die Kräuter in die Hand. »Eile jetzt! Seine Kraft lässt nach, das kann ich deutlich spüren …«
Jakob erschrak derart über ihre Worte, dass er sofort aufsprang, das Kind auf den Rücken und die Beine in die Hand nahm.
Auf halbem Weg eilte ihm die neue Mutter entgegen, die mittlerweile erwacht war. Jakob reichte ihr die Kräuter und sagte: »Geschwind, leg sie in kochendes Wasser!« Die Mutter betrachtete ihr Kind, und Tränen füllten ihre Augen. »Lauf!«, sagte Jakob, »wenn wir Glück haben, brauchst du nicht um ihn zu weinen.«
Eine Nacht und den nächsten Tag saßen Jakob und die neue Mutter bei dem Kind und benetzten seinen Mund mit dem Kräuter-Sud. Schließlich öffnete es die Augen, die Mutter schrie auf vor Erleichterung und presste das Kind an sich, das Jakob aus dem Augenwinkel wahrnahm und leise sagte: »Huhn!« – »Ja, später«, entgegnete Jakob, »später – wenn du wieder richtig lachen kannst …«
Erschöpft und aufgewühlt verließ Jakob die beiden und ging in den Stall, wo er sein Buch unter dem Stroh hervorholte.
Doch statt die schöne Enite sah Jakob nur sie vor sich: Beginas erhitztes Gesicht mit den schönen dunklen Augen. Sie musste sich sehr beeilt haben, als sie die Kräuter suchte. Jakob legte die Seiten aus der Hand und spürte eine Woge der Dankbarkeit. Wie konnte er sich bei ihr revanchieren? Er besaß nichts von Wert, eine Sichel oder ein Hammer würden ihr schwerlich Freude machen. Aber da war doch noch ein winziger Rest Tinte, fiel ihm ein.
Und tatsächlich reichte es, um eine kleine Phiole zu füllen, mit der er sich sogleich auf den Weg machte. Natürlich war es unsinnig zu hoffen, er würde sie antreffen, aber der Wunsch trieb ihn an. Keuchend erreichte er die Stelle, legte sich ins Gras und sah den Wolken zu, die träge und gutmütig vor dem Blau des Himmels dahinschwebten, manche so langsam, dass sie auf der Stelle zu stehen schienen. Eine davon verwandelte ihr Aussehen für einige Augenblicke in Beginas Antlitz, und Jakob rief ihr zu, sie solle zu ihm herunterkommen. Doch da nahm die Wolke eine andere Gestalt an, sah eher wie ein Hund aus – oder wie ein Wolf? Als Jakob aus dem Gebüsch ein Rascheln vernahm, lief ihm ein Schauer über den Rücken: Schnell legte er die Phiole gut sichtbar auf ein Ahornblatt und machte, dass er davonkam. Es wusste zwar, dass Wölfe mehr Angst vor Menschen haben als umgekehrt, aber ausprobieren wollte er es lieber nicht.