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Der Neue aus der 1B
ОглавлениеEine der vermummten Gestalten karrt mich mit samt meinem Gefängnis in ein anderes Zimmer, das vollgestopft ist mit modernster Technik. Ich bin stark überwältigt und glaube schon, auf einem fremden Planeten gelandet zu sein. Hier hängt ein Apparat neben dem anderen an der Wand und blinkt oder piept. Für einen Moment vergesse ich glatt meinen Kummer, aber nur kurz. Denn selbstverständlich dient dieser ganze Kram auch nur der Überwachung.
Wie es weitergeht, mal sehen. Da kann ich nur abwarten.
Die Vermummte geht aus dem Raum und lässt mich allein zurück. Doch ich bin gar nicht allein. Vor mir gab es schon einmal ein Opfer. Der Wicht ist in etwa so groß wie ich und liegt ebenso gefesselt im Kerker. Seine Zelle hat die Nummer 1A, meine die 1B.
Ich möchte wetten, dass der auch aus seinem Apartment geflogen ist. Der liegt da wie tot. Wahrscheinlich wurde der genauso verprügelt und gefoltert wie ich. Hab versucht, ihn danach zu fragen, aber der gibt keinen Mucks mehr von sich. Den haben sie echt platt gemacht.
Wie ich sehe, bin ich in meiner Zelle nicht der Einzige. An meinem Fußende sitzt ein Knirps. Der ist noch kleiner als ich. Dafür hat er wesentlich mehr Haare. Ich dachte, ich hab schon jede Menge davon. Natürlich nur auf dem Kopf. Doch der hat überall welche, sogar im Gesicht. Voll die Fellfresse. Einen Knopf im Ohr hat er auch. Ist vielleicht so was wie ’ne Häftlingsnummer.
Ich glaube, ich weiß jetzt, warum der so viele Haare hat. Er ist nämlich echt alt, obwohl er kleiner ist als ich. Der hat schon Stimmbruch. Hab ihn nach seinem Namen gefragt. Den hat er mir in einem ganz tiefen Bass zugebrummt. Er heißt Teddy und ist jetzt mein Freund.
In der anderen Ecke hockt noch jemand. Eine Birne. Die ist aus Plüsch und hat riesengroße Augen. Freundlich ist sie auch, denn sie singt ein Lied für Teddy und mich. La-Le-Lu oder so ähnlich. Das finde ich nett, macht nur entsetzlich müde.
Ich bin noch keine fünf Minuten hier, da geht die Tür auf und so eine Tante im weißen Kittel kommt herein. Sie hat jemanden im Schlepptau. Die beiden schauen in meine Richtung und steuern dann direkt Zelle 1B an. Na prima.
Sie tragen zum Glück keine Masken und ich sehe, die Tante lächelt mich an. Ich fühle mich gleich viel wohler. Prügel gibt es demnach keine.
Die andere Person ist ein Mann. Ich mustere ihn von oben bis unten. Er trägt keinen weißen Kittel und ist mir deshalb sofort sympathisch. Mein Blick bleibt an seinem Gesicht hängen. Boah, das ist triefend nass. Hat der vergessen sich abzutrocknen? Nee. Stopp mal. Der heult, oder?
»Hallo, mein kleiner Schatz«, würgt er hervor.
Moment! Die Stimme kenne ich. Das ist doch dieser Typ. Etwa mein Papa?
»Ich bin dein Papa.«
Ich hab’s gewusst. Aber warum hört er nicht mit dieser Heulerei auf? Ist doch albern. Ich überlege. Hat er vielleicht vorhin schon geheult, als er ins Zimmer kam? Nein, hat er nicht. Erst, als er mich gesehen hat. Es muss demzufolge an mir liegen. Oje, mir schwant Schlimmes. Bin ich etwa so hässlich?
»Gebt mir einen Spiegel«, schreie ich, »sofort!«
Natürlich schert sich niemand um meinen Wunsch. Warum bin ich hier prinzipiell von lauter Ignoranten umgeben?
Ungefragt packt diese Tante im weißen Kittel meine neue Freundin Plüschbirne am Schlafittchen und zieht einfach an dem Faden, der an ihrem Po hängt. Feingefühl hat die nicht gerade, denke ich mir. Das hat Birne bestimmt wehgetan, denn plötzlich jault sie ein Klagelied vor sich hin.
Ich will sie verteidigen. Als ihr Freund fühle ich mich dazu verpflichtet, doch vor lauter Kabeln komme ich nicht vom Fleck. Birne ist die Einzige, die durch ihr Gejaule unser Schicksal öffentlich laut bekannt gibt.
Papa heult immer noch. Und solidarisch wie ich bin, heule ich einfach mit. Unsere erste Gemeinsamkeit. Wir sind eindeutig Papa und Sohn. Beide schniefen wir um die Wette, grinsen uns aber letztendlich an. Na ja, ich nicht, nur Papa grinst. Ich muss meine Gesichtsmuskeln erst trainieren. Seit ich auf der Welt bin, hatte ich noch nicht viel zu lachen. Doch das wird sich nun ändern, denn mein Papa ist da und holt mich hier raus.
»Wie soll das Baby eigentlich heißen?«, fragt diese Tante im weißen Kittel meinen Papa.
»Meine Güte«, sage ich zu ihr. »Von welchem Planeten kommst du denn? Was ’n das überhaupt für ’ne Frage. Ich heiße Baby-Schatz. Vorname Baby, Nachname Schatz. Ist das soweit klar?« Dabei verdrehe ich gekonnt meine Augen.
»Er wird Fritz heißen«, antwortet darauf Papa. »Ach nein, Franz, äh, ich meine Fratz. Ich bin ganz durcheinander«, sagt er und kichert.
»Hä? Das nennst du durcheinander? Ich bin wohl im falschen Film. Drehst du jetzt durch? Das werde ich der Mama sagen, kannste aber glauben.«
Meine Meinung scheint ihn nicht zu jucken.
Seit Monaten sagen meine Eltern Baby-Schatz zu mir. Und plötzlich soll ich einen anderen Namen bekommen, von denen einer blöder ist als der andere.
Ich rede mir ganz fest ein, dass mein Papa die Tante im weißen Kittel bloß veralbern will.
Meine Hoffnung schwindet. Mein Papa ist tatsächlich völlig neben der Spur, denn er dreht sich um und verlässt wortlos den Raum. Ich will ihm hinterherrufen, bekomme aber keinen Ton heraus. Ich bin total sprachlos. Er wollte mich mitnehmen und jetzt hat er mich einfach vergessen. Na, wenn das die Mama mal spitzkriegt.