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Es war ein schöner Morgen, die Herbstsonne verströmte ihre Wärme gleich einer Kristallschale, die überläuft – ein Strom von Licht und Farbe. Die Leute waren früh unterwegs und emsig; sie nutzten das gute Wetter aus, denn wer wußte schon zu sagen, ob es nicht die letzte Schönwetterperiode des Jahres sein würde. Denn als ich die Stadt Exeter aus der Ferne erblickte, war bereits der letzte Septembertag im Jahr des Herrn 1473 angebrochen.

Bisher war das Jahr beunruhigend verlaufen. Während ich mein Hausiererbündel mit mir herumschleppte und meinem Handel entlang der Südküste Englands, mit einem Abstecher nach London, nachging, verbreiteten sich in den Städten und Dörfern, die ich bereist hatte, Gerüchte von einer bevorstehenden Invasion. Es hatte den Anschein, als würden die exilierten Lancasters sich zu Wort melden und zwei Jahre nach ihrer Niederlage in Tewkesbury wieder Mut fassen. Man hätte meinen können, daß mit dem Tod von König Heinrich und dessen Sohn die Ursache ihrer Feindseligkeit beseitigt war. Ihre Loyalität jedoch hatten sie auf den jungen Henry Tudor übertragen, der mit seinem Onkel Jasper nunmehr als Gast des Herzogs François an dessen Hof in der Bretagne lebte. Für die meisten Menschen war Henry eher eine Witzfigur und sein Anspruch auf den englischen Thron nicht ernst zu nehmen, stammte er doch von der Bastardlinie des John von Gaunt ab. Es unterstrich deutlicher als alles andere die Verzweiflung, mit der die verbliebenen Anhänger des Hauses Lancaster einen neuen Anführer suchten. Trotzdem gab es auch genug Gegner von König Eduard, alte wie neue Feinde, die sich jenseits des Kanals gesammelt hatten und nichts anderes im Schilde führten, als Unruhe zu stiften.

Als ihr Anführer galt John de Vere, der Graf von Oxford, ein Mann, der sich voll und ganz der Sache des Hauses Lancaster verschrieben hatte. Den einschmeichelnden Einflüsterungen von König Eduard, seinen Überredungskünsten und Bestechungsversuchen hatte er widerstanden und sein Mäntelchen nicht gewendet. Da man von ihm etwas erwartete, das in seinen Augen einem Verrat gleichkam, hatte er es vorgezogen, ins Exil zu gehen und ein angenehmes Leben und eine Stellung bei Hofe gegen ein karges Dasein einzutauschen. Seine Loyalität dem Hause Lancaster gegenüber war nie ins Wanken geraten, wofür ich ihn nur bewundern konnte. Doch es zirkulierten andere Namen von Personen, denen nachgesagt wurde, daß sie in die gegenwärtigen Unruhen verwickelt seien; Personen, die König Eduard viel zu verdanken hatten, von seiner Freigebigkeit lebten und bei ihm in hohem Ansehen standen.

Einer der Namen, die man sich gegen Ende des Winters und zu Beginn des Frühlings in den Wirtshäusern und Tavernen an der Südküste am häufigsten zuflüsterte, war derjenige von George Neville, dem Erzbischof von York, dessen älterer Bruder, der mächtige Earl von Warwick, zwei Jahre zuvor im Kampf gegen König Eduard während der Schlacht von Barnet Field gefallen war. Seine Beteiligung an einem Komplott schien dem König zur Genüge bewiesen, als Neville im April verhaftet und in der Festung von Hammes außerhalb von Calais festgesetzt wurde. Zwei Wochen darauf wurden die von dem Grafen von Oxford angeführten Truppen, die an der Küste von Essex anlandeten, heftig zurückgeschlagen.

Der andere Name, der im gleichen Atemzug mit den Wörtern «Verrat» und «Niedertracht» am häufigsten fiel, war derjenige des Herzogs George von Clarence, dem Bruder des Königs.

An diesem herrlichen Morgen näherte ich mich der Stadt Exeter durch das westliche Stadttor. Nachdem meine Route mich von Honiton nach Crediton kreuz und quer übers Land geführt hatte, beschloß ich, mich nach Südosten zu wenden und in der Stadt mein Glück zu versuchen. In den vergangenen Wochen waren meine Einnahmen spärlich gewesen, da die Menschen, besonders die Frauen, wegen des ständigen Geredes von einer Invasion beunruhigt waren. Schon des öfteren in meinem Leben war mir aufgefallen, daß die Menschen in bewegten oder unsicheren Zeiten ihr Geld lieber horten als ausgeben, so als würde das Gefühl der Münzen in ihrer Hand oder der Gedanke daran, daß sie in Krügen oder in einer Grube in der Erde gut aufgehoben waren, Trost spenden – als wäre Geld ein Bollwerk, ein Talisman gegen jegliches Mißgeschick. Zumindest neigen die Leute auf dem Lande zu einem solchen Verhalten, Stadtbewohner hingegen sind im allgemeinen nicht ganz so umsichtig. Als ich daher den Fluß Exe überquerte, in dessen Wasser die Sonnenstrahlen spielten, hoffte ich auf steigende Einnahmen.

Meine Stimmung hob sich, als ich die belebten Straßen mit den vielen Menschen sah, die ihren Geschäften nachgingen, als hätten sie nie von einer drohenden Invasion gehört, als würden der Graf von Oxford und seine Flotte nicht gerade jetzt im Ärmelkanal patrouillieren. In Exeter war ich früher schon einmal gewesen, und daher wußte ich, daß sich die Kathedrale St. Peter in der Stadtmitte befand. Daher ging ich die alte Römerstraße entlang, die Hauptstraße von Exeter, und schlug dann einen Weg in der Nähe der Kirche St. Martin ein. Als ich mich nach einem Ort umsah, an dem ich meine Waren ausbreiten und feilbieten konnte, vernahm ich die Gesänge zum dritten Tagesgottesdienst in der Kathedrale, was mich wie stets an die Zeit erinnerte, als auch ich an solchen Gottesdiensten teilnahm. Ich hatte allerdings vorgezogen, noch vor Ablegen der letzten Gelübde als Benediktinermönch ins weltliche Leben zurückzukehren. Sogar jetzt noch, viele Jahre später, plagen mich Gewissensbisse, daß ich meiner verstorbenen Mutter ihren sehnlichen Wunsch nicht erfüllt hatte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß – hätte ich mich anders entschieden – zwei kaltblütige Mörder vielleicht nie entdeckt und vor Gericht gestellt worden wären. Ich hatte den Eindruck, daß ich durch diese Tat, unter großer Gefahr für meine persönliche Unversehrtheit, meinen Frieden mit Gott geschlossen und meine Schuld ihm gegenüber abgetragen hatte. Doch hin und wieder befiel mich das unangenehme Gefühl, daß Gott vielleicht andere Vorstellungen und mit mir noch etwas im Sinne hatte.

Diese Vorahnung war mir an jenem Morgen besonders gegenwärtig, als ich vor dem Annivellars-Haus ausruhte und die Umgebung in Augenschein nahm. Dabei fiel mir auf, daß das Hinundher in den Straßen emsiger war als üblich und einige der Vorübergehenden mehr eitle Selbstgefälligkeit zur Schau stellten, als selbst einer solch blühenden und geschäftigen Stadt wie Exeter eigen ist. Dann bemerkte ich Männer, welche die blau-braune Livree der Gefolgsleute von König Eduard und seinem jüngsten Bruder, dem Herzog von Gloucester, trugen. Da der König selbst noch weitaus mehr Pomp und Prunk gezeigt hätte, als hier zu erkennen war, schloß ich, daß es sich um das Gefolge meines Herrn, des Herzogs von Gloucester, handeln müsse. Als ich zuletzt von ihm gehört hatte, hieß es, er stelle seine in Yorkshire ausgehobenen Soldaten zu einer Truppe zusammen, um sie nach Südengland zu führen, vermutlich als zusätzliches Bollwerk gegen eine Invasion. Doch weshalb, so fragte ich mich, hielt er sich an diesem herrlichen Septembermorgen in Exeter auf?

Meine Neugier wurde auf eine weit überraschendere Weise befriedigt, als ich mir hätte träumen lassen. Da es nirgends auf dem Platz eine Stelle gab, an der ich den Inhalt meines Bündels bequem ausbreiten konnte, würde mir wohl keine andere Wahl bleiben, als an die Türen zu klopfen und in jedem Hause bei der Hausfrau vorzusprechen. Es bestand ja immerhin die Möglichkeit, daß ich auf meiner Geschäftsreise den einen oder anderen Luxusgegenstand angekauft hatte, der selbst in den Läden und an den Marktständen in Exeter nicht ohne weiteres zu finden war. Doch erst einmal wollte ich mir einen Humpen Ale genehmigen, und während ich ihn trank, konnte ich etwas von dem Klatsch am Ort aufschnappen. Deshalb ging ich auf die Bevys-Taverne zu, die sich gegenüber der Kathedrale an das Annivellars-Haus anschmiegte. Ich befand mich schon an der offenen Tür, als mich jemand nicht gerade sanft am linken Arm packte und eine atemlose Stimme mir ins Ohr raunte: «Roger Chapman, du kommst mit mir. Und zwar sofort. Zum Herzog von Gloucester. Mein Herr sucht dringend einen Mann, dem er vertrauen kann.»

Wer sich die Mühe gemacht hat, meine Erinnerungen bis hierher zu lesen, mag sich erinnern, daß es mir während meines ersten Abenteuers – auf das ich bereits zu sprechen kam – eher zufällig gelungen war, Seiner Gnaden, dem Herzog von Gloucester, einen wichtigen Dienst zu erweisen. Zum Dank dafür sollte ich offenbar nun dazu gezwungen werden, ihm auch weiterhin zu Diensten zu sein. Mir blieb nichts anderes übrig, als dieser Bitte nachzukommen, auch wenn es mich Zeit kostete, in der ich doch meinen Lebensunterhalt verdienen mußte. Wahrscheinlich war es damals unvernünftig von mir gewesen, auf mein besseres Ich zu hören. Doch nun war es einmal geschehen, ändern konnte ich jetzt nichts mehr.

Den Mann, der mich angesprochen hatte, erkannte ich sogleich. Er hieß Timothy Plummer, und einst hatte ich ihn in Cheapside, London, aus den Fängen eines aufdringlichen Pastetenverkäufers befreit, der unbedingt seine Ware an den Mann hatte bringen wollen. Diese Begegnung hatte später zu einem Treffen mit seinem Herrn, dem Herzog von Gloucester, und zu allen folgenden Ereignissen geführt. Jetzt starrte ich ihn ein bißchen dumm an, so als wollte ich mich vergewissern, daß er aus Fleisch und Blut war.

«Woher wußtest du, daß ich in Exeter bin?» fragte ich. «Ich bin gerade erst angekommen.»

«Ich habe dich gesehen, als du die Brücke am westlichen Stadttor überquert hast, und sofort Seine Gnaden verständigt. Was willst du?» fügte er unwirsch hinzu. «Der Herzog möchte dich sprechen. Da bleibt dir nichts anderes übrig, als sofort mit mir zu kommen.»

«Soviel habe ich schon begriffen», antwortete ich bissig. «Ich wollte mir gerade ein Ale in Bevys Taverne gönnen. Ich nehme an, Seine Gnaden kann nicht warten?»

Timothy Plummer richtete sich zwar zu seiner vollen Größe auf, reichte mir jedoch immer noch kaum bis an die Schulter, was ihn sehr verstimmte. Aber daran war ich gewöhnt. Meine Größe und meine Kraft sind meinen Mitmenschen mein ganzes Leben lang ein Ärgernis gewesen. (Allerdings bin ich inzwischen nicht mehr so groß wie in meiner Jugend. Mit zunehmendem Alter sind meine Knochen krumm, und ich bin kleiner geworden – allerdings nur körperlich und nicht geistig, wie mir meine Kinder versichern.)

«Ich kann nicht warten», erwiderte er würdevoll.

«Gefrühstückt habe ich nämlich schon vor vielen Stunden», sagte ich murrend. «Und auch nur ein paar Gerstenfladen mit Honig, die eine Bäuerin mir freundlicherweise spendiert hat.»

Der kleine Mann zuckte die Achseln. «Dafür kann ich nichts.» Er schüttelte den Kopf. «Komm schon. Seine Gnaden logiert im Palast des Bischofs, verläßt jedoch heute nachmittag Exeter. Wir haben keine Zeit zu verlieren.»

Ich nahm hin, daß er seinen Namen mit dem des Herzogs in Verbindung brachte, und trottete widerstandslos hinter ihm her. Er stolzierte vorneweg, und seine blau-braune Livree und die Insignien mit dem weißen Eber bahnten ihm auf wundersame Weise eine Gasse durch die dichte Menschenmenge. Die Leute drehten sich nach uns um, und ein Anflug von Mitgefühl mischte sich in ihre Blicke. Offensichtlich nahmen sie an, ich hätte irgendeine Missetat begangen und würde zum Verhör abgeführt. Dieser Umstand, dazu mein geschwind größer werdender Durst und mein knurrender Magen, verdarb mir gründlich die Stimmung. Wenn ich vor den Herzog geführt wurde, erwartete man allerdings von mir, daß ich mich höflich äußerte, ganz zu schweigen davon, daß ich die gebotene Ehrerbietung an den Tag legte. Ich würde allerdings nur einen Mann meines Alters von einundzwanzig Sommern sehen, der so jung und verwundbar war, wie ich mich selbst fühlte.

Der Bischofspalast in Exeter, ein Gebäude aus rotem Sandstein, befindet sich im Windschatten der Kathedrale und hebt sich deutlich von dem fahlen Mauerwerk des Kirchenbaus ab. Als ich hinter Timothy Plummer eintrat, war von Bischof John Bothe weit und breit nichts zu sehen. Dagegen fielen das geschäftige Kommen und Gehen sowie das Stimmengewirr seiner Diener und der des Herzogs auf, deren allgemeines Verhalten und verächtlicher Gesichtsausdruck – insbesondere wenn sie beliebten, ihre Blicke auf mir ruhen zu lassen – ein Maßstab für ihre Selbstherrlichkeit war. Diese stand in einem vollkommenen Gegensatz zum höflichen Auftreten und dem freundlichen Blick des Herzogs.

Als ich eintrat, erhob er sich von einem holzgeschnitzten Lehnstuhl, der neben einem kleinen, stark qualmenden Kaminfeuer stand, und kam mir entgegen, um mich zu begrüßen. Er muß meine mißmutige Miene bemerkt haben, denn seine Augen blitzten auf, und sein Tonfall war entschuldigend, als er sagte: «Roger, der Hausierer! Welch ein Vergnügen, dich wiederzusehen, obwohl ich befürchte, daß du nicht ebenso denkst. Ich habe dich von deinem Gewerbe fortgerissen, und du wirst meine Vermessenheit verwünschen.»

«Nein, überhaupt nicht, Ihro Gnaden», stammelte ich, da es mich verwirrte, daß er meine Gedanken so trefflich erraten hatte. «Es ist nur so ... daß ich seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen oder getrunken habe und ...» Meine Stimme erstarb, als ich bemerkte, daß ich mehr gesagt hatte, als meine Absicht gewesen war.

Er lächelte, wodurch sich seine Gesichtszüge aufhellten und seine für gewöhnlich finstere Miene verschwand. «Und dein gewaltiger Körper verlangt wohl nach regelmäßiger Nahrungszufuhr, nicht wahr?» Er wandte sich an Timothy Plummer. «Hole etwas zu essen für unseren Freund hier! Was immer du in den Küchen Seiner Lordschaft findest!» Er lachte plötzlich auf. «Und wenn man weiß, wie peinlich genau unsere Bischöfe um das leibliche Wohl besorgt sind, so dürfte es dort reichlich und in großer Auswahl zu essen geben.» Nachdem Timothy Plummer, der über diesen untergeordneten Auftrag alles andere als beglückt war, sich auf den Weg gemacht hatte, setzte sich der Herzog wieder auf seinen Stuhl beim Kaminfeuer und gab mir durch einen Wink zu verstehen, ich solle mir einen der an der Wand lehnenden Hocker heranholen und mich ihm gegenübersetzen. Nachdem ich Platz genommen hatte, sahen wir einander an und schwiegen eine kurze Weile.

Ich hatte vergessen, wie klein und zierlich er aussah. Die langen Haare fielen ihm wie ein Vorhang bis auf die Schultern herab. Sein Mund war schmallippig und lebhaft, und zwischen der Oberlippe und den breiten Nasenlöchern der charakteristischen geraden Plantagenet-Nase verlief eine tiefe Furche. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen, als bekäme er zuwenig Schlaf. Verglichen mit seinen beiden wirklich gutaussehenden großen, blonden älteren Brüdern war sein Kinn etwas zu lang und zu breit geraten. Noch zu seinen Lebzeiten konnte man oft hören, er sei der attraktivste der drei Brüder, und mir ist bekannt, daß die Frauen ihn für einen schönen Mann hielten. (Dies heute zu erwähnen kommt zwar einem Verrat gleich, doch ich werde die Wahrheit erzählen, ohne mich um die Folgen zu kümmern.)

Wenn Richard von Gloucester auch von zierlicher Gestalt war, so verfügte er doch über einen eisernen Willen, eine Eigenschaft, welche durch die – trotz aller Widrigkeiten und Versuchungen – unerschütterliche Loyalität zu seinem Bruder, König Eduard, unterstrichen wurde. Im Gegensatz zu seinem anderen Bruder, George von Clarence, geriet seine Treue nie ins Wanken, selbst dann nicht, als er deshalb die Hoffnung aufgeben mußte, die Frau zu heiraten, die er liebte. Dieser Verzicht gehörte glücklicherweise der Vergangenheit an; er und seine Cousine, Lady Anne Neville, waren seit nunmehr achtzehn Monaten Mann und Frau. Und zu dieser Zusammenführung hatte ich meinen bescheidenen Anteil beigetragen.

Derselbe Gedanke muß ihm durch den Kopf geschossen sein, denn plötzlich grinste er, was selten vorkam, und beugte sich nach vorn, wobei er seine Ellbogen auf den Knien abstützte. Einen kurzen Augenblick lang waren wir nicht mehr Herzog und der geringste der Gemeinen, sondern Freunde – zwei junge Männer, die am selben Tag geboren worden waren – das behauptete wenigstens meine Mutter immer –, vereint durch das Band der Jugend und durch ein gemeinsam bestandenes Abenteuer. Plötzlich streckte er den Arm aus und ergriff meine Hand.

«Ich verdanke dir eine Menge, Roger Chapman, und anstatt dich zu belohnen, bin ich gerade dabei, erneut deine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch ich verspreche dir, daß du nicht ohne Belohnung bleiben sollst. Für deinen Einnahmeverlust in den kommenden Tagen, in denen du dich nach Plymouth begeben wirst, will ich dich mehr als entschädigen, und ebenfalls für die Tage, die du für die Rückreise benötigst.» Mein Kiefer muß vor Erstaunen heruntergeklappt sein, denn just in diesem Augenblick war ein Dienstbote mit einem beladenen Tablett eingetreten, und der Herzog lachte. «Tu dich erst gütlich an Speis und Trank, und dann erzähle ich dir, aus welchem Grund ich deine Dienste benötige.» Den Boten, der seine Last auf einem Tisch nahe beim Fenster abgestellt hatte, entließ er durch ein kurzes Nicken. «Rück jetzt mit deinem Hocker näher und lang zu. Ich bin mir sicher, ein guter Esser wie du kann das alles wegputzen.»

Der Anblick des Essens verdrängte vorübergehend sämtliche anderen Gedanken aus meinem Kopf. In der Viertelstunde darauf arbeitete ich mich unerschütterlich durch eine Platte mit gekochtem Rind- und Lammbraten, einen Teller mit eingelegten Heringen, durch Weizenfladen und mit Safran bestreute Speckscheiben sowie einen halben Laib Brot. Alles spülte ich mit drei oder vier Schalen eines ausgezeichneten Ales hinunter, das ich mir aus einem großen Krug links auf dem Tisch einschenkte. Als ich die letzten Essensreste aus meinem Gebiß entfernt und die Schale bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, blickte ich auf und stellte fest, daß der Herzog mich mit unverhohlenem Vergnügen ansah. Einen Augenblick lang war ich verlegen, bis ich entschied, daß Offenheit meine beste Waffe war.

«Ich muß mich bei Euer Gnaden entschuldigen, wenn meine Tischmanieren nicht denen entsprechen, die Ihr gewöhnt seid. Aber ich habe selten das Glück, von so guten, oder auch so reichlich aufgetragenen Speisen wie jenen zu kosten. Vermutlich habe ich mich hinreißen lassen. Ich versichere Euch, daß ich nicht immer esse wie ein Schwein am Trog.»

Er mußte lauthals lachen. «Das hast du nicht», sagte er. «Es war mir ein Vergnügen, jemandem zuzusehen, dem es so gut schmeckt wie dir.» Seine Miene wurde ernster. «Nur allzu leicht vergißt man, daß nicht alle Menschen jeden Tag genug zu essen haben. Rücke jetzt mit deinem Hocker hierher, damit wir reden können.» Als ich nähergekommen war, fuhr er fort: «Was macht dein Gewerbe? Hast du dich nicht entschlossen, deine Arbeit zu wechseln?»

Ich schüttelte den Kopf. «Ich ziehe gern durch die Gegend. Zwischen vier Wänden fühle ich mich stets eingeschlossen und unwohl. Deshalb habe ich ja auch das Kloster Glastonbury verlassen. Aber ich habe Eurer Hoheit eigentlich noch nicht für das Angebot von vor zwei Jahren gedankt, mich in Euren Haushalt aufzunehmen. Ich habe versucht, Eurem Boten die Gründe für meine Ablehnung so gut wie möglich zu erklären.»

Der Herzog neigte den Kopf. «Er hat die Botschaft pflichtgetreu übermittelt. Ich habe es zwar bedauert, die Gründe jedoch verstanden.» Sein Blick wanderte zum Kaminfeuer, von dem inzwischen nur eine Spur grauer Asche zurückgeblieben war. «Auch ich mag es nicht, mich wie in einem Käfig eingesperrt zu fühlen. Nach Westminster gehe ich nur, wenn ich muß, und wenn ich dort bin, träume ich stets von den Mooren in Yorkshire.» Er seufzte. «Du und ich, wir sind vom selben Schlag, so will mir scheinen. Ein Grund mehr dafür, daß ich dir trauen kann. Das habe ich von jenem Augenblick an gewußt, als ich dich zum erstenmal zu Gesicht bekam. Bei einigen Menschen kann ich das instinktiv erkennen. Andere dagegen» – er sagte das mit einem bitteren Unterton – «werde ich nie verstehen.» Ich vermutete, daß er damit seinen Bruder George meinte, schwieg jedoch. Ein Kommentar stand mir nicht zu. Nach einer weiteren Pause fuhr er fort: «So! Jetzt zum Geschäft. Du mußt dich natürlich fragen, warum ich dich habe herholen lassen, und ich bin im Begriff, so schnell wie möglich nach Nottingham abzureisen.» Er drehte sich auf seinem Stuhl so, daß er mir gerade in die Augen blicken konnte, und ich widmete ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Gefährliche Botschaft

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