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Der Abt John Kyng war ein freundlicher und zuvorkommender Mann. Wenigstens kam er mir so vor, und ich kann mich nicht erinnern, irgend jemanden schlecht über ihn sprechen gehört zu haben, wenngleich ich annehme, daß einige ihn nicht mochten. Zu dieser Zeit, im Jahr des Herrn 1473, war er bereits seit neun Jahren Abt in Buckfast und sollte es für ein weiteres Vierteljahrhundert bleiben. Als hervorragender Gelehrter war er zuvor Aufseher am St. Bernard’s College in Oxford gewesen und hatte mehrere theologische Abhandlungen verfaßt, die in Rom wohlwollend aufgenommen worden waren.

Als Philip und ich seine Zelle betraten, stand er auf, um uns zu begrüßen, wobei die weiße Zisterzienserkutte locker an seiner hageren Gestalt herunterfiel. «Ich weiß, daß Ihr im Auftrag des Königs unterwegs seid und ein Bett für eine Nacht braucht.»

Philip starrte mich an. «Pater, das sollte nicht weiter bekannt werden. Bei seinem Wunsch, uns eine Unterkunft zu sichern, ist mein Gefährte übereifrig gewesen.»

Ich tat Philip den Gefallen zu erröten. Tatsächlich hatte ich meine Zunge nicht im Zaum halten können und alle Vorsichtsmaßregeln außer acht gelassen. Selbstverständlich wäre es besser gewesen, wir hätten uns unter die Schar der anderen Reisenden und Jahrmarktbesucher gemischt, die die Abtei mit ihren Unterkunftswünschen belagerten, und die Aufmerksamkeit nicht in solcher Weise auf uns gezogen.

Der Abt, der meine Verlegenheit spürte, lächelte mir beruhigend zu. «Der Laienbruder, der Euch zu mir geführt hat, hat seinen Arbeitsdienst in der Abtei heute abend beendet und kehrt bei der ersten Morgendämmerung auf seinen Bauernhof zurück. Er ist äußerst vertrauenswürdig und zudem verschwiegen. Ihr braucht also nicht zu befürchten, daß er weitererzählt, was Ihr ihm gesagt habt. Was alle anderen angeht, so soll gelten, daß Ihr mir eine Botschaft von Bischof Bothe überbracht habt, und deshalb wird es auch nicht weiter auffallen, daß ich Euch ein Bett für die Nacht reserviere. Die Krankenabteilung ist zur Zeit nicht belegt. Ich werde mit dem Bruder Samariter sprechen, damit Ihr dort schlafen könnt. Doch scheint es mir angeraten, daß Ihr zusammen mit den anderen Gästen speist. Dadurch wird es möglich, jeglichen Verdacht zu zerstreuen, der durch Eure Vorzugsbehandlung aufgekommen sein könnte. Es besteht also kein Grund zur Sorge.»

«Dein Verdienst war es nicht», zischte Philip mir ins Ohr, als wir zum Refektorium unterwegs waren, wo die Mönche damit begonnen hatten, das Abendessen auszuteilen. «Hab ich’s doch gewußt, daß ich ohne dich besser zu Rande käme!»

Darauf reagierte ich nicht. Einerseits, weil es nichts gab, wofür ich mich hätte entschuldigen können – ich hatte mich einfach nur gedankenlos verhalten und mir ansonsten nichts zuschulden kommen lassen –, und andererseits, weil es mich immer wieder irritierte, daß sich nicht alle Geistlichen dem Gebot zur reinen Wahrheit verpflichtet fühlten. Sie beugen sich der Zweckmäßigkeit weitaus häufiger, als sie zuzugeben bereit sind. Ich nehme an, in jenen Tagen war ich noch grün hinter den Ohren, weil ich etwas anderes erwartete. Wir schlossen uns der Schlange an, die für eine Schale Brühe, eine Scheibe Schwarzbrot und ein Stück hellen Ziegenkäse anstand, und setzten uns damit an einen der langen Holztische, die auf Böcken standen. Zu meiner Erleichterung schien sich niemand für uns zu interessieren oder eine anzügliche Bemerkung darüber zu machen, daß der Abt uns empfangen hatte. Damals, wie seitdem immer wieder, erkannte ich, daß die Menschen im allgemeinen viel zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt sind, als daß sie bewußt wahrnehmen, was in ihrer nächsten Umgebung vor sich geht.

Mein Gefährte murrte verdrießlich über das miserable Mahl und verfluchte, daß der Herzog uns zum Reiseantritt noch am Nachmittag gedrängt und uns nicht erlaubt hatte, bis zum nächsten Morgengrauen zu warten. «Wenn wir den ganzen Tag galoppiert wären, hätten wir ebensogut vor dem Abend in Plymouth ankommen können.»

«Das könnte ich gar nicht», entgegnete ich. «Und vielleicht dachte Seine Gnaden, daß wir außerhalb von Exeter sicherer seien. Übrigens ist diese Brühe ganz in Ordnung. Sie schmeckt ausgezeichnet.»

Wir löffelten eine Fischsuppe, was kaum verwundert, wenn der Fluß Dart so nahe liegt und sich reichlich Süßwasserfische in seinem Gewässer tummeln. Die Mönche konnten jeden Tag mit ihren Angelruten am Ufer Fische fangen.

Philip Underdown schnaubte, unterließ aber jede weitere Bemerkung und beschränkte sich darauf, das Essen so schnell wie möglich in den Mund zu stopfen. Seine schlechte Laune nahm zu. Meine Anwesenheit schien ihm eine ständige Quelle des Ärgers zu sein. Ich beschloß, im weiteren Verlauf des Essens so wenig wie möglich zu reden, und begnügte mich damit, die anderen Tischgenossen um mich herum anzusehen. Die meisten von ihnen waren Jahrmarktbesucher, wie die Frau aus dem Dorf uns gesagt hatte, die noch vom Vortage hängengeblieben waren und sich von ihrem Rausch erholten. Morgen würden sie sich in alle Windrichtungen auf den Heimweg machen, in die verschiedenen Gegenden des Moors, sogar bis nach Exeter oder Plymouth, um den weniger Glücklichen, die zu Hause geblieben waren, davon zu berichten, welch schöne Zeit sie erlebt hatten. Die trunkene Benommenheit vom Tage, das Kopfbrummen und die getrübte Sicht waren dann längst vergessen. Es gab allerdings ein paar andere bona fide Reisende wie uns: zwei Bettelmönche – nach ihrer grauen Kutte zu urteilen, handelte es sich um Franziskaner – und einen solide gekleideten Mann mittleren Alters, der an einem Tischende in unserer Nähe saß, nicht mit seinen Nachbarn redete und seine Augen starr auf seinen Teller gerichtet hielt. Ich sah ihn lange und genau an, doch ich konnte nicht herausfinden, ob es sich um den Mann handelte, den ich zuvor am Nachmittag im Moor gesehen hatte. Einmal, als spürte er meinen musternden Blick, wandte er mir den Kopf halb zu, doch seine Miene blieb ausdruckslos. Falls er sich für mich und meinen Gefährten interessierte, ließ er davon jedenfalls nichts erkennen.

Wir hatten unsere Mahlzeit fast beendet, als hinter uns jemand einen plötzlichen Tumult verursachte, als er fluchend und unbeholfen auf seine Füße zu kommen versuchte. Einen Augenblick darauf senkte sich seine Hand auf Philip Underdowns Schulter, und eine rauhe Stimme sagte: «Dachte ich mir doch, daß du’s bist!»

Philip, gerade damit beschäftigt, seine Schale mit seinem letzten Stück Brot auszuwischen, drehte sich ruckartig herum und blickte hoch. Der Mann, der vor ihm stand, war klein und stämmig, hatte sandfarbene Haare und Wimpern, einen etwas rötlicheren und zottigen Bart und ein wettergegerbtes Gesicht, in dem seine strahlend blauen Augen herausstachen. Seine Jacke aus grober Wolle war geflickt und schmutzig und an einigen Stellen so verschlissen, daß es weiß unter der braunen Farbe hervorleuchtete. Ein Streifen schmuddeligen Leinens, den er sich um den Hals gebunden hatte, diente ihm als Hemd, und seine Hand, mit der er sich an der Schulter meines Gefährten festklammerte, war mit Schwielen und Narben übersät. Seine Miene war so grimmig, daß ich zusammenzuckte, doch Philip Underdown setzte nach einem einzigen kurzen Blick in aller Ruhe seine Mahlzeit fort.

«Was willst du von mir?» fragte er.

«Du weißt verdammt genau, was ich will!» Der Mann neigte den Kopf, bis er mit Philips Kopf auf gleicher Höhe war. Ich konnte seinen säuerlichen Atem riechen. «Ich will, was mir zusteht.»

«Vor zwei Jahren hast du bekommen, was dir zusteht. Ich habe dich ausbezahlt, Silas Bywater, genau wie alle anderen auch.»

«Du hast uns mehr versprochen. Wenn wir deinen verrotteten Kahn sicher in den Hafen bugsieren, hast du uns gesagt, dann bekämen alle Mann an Bord je zwei Goldmünzen. Einen Schilling haben wir aber nur bekommen.»

«Seid froh, daß ihr noch so viel gekriegt habt.» Philip sprach grob, seine Nerven lagen bloß. «Wie hätte ich euch mehr geben können, da ich den Pott noch nicht verkauft hatte?» Ihm war sichtlich daran gelegen, seinen unwillkommenen Bekannten loszuwerden. Beide zogen nämlich bereits die Aufmerksamkeit an den Nachbartischen auf sich. Köpfe hoben sich, die Menschen wollten besser sehen, was vor sich ging. Er versuchte, die Hand von seiner Schulter abzustreifen, jedoch vergebens. «Laß mich in Ruhe!»

Der Mann, der als Silas Bywater angeredet worden war, zischte: «Du hast uns ein Datum, eine Uhrzeit und einen Treffpunkt angegeben, um uns unseren Anteil am Erlös auszuhändigen, hast dich aber nicht blicken lassen. Die anderen armen Teufel haben beschlossen, das beste aus ihrer schlechten Lage zu machen, und sind nach Plymouth heimgekehrt. Einige von ihnen glaubten, du hättest die Ladung nicht losschlagen können, doch ich wußte es besser. Ich blieb noch eine Weile in London und erkundigte mich. Und es war genauso, wie ich es mir gedacht hatte. Einen hübschen Gewinn hast du herausgeschlagen. Du selbst warst ganz schön erfolgreich, und dann hast du dich dünnegemacht. Du hattest nie vor, mich und die restliche Mannschaft der Speedwell auszuzahlen, oder etwa nicht, du verdammter Lügenbastard?»

Einer der Laienbrüder war auf die lauten Stimmen aufmerksam geworden und eilte quer durch das Refektorium. Sein rundes Gesicht war vor Aufregung rot angelaufen, und er machte einen nervösen Eindruck. «Bitte hört sofort mit diesem Gezänk auf», sagte er. «Bedenkt, daß Ihr Euch in einem Gotteshaus befindet.»

«Dann schafft mir diesen Idioten vom Hals», knurrte Philip. «Schließlich habe ich den Streit nicht gesucht. Ich möchte nur allein sein.»

«Ich gehe erst, wenn ich bekommen habe, was mir zusteht«, beharrte Silas Bywater. «Zwei Jahre lang habe ich von dieser Begegnung geträumt, und jetzt treffe ich ihn zufällig hier. Und dabei wäre ich fast nicht zum Jahrmarkt gekommen! Tu nicht so, als wärst du arm! Du siehst wohlhabend genug aus!»

«Ich hab’s dir schon gesagt!» schnaubte Philip, der allmählich die Geduld verlor. «Du bekommst nichts von mir, niemals! Schleich dich lieber zu der Hundehütte zurück, aus der du herausgekrochen bist, und laß mich in Frieden!»

Ich beschloß, es sei jetzt an der Zeit, etwas zu unternehmen. Der kleine Mönch fuchtelte aufgeregt herum, doch nichts rührte sich. Seine Mitbrüder hielten sich entweder in ihren Zellen auf, um sich auf die Komplet, das Tagesschlußgebet, vorzubereiten, oder waren mit den zugeteilten Aufgaben beschäftigt, und kein anderer schien geneigt, sich einzumischen. Ich schwang die Beine über die Bank und erhob mich langsam, wobei ich mich zu meiner vollen Größe emporreckte. Dann schnappte ich mir Silas Bywaters Hand von der Schulter meines Gefährten, umklammerte sein anderes Handgelenk und wirbelte ihn zu mir herum.

«Laß meinen Freund in Ruhe», sagte ich in ruhigem Ton, «oder du bekommst es mit mir zu tun.»

Er stieß wütende Flüche aus und versuchte sich zu befreien, doch in meiner Jugend besaß ich gewaltige Kraft in den Händen. So sehr er sich auch wand und drehte, ich konnte ihn ohne große Schwierigkeiten umklammert halten. Schließlich mußte er sich geschlagen geben und starrte mich völlig außer Atem an. Philip hatte sich ebenfalls erhoben und stand mit einer so verächtlichen Miene neben mir, daß ich nicht überrascht war, als mein Gefangener seine letzten Kräfte aufbot, um sich aus meiner Umklammerung zu lösen. Als Objekt solcher Verachtung hätte ich an seiner Stelle auch mit den Fäusten um mich schlagen wollen. Ich verstärkte meinen Griff, bis ich einen seiner Knochen knacken hörte. Silas schrie vor Schmerzen auf, und da ließ ich ihn los. Er sank auf eine Bank nieder, hielt sein verletztes Handgelenk und stieß eine Flut von Verwünschungen aus. Der kleine Mönch preßte vor Entsetzen beide Hände auf die Ohren.

Ich wandte mich Philip Underdown zu. «Laß uns hier verschwinden. Wir ziehen zuviel Aufmerksamkeit auf uns. Und morgen müssen wir früh aufstehen. Es ist also Zeit, schlafen zu gehen.»

Er nickte, und ich nahm mein Messer mit dem schweren Griff vom Tisch und holte mein Bündel und meinen Knüppel unter der Bank hervor, wohin ich sie vor der Mahlzeit abgelegt hatte. Schweigend, doch mit dem unangenehmen Gefühl, daß jedermanns Augen uns folgten, gingen wir auf den Ausgang des Refektoriums zu. Als wir an der Tür angekommen waren, schrie Silas Bywater: «Glaub ja nicht, daß du zum letztenmal von mir gehört hast, Käpt’n Underdown! Vergiß nicht, daß ich Sachen über dich weiß, von denen du bestimmt nicht möchtest, daß sie weiterverbreitet werden! Ich kriege dich noch, du Höllenhund!»

Es war bereits dunkel geworden, und die Glocken der Klosterkirche riefen zum letzten Gottesdienst. Gerne hätte ich mich den Mönchen zur Andacht angeschlossen, doch ich wagte nicht, meinen Gefährten allein zu lassen, und mein Instinkt verriet mir, daß Philip Underdown kein frommer Mann war. Natürlich glaubte er an Himmel und Hölle, wie wir alle, doch ich vermutete, daß er erst in extremis ernsthaft über den Zustand seiner Seele nachzudenken bereit war.

«Weißt du, wie wir zur Krankenabteilung kommen?» fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. «Nein, aber wir können uns ja erkundigen.»

Einer der Laienbrüder, der sich zur Komplet verspätet hatte, kam aus der Dunkelheit auf uns zugeflattert. Auf unsere Frage hin deutete er auf einen Bau, der etwas abseits von den andern stand, und bestätigte, daß zur Zeit keines der Betten belegt war, da Schmerzen, Frösteln und Wechselfieber im Herbst von der Dorfgemeinschaft bisher noch keinen Tribut gefordert hatten. Wir dankten ihm, und ich ging über den Hof voraus. Die Tür zur Krankenabteilung knarrte leise, als ich sie öffnete und hineinspähte.

Drinnen war es sehr dunkel, und das einzige, was ich sofort ausmachen konnte, war das Kreuzfenster am anderen Ende. Doch als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich die Umrisse eines Holzgestells ausmachen, das an der Wand rechts vom Eingang stand. Nur wenige Augenblicke dauerte es, bis meine vorwärtstastenden Finger auf das stießen, was wir suchten, auf ein Binsenlicht nämlich. Ganz in der Nähe stand eine Zunderbüchse. Es gelang mir, den Feuerstein gegen das Eisen zu schlagen, und der Zunder flammte auf. Ich zündete das Binsenlicht an und hielt es in die Höhe. Sein flackernder, unsteter Schein beleuchtete schwach die beiden einander gegenüberliegenden Bettreihen, die den ganzen Raum füllten. Wie ich nur allzu gut wußte, bestand in den Klöstern das einzige Zugeständnis an Krankheit aus einem dünnen Strohsack in einem Holzrahmen.

Philip Underdown näherte sich einem Bett und begann, eine der strohgefüllten Matratzen mit abschätziger Miene zu prüfen. Allerdings gab er keinen Kommentar ab. Vermutlich dachte er daran, daß wir zumindest allein untergebracht waren und eine Bettstelle in der Krankenabteilung immer noch dem Fußboden im Gästehaus der Abtei mit allen Gerüchen und Geräuschen unserer Tischgenossen vorzuziehen war. Er zog Wams und Schuhe aus, erleichterte sich in einer Ecke des Raums, überprüfte den Inhalt seines Lederbeutels, den er am Gürtel trug, und warf sich auf eins der Betten – dies alles, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Ich tat es ihm nach, doch bevor ich mich hinlegte, richtete ich es so ein, daß mein Messer und mein Knüppel in Reichweite lagen, und schleifte das Holzgestell bis vor die Tür, die sich nach innen öffnete.

Mein Gefährte lachte spöttisch. «Sag bloß, du hast vor diesem Windbeutel Silas Bywater Angst, wie? Er blufft nur, ich kenne ihn nicht anders. Er wird mir nichts antun, dafür sorge ich schon. Wahrscheinlich wird er’s nicht mal versuchen.»

«Darauf will ich es nicht ankommen lassen», erwiderte ich, während ich meine Gestalt in das enge Gehege des Bettes zu zwingen versuchte. «Der Herzog verläßt sich darauf, daß ich dich sicher bis Plymouth begleite, und falls eben möglich, habe ich nicht die Absicht, dieses Vertrauen zu enttäuschen.» Ich hatte das Binsenlicht ausgeblasen, doch ich brauchte seinen fahlen Schein nicht, um das Hohnlächeln auf Philip Underdowns Gesicht zu sehen. Ich kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, daß er Gefühle wie Loyalität und Freundschaft gering achtete. Was er tat, tat er nur des Geldes wegen und aus keinem anderen Grunde. Rasch fügte ich hinzu: «Du kennst dich also in dieser Gegend gut aus. In Plymouth und Umgebung, meine ich.»

«Wie kommst du darauf?»

«Durch Silas Bywater. Du hast ihn und die übrige Mannschaft der Speedwell hier angeheuert. Oder habe ich ihn mißverstanden?»

Es entstand eine kleine Pause, bevor er antwortete: «Nein, mein Bruder und ich betrieben unseren Handel von Plymouth, aber auch von Bristol und London aus. Jedesmal heuerten wir eine neue Mannschaft an, denn es dauerte Monate, vielleicht sogar ein Jahr und länger, bis wir für die nächste Seefahrt eine komplette Ladung beisammen hatten. Zwerge brachten das meiste Geld ein, und wie du richtig gefolgert hast, waren sie nicht immer leicht zu finden. Manchmal mußten wir das Land bis an die schottische Grenze hoch im Norden durchkämmen. Es wäre unpraktisch gewesen, eine ständige Mannschaft zu unterhalten, die die ganze Zeit über nur herumfaulenzte.»

«Und wenn du in Frankreich oder Italien warst? Da mußte die Mannschaft doch auch faulenzen.»

«Diese Fahrten dauerten nicht so lange, höchstens ein paar Wochen. Was wir mitgebracht hatten, verkauften wir, und von diesem Erlös kauften wir neue Waren zum Beladen des Schiffs. Wenn wir jemanden wie Paolo fanden, schätzten wir uns glücklich, aber die Nachfrage nach Zwergen war in unserem Land nie so groß wie in den fremden Ländern, etwa in Italien. Aber das habe ich dir bereits erzählt, Gott weiß warum! Du sollst mich hier beschützen, nicht aber deine Nase in meine Angelegenheiten stecken. Deshalb hältst du jetzt endlich den Mund und schläfst.»

Auf seiner Pritsche wälzte er sich auf die Seite, wobei er mir seine Kehrseite zuwandte. Ich verschränkte die Hände unter dem Kopf und starrte die schwach beleuchtete Decke an. Philip Underdown mochte ich nicht, und irgend etwas an seiner Person rief bei mir ein Unwohlsein hervor. Inzwischen war ich sehr müde geworden. Für mich war es nämlich ein langer Tag geworden, seitdem ich am Morgen im Schutz irgendeines Bauernhofs vor den Toren von Exeter aufgewacht war. Der Tag war nicht wie erwartet verlaufen, sondern hatte mich vielmehr in Gesellschaft dieses unangenehmen Mannes auf den Weg nach Plymouth geführt. Ich ließ einen Arm an der Seite meiner Bettstatt hinuntergleiten, und meine Finger schlossen sich beruhigend um das Heft des Messers, das neben meinem Knüppel auf dem Fußboden lag. Meine Sinne schwanden, und auch ich drehte mich auf die Seite, wobei ich versuchte, meine langen Glieder so gut wie möglich unterzubringen und mit meiner Schulter eine Kuhle in die Matratze zu drücken. Ich wollte gerade einschlummern, als meine Augen, die ich nur ganz kurz geöffnet hatte, mir mitteilten, daß es am anderen Ende der Krankenabteilung noch eine weitere Tür gab. Vermutlich stand dort ebenfalls ein Holzgestell mit einem Binsenlicht und einer Zunderbüchse drauf, und ich wußte, daß ich hätte aufstehen, mich umsehen und diese Tür ebenfalls verbarrikadieren müssen. Doch mein Körper verweigerte mir den Dienst, als ich ihn zum Aufstehen zwingen wollte. Noch immer schmerzte jede Sehne meiner Arme und Beine und lechzte nach Ruhe. Wenn ich mein Reittier, das inzwischen in den Stallungen der Abtei gefüttert und getränkt worden war und nun schlief, morgen früh gestärkt besteigen wollte, so mußte ich jetzt schlafen. Meine Augen schlossen sich gehorsam, und wiederum bewegte ich mich auf den Rand der Bewußtlosigkeit zu. Philip Underdown schnarchte bereits.

Ich weiß nicht, was mich geweckt hatte, doch plötzlich waren meine Augen weit offen. Es war mir nicht möglich abzuschätzen, wie lange ich geschlafen hatte. Jedenfalls mußte es lange genug gewesen sein, daß ich mich auf die andere Seite gewälzt hatte und auf Philip Underdown blickte. Irgend jemand, ein Mann, stand über Philips schlafender Gestalt. Er hielt ein Messer in seiner erhobenen rechten Hand. Selbst in der Dunkelheit vermochte ich den fahlen Widerschein auf der Klinge zu erkennen.

Ich fuhr aus dem Bett hoch, noch bevor ich mir bewußt geworden war, was ich tat. Mit dem rechten Arm hielt ich ihn im Würgegriff, mein linkes Knie stieß ich ihm in den Rücken. Er gab einen erstickten Schrei von sich und ließ das Messer auf den Steinfußboden fallen. Das scheppernde Geräusch weckte Philip auf, der jählings aufrecht in seinem Bett saß und nach seinem Dolch griff. Bevor er mir jedoch zu Hilfe kommen konnte, schlug der Mann, den ich würgte, plötzlich mit dem rechten Bein nach hinten aus und traf mich dabei, mehr zufällig als gezielt, mitten in mein Geschlechtsteil, wodurch ich unwillkürlich meinen Griff lockerte. Während ich mich vor Schmerzen krümmte, arbeitete er sich frei, wich Philip Underdown aus, der nach ihm griff, und flüchtete durch die offene Tür am anderen Ende der Krankenabteilung. Einen Moment später fiel die schwere Tür dröhnend zu, und wir waren allein.

Gefährliche Botschaft

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