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Bei Lillis’ letzten Worten empfand ich wieder diese wachsende, mit einem gewissen Unwillen vermischte Erregung, die ich schon zweimal verspürt hatte, als mich das sichere Gefühl beschlich, daß Gott mich als Werkzeug Seiner Vergeltung einsetzen wollte. Als ich drei Jahre zuvor gegen den Willen meiner verstorbenen Mutter das Kloster in Glastonbury verließ, um mich dem freien Leben auf der Landstraße hinzugeben, war mir nicht in den Sinn gekommen, daß Gott möglicherweise im Gegenzug für den Verlust meiner – wenn auch bescheidenen geistlichen Dienste eine Entschädigung verlangen könnte. Aber Er hat mir einen klaren Verstand, eine feine Empfindsamkeit für Launen und Stimmungen und einen scharfen Blick für scheinbar unbedeutende Nebensächlichkeiten geschenkt, und diese Gaben hatten schon zweimal dazu geführt, daß ich meine eigenen Angelegenheiten stehen und liegen ließ, um mich um die anderer Leute zu kümmern. Und hier saß ich nun und vernahm schon wieder einen unüberhörbaren Hilferuf, diesmal von zwei gutherzigen Frauen, denen ich viel zu verdanken hatte. Denn obgleich Margaret Walker den Vorschlag ihrer Tochter entrüstet von sich wies, war doch deutlich zu sehen, daß sie sich nach einem wohlwollenden Zuhörer sehnte, dem sie ihre Sorgen anvertrauen konnte.

In einem letzten verzweifelten Versuch, meine Freiheit zu verteidigen, sagte ich: «Aber es ziemt sich nicht, daß zwei Frauen ihre Hütte mit einem Fremden teilen. Ihr würdet bald ins Gerede kommen, und daran möchte ich keine Schuld tragen.»

Margaret ließ das Gemüsemesser ruhen und sah mich spöttisch an. «Ich bin alt genug, um deine Mutter zu sein, und außerdem eine ehrbare Witwe. Warum sollte ich aus deiner Suche nach einem warmen Platz für den Winter keinen Nutzen ziehen und die Möglichkeit, an dir ein wenig Geld zu verdienen, irgendeiner Frau in Wells überlassen? Ganz bestimmt bin ich deines Geldes ebenso würdig wie sie. Wie du bereits weißt, gibt es draußen einen Abtritt und hier drinnen einen Vorhang, den wir vorziehen können, um den Anstand zu wahren. Sobald du wieder kräftig genug bist, kannst du deine Hausiererei genausogut auch in Bristol betreiben, und wahrscheinlich wird der Ertrag hier sogar besser sein. Wenn du allerdings entschlossen bist, deinen Abschied zu nehmen, kann ich dich nicht aufhalten und wünsche dir von Herzen eine gute Reise.»

Ihren Worten war nichts entgegenzusetzen, und mein Mut sank. Vor der Tatsache, daß ich ihr und Lillis mehr schuldete, als ich ihnen jemals würde zurückzahlen können, konnte ich nicht die Augen verschließen. Außerdem hatten Lillis’ Worte meine Neugier geweckt. Fast konnte ich fühlen, wie meine Spürnase vor Erwartung zitterte – wie die eines Hundes, der einen vergrabenen Knochen gewittert hat. Meine Mutter hatte immer über meine unersättliche Neugier geklagt und mit mir geschimpft, weil ich meine Nase nicht aus den Angelegenheiten anderer Leute heraushalten konnte. Sie hatte mir prophezeit, daß es mir nichts Gutes einbringen würde.

«Also gut», lenkte ich kleinlaut ein, «wenn ihr mich hier aufnehmen wollt, bleibe ich bis zum Frühjahr bei euch. Aber ich möchte dann auch gleich für die letzten beiden Wochen bezahlen. Ich habe genug Geld, um mich ein paar Wochen über Wasser zu halten, obwohl ich meine Rücklagen natürlich auch dafür nutzen muß, meine Waren aufzustocken. Bei den vielen Frachtschiffen, die am Redcliffe-Kai anlegen, dürfte das allerdings keine Schwierigkeit sein. Unter der Bedingung, daß ihr meine Bezahlung annehmt, bleibe ich.»

Obwohl beide keinerlei Zeichen von Triumph erkennen ließen, spürte ich deutlich ihre Erleichterung. Ihre Gesichter entspannten sich, und sie machten sich wieder an dem Gemüse zu schaffen.

«Morgen werde ich zu Nick Brimble gehen und ein Rollbett ausborgen», sagte Margaret und warf schwungvoll ein paar Handvoll Lauchstreifen und kleingewürfelte Rüben in den Eisentopf, in dem das Wasser allmählich zu kochen begann.

Ich nickte zustimmend, denn es blieb mir nun keine andere Möglichkeit mehr, als mich in das Unvermeidliche zu schicken. «Und diese Geschichte, die ihr mir vorhin erzählen wolltet?» fragte ich. «Lillis hat recht. Wenn ich hier mit euch zusammenleben soll, ist es besser, wenn ich über alle eure Schwierigkeiten unterrichtet bin. Und wenn ihr es mir nicht erzählt, werde ich es früher oder später von anderen erfahren.»

«Siehst du, Mutter?» Lillis lächelte mich strahlend an. «Roger ist ganz meiner Meinung. Es ist nur recht und billig, wenn wir ihm erzählen, was geschehen ist.»

Margaret zögerte, nickte jedoch schließlich widerstrebend. «Aber zuerst wird gegessen. Nach dem Abendessen können wir uns gemütlich ums Feuer setzen, und niemand wird uns stören. Vom Fluß bläst ein schneidender Wind herauf und überzieht alles mit Eis. In einer solchen Nacht setzt niemand freiwillig einen Fuß vor die Tür.» Ich fragte mich, ob sie dabei an den geheimnisvollen Besucher dachte, der vor einigen Tagen an ihre Tür geklopft hatte, aber sie zeigte keinerlei Anzeichen von Beunruhigung. «Hier, das ist das restliche Gemüse. Der Eintopf wird bald fertig sein.»

Unsere Mahlzeit war verzehrt, und der Tisch war abgeräumt. Die verschlossenen Fensterläden schützten uns vor der unfreundlichen Nacht, und wir rückten nahe ans Feuer, dessen lodernde Flamme von den Torfstücken, die der Torfstecher in den Feldern der Umgebung gestochen und am Morgen von Tür zu Tür feilgeboten hatte, abgedämpft wurde. Ich hatte dabei ein wenig überheblich gedacht, was den Stadtbewohnern alles abgenommen, von den Menschen auf dem Land jedoch noch selbst gemacht wurde. Margaret Walker hatte selbst in den Wintermonaten keine nennenswerten Vorräte im Haus, sondern ging Tag für Tag auf den Markt, um alles Nötige einzukaufen. Alles andere kaufte sie fahrenden Händlern ab, die an ihre Haustür kamen, und als ich fragte, was denn geschehe, wenn heftige Schneefalle oder Überschwemmungen die Händler daran hinderten, in die Stadt zu gelangen, sagte sie, im Schloß, in der Abtei oder in den wohlhabenden Häusern würde dann Trockenfisch oder Getreide ausgeteilt. Niemand brauchte zu verhungern, auch wenn bei schlechtem Wetter möglicherweise Schmalhans Küchenmeister war.

Lillis hatte meine Matratze so nah wie möglich ans Feuer gezogen und sich darauf wie ein kleines Kätzchen zusammengerollt. Margaret und ich saßen auf den beiden Hockern, stützten unsere Rücken gelegentlich an der Tischkante ab, beugten uns die meiste Zeit aber vornüber zum wärmenden Feuer. Draußen waren ab und zu noch ein Ruf, ein Hundebellen oder ein Befehl der weit entfernt patrouillierenden Wache zu hören, ansonsten war es dunkel und still. Gelegentlich drang ein eisiger Luftzug durch das rauchgeschwärzte Loch in der Decke, und ein paar Regentropfen spritzten herab. Wir aber rückten nur um so näher an das Feuer.

Während Margaret Walker noch nach den passenden Worten suchte, in die sie ihre Geschichte kleiden konnte, hatte ich Zeit, sie zu beobachten. Lillis sah ihrer Mutter ähnlicher, als mir dies auf den ersten Blick aufgefallen war, denn Margaret war ebenfalls schmal und dünn und hatte große, braune Augen, und die Haarlocken, die unter ihrer Haube herausschauten, waren so schwarz wie die ihrer Tochter. Doch der Eindruck der Reife kam nicht nur vom Alter. Margaret besaß viel gesunden Menschenverstand und strahlte eine Zuverlässigkeit aus, die Lillis meiner Überzeugung nach wohl nie erreichen würde. Daraus, daß sie stets ein wachsames Auge auf ihre Tochter hielt, schloß ich, daß Margaret den gleichen Eindruck hatte. Irgend etwas fehlte Lillis – ein Gefühl für Verantwortung vielleicht, ein Gefühl für Moral. Jedenfalls wirkte sie immer auf seltsame Weise weltentrückt.

«Mein Vater», sagte Margaret plötzlich, als hätte sie das Gefühl, daß sie, wenn sie jetzt nicht spräche, niemals damit beginnen würde, «ist zu Beginn des letzten Monats, drei oder vier Wochen vor Weihnachten, gestorben. Sein Name war William Woodward, und er war gelernter Weber.»

Die ganze Geschichte kam nur stückweise heraus. Lillis unterbrach ihre Mutter mehrmals, ich stellte Zwischenfragen, Ereignisse wurden ausgelassen, um später erzählt zu werden, andere wurden zu früh berichtet, so daß sie noch gar nicht verständlich waren, und so kam es immer wieder zu Umwegen und Abschweifungen. Ich will daher die Geschichte so wiedergeben, wie ich sie damals verstanden habe, nachdem Margaret zu Ende erzählt und ich genügend Zeit gehabt hatte, die einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenzufügen.

William Woodward wurde in den letzten Jahren der Regentschaft König Heinrichs IV. in die kleine, festgefügte Gemeinschaft der Weber von Redcliffe hineingeboren. Als Junge war er bei Master Jocelyn Weaver in die Lehre gegangen, dem Oberhaupt einer der wohlhabendsten Familien der Stadt. Sieben Jahre lang hatte William, wie es sich für einen Lehrling gehörte, im Haus der Weavers gelebt, und nach Ablauf dieser Frist war er zum Webergesellen aufgestiegen. Leider wurde sein Meisterstück, als er sich um die Aufnahme in die Webergilde bewarb, wegen unzureichender Qualität abgewiesen, so daß er keine eigene Weberei aufmachen konnte – ein Umstand, der ihn zutiefst verärgerte. Von Natur aus mißgünstig, hatte er den Fehler für sein Versagen anderen in die Schuhe geschoben, anstatt sich selbst und seine unzureichenden Handwerkskünste dafür verantwortlich zu machen.

Im Alter von etwa zweiundzwanzig Jahren – über sein genaues Alter war er sich nie ganz im klaren gewesen – heiratete er Jennifer Peto, eine junge Frau aus Cornwall, die erst wenige Jahre zuvor mit ihren Eltern nach Bristol gekommen war. Von den vier Kindern aus dieser Ehe überlebte nur Margaret, die einzige und älteste Tochter. Jennifer starb, als Margaret Mitte Zwanzig und Lillis etwa sechs Jahre alt war. Margaret, zu dieser Zeit selbst schon verwitwet und außerdem sehr pflichtbewußt, hatte ihren Vater zu sich genommen.

Mit neunzehn Jahren hatte sie den Weber Adam Walker geehelicht. Sie selbst beschrieb ihn als «den gütigsten und freundlichsten Mann, der je auf dieser Erde gewandelt ist». Zwei Jahre nach der Hochzeit wurde Lillis geboren, zwölf Monate darauf Colin, ihr einziger Sohn. Man brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu ahnen, daß dieser Junge Margarets Augapfel gewesen war, und ich schaute verstohlen zu Lillis hinüber, um festzustellen, ob sie etwa auf ihren jüngeren Bruder eifersüchtig war. Aber ihr Gesicht blieb ungerührt. Falls sie je bemerkt hatte, daß ihre Mutter den längst verstorbenen kleinen Bruder vorgezogen hatte, schien sie deshalb keinen Groll zu hegen.

Colin Walker war kaum zwei Jahre alt gewesen, als seine Mutter ihn an einem heißen Sommernachmittag mit zu den Weberhütten nahm, um ihrem Mann eine Flasche Apfelwein zu bringen. Adam durfte zur Tür kommen, um mit seiner Frau zu sprechen, und während sich seine Eltern unterhielten, lief Colin auf die Straße, um den bunten Abfall anzuschauen, der auf dem offenen Abflußkanal schwamm. Genau in diesem Augenblick wurde ein Pferd, das einen Wagen mit Stoffballen zog, von ein paar Gassenkindern erschreckt, scheute und ging durch. Der Kutscher, der die letzten Stunden in einer Schenke verbracht hatte, war sturzbetrunken.

Adam Walker stand der Straße zugewandt und sah als erster, welche Gefahr seinem kleinen Sohn drohte. In einem vergeblichen Versuch, den kleinen Colin zu retten, warf er sich zwischen das herangaloppierende Pferd und seinen Jungen. Beide starben, der Kleine gleich an Ort und Stelle, der Vater erst nach einigen Stunden Todeskampf. Margaret war untröstlich und trauerte so sehr um ihren Ehemann, daß sie sich nicht entschließen konnte, ein zweites Mal zu heiraten. Alfred Weaver, der mittlerweile das Geschäft seines Vaters Jocelyn übernommen hatte und dem auch das Pferd und der Wagen gehört hatten, erlaubte Margaret und ihrer Tochter Lillis, in der kleinen Hütte wohnen zu bleiben.

Und in diese Hütte zog im Sommer 1460 auch der frisch verwitwete William Woodward – zumindest schätzte ich, daß es im Sommer 1460 war, denn Margaret meinte, es sei zu der Zeit gewesen, als der Herzog von York, der Vater König Eduards – Gott segne ihn! – aus Irland zurückkehrte, um seinen Anspruch auf den Thron geltend zu machen, und später in der Schlacht von Wakefield getötet wurde. William war zu jener Zeit immer noch Webergeselle, hegte einen tiefen Groll gegen alle Welt und zeigte sich, wie ich vermutete, nicht gerade dankbar für das Pflichtbewußtsein und die Aufmerksamkeit, die ihm seine Tochter und seine Enkelin entgegenbrachten.

Er blieb gut neun Jahre lang bei Margaret und Lillis, und seine Tochter glaubte schon, bald ganz für ihn sorgen zu müssen, da er zu alt und schwach wurde, um den schweren Webstuhl und die Schiffchen zu bedienen, als eine Veränderung in seinem Leben William plötzlich neuen Aufschwung gab. Er gab das Weben auf und verließ Margarets fürsorglichen Schutz, um in ein Haus in der Bell Lane, ganz in der Nähe des St. John-Tores, zu ziehen. Das Haus gehörte Edward Herepath, für den William von nun an arbeitete. Edward Herepath war der größte Grundbesitzer der Stadt und hatte William eine Anstellung als Eintreiber seiner Pacht- und Mietzinsen angeboten, weil sein bisheriger Verwalter geheiratet hatte und weggezogen war.

Als Margaret Walker von diesen Ereignissen sprach, ließ ihre Stimme das gleiche Staunen erkennen, das sie auch damals empfunden haben muß. «Du mußt bedenken», sagte sie, «daß mein Vater damals kein junger Mann mehr war. Ja, ich gebe zu, er war groß und stark gebaut – Lillis und ich haben unseren zierlichen Körperbau von meiner Mutter –, aber sein Haar war schon grau, und er hatte bald sechzig Lenze auf dem Buckel. In diesem Alter legen die meisten Männer die Hände in den Schoß und beginnen, über den Tod nachzusinnen. Deshalb konnten auch nur wenige verstehen, daß er als betagter Mann plötzlich sein Gewerbe wechselte. Und noch unverständlicher war den meisten Edward Herepaths Entscheidung, meinen Vater anzuheuern, denn die beiden Männer hatten bis dahin kaum etwas miteinander gemein gehabt und, soweit ich weiß, vor ihrer Übereinkunft kaum ein Wort gewechselt.»

«Erzähl mir mehr über diesen Edward Herepath», forderte ich sie auf.

Margaret legte ein paar neue Scheite aufs Feuer und breitete frischen Torf darüber aus, um die Flammen zu zügeln. «Das hatte ich gerade vor», gab sie zurück. «Edward Herepath und sein Bruder Robert spielen in der ganzen Geschichte nämlich eine große Rolle. Ohne sie wäre es gar nicht soweit gekommen.»

Edward Herepath, inzwischen etwa fünfunddreißig Jahre alt, war der ältere der beiden Söhne des wohlhabenden Seifenfabrikanten Giles Herepath und seiner Frau Adela. Als Edward achtzehn Jahre alt war, starb seine Mutter bei der Geburt ihres zweiten Kindes, Robert. Der von der Trauer gebrochene Giles folgte seiner Frau zwei Jahre später ins Grab. Edward war nun für das Geschäft und die Erziehung des kleinen Robert ganz allein verantwortlich. Aber er hatte offenbar kein großes Interesse an der Seifenherstellung, verkaufte die Fabrik an Peter Avenel, einen Freund seines Vaters, und erwarb mit dem so gewonnenen Geld eine große Anzahl von Grundstücken innerhalb und außerhalb der Stadt. Deren Verpachtung bildete eine sichere Einnahmequelle.

Was seinen kleinen Bruder betraf, so kümmerte er sich nach allgemeiner Meinung mit beispielhafter Hingabe um ihn. Nichts, was den schmerzlichen Verlust der Eltern hätte wettmachen können, wurde Robert verweigert, jeder Wunsch des kleinen Bruders war Edward Befehl. Selbst als Edward längst geheiratet hatte, konnte keines seiner eigenen Kinder Robert den absoluten Vorrang streitig machen.

«Das Ergebnis kannst du dir wohl selbst ausmalen», sagte Margaret verächtlich. «Aus dem eigensinnigen, verwöhnten Kind wurde ein noch ungestümerer und unfolgsamerer Junge, eine ständige Quelle der Sorge für seinen Bruder und vor allem ein Spieler, der aus den Schulden gar nicht mehr herauskam.»

«Aber ein sehr gut aussehender Spieler», seufzte Lillis, und ihre Katzenaugen blitzten. «Einer der hübschesten jungen Männer in der Stadt.»

«Oh, das will ich gar nicht leugnen», stimmte ihre Mutter zu. «Und man muß ihm auch lassen, daß er sich nicht darum scherte, welchen Eindruck er auf Frauen machte. Bis Cicely Ford auf der Bildfläche erschien.»

«Cicely Ford?» fragte ich. Die Vielzahl neuer Namen machte die Geschichte sehr verwirrend.

«Ein bildhübsches Mädchen», sagte Margaret. «Und nicht nur äußerlich.» Lillis schnaubte empört, widersprach ihrer Mutter aber nicht, so daß sie nach einer Weile fortfuhr: «Ihr Vater, John Ford, war einer der reichsten Bürger der Stadt. Er handelte mit Seife, Wein, Tüchern und allen möglichen anderen Waren, ihm gehörten neun Schiffe, mehr als achthundert Menschen standen in seinem Dienst. Sein Handelszeichen, hieß es, war in ganz Europa bekannt, und eines seiner Schiffe, die Cicely, hat an der großen Fahrt teilgenommen, bei der die großen Inseln im Westen, von denen die Leute soviel sprechen, ausfindig gemacht werden sollten. Aber die Stürme haben die Schiffe nicht weit von der irischen Küste wieder zurückgetrieben.»

Einen Augenblick lang saß sie schweigend da, starrte ins Feuer und dachte wohl an das ferne Land weit draußen im Atlantischen Ozean, an die sagenumwobenen Ufer, von denen die Seeleute schworen, sie hätten sie mit eigenen Augen gesehen – oder hätten zumindest von den Mannschaften anderer Schiffe gehört, die dort beinahe an Land gegangen wären. (Heute wissen wir, daß es diese fernen, von rothäutigen Menschen bewohnten Länder tatsächlich gibt. Der Italiener Christoph Columbus und Bristols Helden John und Sebastian Cabot haben sie mit ihren Schiffen erreicht.)

In einem der Holzstücke hatte ein Harztropfen Feuer gefangen und versprühte einen kleinen Funkenschauer. Margaret Walker zuckte zusammen, dann lachte sie. «Ich bin wohl ins Träumen gekommen. Wo war ich stehengeblieben?»

«Du hast gerade ein Loblied auf Cicely Ford gesungen», erwiderte ihre Tochter trocken. «Auf die vollkommene, bildhübsche Cicely.»

«Und das war nicht übertrieben!» erklärte Margaret rundheraus. «Cicely ist eines der freundlichsten, liebenswürdigsten, schönsten und gottesfürchtigsten Mädchen, die unsere Erde je gesehen hat.» Ich hatte – zumindest damals – so meine Zweifel, daß jemand wirklich so vollkommen sein konnte, aber ich hielt meine Zunge im Zaum und ließ Margaret Walker mit ihrer Erzählung fortfahren.

John Ford war offenbar vier Jahre zuvor sehr plötzlich an einem Schlaganfall gestorben und hatte Cicely, sein einziges Kind, als Waise zurückgelassen, denn seine Frau war bereits einige Jahre zuvor in die Ewigkeit eingegangen. In seiner Jugend war John Ford eng mit Giles Herepath befreundet gewesen, und er hatte Edward, Giles’ ältestem Sohn, stets große Bewunderung entgegengebracht. Trotz der nicht ganz so glücklichen Hand, die Edward bei der Erziehung seines jüngeren Bruders Robert gezeigt hatte, befahl Meister Ford seine Tochter für die verbleibenden Jahre ihrer Unmündigkeit Edwards Fürsorge an. Wahrscheinlich hatte er dabei auch in Edwards Fähigkeit vertraut, Cicelys großes Vermögen ebenso geschickt zu verwalten wie sein eigenes.

«Außerdem war Meister Edwards Frau eine vernünftige, anständige Frau», sagte Margaret, «eine große Wohltäterin der Kirche und eine angemessene Erzieherin für ein Mädchen wie Cicely Ford.»

«Und sie kränkelte ständig», warf Lillis ein. Ihre hohe Stimme stach scharf wie eine Nadel in die kurze Stille.

Ihre Mutter sah sie mißbilligend an. «Willst du durch deinen Tonfall etwa andeuten, daß sie nur so tat, als wäre sie krank?» Margaret drehte sich zu mir um. «Viele haben so gedacht, als sie noch lebte, aber sie mußten einsehen, daß sie wohl vorschnell geurteilt hatten. Die arme Frau starb, ehe sie dreißig Jahre alt war – weniger als neun Monate, nachdem Cicely in das Haus der Herepaths in der Small Street gekommen war.»

Der zerrissene Faden

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