Читать книгу Der zerrissene Faden - Kate Sedley - Страница 8

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Ein Hagelschauer prasselte gegen die Fensterläden, und durch das Loch in der Decke fielen Hagelkörner herein, ließen den glühenden Torf aufzischen und eine kleine Rauchsäule zur Decke steigen. Margaret legte frischen Torf aufs Feuer, während Lillis schauderte, sich aufsetzte und die Wolldecken fester um ihre Schultern zog. Es war kalt im Zimmer, und ich war froh über mein mit scharlachrotem Wolltuch gefüttertes Lederwams, das eine verarmte Witwe mir im Tausch gegen meine Waren angeboten hatte. Es hatte ihrem Mann gehört, und die dicke, mit Koschenille gefärbte Wolle wärmte mich nun so, wie sie früher ihn gewärmt hatte.

«Edward Herepath war also zum zweitenmal für einen jungen Menschen verantwortlich», sagte ich. «Diesmal für ein Mädchen, mit dem er nicht einmal verwandt war. Wie hat er diese Aufgabe bewältigt?»

«Er hat eine gute, ehrbare Frau aus der Stadt als Gesellschafterin für Cicely eingestellt und gehofft, das Mädchen würde auf seinen Bruder einen guten Einfluß nehmen.»

«Und hat sich seine Hoffnung erfüllt?»

Margaret schüttelte den Kopf. «Leider ganz und gar nicht. Robert gab sich auch weiterhin seinem verwerflichen Lebenswandel hin. Aber...» Sie hielt einen Moment lang inne, wohl um ihren Worten noch mehr Bedeutung zu verleihen. «Er hat sich in sie verliebt. Und sie sich in ihn.»

«Und trotzdem konnte sie auf ihn keinen guten Einfluß nehmen?»

«Nein. Er hat weiter getrunken und gespielt und seine Tage vertrödelt. Trotz allem hatte sie nur Augen für ihn. Egal, was er auch anstellte, sie hielt immer zu ihm. Ich bin sicher, zahllose Menschen haben versucht, ihr diese Verbindung auszureden, zumal es so viele andere junge Männer gab, die sich um sie bemühten. Jeder weiß, daß Robin Avenel, dessen Vater Herepaths Seifenmanufaktur gekauft hat, bis über beide Ohren in sie verliebt ist, und das schon seit langem. Natürlich hat Cicely versucht, Robert zu beeinflussen, doch ihre sanften Ermahnungen stießen bei ihm auf taube Ohren, und so sehr er sie auch liebte – oder vorgab, sie zu lieben –, in dieser Hinsicht machte er keinerlei Anstrengung, sie zufriedenzustellen.»

«Woher weißt du das alles?» fragte ich neugierig.

Margaret zuckte mit den Schultern. «Wie erfährt man so etwas? Es spricht sich herum, auf dem Marktplatz, in den Läden erfährt man viele Neuigkeiten. Dame Freda, Cicelys Gesellschafterin, erzählte es ihren Freunden, die es wiederum an ihre Freunde weitergaben und dabei von ihrer Dienerschaft belauscht wurden.» Sie lächelte. «Wenn du glaubst, ich wüßte all dies von meinem Vater, dann irrst du dich sehr. Der einzige Mensch, von dem ich direkte Einblicke in das Leben der Herepaths hätte etwarten können, war in ganz Bristol auch der einzige, der sich nicht die Bohne für dieses Thema interessierte. Aber mein Vater nahm sowieso wenig Anteil am täglichen Leben seiner Mitmenschen. Sein Interesse galt ausschließlich dem Zustand ihrer Seelen.»

«Er war ein frommer Mann?»

Margarets Lippen wurden so dünn, daß sie kaum noch zu erkennen waren. «O ja», antwortete sie kurz.

«Als mein Vater und mein kleiner Bruder ums Leben gekommen sind, wurde Mutters Glaube auf eine harte Probe gestellt», erklärte Lillis.

Margaret schaute sich um, als hätte sie Angst, es könnte uns jemand hören. «Hüte deine Zunge, Mädchen! Oder willst du, daß ich der Gotteslästerung bezichtigt werde?» Sie wandte sich wieder an mich. «Nicht daß sie völlig unrecht hätte. Seit Adams und Colins Tod fällt es mir nicht leicht, an einen gerechten, gütigen Gott zu glauben. Ich habe es unserem Gemeindepfarrer gebeichtet, und er versichert mir immer wieder, daß der Glaube zurückkehrt, wenn ich nur darum bete. Wenn ich ihm vor Augen halte, daß seit dem verhängnisvollen Unfall nun schon fast siebzehn Jahre vergangen sind, antwortet er mir, entweder hätte ich nicht genug gebetet, oder ich hätte meine abtrünnigen Gedanken nicht tief genug bereut. So oder so, es ist auf jeden Fall meine und nicht Gottes Schuld, und damit hat er natürlich recht.»

«Nein, das hat er nicht», sagte Lillis aufgebracht, und ihre Katzenaugen glänzten im Schein des Feuers. «Ein Gott der Liebe würde nicht zulassen, daß so etwas geschieht.»

«Still, du dummes Kind!» rief Margaret verzweifelt aus. «Willst du etwa noch mehr Ungemach über diesem Haus heraufbeschwören? Vor Roger solltest du so etwas nicht sagen.»

Lillis lächelte geheimnisvoll. «Ich vertraue ihm», sagte sie mit ruhiger Stimme. «Auch er hat manchmal so seine Zweifel.»

Bestürzt sah ich sie an. Woher um Himmels willen wußte sie davon? Zwischen uns war nie ein Wort darüber gefallen. War sie eine Hexe? Besaß sie übernatürliche Kräfte und konnte in die tiefsten Winkel meines Herzens schauen? Oder hatte sie nur die seltene Fähigkeit, aus scheinbar nebensächlichen Bemerkungen, Gesten und Taten ihrer Mitmenschen die richtigen Schlüsse zu ziehen? Ich wurde aus Lillis einfach nicht schlau.

Schnell sagte ich: «Ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich euer Geheimnis bewahren werde.» Ich vermied es, in Lillis’ Richtung zu schauen, und sagte zu Margaret: «Du hast gerade von Robert Herepath und Cicely Ford gesprochen.»

Erleichtert darüber, daß sich die Unterhaltung unverfänglicheren Dingen zuwandte, nahm Margaret ihren Faden wieder auf. «Ja, das stimmt. Aber eigentlich ist dem, was ich bereits über die beiden gesagt habe, wenig hinzuzufügen.» Sie rückte noch ein Stück nach vorn und streckte die Hände aus, um sie am Feuer zu wärmen. «Deshalb kommen wir jetzt zum Kern der Geschichte: zu den seltsamen Begebenheiten, die letztes Jahr zu Märia Verkündigung ihren Anfang nahmen und erst mit dem Tod meines Vaters kurz vor Weihnachten zu Ende gegangen sind. Obwohl es wohl eher ein frommer Wunsch ist, daß die Geschichte wirklich ein Ende fand, denn ehe nicht das ganze Rätsel gelöst ist, wird es nie ein Ende geben, weder für mich und Lillis noch für Edward Herepath und Cicely Ford. – Lillis, im Krug auf dem Tisch ist noch etwas Ale. Gieß Roger einen Becher davon ein, während ich die Geschichte weitererzähle.»

Lillis tat, wie ihre Mutter sie geheißen hatte, dann kehrte sie zu ihrem Platz auf der Matratze zurück. Wie ein Tier, das in seinen Bau kriecht, vergrub sie sich unter den Decken. Ihre Augen funkelten mich aus dieser Höhle von rauher Wolle geheimnisvoll an. Rasch schaute ich zur Seite und wandte meine gesamte Aufmerksamkeit wieder Margaret Walker zu.

«Es begann zu Maria Verkündigung, im letzten März», sagte sie. «Mein Vater sammelte alle für das vergangene Vierteljahr ausstehenden Pacht- und Mietzinsen für Edward Herepath ein.»

Edward Herepath hatte für diesen Tag eine Reise nach Gloucester geplant, um sich ein Pferd anzusehen, das er vielleicht von dem Bekannten eines Freundes kaufen wollte. Wegen der langen Reise hatte er sich entschlossen, zwei Nächte in Gloucester zu bleiben. Er wollte am Donnerstag nach Gloucester reiten, sich am Freitag das Pferd ansehen und am Samstag in aller Ruhe wieder nach Bristol zurückkehren. Deshalb hatte er William Woodward beauftragt, die Gelder nicht wie sonst gleich in der Small Street abzuliefern, sondern in seinem Haus in der Bell Lane zu verwahren.

«Seinen Dienern mochte er noch vertrauen», sagte Margaret Walker, «aber seinem eigenen Bruder traute er nicht. Robert war immer in Geldnot, und jedermann wußte, daß er bei seinen Kumpanen im White Hart in der Broad Street, mit denen er fast jeden Abend würfelte, tief in der Kreide stand.»

Margaret jedoch hatte von dieser Verabredung nichts gewußt, als sie am Samstag morgen losgegangen war, um ihren Vater in der Bell Lane zu besuchen. Sie hatte ihn am Freitag nicht gesehen, aber es war schon öfter vorgekommen, daß sie mehrere Tage lang nicht wußte, wo er gerade war.

«Wir hatten wenig gemeinsam», sagte sie mit leiser Stimme, «und seitdem er das schützende Dach dieses Hauses verlassen hatte, verbrachten wir nicht mehr viel Zeit miteinander. Aber ich kannte meine Pflichten als Tochter, besuchte ihn regelmäßig und schaute nach, daß er genug zu essen hatte und es auch sonst um sein Wohlbefinden gut bestellt war.»

An diesem Samstagmorgen, am Morgen des 27. März, machte sie jedoch eine grausige Entdeckung.

«Ich klopfte an die Haustür, aber niemand machte mir auf. Es war am hellen Vormittag, und mein Vater war um diese Zeit sonst immer längst auf den Beinen, deshalb hatte ich keine Bedenken, den Riegel selbst zur Seite zu schieben und einfach einzutreten. Von meinem Vater war nichts zu sehen. Als erstes fiel mein Blick auf einen kleinen Wandschrank, den er sonst immer fest verschlossen hielt, weil er darin seine wenigen Schätze aufbewahrte. Der Schrank stand offen. Jemand hatte das Schloß gewaltsam aufgebrochen. Aber das Messer mit dem versilberten Griff, das ihm seine Mutter hinterlassen hatte und das in der Familie von Generation zu Generation weitervererbt worden war, eine emaillierte Gürtelschnalle und ein Brautlöffel aus Cornwall, der einst meiner Mutter gehört hatte, waren noch da. Einen Moment lang dachte ich, er hätte den Schrankschlüssel verloren und das Schloß selbst aufgebrochen.»

Doch Margaret hatte bald Anlaß, ihre Meinung zu ändern. Als sie sich ängstlich umsah, bemerkte sie voller Schrecken auf den ausgestreuten Binsen und auf dem Bett ihres Vaters dunkelrote Flecken, die an getrocknetes Blut erinnerten. Außerdem war das Bett nicht gemacht, was für William Woodward, der es, wie Margaret mir versicherte, mit allen häuslichen Dingen sehr genau nahm und jede Nachlässigkeit aus tiefstem Herzen verabscheute, ein ungewöhnliches Versäumnis war. Nachdem sie im ganzen Haus und sogar draußen auf dem Abtritt vergeblich nach ihrem Vater gesucht hatte, war sie davon überzeugt, daß irgend etwas nicht stimmte. Sie fragte bei den Nachbarn an und fand heraus, daß ihn seit dem Dienstagnachmittag, als er in der Nähe der Allerheiligenkirche etwas Fleisch für sein Abendessen gekauft hatte, niemand mehr gesehen hatte. Ein ganzer Tag und zwei Nächte waren vergangen, ohne daß jemand über Williams Verbleib Auskunft geben konnte.

«Um es kurz zu machen: Ich rief die Wache, und die wiederum setzte den Sheriff über das rätselhafte Verschwinden meines Vaters in Kenntnis», fuhr Margaret Walker fort. «Zwei seiner Leute begannen sofort mit der Untersuchung, konnten aber bis zu Master Herepaths Rückkehr aus Gloucester am gleichen Nachmittag auch kein Licht in die Sache bringen.»

Edward hatte nicht lange gefackelt und sofort mit der Suche nach William Woodward und seinem Geld begonnen. Jetzt wurde auch klar, was die aufgebrochene Schranktür zu bedeuten hatte, doch außer Edward wußte niemand darüber Bescheid, daß William dort die eingesammelten Gelder aufbewahrte. Schließlich mußte Edward zähneknirschend eingestehen, daß er seinem Bruder davon erzählt hatte.

Margaret wandte sich vom Feuer ab, als wäre es ihr plötzlich zu warm geworden; gleichzeitig schlang sie beide Arme um den Oberkörper, als würde sie frieren.

«Die beiden Lederbeutel, in denen sich das Geld befunden hatte, und ein paar restliche Münzen, die übriggeblieben waren, nachdem er seine gröbsten Schulden bezahlt hatte, fand man in Robert Herepaths Zimmer in der Small Street», sagte Margaret leise. «Robert gab freimütig zu, das Geld an sich genommen zu haben. Er hatte wohl auf die Nachsicht seines Bruders vertraut und gehofft, er würde keine Anklage gegen ihn erheben. Aber er stritt hartnäckig ab, irgend etwas über meinen Vater zu wissen. Er sagte, er sei nach dem Abendläuten in die Bell Lane gegangen, um bei meinem Vater zu klopfen und ihm zu erzählen, daß sein Bruder Edward im letzten Moment noch seine Meinung geändert und ihn gebeten habe, das Geld bis zu seiner Rückkehr in der Small Street aufzubewahren. Auf sein Klopfen habe ihm jedoch niemand geöffnet. Genau wie ich habe er die Haustür unverschlossen vorgefunden und sei deshalb unbemerkt hineingeschlüpft.»

Als Robert Herepath merkte, daß das Haus leer und William Woodward offenbar nicht zu Hause war, zog er kurz entschlossen seinen Dolch aus dem Gürtel und stemmte die Tür des Wandschranks auf. Durch frühere Besuche im Haus wußte er, daß dies der wahrscheinlichste Aufbewahrungsort für das Geld war. Er wurde nicht enttäuscht und machte sich, nachdem er das Geld an sich genommen hatte, so schnell wie möglich davon. Da er im Dunkeln gekommen war, hatte er nichts weiter gesehen. Er bestritt, im Haus irgendwelche Spuren von Gewalt bemerkt zu haben. Bei dieser Aussage sei Robert Herepath bis zum Ende geblieben, sagte Margaret.

Dieses Ende kam drei Monate später, an einem heißen Junitag. Robert Herepath starb durch den Strick des Henkers.

«Robert Herepath wurde für den Mord an deinem Vater gehängt?» fragte ich erstaunt. «Aber du hast doch mehr als einmal erwähnt, daß er erst vor gar nicht allzu langer Zeit hier in diesem Haus gestorben ist.»

Margaret nickte, den Blick fest auf das Feuer gerichtet. «Ja, und das ist die Wahrheit. Zwei Monate, nachdem Robert gehängt worden war, genau zu Märia Himmelfahrt, überschritt mein Vater zu Fuß die Stadtgrenze Bristols. Er lebte, auch wenn er nicht mehr der alte war.»

Von dem Moment an, als Robert zugab, das Geld gestohlen zu haben, hat man ihn auch des Mordes an William Woodward verdächtigt. An der Außenseite des einen Lederbeutels und an der linken Seite von Robert Herepaths Lederwams, an die er vermutlich den Lederbeutel gedrückt hatte, fand man getrocknetes Blut. Einige Tage später angelten Jungen, die für das Mittagessen ihrer Familien ein paar Fische fangen wollten, Williams blutbefleckten Hut aus dem Frome. Man vermutete, daß seine Leiche direkt an der Stadtseite des Frome-Tors in den Fluß geworfen worden war.

Margaret Walker hob die Hand an die Stirn und schloß die Augen, als wollte sie die Geschehnisse, die nun folgten, mit aller Macht von sich fernhalten. Schließlich ließ sie die Hand wieder sinken und fuhr fort: «Ein merkwürdiger Wahn hat plötzlich die ganze Stadt ergriffen. Robert Herepath hatte sich viele Feinde geschaffen, denn er war stets hochmütig und verschwenderisch gewesen. Alle, die er vorsätzlich beleidigt oder durch seine Gedankenlosigkeit vor den Kopf gestoßen hatte; alle, bei denen er seine Schulden nie bezahlt hatte; und alle, die Cicely Ford den Hof gemacht und einen Korb bekommen hatten – sie alle sahen plötzlich die Gelegenheit, an ihm Rache zu nehmen. Ich will nicht behaupten, daß diese Menschen wissentlich gelogen haben. Sie redeten sich selbst ein, Dinge gesehen oder gehört zu haben, von denen wir inzwischen wissen, daß sie sich so niemals zugetragen haben. Bei der Gerichtsverhandlung gab es Zeugen, die schworen, sie hätten in der Nacht, in der mein Vater verschwand, Schreie aus dem Haus vernommen. Ein Zeuge erklärte, er habe in den frühen Morgenstunden aus dem Fenster gesehen und eine Gestalt erblickt, die ein großes Bündel zum Ufer des Frome schleppte. Selbst Cicely Ford wandte sich von Robert ab und weigerte sich, ihn im Gefängnis zu besuchen.» Margaret schauderte. «Es war, als hätte das Böse über uns alle Macht gewonnen und alles daran gesetzt, Robert Herepaths Untergang herbeizuführen. Natürlich wurde die Leiche meines Vaters nie gefunden. Dennoch befand das Gericht Robert Herepath für schuldig. Seinen Unschuldsbeteuerungen schenkte niemand Gehör.»

Ich spürte, daß Margaret innerlich sehr erregt war, und beugte mich zu ihr, um sanft ihren Arm zu drücken. «Damals wußtest du noch nicht, was du jetzt weißt», sagte ich. «Alle Beweise sprachen dafür, daß Robert Herepath deinen Vater ermordet hat. Wäre die Leiche deines Vaters tatsächlich in den Fluß geworden worden, und darauf deuteten ja alle Anzeichen hin, wäre sie in den Avon und mit der Flut ins Meer hinausgetragen worden. Außerdem hatte Robert zugegeben, das Geld gestohlen zu haben. Es gab Zeugen, die sich einredeten, Dinge gesehen und gehört haben, von denen du jetzt weißt, daß sie sich so nicht zugetragen haben können. Aber das Gericht wußte das damals nicht.» Nach einer Pause fragte ich: «Was geschah, nachdem dein Vater zurückgekommen war?»

Margaret biß sich auf die Lippen. «Ich saß gerade am Spinnrad. Es war Märia Himmelfahrt, ein herrlich warmer Nachmittag im August. Ich war allein zu Haus, Lillis war fortgegangen, um Wolle vom Färber zu holen, und ich weiß noch, daß ich ein Liedchen trällerte. Ganz allmählich erholte ich mich von dem Schrecken, den mir der gewaltsame Tod meines Vaters und Robert Herepaths Verurteilung versetzt hatten. Das Leben schien gerade wieder ein wenig ins Lot zu kommen. Da es sehr heiß war, stand die Tür offen, und ich entsinne mich noch an den Lärm der Kinder, die auf der Straße spielten; ein halbes Dutzend Jungen versuchten, eine aufgeblasene Schweinsblase zwischen zwei Pfosten durchzuschießen.» Margaret holte tief Luft. «Ich hatte den Blick auf mein Spinnrad gerichtet und zupfte gerade ein paar verfilzte Wollklumpen von der Spindel, als plötzlich ein Schatten über die Türschwelle fiel.»

Zuerst hatte sich Margaret nichts weiter dabei gedacht; im Laufe des Tages schauten viele Leute bei ihr vorbei. Sie sah lächelnd auf, um den Besucher zu begrüßen. Aber das Lächeln wich ungläubigem Staunen und bald darauf blankem Entsetzen. In der offenen Tür stand ihr Vater. William Woodward, für dessen Ermordung man einen anderen Mann verurteilt und hingerichtet hatte, war noch am Leben.

Wenn auch vielleicht mehr tot als lebendig. Nach Margarets Schilderungen war ihr Vater nur noch ein Schatten seiner selbst, ein gebrochener Mann, dessen Erinnerungsvermögen ihm ständig Streiche spielte – offenbar die Folge mehrerer starker Schläge auf den Kopf, deren inzwischen verheilte Narben noch deutlich auf der Stirn und auf der Kopfhaut unter dem schütteren Haar zu sehen waren. Er wurde nie wieder richtig gesund und wollte keinen Fuß mehr vor die Tür setzen. Den größten Teil der ihm noch verbleibenden kurzen Lebenszeit verbrachte er zusammengekauert vor dem Feuer, weil er unabhängig vom Wetter ständig fror.

«Aber was hat er gesagt?» fragte ich aufgeregt. «Wo war er in all den Monaten zwischen März und August geblieben? Konnte er dir darüber nichts sagen?»

Margaret zuckte verzweifelt mit den Schultern. «Alles was ich und die Leute des Sheriffs nach vielen, vielen Stunden eindringlichen Fragens aus ihm herausbekommen konnten, war, daß er von Sklavenhändlern gefangengenommen und nach Irland verschleppt worden war. Etwas anderes konnten wir nicht aus ihm herausbringen.»

«Aber hätte das nicht auch wahr sein können?» Ich wußte, daß der Sklavenhandel zwischen Bristol und Dublin seit vielen Jahrzehnten verboten war, aber heimlich noch immer florierte. Wie jeder andere Handel mit Schmuggelware blühte er im Dunkeln und versprach hohe Gewinne.

Margaret hob den Kopf und schaute mir direkt ins Gesicht. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. «Er war ein alter Mann», sagte sie, «um die sechzig Jahre. Welcher Sklavenhändler würde sich wohl mit so einem Greis abmühen, der dazu noch aus einer angesehenen Familie stammte und bei einem Herrn in Diensten stand, der bei seinem Verschwinden mit Sicherheit ein lautes Geschrei anstimmen und sofort umfangreiche Nachforschungen einleiten würde? Es gibt doch so viele kräftige junge Leute, die entweder kein Zuhause haben oder von ihren Eltern bereitwillig in die Sklaverei verkauft werden. Junge Männer bringen den Sklavenhändlern viel Geld ein. Bei einem alten Mann wie meinem Vater hätten sich nicht einmal die Kosten für die Überfahrt nach Irland ausgezahlt.»

Der zerrissene Faden

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