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Glaubwürdigkeit liegt in Trümmern

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Nach dem Gottesdienst in der an Prunk, Gold und Marmor kaum zu übertreffenden Kirche standen die Repräsentantinnen apostolisch-tätiger Gemeinschaften aus allen Ländern der Welt am 10. Mai 2019 erneut Schlange, diesmal vor der vatikanischen Audienzhalle. Im Eingangsbereich der Aula war eine Fotoausstellung zu sehen, die Papst Franziskus gleich eröffnen sollte: Seit 2009 existiert Talitha Kum, ein Netzwerk katholischer Frauengemeinschaften, mit denen über 2.000 Schwestern in 76 Ländern gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen. Papst Franziskus unterstützt die Initiative, mit der weltweit Maßnahmen zu Prävention, Schutz und Rehabilitation gefördert werden. Unter der Überschrift „Nuns healing hearts“ – „Nonnen heilen Herzen“ hat Lisa Kristine, eine amerikanische Fotografin und Menschenrechtsaktivistin, die Arbeit der Ordensfrauen fotografisch dokumentiert. Dabei geht es ihr darum, mit ihren Bildern Menschen zu Veränderungen zu inspirieren und anzuregen, sich für die Menschenwürde einzusetzen.31

Während wir auf Papst Franziskus warteten, betrachtete ich in der von Architekt Pier Luigi Nervi 1971 erbauten Halle die Skulptur hinter der Tribüne, „La Resurrezione“, 1975 von Pericle Fazzini geschaffen. Auch diese aus Messing und Bronze errichtete Skulptur wiegt annähernd 40 Tonnen. Meine Online-Recherchen ergeben, dass der Künstler die Auferstehung Christi in einem großen Olivenhain darstellen wollte, ein an sich friedlicher Ort, an dem Jesus bei seinem nächtlichen Gebet vor seiner Verhaftung Todesängste ausstand. Angesichts der atomaren Bedrohung in den Zeiten des Kalten Krieges und eisernen Vorhangs ließ Fazzini Christus aus einem Krater aufsteigen, den eine Atombombe aufgerissen hat. Gegenwärtig denke ich bei dieser Darstellung an die zerstörende Wucht der verübten Gewalt in der Kirche selbst; an die körperlichen, seelischen, geistigen und geistlichen Wunden, die in den Leben hunderttausender Kinder, Jugendlicher und Erwachsener gerissen worden sind. Durch Missbrauch geistlicher Macht und Vorrangstellung, durch sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen, Schutzbefohlenen und Frauen, durch Verschweigen, Wegschauen, Vertuschen und Verharmlosen. Eine gewaltige, grausame Explosion aus Verbrechen, die die Glaubwürdigkeit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zutiefst erschüttern. Ob es aus diesen Trümmern jemals eine Auferstehung zu neuem Leben geben wird?

Am Nachmittag des 7. Mai hatten wir uns als Generaloberinnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medienvertreter*innen mit dem Thema „Missbrauch an Ordensfrauen“ befasst. Mit großer Klarheit sprach die Referentin Anna Deodato über sexualisierte Gewalt durch Bischöfe, Priester und/oder Ordensmännern an Ordensfrauen.32 Ermöglicht und begünstigt wurden und werden diese Formen von Gewalt durch die klerikale Macht sowie finanzielle Abhängigkeit. Über erlittene Grenzverletzungen, Manipulation, Bevormundung bis hin zu physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt zu sprechen oder nicht, hängt aber auch mit kulturellen Einstellungen und gesellschaftliche Tabus zusammen.

Ein Teil der Verantwortung liegt bei den für die Ausbildung neuer Mitglieder zuständigen Schwestern und den Leitungskräften, nicht zuletzt bei den während des Treffens der UISG versammelten Generaloberinnen. Schockierend waren Berichte über Gemeinschaften, die in eine komplette Abhängigkeit vom Klerus geraten waren. So mussten Novizinnen vor Ablegung ihrer ersten Gelübde eine Woche lang im Bischofshaus „Praktikum“ machen und sexuelle Dienstleistungen erbringen, als Bedingung dafür, dass der Bischof bei der Ablegung ihrer Gelübde der Eucharistie vorsteht oder sie weiterhin finanziell unterstützt. Das alles geschah (und geschieht) nicht selten im Wissen und mit dem Einverständnis der zuständigen Oberinnen. So verkamen ganze Schwesternkonvente zu einem Harem des Episkopats. Durch Mark und Bein gingen Zeugnisse von Frauen, die von ihren Gemeinschaften verstoßen wurden, nachdem sie nach einer Vergewaltigung durch einen Priester schwanger geworden waren. Statt ihnen zur Seite zu stehen und den Fall zur Anzeige zu bringen, wurde der betroffenen Schwester die Schuld gegeben und der Priester gedeckt. Die perverseste Schilderung betraf eine Ordensfrau, die vom Hausgeistlichen ihrer Gemeinschaft vergewaltigt wurde. Als sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte, wurde sie von ihrer Gemeinschaft verstoßen. Ihr Peiniger zwang sie zur Abtreibung. Als sie bei dem Eingriff starb, war es derselbe Täter, der als Priester die Beerdigung hielt und das Requiem für sie zelebrierte.

Auf dem Hintergrund dieser erschütternden, kaum auszuhaltenden Berichte und persönlichen wie strukturellen Sünden erscheint mir die Foto-Ausstellung „Nonnen heilen Herzen“ wie ein Trostpflaster, das die eigentlichen – gerade die innerkirchlichen Missstände – nicht beheben kann. Die Arbeit der Ordensfrauen und das Engagement kirchlicher Organisationen können unsägliches Leid mildern und Betroffenen helfen. Durch Initiativen wie Talitha kum, RENATE33 oder SOLWODI e. V.34 werden weltweit Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution oder Betroffene ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse in ihrer Würde ernst genommen und mit ihnen Wege gesucht, damit ihre körperlichen und seelischen Wunden heilen können. Unsere Gemeinschaft ist selbst seit mehr als 20 Jahren Mitglied im „Aktionsbündnis Frauen gegen Frauenhandel“35 und hat in unseren frauenspezifischen Jugendhilfeeinrichtungen immer wieder Mädchen und junge Frauen begleitet, die im Rahmen eines Zeuginnenschutzprogramms Zuflucht vor Verfolgung gesucht haben. Zusammen mit vielen engagierten Männern und Frauen legen Ordensleute ihren Finger in die Wunde der Auswüchse eines weltweit agierenden kriminellen Netzwerks, in dem Menschen wie Sklav*innen gehalten bzw. wie Waren gehandelt, gekauft, benutzt und weggeworfen werden.

Wie kaum ein anderer Kirchenvertreter vor ihm entlarvt Papst Franziskus die menschenverachtende Dynamik eines dahinterstehenden kapitalistischen neoliberalen Wirtschaftssystems, das dem Götzen des Profits und unersättlichen Reichtums huldigt und damit über Leichen geht. Dennoch stehen die Kirche und die Ordensgemeinschaften in ihr erst am Anfang, wenn es um die Aufarbeitung von geistlichem Missbrauch, Machtmissbrauch sowie sexualisierter Gewalt an Mädchen und (Ordens-)Frauen in den eigenen Reihen geht.36 Wie bei der Aufdeckung von Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen ist zu fragen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diesen Verbrechen ein Ende zu bereiten und die Strukturen zu verändern, die solche Abhängigkeiten und Ausbeutung begünstigen. Solange innerkirchlich die klerikalen und patriarchalen Machtverhältnisse nicht durchbrochen werden, kann es keine wirkliche Befreiung und Gleichstellung zwischen den Geschlechtern geben.

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