Читать книгу Und über uns das Licht - Katharina Groth, Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 14

Corvin

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»Das Wort ist impertinent!«

Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren. Der Moment war flüchtig gewesen und hatte sich dennoch so tief in meinen Verstand gegraben, als wäre ich kurz irgendwo anders gewesen. In einer anderen Zeit.

»Glaubst du an Schicksal?«, flüsterte sie leise und ich zog sie noch näher an mich. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust und sie hatte einen Arm über meinen Bauch gelegt. Über uns befand sich das tiefschwarze Meer, das kein Ende zu nehmen schien. Wenn sie bei mir war, wurde sogar das irgendwie unwichtig. Der Mist mit meinem Vater, die innere Unruhe ...

»Vielleicht«, murmelte ich in ihre Haare und atmete den leicht blumigen Duft ein und küsste sie auf den Kopf. »Wieso?«

Valea gluckste leise. »Weil ich niemals gedacht hätte, dass ich mich mal ausgerechnet mit dem Sohn des Stationsleiters vor seinen Wachleuten verstecken würde.«

Ich grinste. »War das Kritik an meiner Person?«

Sie schmiegte sich nur noch dichter an mich und mein Herzschlag drohte, meinen Brustkorb zu sprengen. »Nein. Irgendwie ist das sogar aufregend.«

Eine Erinnerung, die eigentlich keine war. Irgendwo, nur nicht in diesem vollkommen überladenen Ballsaal, neben einer Frau, die meinen Verstand reizte, seitdem sie sich an meinen Arm klammerte. In der Zukunft? War ich jetzt zu einem verdammten Hellseher mutiert oder verlor ich einfach nur den Verstand? Beide Varianten kamen mir ähnlich wahrscheinlich vor. Doch das, was ich gesehen hatte, hatte sich echt angefühlt.

Als Valea mir ihre Hand entzog, kämpfte ich mit dem irrationalen Bedürfnis, sofort wieder danach zu greifen. Ihre Haare waren rotbraun und fielen einseitig über ihre Schulter, das Gesicht hübsch und ihr Lächeln einladend. Die blauen Augen leuchteten wissend zu mir herüber und nicht so leer, wie es die von Elizabeth immer taten. Doch es war nicht allein das, was meinen Blick zu ihr hinzog. Es gab viele hübsche Mädchen in Atlantis und auch einige, die dazu noch ziemlich gescheit waren. Valea war anders. Vertraut. Als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen, was irgendwie wie ein verdammtes Klischee klang.

»Corvin.«

Die mahnende Stimme meines Vaters riss mich aus meiner Starre und ich nickte Valea zu. »Es hat mich sehr gefreut, deine Bekanntschaft zu machen.«

Wenn du wüsstest wie sehr, fügte ich in Gedanken hinzu und hatte Mühe, mich von ihrem Anblick loszureißen.

Der Rest der Veranstaltung rauschte an mir vorbei, während mein Blick immer wieder unwillkürlich zu Valea wanderte. Wenig interessiert hörte ich irgendeinem Gespräch zwischen meinem Vater und einem hochrangigen Offizier zu, während mein Hirn zu verstehen versuchte, warum es diese seltsame Eingebung abgerufen hatte. Doch ich fand keine sinnvolle Erklärung, also verdrängte ich die Überlegung und schaute stattdessen Valea an.

Sie wirkte ein wenig verloren, als sie vor dem Buffet stand. Als würde sie nicht an diesen Ort gehören. Doch abgesehen von dem unsicheren Gesichtsausdruck passte sie ausgesprochen gut hier her. Ihre Kleidung war stilsicher, das Make-up perfekt. Obwohl ich sie mir ohne diesen ganzen Schnickschnack noch hübscher vorstellte. Ja, Valea war in jedem Fall eine dieser natürlichen Schönheiten, die am besten auf jegliche Farbe im Gesicht verzichteten. Und irgendwie wusste ich, dass sie das sonst eigentlich auch tat.

»Was meinst du dazu, Corvin?«, fragte mein Vater mit einer gewissen Schärfe im Unterton, die man nur dann heraushörte, wenn man ihn gut genug kannte.

Ich lächelte schmal. »Wenn ihr mich entschuldigen würdet?«

Statt auf eine Antwort zu warten, stand ich auf und schlenderte in Valeas Richtung. Ich hatte nichts davon gesagt, dass ich den vorbildlichen Sohn mimen würde, nur, weil er mich dazu zwang, die Veranstaltungen zu besuchen. Dabei war es wie eine Genugtuung, seinen bohrenden Blick in meinem Rücken zu spüren.

Ich trat neben Valea, als sie die Hand zögerlich nach einer Feige ausstreckte, die mit Speck umwickelt war und sie dann hastig wieder zurückzog. »Die beißt nicht, du kannst ruhig zufassen.«

Ihr Kopf fuhr zu mir herum und sie starrte mich aus geweiteten Augen an. »Ähm ...«

»Ähm, da hast du recht?«

Sie schien sich schnell wieder zu berappeln, denn ihre Augen funkelten mir entgegen. »Danke für den Hinweis.« Statt nach der Feige zu greifen, ging sie ein Stück weiter und gab sich zögerlich etwas von dem Obstsalat auf den Teller.

Irgendwie reizte es mich, dass sie kein besonderes Interesse daran zu hegen schien, sich mit mir zu unterhalten. Es fühlte sich beinahe wie eine stumme Herausforderung an. »Die jüngste Medical Operator der Station also?«, fragte ich wenig geistreich nach und bekam dafür sogleich die Quittung.

»Dazu hast du mir zumindest eben gerade gratuliert.« Ihre Augen huschten unruhig durch den Raum, als suche sie einen Ausweg aus der Situation.

Doch den bot ich ihr nicht, sondern trat noch einen Schritt näher an sie heran. »Stimmt.« Ich lächelte schräg. »Der peinliche Versuch, ein Gespräch anzufangen ist also grandios gescheitert. Bekomme ich eine zweite Chance?«

Ihre Mundwinkel zuckten leicht. »Warum solltest du dich mit mir unterhalten wollen?«

Weil du besonders bist und ich einfach nicht verstehe, warum. »Weil es mich interessiert, wie man so jung und zeitgleich so erfolgsorientiert sein kann.«

»Ich liebe meinen Job eben.« Sie zuckte mit den Schultern und schaute mich offen an. »Menschen zu helfen ist mehr eine Berufung.«

»Das klingt ... toll.«

»Genau wie Menschen zu leiten. Als zukünftiger Stationsleiter musst du doch sicher auch einiges leisten.« Irgendwie wirkten die Worte gezwungen und ich bildete mir ein zu sehen, dass sie es nur aus Höflichkeit gesagt hatte. Ein Punkt, der sie mir nur noch sympathischer machte.

»Ja«, entgegnete ich und warf einen Blick zu meinem Vater, der mich scheinbar nicht aus den Augen ließ. »Man muss Lektionen lernen, rumsitzen, lernen, rumsitzen und darf zu so grandiosen Veranstaltungen.«

Die Worte waren eher unwillkürlich aus mir herausgekommen, genau wie die Ironie, mit der ich sie belegt hatte. Und als ich Valea wieder ansah, lag ihre Stirn in leichten Falten.

»Nun, das scheint ja wirklich eine Belastung für dich zu sein.«

Irgendwie hatte ich sie verärgert, auch wenn ich nicht genau verstand wieso. »Es ist recht einseitig.«

»Einseitig«, echote sie und schüttelte den Kopf. »Wir haben Aufgaben, die erfüllt werden wollen und das kann nicht immer spannend sein.«

»Das sage ich ja auch gar nicht.«

»Doch, eigentlich schon. Du hast dich ziemlich deutlich darüber ausgelassen, wie langweilig dein Leben ist und dass du so was hier«, sie deutete auf das Büfett, »jederzeit haben kannst und leid bist.«

»Das habe ich gesagt?«, fragte ich erstaunt. Augenblicklich färbten sich ihre Wangen leicht rötlich, was ich irgendwie niedlich fand.

»Nun, zumindest war das herauszuhören«, erwiderte sie, nun ein wenig kleinlaut. Valea atmete aus. »Es gibt eine Menge Leute, die sich über so eine Essensauswahl freuen würden.«

»Und glaub mir, ich wäre nur allzu bereit, das mit allen der Station zu teilen«, sagte ich schnell.

»Tatsächlich?« Sie hob eine Augenbraue.

»Natürlich. Ich muss nicht jeden Tag Fleisch essen.«

»Jeden Tag?« Nun wanderte auch die andere Braue in die Höhe. Warum hatte ich nur das Gefühl, mich immer weiter in die Scheiße reinzureiten? Eigentlich hatte ich nur mit ihr reden wollen, um sie kennenzulernen, doch irgendwie fühlte es sich bereits jetzt mehr nach einer Grundsatzdiskussion an.

»Nicht jeden Tag«, gab ich schnell zurück. Doch der Schaden war scheinbar schon angerichtet, denn in Valeas Augen sah ich Abneigung aufflackern.

»Das ist ... großzügig von dir«, erwiderte sie knapp und blickte sich abermals suchend um. »Wenn du mich jetzt entschuldigen ...«

»Du hast meine Retterin gefunden!«, rief eine Stimme, auf die ich gut und gern verzichtet hätte.

Als Elizabeth auf ihren mörderisch hohen Schuhen in unsere Richtung stöckelte, hätte ich Valea am liebsten gepackt und irgendwohin gebracht. Überallhin, nur weg von hier.

»Das ist die Med-Op, von der ich dir erzählt habe«, zwitscherte Elizabeth und griff nach Valeas Arm, worauf die mit einem gezwungenen Lächeln reagierte.

»Ach, wirklich?« Ich hatte keine Ahnung, was Elizabeth meinte. Sie redete ohne Unterbrechung und dabei so viel Unsinn, dass ich mir angewöhnt hatte abzuschalten, sobald sie den Mund öffnete. Das gelang mir meistens, aber nicht immer.

»Sie hat mich vor dieser impoten... ich meine, imperitinenent ...«

»Impertinent. Das Wort ist impertinent«, verbesserte Valea sie ausgesprochen höflich.

In mir verkrampfte sich etwas. Einerseits schämte ich mich für diesen hervorragenden Beweis dafür, dass Elizabeths Horizont lediglich von der Außenwand bis ans Meer reichte. Andererseits musste ich mir für diesen klassischen Elizabeth fest auf die Zunge beißen, um nicht loszulachen. Es war einer der Momente, bei dem Cas sich gekugelt hätte vor Lachen.

»Was auch immer«, sagte Elizabeth und kicherte affektiert. »Auf jeden Fall hat sie mich vor ihrer Kollegin bewahrt und konnte mir helfen.« Sie beugte sich näher an Valea heran und deutete auf ihr eigenes Gesicht. »Siehst du, nichts mehr von dem Unglück zu sehen.«

»Freut mich, dass ich helfen konnte«, sagte Valea und lächelte. Eines musste man ihr lassen, man sah ihr keineswegs an, was in ihrem Kopf vorging. Profi durch und durch.

»Vielleicht sollten wir sie mal einladen?«, wandte sich Elizabeth an mich und hakte sich uneingeladen bei mir unter. »Sie ist ja jetzt so eine Art Prominenz oder so.« Während des letzten Satzes fuchtelte sie so heftig mit ihrem Champagnerglas herum, das es beinahe überschwappte. Sie vertrug nicht besonders viel von dem Zeug, doch das hielt sie scheinbar nicht davon ab, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Glas einzuschenken. Dabei schmeckte die synthetisch hergestellte Brause wirklich widerlich. Es war mir ein Rätsel, warum man Ressourcen und Arbeitsleistung dafür verschwendete, Champagner herzustellen.

»Sicherlich«, presste ich hervor.

Valea lächelte unverbindlich. »Natürlich würde ich mich über eine Einladung freuen, aber ehrlich gesagt habe ich wirklich furchtbar viel zu tun ...«

»Ach, papperlapapp«, fuhr Elizabeth ihr dazwischen. »Dann buche ich dich eben für einen Tag als Leibarzt. Das ist doch kein Problem, die Mittel haben wir. Und die Patienten werden ja nicht gleich sterben, nur, weil du mal einen Tag ausfällst.« Sie gackerte und durch Valeas Gesicht zuckte Widerstand. Nur kurz, dann schien sie sich wieder zu fangen.

»Ich bezweifle, dass das im Sinne von Atlantis ist«, sagte sie. »Wir sind auf jeden Helfer angewiesen.«

»Sie hat recht«, sagte ich schnell, bevor Elizabeth wieder drauflosplappern konnte. »Valea hat sicherlich viel zu tun.«

»Nun sei mal nicht so unfreundlich«, meinte Elizabeth und hob mahnend den Zeigefinger. Dann giggelte sie und presste sich an mich. Ich war kurz davor, ihr das verdammte Glas wegzunehmen.

Doch schlimmer als dieses alberne Verhalten meiner angeheiterten Verlobten war der Blick, mit dem Valea mich versah. Man musste kein Genie sein, um zu verstehen, dass sie mich gerade tief in eine Schublade gesteckt hatte.

»Wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt?«, fragte sie distanziert und wiederholte damit den Satz, den ich eben selbst zu meinem Vater gesagt hatte. Sie wartete auch nicht auf Antwort, sondern ging einfach. Ich wollte ihr hinterher, doch in diesem Moment krallten sich Fingernägel in meinen Arm und die Schrillheit von Elizabeths Stimme drohte meinen Verstand zu sprengen.

»Weißt du, wer da ist?«, fragte sie mit funkelnden Augen und deutete auf irgendeine Frau in einem ausladenden Kleid.

»Nein.«

»Die Hochzeitsplanerin. Dein Vater hat sie extra eingeladen, damit wir schon mal über die Details sprechen können.«

»Großartig«, murmelte ich, doch mein Blick folgte Valea, die sich gerade an einem der Tische zwischen den anderen Ehrenträgern niederließ.



»Das bedeutet, du findest sie heiß?!«, sagte Cas, bevor er Beastmaster einen heftigen Schlag versetzte, der die Figur auf der Leinwand zurücktaumeln ließ. Cas lachte laut auf und hob die Fäuste an, während er vor mir von einem Fuß auf den anderen tänzelte. Sein Spielcharakter Breakheart tat es ihm auf dem Bildschirm neben uns gleich.

Ich holte ebenfalls aus und verpasste der Luft vor mir einen Schlag, dem Cas mit einer schnellen Bewegung auswich und zu einem tiefen Schwinger ausholte, der meinem Beastmaster den Rest gab. Der überproportionierte Wrestler brach zusammen und der Computer verkündete: »Game Over.«

Ich schüttelte den Kopf, streifte die Virtual-Gloves von meinen Händen ab und schmiss sie achtlos auf den Boden. Exakt zwölf Stunden hatte ich gebraucht, um das System des Apartments zu überlisten. Keine Herausforderung. Und bitternötig, nachdem ich mich tatsächlich mit Hochzeitsplanung hatte herumschlagen müssen. Für eine Hochzeit, die niemals stattfinden würde, falls ich es irgendwie zu verhindern wusste.

»Ich finde sie nicht nur heiß, ich will sie unbedingt wiedersehen«, sagte ich und setzte mich auf die Couch. Cas Apartment war nicht besonders groß und beherbergte nur diese Sitzmöglichkeit, die zum Bett umfunktioniert werden konnte, einen schmalen Tisch und diese riesige Leinwand, die auf ein spezielles Update zurückzuführen war, das er mir zu verdanken hatte.

»Ach verdammt, Corvin«, grollte Cas und ließ sich neben mich fallen. Grinsend ließ er seinen Charakter auf der Leinwand eine Siegerpose aufführen, ehe er selbst die Handschuhe abstreifte und wieder ernst wurde. »Bau keine Scheiße.«

»Es wird keiner erfahren«, erwiderte ich und musterte Beastmaster, um dessen Kopf kleine Vögel und Sternchen tanzten. Eigentlich waren in Atlantis sämtliche gewaltfördernde Spiele verboten, doch da Boxen als Sport galt, machte man hier eine Ausnahme.

Cas verzog das Gesicht. »Du willst es wirklich drauf ankommen lassen, oder? Du willst sie echt besuchen.«

Ich schwieg. Valea ging mir nicht mehr aus dem Kopf, das konnte Cas vermutlich nicht verstehen. Seit unserer Begegnung konnte ich nur noch an sie denken und das war nicht normal. Da war etwas, das ich verstehen musste. »Sie ist anders.«

»Und du bist verlobt«, sagte Cas und nun war es an ihm, den Kopf zu schütteln. »Beantragt-abgesegnet-vom-System-registriert-verlobt. Du weißt, ich stärke dir echt bei jedem Scheiß den Rücken, aber das halte ich einfach nur für dämlich.«

»Ich will sie nur besuchen und mit ihr reden. Da läuft nichts.«

Cas lachte bitter. »Klar. Du stehst nur so sehr auf sie, dass du alle Regeln brechen und sie besuchen willst. Zum Reden.« Beim letzten Wort formten seine Finger imaginäre Anführungszeichen.

Ich musste schmunzeln. »Wenn weder Elizabeth noch mein Vater davon erfahren, sehe ich da kein Problem.«

»Und wenn doch? Du weißt, dass du damit sogar gegen das Gesetz verstößt?« Cas runzelte die Stirn. »Ich meine hier nicht irgendwelche Kleinigkeiten, wie dass du dich in irgendein System hackst. Ich meine damit, dass du gegen das Bindungsgesetz verstößt. Keine anderweitigen körperlichen Verbindungen, wenn eine Ehe offiziell beantragt und genehmigt wurde.«

»Du klingst wie mein Vater«, gab ich zurück und verzog das Gesicht.

»Nein, wie ein Freund.« Cas presste die Lippen aufeinander. »Du magst echt um vieles herumkommen, was uns Normalos so widerfährt, aber wenn du so einen Mist machst ...«

»Erstens mache ich gar keinen Mist, sondern treffe sie nur und zweitens ...«

»... bist du kurz davor, Mist zu machen«, beharrte er. »Die Med-Op ist tabu für dich. Du kannst sie anschauen, ihre Brüste und ihren Po bewundern und das aus einem sicheren Abstand. Mehr nicht. Das kann nicht nur dich, sondern auch deinen Vater seinen Stand kosten.«

»Seit wann sorgst du dich um den Stand meines Vaters?« Ich hob die Augenbrauen.

»Kannst du dich an Calvin aus Kuppel 3 erinnern?«

»Alter ...«, murmelte ich.

»Nein, nicht Alter.« Cas schnaubte. »Ich musste den Kerl festnehmen. Hab ihn quasi aus der Tussi rausgezogen, mit der er seine Frau betrogen hat.«

»Danke für diese bildliche Beschreibung.« Ich schnitt eine Grimasse.

»Du weißt, was sie mit ihm gemacht haben, oder?«

»Du wirst ja nicht müde, davon zu erzählen.«

»Sie haben ihm seinen Rang aberkannt«, wiederholte er dennoch. »Er hat sämtliche Rechte in Atlantis verloren und das auf Lebenszeit. Nun treibt er sich irgendwo in der Pornomeile rum, wenn er überhaupt noch lebt. Ohne essen, ohne medizinische Versorgung. Begründung: er habe dem System bewusst schaden wollen. Hochverrat.«

»Ich weiß. Mir wird das nicht passieren, weil ich mich nicht erwischen lasse«, sagte ich mit Nachdruck.

Cas starrte eine Weile ruhig auf den Bildschirm und atmete dann angestrengt aus. »Weißt du, was noch schlimmer ist, als unter der Wasseroberfläche fest zu hocken und nicht mehr als diese verdammten Kuppeln im Meer zu haben?«

»Du wirst es mir sicher gleich sagen.«

»Mittellos zu sein und hier unten leben zu müssen«, gab er viel zu ernst zurück. »Der Kerl hat geflennt, als wenn wir seine liebe Mama ermordet hätten. Weil er wusste, dass du in Atlantis eigentlich nicht leben kannst, wenn du keine Privilegien mehr hast. Es ist viel schlimmer, als gleich zu sterben, weil es ein Tod auf Raten ist. Ausgeschlossen aus der Gesellschaft, obwohl du noch unter ihnen lebst.«

Ich klopfte Cas mit einem schrägen Grinsen auf die Schulter. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du einen Hang zum Übertreiben hast?«

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du langsam zu leichtfertig wirst?«

Mir gefiel der ernste Cas nicht, ich mochte den Spinner lieber, der für jeden Mist zu haben war. »Ich bin nicht leichtfertig. Dieses Mädchen, Valea, ich kenne sie irgendwo her.«

Cas schüttelte irritiert den Kopf. »Was?«

Ich hatte ihm bisher noch nicht von meiner merkwürdigen Vision erzählt und würde damit jetzt auch nicht anfangen. Ich fand selbst, dass es vollkommen wahnsinnig klang. »Ich habe einfach das Gefühl, sie zu kennen«, sagte ich deshalb nur.

»Du kriegst kalte Füße, weil Trümmer-Elizabeth dich eines Tages in den Wahnsinn treiben wird, das ist alles«, gab er unwirsch zurück und spielte mit den Virtual-Gloves zwischen den Fingern.

»Nein, das ist es nicht. Sie ist ... ich kann das echt nicht erklären.«

»Dann lass es«, sagte Cas ernst. »Ich habe keinen Bock, dir was von meiner Essensration zu geben, nur, weil du jegliches Recht drauf verwirkt hast.«

»Ich bin der Sohn des Stationsleiters, du glaubst doch nicht ernsthaft ...«

»Lass stecken«, unterbrach mich Cas und schüttelte den Kopf. »Ich sag ja, dir ist der ganze Mist der letzten Monate zu Kopf gestiegen. Du wirst nicht mit allem durchkommen. Nicht immer. Und gerade die Bindungsgesetze sind die Basis unseres Systems. Du bist am Arsch, wenn sie dich dabei erwischen, dass du Scheiße baust.« Er musterte mich aus schmalen Augen. »Calvin war ein hoher Offizier und ein Kumpel. Einer reicht mir. Ernsthaft.«

Mir entfuhr ein seltsam hohles Lachen, weil mich die Situation überforderte. Ich konnte Cas nicht erklären, warum ich sie unbedingt sehen musste. Und warum es mir tatsächlich scheißegal war, dass ich damit irgendein Gesetz brach. Denn es ging nicht. Es gab keinen plausiblen Grund dafür, dass ich Valea auf jeden Fall wiedersehen würde.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich grinsend und nickte in Richtung der Leinwand. »Was hältst du von noch einer Runde? Ich bin zwar nicht scharf drauf, noch mal zu verlieren, aber ich muss dich ja irgendwie entschädigen für die Suspendierung.«

Cas grinste wieder. »Dafür wirst du noch ein paar Schläge einstecken müssen.« Er sprang auf und zog sich die Virtual-Gloves wieder über, während ich versuchte, die Gedanken an Valea beiseitezuschieben. Vermutlich verlor ich tatsächlich den Verstand.

Und über uns das Licht

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