Читать книгу Und über uns das Licht - Katharina Groth, Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 9

Corvin

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»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt.«

Ich lag flach auf dem Rücken und atmete aus. Undurchdringliche Schwärze. Es war kaum zu glauben, dass irgendwo da oben eine Welt existierte, die noch viel größer war als die der D.U. Atlantis. So voller Licht, während es hier unten nur die künstliche Helligkeit gab, die die Stadt in die Weiten des Meeres strahlte. Beinahe zumindest.

Angespannt starrte ich durch die durchsichtige Kuppeldecke nach draußen und wartete. Ich befand mich am höchsten Punkt innerhalb dieses Abschnittes, auf dem Dach von Wohngebäude 2. Von hier aus musste ich nur die Hand ausstrecken, um die Hülle berühren zu können. Das Haus war so hoch, dass zwischen Außenwand und Gebäudedach nicht einmal ausreichend Platz war, um aufrecht sitzen zu können. Unruhig suchte ich die Schwärze über mir ab. Normalerweise dauerte es nicht lange, daher sollte mein Freizeitabschnitt ausreichen.

Musste ausreichen. Gerade heute wäre es bitter, wenn ich es verpasst haben sollte.

Als das erste Leuchten am rechten Rand meines Blickfeldes auftauchte, fühlte es sich an, als würde sich das imaginäre Korsett um meinen Brustkorb weiten und ich atmete aus. Grellblau hob sich der fluoreszierende Schwarm Quallen von der Dunkelheit des Meeres ab. Sie schienen von innen heraus zu strahlen, als wäre jede ihrer Zellen mit einer Leuchtdiode ausgestattet. Umgeben von ihrem gespenstischen Schein bewegten sich die feinen Ärmchen wie in Zeitlupe und schwebten schwerelos über Kuppel 1 hinweg.

Ein Knattern kündigte an, dass der Generator in dem Raum unter mir wieder ansprang und kurz darauf begannen die Rohre, die über das Flachdach verliefen, zu rattern. Ich streckte die Hand aus, um sie auf die Festibulum-Plastik zu legen. Das Material, das die einzige Barriere zwischen Tonnen von Meerwasser und uns bildete. Überflüssiger Raum, der mit Versorgungsleitungen gefüllt war und eigentlich nur dem Wartungspersonal zugänglich war. Der scharfe Geruch von Tresibonol stieg mir in die Nase, als er sich durch die Abluftgitter einen Weg außerhalb des Gebäudes bahnte. Das störte mich jedoch nicht, denn irgendwie gehörten das Röhren der Maschinen und auch der Gestank zu diesen kurzen Auszeiten. Und in den Räumen unter mir befanden sich nun einmal jene Chemietanks, die dafür sorgten, dass Salz- zu Trinkwasser wurde.

»Ich wusste, dass ich dich hier finde.«

Ich hatte das Knarren der Bodenluke über das Rauschen hinweg nicht gehört. Cas grinste mich breit an und sah seltsam aus unter der bläulichen Beleuchtung der Quallen. Seine sonst roten Haare wirkten dunkel. Einzig sein Overall, so schwarz wie das Meer um die Station, hatte immer dieselbe Farbe.

»Ich habe noch zehn Minuten«, grollte ich genervt.

»Mag sein.« Cas zog sich auf das Dach und legte sich mit einem Keuchen neben mich. »Es ist ja nicht so, dass man die leuchtenden Biester von überall sehen könnte.« Cas schnaubte und deutete diffus auf den Schwarm Quallen. »Es muss ja unbedingt dieser schmale stinkende Spalt zwischen Kuppeldecke und Hochhaus sein. Du bist wohl der einzige Mensch in Atlantis, der das hier nicht als absolute Fehlkonstruktion bezeichnen würde.«

»Zwingt dich ja keiner, hier zu sein.«

»Blendende Laune anscheinend. Wie wäre es stattdessen mit einem: Entschuldige, Cas, dass ich mich schon wieder einfach verpisst habe, ohne dir Bescheid zu sagen. Ich weiß, dass dir das echt Probleme einbringen kann und du eigentlich nicht von meiner Seite weichen darfst.« Er äffte mich mit seltsam tiefer Stimme nach und ich hob schweigend eine Augenbraue.

»Kann ich dich wenigstens fragen, wie du das Sicherheitssystem umgangen hast? Das Dach ist code- und irisgesichert«, fragte er leicht genervt, als ich es weiterhin vorzog, nichts zu sagen. »Ich musste einen riesigen Aufstand zaubern und letzten Endes sogar einen der Wartungstypen bitten, mir die Luke aufzumachen. Jetzt darf ich nachher in meinem Protokoll erklären, warum ich mir hier die Zeit vertrieben habe, statt mich um den zukünftigen Leiter der Station zu kümmern. Denn wenn dein Vater erfährt, dass du ausgerechnet hier bist ...« Er klopfte gegen das massive Rohr neben sich, dass leise vor sich hin blubberte. »Ich schätze, ich muss dir nicht sagen, dass Tresibonol dir ein hübsches Loch in deinen Menschenpelz brennt, falls es hier irgendwelche Undichtigkeiten gibt?«

»Ich habe die Wartungsprotokolle gecheckt. Alles in Ordnung«, erwiderte ich. Natürlich hatte ich das im System geprüft, bevor ich hergekommen war. Zwar war ich bei Weitem nicht so ängstlich wie mein Vater seit dem Hüllenbruch damals, aber eben einfach vorsichtiger geworden.

»Dein Glück. Ich werde sagen, dass du deine Sporteinheit vorgezogen und Sit-ups gemacht hast.« Obwohl mir nicht danach war, zerrte ein Grinsen an meinen Mundwinkeln. Einmal mehr stand es für ihn außer Frage, mich zu decken. Cas war nicht einfach nur mein persönlicher Wachmann. Ich konnte kaum zählen, wie oft er schon den Kopf für mich hingehalten hatte.

»Also? Details? Wie hast du den Schließmechanismus umgangen?« Natürlich wusste ich von seinem technischen Interesse, vielleicht war es letzten Endes sogar das gewesen, was uns beide zusammengeschweißt hatte. Doch heute war mir nicht danach zu fachsimpeln, also hob ich nur meinen Arm, an dessen Handgelenk ein Sicherheitsarmband baumelte, das gelb leuchtete.

»Ach. Du. Scheiße«, stieß Cas hervor, klang aber eher begeistert als wirklich schockiert. »Wo hast du das denn her?«

»Im Bürotrakt meines Vaters gibt es ein Lager, in dem die Dinger herumliegen«, gab ich wortkarg zurück.

»Heute lässt du dir alles aus der Nase ziehen, oder?« Cas stieß mich an. »Du hast dir eins genommen und auf die höchsten Freigaben programmiert?«

Er fragte, obwohl er natürlich längst wusste, was ich getan hatte. Als ich den Kopf in seine Richtung drehte, hielt er sich sein eigenes Armband unmittelbar vor das Gesicht. Seines leuchtete orange, keine besonders hohe Freigabe, was wohl auch daran lag, dass mein Vater sich auf diese Weise erhoffte, auch meinen Lebensraum einzuschränken. Ein sinnloses Unterfangen, da ich in den letzten Jahren meinen eigenen Weg gefunden hatte, mich frei auf der Station zu bewegen. Und diese Armbänder sorgten mit der richtigen Freigabe immerhin dafür, dass weder ein Irisscan noch eine Codeeingabe nötig wurde.

»Kannst du meins nicht auch umschreiben?«, fragte Cas.

»Damit es eine Warnung im System gibt und du deinen Job loswirst? Sicher nicht.«

»Du hängst halt an mir. Ich bin gerührt«, sagte er feixend.

Jeder Sicherheitsbeamte trug eines dieser Armbänder. Es war durchsichtig, fingerdick und umlief das Handgelenk. Anhand der Farbe, in der es leuchtete, konnten die Bewohner der D.U. Atlantis ausmachen, welche Freigabeberechtigung die Sicherheitsleute besaßen. Außerdem erkannte das System, welchen Zugang man hatte. Gelb war die höchste Freigabestufe. Man durfte überall hin und niemand zeichnete auf, wo man sich herumtrieb. Keine Rechenschaft. Freiheit.

»Aber trotzdem. Das ist ... es ist einfach genial«, stieß Cas aus und lachte auf. »Warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?«

»Es wird nicht lange funktionieren«, erwiderte ich. »Das System wird bald erkennen, dass ich einen Account doppelt angelegt habe und den hier löschen.« Als hätte das Armband meine Worte vernommen, begann es mehrfach zu blinken - ein Warnzeichen - ehe es schließlich erlosch.

Cas seufzte. »Hach, wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.«

»Hm.«

Stille. Der Quallenschwarm hatte sich von der Kuppel beinahe entfernt, sodass nur noch ein wenig Helligkeit zu uns hereinfiel. In den Wartungsbereichen gab es keinen schönen Schein, sondern nur kaltes Metall, Rohre und Leitungen. Ich mochte das. Orte wie dieser versteckten sich nicht hinter einer hübschen Fassade, sondern zeigten unmittelbar, was in ihnen steckte. Als würde man einen Blick in das Innere der D.U. Atlantis werfen dürfen.

»Alter. Dein Schweigen geht mir auf die Nerven. Was ist los?«

»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt«, sagte ich kühl.

Cas sog scharf Luft ein. »Scheiße.«

»Ja«, erwiderte ich nur, denn das traf es ziemlich genau.

»Wann?«

»Er gibt mir zwei Monate.«

Cas lachte nervös auf. Ich musste ihm nicht erklären, dass ich mit er meinen Vater meinte. Derjenige, der sich von einem entspannten Stationsleiter in einen peniblen Kontrollfreak verwandelt hatte. Er bestimmte, was ich aß, wann und wie viel ich trainierte, wo ich mich aufhielt, legte meinen Lehrplan fest und nun entschied er auch noch, mit wem ich den Rest meines Lebens verbringen sollte. Eine Weile lagen wir so da, während die fluoreszierende Helligkeit wieder der Dunkelheit der Meerestiefe Platz machte.

»Vielleicht wird es besser?«, fragte Cas.

»Was?«

»Na, mit Elizabeth.«

Ich lachte freudlos auf. »Sicher.«

Elizabeth war nicht nur übernervös, sondern auch laut und schrill. Allein, wenn ich ihre Stimme hörte, bekam ich Kopfschmerzen. Um das ein Leben lang ertragen zu können, müsste man sie schon auf stumm schalten können. Doch das allein war es nicht. Ihre letzte Intelligenz- und Lernbereitsschaftsstudie wies sie entweder als faul oder als nicht besonders heller Strahler unter dem Meer aus. Und genau das deckte sich auch mit dem Eindruck, den ich in den letzten Jahren von ihr gewonnen hatte. Selbst dem gräulichen Nahrungsmittelbrei für die niedrigeren Stufen traute ich mehr Feingefühl und Weitsicht zu.

»Aber sie ist scharf«, sagte Cas und ich konnte, ohne hinzuschauen, sein Grinsen hören.

»Klasse.«

»Alter«, sagte Cas erneut und zog die Vokale bei dem Wort nervend in die Länge. »Geiler Arsch. Hübsche Brüste. Lange blonde Haare. Schon mal was davon gehört, die Dinge etwas positiver zu sehen?« Wieder musste ich grinsen, obwohl ich eigentlich nicht in der Stimmung war. Cas war schon häufig wegen seiner altertümlich ordinären Ausdrucksweise abgemahnt worden, aber das interessierte ihn genauso wenig wie mich die auferlegten Regeln meines Vaters.

»Weißt du, was sie mich gestern gefragt hat?«, presste ich hervor.

»Nein?«

»Sie hat mir gesagt, dass sie darüber nachdenkt, warum die Kuppeln rund sind und nicht eckig. Und wollte wissen, ob mich das auch manchmal beschäftigt.«

Eine Weile herrschte Stille, doch schließlich drang ein leises Glucksen zu mir herüber.

»Kurz danach hat sie gesagt, dass sie sich oft darüber den Kopf zerbricht, ob unsere Kinder wohl einmal hübsch werden und was wir unternehmen sollen, wenn sie es nicht sind.«

»Was ihr ... unternehmen sollt? Was meint sie denn, was man da tun könnte?« Die Frage war von leisem Lachen erfüllt, während sein Körper neben mir zuckte. Geschichten von Elizabeth und ihren verbalen Ergüssen hatte uns manchen wirklich nervigen Tag gerettet. Doch heute, mit der Aussicht auf die Zukunft war mir nicht nach lachen zumute.

»Ja. Das habe ich auch gefragt.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Dass in diesem Fall sicherlich eine der kinderlosen Familien bereit wäre, unseren Nachwuchs zu adoptieren.«

Cas schnappte nach Luft. »Das hat sie nicht gesagt?«

»Doch hat sie. Und sie hat es auch noch begründet. Da es weniger hübsche Kinder ja schlecht im Leben haben, wäre es für sie leichter, wenn sie bei ebenso hässlichen Eltern auswachsen, weil die sie besser auf die Zukunft vorbereiten könnten als wir.« Der Tank unter uns begann wieder zu blubbern und einen Moment war das das einzige Geräusch, das unsere Umgebung füllte. Anscheinend war auch Cas das Lachen vergangen.

»Und jetzt sag du mir noch mal, dass sie scharf ist«, fügte ich hinzu.

»Gut. Sie ist echt ... speziell.«

»Speziell. Ja, das trifft es.«

»Vielleicht solltest du deinem Vater sagen, dass Elizabeth ... dass es nicht ... also ...«

»Dass sie dumm ist wie einer dieser Beilfische, die stundenlang mit der Nase voran gegen die Kuppeln schwimmen?«

Cas lachte laut. »Ja. Genau so.«

»Er sagt, dass eine Frau nicht intelligent sein muss, um eine gute Ehefrau zu sein. Als Leiter der Station hätte ich Verantwortung und könnte nicht nach persönlichem Geschmack entscheiden.«

»Scheiße«, fluchte Cas einmal mehr.

Ich schnaubte. Seit Jahren fand ich mich damit ab, nahm hin und akzeptierte. Meine lächerlichen Versuche, es meinem Vater heimzuzahlen, indem ich mich regelmäßig seinen auferlegten Regeln entzog, waren dennoch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich würde Elizabeth heiraten. Mein Vater hatte gesagt, dass es um die Zukunft der D.U. Atlantis ging und darum, dass unsere Genetik zusammenpasste. Doch ich wusste es besser. Ihm ging es vor allem um Sicherheit. Und Elizabeth war eine sichere Partie. Sie passte nicht nur hundert Prozent genetisch zu mir, sondern war zudem eine folgsame Bürgerin, die, genau wie ihre Eltern, alles für die Station tun würde. Keine Erkrankungen, keine Abmahnungen, keine sittenverfänglichen Einträge. Ich sollte eine verdammte Musterbürgerin heiraten.

Ein schriller Signalton riss mich aus meinen Überlegungen. Cas hob den Arm und das Blinken seines Armbandes erfüllte den kleinen Raum. »Damit sind deine zehn Minuten wohl rum«, sagte er dumpf.

»Scheint so«, entgegnete ich, machte aber keine Anstalten, ihm durch die Luke zu folgen.

Als Cas es bemerkte, steckte er den Kopf wieder hindurch und stöhnte. »Heute bitte nicht. Wenn du deinen Arsch nicht hier rein bewegst, streichen sie mir zwei Essensrationen. Das wäre bereits das dritte Mal diese Woche, dass du auf deinen Tagesplan scheißt.«

Ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, es darauf ankommen zu lassen, aber ich hatte keine Lust, dass Cas darunter leiden musste. Denn es stimmte, gestern hatte ich die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station ausfallen lassen und hatte mich stattdessen lieber in die Gesundheitsakten der D.U. Atlantis gehackt. Nur um festzustellen, dass Elizabeth tatsächlich so war, wie sie eben war. Die beiden Tage davor war ich durch die Station gestreift, einmal war Cas sogar dabei gewesen. Wann immer sich eine Möglichkeit bot, aus dem goldenen Käfig, in den mein Vater mich seit dem Tod meiner Mutter sperrte, auszubrechen, tat ich es. Cas bekam das Echo meiner eigenwilligen Aktionen häufig genug zu spüren, auch wenn er immer sagte, dass ihm das nichts ausmachte.

Ich schob mich an die Luke heran und fragte: »Was steht jetzt an?«

»Anscheinend sollst du die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station nachholen.«

»Großartig«, knurrte ich.

Cas warf mir einen gespielt strengen Blick zu, nachdem ich die Leiter nach unten gestiegen war. »Wehe du verpisst dich noch mal, ohne mir Bescheid zu sagen.«

Und über uns das Licht

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