Читать книгу Häuser des Jahres 2020 - Katharina Matzig, Wolfgang Bachmann, Udo Wachtveitl - Страница 11
ОглавлениеÜber den Dächern von Linz
Auszeichnung
VON
HERTL.ARCHITEKTEN ZT GMBH
IN
Linz (A)
Ruhig und privat, individuell und repräsentativ, Ausblick und Austritt: Der zweigeschossige Aufbau auf ein fünfstöckiges Altstadthaus erfüllt alle Anforderungen an ein klassisches Einfamilienhaus.
In der Regel sind Privatsphäre, Individualität und Grünraum die Argumente für den Bau eines freistehenden Einfamilienhauses. Lange Wege aus dem gerade noch erschwinglichen Speckgürtel werden dafür in Kauf genommen. Doch es geht auch anders: Dem Haus für zwei Personen, das Gernot Hertl am Taubenmarkt auf ein historisches Gebäude aufsetzte, liegt die Linzer Innenstadt zu Füßen.
Obwohl der Raum des turmgleich die Straßenfassade überragenden Mansarddaches Teil des Bauvolumens ist, handelt es sich bei diesem Projekt nicht um einen ausgebauten Dachboden, sondern um einen Neubau: Mit gut 200 Quadratmeter Wohnfläche haben Hertl Architekten, 2000 in Steyr gegründet, über dem nur drei Fensterachsen schmalen historischen Gebäude ein durchaus großzügiges Domizil errichtet. Die schmucke Fassade mit einem mittig gesetzten Erker und dem die Nachbarschaft überragenden Turm aus dem 19. Jahrhundert ist imposant, an der südlichen Grundgrenze liegt das Stiegenhaus mit einer kreisförmig gewendelten Treppe und reich verziertem Geländer. Direkt dahinter: Der Aufzug, der in den fünften Stock fährt, auf die Eingangsebene des betont schlichten, zeitgemäßen Einfamilienhauses auf einem Dach über der Stadt.
Hinter der Wohnungstür öffnet sich ein schmales, langgestrecktes Raumgefüge, das ohne Gangflächen auskommt. Vom Eingangsbereich geht es in die Tiefe des Bauplatzes an einem kleinen, begrünten Atrium vorbei zu den privaten Rückzugsräumen. Ein aus dem Bestand übernommener Lichthof, Glaswände zum begrünten Atrium und Fenster in den Hof erhellen das an der Ostseite des Atriums angeordnete Bad. Parallel zur Außenwand führt eine einläufige Stiege in das obere Geschoss, der Raum weitet sich über ein langes Fensterband in die Stadt. Die Brüstung wird zur Rückwand der Küchenzeile. Der Wohnraum eröffnet, von einer Feuerstelle in seiner Länge unterteilt, mit zwei breiten, nach Norden und nach Süden schauenden Fenstern neue Perspektiven auf Linz. Eine zweite Treppe erschließt den Dachgarten mit einer Loggia für die Sommerküche.
Urteil der Jury
von Ulrich Nolting
Wer in Linz am Taubenmarkt steht, sieht historische Fassaden und den klassizistischen Brunnen. Nichts deutet auf modernes Bauen hin. Und wer meint, dass ein freistehendes Einfamilienhaus im Sinne der Nachhaltigkeit kein besonders gutes Gebäude ist, sieht sich in Linz eines Besseren belehrt. Vom Platz aus nicht erkennbar haben Hertl Architekten aus Steyr ein solches Einfamilienhaus mitten auf das Dach über dem nur drei Fensterachsen schmalen Gebäude an der Westseite der Landstraße gebaut.
Mitten in der Stadt geben sie mit diesem Haus viele Antworten zum Bauen in der Stadt. Die Privatsphäre, die Individualität, den Grünraum, Ideen zum verdichteten Bauen, Optimieren von Bauland, Umgang mit historischem Bestand, kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten … Die üblichen Argumente gegen den Bau eines Einfamilienhauses haben sie elegant, fast schelmisch ad absurdum geführt.
Die Architektur des Gebäudes ist klar, modern und raffiniert. Der Neubau entwickelt sich in die Tiefe des Grundstückes nach Westen, reagiert nicht auf die Geometrie von Dachflächen, sondern geht auf die Nutzungswünsche eines freistehenden Einfamilienhauses ein. Erreichen lässt sich das Gebäude über einen Aufzug, der die Bewohner des Hauses in den fünften Stock auf ihre Eingangsebene hebt. Hier eröffnet sich ein Raumgefüge, das zwar im Sinne einer durchaus konventionellen Nutzung geplant ist, aber kaum noch Hierarchien zeigt. Alles ist Raum – ohne Gangflächen – , einmal enger, einmal weiter und zeigt dadurch Bewegung und Ruhe. Die Wände sind fensterlos, während sich die Decke über ein großes Glasdach in den Himmel öffnet. Alle Wände und Decken sind mit grauem, porös strukturiertem Verputz überzogen. Alle Böden sind aus Eichenholz in einem Fischgrätmuster verlegt, das an den historischen Charakter des Standortes erinnert. Auch die zum Großteil raumhoch ausgeführten, flächenbündig in die Wände gesetzten Türen und alle anderen hölzernen Einbauten sind aus Eiche gefertigt. Diese Beschränkung auf wenige Materialien unterstreicht im Verband mit der durchkomponierten Lichtführung den Eindruck des zusammenhängenden Ganzen. Vom Wohnraum führt eine Stiege in den Garten des Einfamilienhauses. In einer Loggia sorgt eine kleine Sommerküche für Genuss. Hier oben stört kein Nachbargebäude mehr den Panoramablick in die Stadt, deren prominenteste Bauwerke zum Greifen nahe scheinen. Und so rundet sich das Thema dieses Hauses, das Private und das Öffentliche, die Ruhe und die Betriebsamkeit, die Intimität und der Freiraum ohne Abstriche zu vereinen. Man ist hier, wenn man es will, ganz für sich. Doch Linz liegt vor der Türe.
Beim Kochen fällt der Blick über die Türme und Dächer der Linzer Innenstadt bis zu den Abhängen des Pöstlingbergs. Kein Nachbargebäude stört den Panoramablick auf die Stadt, deren prominenteste Bauwerke zum Greifen nahe scheinen.
Die Wände und alle Decken wurden, wie bei der Treppe zum Dachgarten, mit grauem, porös strukturiertem Verputz überzogen. Die Böden sind aus Eichenholz in einem Fischgrätmuster verlegt, das an die Historie des Hauses erinnert. Auch die zum Großteil raumhoch ausgeführten, flächenbündig in die Wände gesetzten Türen und alle anderen hölzernen Einbauten sind aus Eiche gefertigt.
Das Baufenster war schmal und zwischen Brandmauern eingezwängt. Um die Räume mit ausreichend Tageslicht zu versorgen, entwickelten die Architekten die zwei neuen Geschosse als mäandrierenden Raum zwischen Patios.
Die Decke öffnet sich in den Himmel.
Blick in und aus dem Wohnraum
Eingang
„Der Reiz beim Bau eines Einfamilienhauses ist gleichzeitig auch die Gefahr daran“, meint Ursula Hertl. „Bauherr und Architekt müssen wirklich zusammenpassen. Für Menschen maßgeschneiderte Räume zu entwickeln, erfordert aus meiner Sicht eine sehr intensive Auseinandersetzung in der Entwurfsphase, manchmal können auch echte Freundschaften dabei entstehen. Die Projekte gehen zumeist sehr schnell und bieten weitaus mehr Möglichkeiten für experimentellere Denkansätze als anonyme Bauten für jedermann.“
Querschnitt
Längsschnitt
Grundriss Dachgeschoss
Grundriss 6. Obergeschoss
Grundriss 5. Obergeschoss
Material: Außenwand/Fassade: Hochlochziegel mit Kalkzementputz | Dachgestaltung: bestehendes Blechmansarddach, Terrasse mit Holzlattenrost | Fenster: eloxierte Aluminiumfenster | Innentüren: Eiche | Parkett und Laminat: Fischgrät-Eichenparkett
Maßstab
M 1:400
1Eingang
2Aufzug
3Atrium
4Bad
5Ankleide
6Schlafen
7Kochen, Essen
8Wohnen
9Dachgarten
„Architektur beschreibt das, was uns an unserer gebauten Umgebung berührt. Die ersten Eindrücke, die in Sekundenbruchteilen Gefühle in uns wecken. Gestimmtheit ist der Zugang zum Gestalten.“
HERTL.ARCHITEKTEN ZT GMBH
Gernot Hertl
Anzahl der Bewohner:
2
Wohnfläche (m2):
211
Grundstücksgröße (m2):
194
Standort: Linz (A)
Bauweise: Renovierung, Zubau
Fertigstellung: 07/2018
Architekturfotografie:
Paul Ott, Graz
Lageplan