Читать книгу Häuser des Jahres 2020 - Katharina Matzig, Wolfgang Bachmann, Udo Wachtveitl - Страница 9
ОглавлениеDas Langhaus
1. Preis
VON
Aretz Dürr Architektur
IN
Nümbrecht
Less is more: Leicht und maßstäblich fügt sich die kostengünstige und nachhaltige Stahlskelettkonstruktion in die Landschaft.
Ein Langhaus, das weiß das Lexikon der Weltarchitektur, ist „bei einer nicht zentral angelegten Kirche (→ Zentralbau) der langgestreckte Bauteil zwischen → Fassade und → Vierung oder → Chor. Das L. kann ein- oder mehrschiffig, basilikal oder als Halle ausgebildet sein.“ Ganz abgesehen davon, dass Wikipedia das Langhaus schlichtweg als „langgestreckte Hausform“ vorstellt, „in der eine Familie oder mehrere Familien gemeinschaftlich zusammenleben“, kann ein solcher Bau auch so beschrieben werden: als richtig, sinnhaft und schön.
Das nämlich ist es, das Langhaus in Oberberg im Oberbergischen Kreis im Süden Nordrhein-Westfalens. Ganz in der Nähe hatten die Architekten Jakob Dürr, Jahrgang 1980, und Sven Aretz, Jahrgang 1988, die 2019 in Köln ihr Büro Aretz Dürr Architektur gründeten, bereits ein Haus gebaut und die Bauherren überzeugt. „Nach ersten Gesprächen“, erinnert sich Sven Aretz, „waren wir uns schnell einig und haben mit der gemeinsamen Arbeit begonnen.“
Entwurfsaufgabe war es, ein kostengünstiges und nachhaltiges Haus zu errichten, das die Landschaft in den Wohnraum einbezieht und überdachte Außenbereiche für verregnete Sommertage bietet. Für Oberberg typisch, hebt ein massiver Sockel aus Stahlbeton die Räume zum Schutz gegen die Witterung leicht über das leicht geneigte Hanggrundstück. Darauf sitzt eine elegante und dabei unprätentiöse Konstruktion aus Stahl- und Holzskelettbauweise auf, die reversibel gefügt wurde.
Die Haupträume nehmen die gesamte Breite ein und reihen sich längs hintereinander: Der Wohnbereich begrenzt das Haus im Süden, Garage und Abstellräume liegen im Norden. Die Auskragung des Giebeldachs richtet sich nach den Sonnenständen: Im Sommer schützt sie den Wohnraum und die längsseitig vorgelagerte Veranda vor Überhitzung. Auch die hinterlüftete Dachhaut aus feinstrukturiertem Wellblech schafft sommerlichen Wärmeschutz, zusammen mit den großformatigen Dachfenstern kühlen die Räume nachts effektiv aus. Im Winter sorgt die Zweifachverglasung für solare Wärme und aktiviert den schwimmenden Zementestrich als Nachtspeicher. Großzügig reicht der Wohnraum in der Gebäudemitte bis unter das Dach. Aus dem zentralen Gemeinschaftsbereich erschließt eine Treppe die Schlafzimmer und das Bad der Kinder im Obergeschoss sowie die Räume der Eltern. Ein Stahlsteg mit lichtdurchlässigem Gitterrost verbindet die beiden voneinander getrennten Bereiche, er mündet auf der Galerie. Die schlanken Holzbalken der Zwischendecken und des Dachs blieben sichtbar und verleihen dem Raum mit seinem technoiden Charme eine wohnliche Atmosphäre. Der geglättete Estrich wurde imprägniert und kommt ohne weitere Beläge aus.
Urteil der Jury
von Peter Cachola Schmal
„Die Bauten … sind eine harmonische Mischung aus modernistischer Sensibilität, lokaler Handwerkskunst, einheimischen Tragwerken und Respekt vor der Natur. Sie haben einerseits einen ungewöhnlichen Charakter, wirken andererseits aber merkwürdig vertraut.“ Dieses Zitat stammt aus der Pritzker-Preis-Laudatio von 2002 für Glenn Murcutt, dem offensichtlichen Vorbild für dieses aufgeständerte und verglaste Langhaus im Oberbergischen, mit seinem Dach aus gewelltem Stahlblech. Inspiration für das junge Kölner Architekturbüro Aretz Dürr, deren Akteure etwa in den Jahren geboren wurden, als der damals 45-jährige Murcutt international Aufmerksamkeit erregte für seine wunderbar leichten Stahl- und Glasbauten, wie das ikonische Fredericks House von 1982. Wunderbare Vorbilder sind vollkommen legitim, wie auch Murcutt selbst den rheinischen Mies van der Rohe als sein wichtigstes Vorbild nannte. Und was haben sie daraus gemacht? Ein fein detailliertes und transparentes Werk, das dort am Hang aufgeständert über einem massiven Sockel schwebt, im geschlossenen Bereich am Hang Garage und Hauswirtschaft unterbringt, auskragend Koch- und Wohnbereich mit regengeschützten Terrassen an beiden Seiten, oben die Schlafzimmer und Bäder. Es fügt sich in die Landschaft, wirkt authentisch und atmet die optimistische Frische der Moderne. Was heutzutage gar nicht selbstverständlich ist und sicherlich für Irritationen vor Ort sorgen dürfte. Normal ist das bei uns ja nicht, wenn Häuser die „Erde nur leicht berühren“, wie der Altmeister predigte. Aber überzeugend schön.
Ein Stahlbetonsockel gleicht das leichte Gefälle aus. Das Wohnzimmer bietet großzügigen Ausblick, die Terrasse ist auch bei Regen geschützt.
Immer wieder wurde während des Entwurfsprozesses reflektiert und überprüft, welche baulichen Maßnahmen notwendig und welche überflüssig sind. Auch durch das gezielte „Weglassen“ leistet das Gebäude einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Oben: Kaminzimmer, davor: Schlafzimmer und Bad
Platz und Behaglichkeit bietet das Haus so viel wie nötig. Raum und Material braucht es so wenig wie möglich. Erst das Bespielen und Aneignen durch die Bewohner vervollständigt es.
„Wir stellen uns gerne der Herausforderung, die gewünschten Vorstellungen mit unserer Entwurfsmethodik und Haltung zur Architektur in einen schlüssigen Gesamtentwurf zu überführen“, sagen die Architekten. Dieser überzeugte auch die Nachbarn, auch wenn die Bauweise – eine Stahlskelettkonstruktion – lange Gesprächsthema im Dorf war.
Der Oberbergische Kreis ist das östliche Teilgebiet des Naturparks Bergisches Land. Er liegt 99,2 bis 518,2 Meter über dem Meeresspiegel, ist wald- und wasserreich und ein Erholungsgebiet für Menschen aus Köln, dem Ruhrgebiet und den Niederlanden. Wunderbar wohnen kann man hier allerdings auch.
Querschnitt
Längsschnitt
Grundriss Dachgeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Material: Außenwand/Fassade: Holzrahmenbauweise | Dämmsystem: Zellulosedämmung/Holzfaserdämmplatten | Dachgestaltung: Stahlprofilblech Aluzink | Fenster: Pfosten-Riegel-Fassade mit Hebe-Schiebetüren | Sonnenschutz: konstruktiv durch Dachüberstand | Außentüren und Tore: Schiebetore, Stahlkonstruktion mit Stahlprofilblech in Aluzink | Treppensystem: Stahltreppe feuerverzinkt | Boden: Sichtestrich
Maßstab
M 1:400
1Eingang
2Garderobe
3Kochen, Essen, Wohnen
4Bad, WC
5Doppelgarage
6Hauswirtschaft
7Schuppen
8Schlafen
9Arbeiten
10Galerie
11Steg
„Eine Architektur, die sich auf das Notwendige beschränkt, um das Bestmögliche zu erreichen.“
Aretz Dürr Architektur
Sven Aretz, Jakob Dürr
Anzahl der Bewohner:
4
Wohnfläche (m2):
195
Grundstücksgröße (m2):
2.100
Standort: Nümbrecht
Bauweise: Hybrid in Stahl-
und Holzskelettbauweise
Fertigstellung: 04/2019
Architekturfotografie:
Luca Claussen, Düsseldorf
Lageplan