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Wie sieht es aus mit den Rechten von Kindern?

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Nicht jedes Kind, das Gewalt erfährt, wird sichtbar verletzt oder kommt gleich ums Leben. Und vor allem: Nicht jede Gewalttat gegen Kinder wird angezeigt. Laut Polizei ist hier von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen. Und nicht nur Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten sind gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch Erziehungsberechtigte zu werden. Auslöser für Gewalt gegen Kinder sind meist Stress und Überforderung, und so existiert Gewalt in allen Formen als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Eine im Jahr 2012 vom Forsa-Institut im Auftrag der Zeitschrift Eltern erstellte Studie offenbarte dramatische Zahlen. 40 Prozent der Eltern gaben an, ihre Kinder zu verprügeln (»Hintern versohlen«), weitere 10 Prozent schlagen ihre Kinder auch ins Gesicht (»Ohrfeige«). Laut einer neueren Forsa-Umfrage von 2017 finden 25 Prozent eine Ohrfeige in Ordnung. Zu berücksichtigen ist hier, dass Gewalt ein schambesetztes TABUTHEMA ist. So wird bei der Datenerhebung nur berücksichtigt, wer auch bereit ist, Auskunft zu erteilen. Es ist deshalb auch hier von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

»Anscheinend wissen wir, dass es ›nicht gut‹ ist, Kinder zu schlagen, aber in den Köpfen der Menschen hat sich der Wandel hin zu einer gewaltfreien Erziehung noch nicht vollzogen.«

Besonders erschütternd ist es aus meiner Sicht, dass wir uns offensichtlich eingestehen müssen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir für Kinder zwar ein gesetzliches Recht auf eine gewaltfreie Erziehung verabschiedet haben, nach wie vor jedoch die Anwendung von körperlicher Gewalt als Maßnahme zu den allgemein akzeptierten Erziehungsmitteln gehört. Das hat auch damit zu tun, dass hier zwei Rechtsprinzipien kollidieren. Zwar verbietet das Bürgerliche Gesetzbuch körperliche Gewalt gegen Kinder. Zugleich jedoch erklärt das Grundgesetz die Erziehung zur obersten Obliegenheit der Eltern, die Kinder also gleichsam zur »Privatsache« der Familie (Artikel 6 GG):

 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

 (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

 (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

Dieser Artikel garantiert das unantastbare Grundrecht der Eltern, die Erziehungsverantwortung für Kinder zu übernehmen. Hintergrund ist der Schutz vor der staatlichen Allzuständigkeit, wie sie in Deutschland in totalitären Systemen praktiziert wurde, um der Familie einen privaten Schutzraum zuzuerkennen, in dem sich Kinder in einer staatsfernen und von persönlicher Zuwendung durch die Eltern geprägten Kindheit entwickeln können. Und wenn es richtig ist, dass die Familie ein Schutzraum des Privaten ist, so kann die Auslieferung von Kindern an dort praktizierte Gewalt nur durch einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel unterbunden werden. Das heißt: keinerlei Gewalt gegen Kinder zuzulassen und ihr nicht tatenlos gegenüberzustehen, weder auf der Straße noch, wenn dies hinter verschlossenen Türen zu hören ist. Der Staat kann nicht in die Familien hineinregieren; JEDER EINZELNE VON UNS IST GEFRAGT, jederzeit und überall einzuschreiten, wenn Kinder misshandelt werden. Familie ist ein Schutzraum des Privaten, aber physische oder psychische Gewalt gegen Kinder ist keine Privatsache.

Du bist ok, so wie du bist

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