Читать книгу Heiße Küsse & eine neue Kulisse - Bettina Kiraly, Kathrin Fuhrmann - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеAngus rieb sich über die schmerzenden Augen. Er konnte die Buchstaben und Ziffern kaum mehr auseinanderhalten, geschweige denn dass sein Hirn irgendeine Information aufnahm, die er so dringlich in sich hineinhämmern wollte. Dabei war es so immens wichtig!
Er schloss die Lider, presste die Lippen aufeinander und mahnte sich zur Ruhe. Es wirkte nicht, im Gegenteil. Sein Körper stand unter Strom, seine Gedanken jagten sich und seine derzeitigen beruflichen Probleme waren daran völlig unschuldig. Er bekam Patrick nicht aus dem Kopf.
Mit einem Seufzen gab er auf. Die Flasche Whisky hatte er wohlweislich bereitgestellt und lockte ihn nun. Unaufhörlich. Also schleppte er sich hinüber zum uralten Ohrensessel und ließ sich hineinfallen. Er ächzte, fühlte er sich doch mindestens doppelt so alt, wie er eigentlich war. Zu alt für Patrick?
Angus goss sich das Glas randvoll und schlürfte die Flüssigkeit direkt ab. Der Alkohol brannte sich den Weg in seinen Magen hinab, was sich verdammt gut anfühlte. Vertraut, denn es hatte schon einige Zeiten gegeben, in denen er sich mit Alkohol hatte betäuben müssen. Zu viele, wenn er es recht bedachte, und er wusste daher auch, dass er besser vorsichtig war. Er durfte es nicht übertreiben, damit der Suff kein Problem wurde.
Er schloss erneut die Lieder und nippte an der schillernd braunen Flüssigkeit. Der Whisky stammte von der Ilse of Skye und gehörte zu den schottischen Gütern, die über seine Firma international vertrieben wurden. Mit dem Eigner der Brennerei verband ihn eine jahrzehntelange Freundschaft, weshalb es immer einen Vorrat an An t-òr bhon Eilean Sgitheanach, oder umgangssprachlicher Das Gold von Skye, im Haus hatte.
Angus ließ den nächsten Schluck über seine Zunge rollen. Der warme, torfige Geschmack erfüllte seine Sinne und er meinte an der Küste von Garbh zu stehen, das Salz auf der Haut zu spüren und den feinen Geruch der Heimat einzuatmen – neben der Schärfe des Alkohols.
Angus hob die Lider. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Melancholie zu verfallen. Wenn er sich nun gehen ließ, verlor er. Sowohl Patrick als auch sein geschäftliches Steckenpferd, die New Horizon Enterprises. Zumindest am zweiten hing mehr als lediglich seine Leidenschaft, denn er beschäftigte fast zweihundert Personen nur in diesem Unternehmen. Außerdem fiele es auf McFarran zurück, einen weiteren lieben Freund, den er nicht hängen lassen wollte. Wenn New Horizon Enterprises unterging, klebte der Niedergang auch an dem Designer und seiner Marke.
Es kam demnach nicht infrage aufzugeben. Er musste kämpfen, auch wenn er noch nicht wusste, was er tun sollte, um Patrick zu halten oder New Horizon Enterprises zu retten, aber beide brauchten seinen Kampfgeist und nicht, dass er sich hinter seinem Suff versteckte. Angus setzte sich auf, streckte die Schultern und hob die Hand mit dem Whisky Glas.
„Ich schwöre“, sagte er, „dass ich nicht aufgeben werde, mag es auch noch so schwer sein, mein Ziel zu erreichen. Ich werde weder Patrick noch mein Modelabel aufgeben!“ Er begoss seinen Entschluss mit einem knappen Schluck Whisky.
Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als auch dazu zu stehen, und sich entweder Patrick zu widmen oder seiner Firma. Da ihm Patrick um einiges wichtiger war als alles andere auf dieser Welt, nahm er sein Telefon auf, wozu er sich zunächst aus dem bequemen Sessel hieven musste zum Arbeitsplatz gehen musste, und wählte. Angus blieb angespannt, hielt den Atem an, und lauschte dem Freizeichen. Eine endlose Ewigkeit lang stand er dort an seinem Schreibtisch und wartete vergeblich darauf, dass abgenommen wurde. Er hatte Patricks Festnetzanschluss angewählt, in der Hoffnung ihn so zumindest lokalisieren zu können. Offenbar war Patrick nicht in New York, denn er nahm nicht ab. Das war ein Fakt, der Angus erst recht nervös machte. Wo mochte Patrick sich aufhalten, nachdem sie sich gestritten hatten? Was mochte er tun? Mit wem sprach er wohl?
Natürlich wusste Angus, dass es ihn nichts anging. Und er nicht einmal nachfragen durfte, damit Patrick es ihm nicht negativ auslegte, dass er nun mal an jedem Punkt im Leben seines Liebsten Interesse hatte. Außerdem waren seine Befürchtungen völliger Schwachsinn. Es war gut möglich, dass er einfach noch nicht Zuhause angekommen war. Die Reise dauerte schon unter guten Bedingungen ewig, aber Patrick war überstürzt und planlos abgereist. Gut möglich, dass er noch in Edinburgh am Flughafen saß und auf einen freien Platz in einem Flieger wartete!
Schließlich legte Angus auf. Seine Finger blieben auf dem Hörer liegen, während er nach seinem Herzschlag lauschte. Es schlug zu schnell, offenbarte zu deutlich, wie sehr er sich nach Patrick sehnte. Und sei es auch nur, seiner Stimme zu lauschen. Angus musste es sich eingestehen, er war ängstlich, immens eifersüchtig, er war ein Kontrollfreak. Es war ihm durchaus bewusst, auch wenn er so hart daran arbeitete, eben nicht wieder dieser Marotte oder dem Alkohol zu verfallen – oder der Melancholie. Wie damals, bevor er Patrick kennengelernt hatte, bevor das Leben so viele wundervolle Augenblicke für ihn bereitgehalten hatte. Allerdings brachte das Licht auch Dunkelheit. Angus befürchtete, dass der Verlust seines Liebsten auch den Verlust seiner Selbstkontrolle bedeuten könnte. Denn obwohl er sich selbst einen Schubs gegeben hatte, sehnte er sich bereits danach, den Tag, den Ärger und den Frust in Alkohol zu ertränken.
Als Angus diesmal den Hörer aufnahm, schwor er sich nur eine kleine Nachricht zu hinterlassen. Patrick sollte nur wissen, dass er an ihn dachte. Mehr nicht. Kein Druck.
„Hallo Patrick, ich wollte mich nur schnell erkundigen, ob du gut angekommen bist. Melde dich doch bitte kurz, damit ich mir keine Sorgen mache. Ich liebe dich, tschüss.“
Angus legte mit dem Gefühl unsäglicher Einsamkeit auf. Vielleicht gönnte er sich vor dem zu Bett gehen noch einen schnellen Anruf bei Patrick, bis dahin sollte er sich aber seinen Geschäften widmen.
Mit einem tiefen Seufzen setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und nahm die Seiten auf, die ihm zuvor Kopfschmerzen bereitet hatten. Die Zahlen stimmten nicht mit jenen überein, die er vor kurzem noch von seinem Teilhaber erhalten hatte. McFarrans Absätze waren bedeutend höher und damit war auch der Profit einträglicher, und genau hier wollte er ansetzen. Aber er wusste, dass jede Untersuchung Zeit benötigte. Wollte er also sein Modelabel behalten und konsolidieren, musste er mit Bedacht vorgehen. Er brauchte Fakten, er brauchte Zahlen, und er brauchte einen Schuldigen. Angus wusste natürlich, dass seine Mutter die Finger im Spiel hatte. Nur fehlten ihm dazu die Beweise. Er musste ihre Verbindung finden, jenen Mitarbeiter, der mit ihr unter einer Decke steckte, wobei er McTiernan stark im Verdacht hatte. Nur so konnte er sicher sein, dass er nicht weiter boykottiert wurde. Bis dahin musste er Zeit schinden und vor allem gute Miene zum bösen Spiel machen. Sonst konnte er ihr nichts mehr nachweisen, und das wollte er. Er wollte sie ein für alle Mal aus seinen Geschäften heraus haben. Und dies funktionierte nur, wenn er absolut sicher nachweisen konnte, dass sie seiner Firma absichtlich Schaden zufügte.
Nur gut, dass er gerade ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, als seinen Groll zu nähren. Sollte sie doch versuchen, ihn zu vernichten, sollte sie doch noch einmal versuchen, ihm etwas wegzunehmen, woran sein Herz hing. Sollte sie nur versuchen, ihn wieder unter ihre Fuchtel zu bekommen! Er war nun älter, er war stärker, er wusste, was er wollte und was nicht. Sie konnte ihm nichts mehr einreden, sie konnte sein Leben nicht mehr beeinflussen!
Der Besprechungsraum war bereits voll besetzt, als Angus zu ihnen stieß. Er nickte dem langgedienten Führungsstab zu, ignorierte seine Mutter und setzte sich in aller Ruhe an seinen Platz, wo er zunächst seine Papiere ordnete. Anders als am vergangenen Morgen war er akkurat gekleidet und auch die durchwachte Nacht sah man ihm nicht an.
Er hob den Blick und grinste. „Guten Morgen allerseits.“
Er erntete verwunderte Blicke, die er geflissentlich überging. Nach seinem Auftritt am Vortag war es nicht verwunderlich, dass sein offensichtlicher Frohmut für Irritation sorgte.
„Ich möchte mich vorab für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die Ihnen aufgrund dieses Missverständnisses entstanden sind.“ Er legte die abgespreizten Finger auf die Akte und schob sie vor. „Schwierigkeiten der New Horizon Enterprises sollten nicht auf das Gesamtunternehmen abfärben, daher betrachten wir diese … unglückliche Sache einfach nicht weiter.“ Sein Blick legte sich schneidend auf seine Mutter, die auch prompt widersprach.
„Angus, du kannst nicht …“
„Deine Anwesenheit in Vorstandsitzungen ist gerade noch geduldet, Mutter. Ich kam damit einem ausdrücklichen Wunsch meines Vaters nach, jedoch scheint mir, du nutzt dieses Privileg nur, um mir Steine in den Weg zu legen.“
Ailis’ Mimik entgleiste ihr für eine Millisekunde. Da Angus sie scharf im Auge behielt, entging es ihm nicht, wohl aber den anderen Vorstandsmitgliedern. Einige warfen einander unruhige Blick zu, und auch Ailis und ihm, aber er ignorierte es und wartete ruhig auf den nächsten Schachzug seiner Mutter.
„Ich nutze dieses Privileg, um dich von Unsinn abzuhalten.“ Ihr eisiger Blick sagte alles Weitere.
„Wie zum Beispiel Mr McTiernan zu feuern?“
Besagter Mann saß neben ihm und sog scharf den Atem ein.
Ailis verzog die schmalen Lippen. „Du wärst ein Narr, wenn du einen guten …“
„… Spion rauswirfst?“ Angus schmunzelte, denn nicht nur McTiernan begann auf seinem Sitz herumzurutschen und sich sonst nichts weiter anmerken zu lassen. Ein Rundumblick bewies, dass ihm kaum jemand in die Augen schauen konnte. „Ich habe in den letzten vierundzwanzig Stunden erkannt, dass ich ein immenses Problem habe …“
„Den Alkohol?“, soufflierte Cornish, der strenggenommen ebenfalls nichts bei diesen Besprechungen zu suchen hatte.
Angus legte immer noch grinsend den Kopf schräg und musterte den Cousin. „Mit Loyalität, Cornish, aber das überrascht dich sicherlich nicht, oder?“
Der Cousin lachte harsch. „Wundert’s dich? Du versteckst dich auf deiner Niemandsland-Insel und vernachlässigst deine Pflichten! Niemand hat Vertrauen in deine Führung und wir wären nur zu froh …“
Ailis legte ihm eine Hand auf den Arm, was ihn direkt unterbrach und nach Zustimmung lechzen ließ. Er sah zu seiner Tante und presste die Lippen aufeinander, da sie ungehalten den Kopf schüttelte. Knapp und sicher wieder nicht für jeden bemerkbar, aber es war genau das Szenario, mit dem Angus gerechnet hatte.
„Es wundert mich nicht.“ Angus ließ seine Aufmerksamkeit abgleiten. Er nahm jedes Mitglied der Runde in Augenschein. Nur Männer, was ihm bisher nie merkwürdig erschienen war, aber in der heutigen Zeit sollte es ausgewogener sein. Er sollte die Quote erfüllen. Sein Lächeln wuchs in die Breite. „Dinge müssen sich ändern, und es ist an der Zeit, sie in Angriff zu nehmen. Ich werde jedes Tochterunternehmen in die Audition schicken, daraufhin folgt eine Überprüfung des Mutterkonzerns. Wir werden Schwachstellen ausfindig machen und ausmerzen.“
Ailis verdrehte mit einem lauten, deutlichen Seufzer die Augen. „Angus, du vergeudest Ressourcen. Für was?“ Sie beugte sich leicht vor, verschränkte die Hände auf dem Tisch, sodass man ihren Familienring der McLeans deutlich sehen konnte, und schüttelte nun für alle offensichtlich ihr strohblondes Haupt. „Die Firma läuft, sie trägt sich, was nicht funktioniert, ist New Horizon Enterprises. Dort muss geschraubt werden. Die Kosten dieses Halunken, McFarran, sind exorbitant! Darauf sollten wir unser Augenmerk richten, nicht auf …“
„Ab diesem Tag werden Geschäftsberichte nur noch mir ausgehändigt“, überging Angus die Lamenti der Mutter. „Interna werden nicht nach außen getragen und damit das eine klar ist, meine Mutter gilt als Außen! Auch Cornish oder irgendjemand sonst mit dem Namen McLean hat keine Befugnis, auch nur eine simple Information zu bekommen.“
Gesichter entgleisten reihenweise.
„Schön. Kommen wir zu den ersten Schritten der Supervision. Ich werde eine unabhängige Kommission zusammenstellen, die zeitnah beginnen wird, unsere Abläufe zu durchleuchten. Ich erwarte absolute Kooperation! Mr McTiernan, von Ihnen erwarte ich eine lückenlose Aufarbeitung der geschäftlichen Missstände von New Horizon Enterprises bis zum fünfzehnten des nächsten Monats.“
„Angus, auf ein Wort!“, befahl seine Mutter, wobei sie sich effektvoll erhob. Cornish kam an ihrer Seite ebenfalls auf die Füße.
Angus begegnete ihrem Blick mit Gelassenheit. Zumindest dafür waren die Rückschläge der letzten Jahre gut gewesen, er hatte sich endlich abgenabelt. Er verfolgte, wie Ailis hinaussegelte, wartete, bis die Tür zuknallte, und wandte sich dann an die CEOs. „Bisher bekam ich abgespeckte Versionen der Geschäftsberichte, das hat ab sofort ein Ende. Ich möchte eine vertrauensvolle Kooperation aufbauen, dazu sind personelle Veränderungen unabänderlich. Ich muss Sie bitten, Ihren Aufenthalt noch ein paar Tage zu verlängern, ich möchte Gespräche mit jedem von Ihnen führen. Zunächst machen wir eine Stunde Pause.“
Langsam stand Angus auf, schob die Papiere zusammen und klemmte sie sich befreit unter den Arm. Wenn er mit Patrick ebenso leicht alles wieder ins Lot brachte, wären die nötigen Veränderungen zwar schwierig, aber auch zu überstehen!
„Hallo Patrick, entschuldige, ich komme mir schon selbst vor, wie ein Stalker, aber … nein, ich habe keine Entschuldigung dafür.“ Er räusperte sich. „Ich habe nachgedacht und festgestellt, dass ich womöglich zwanghaft versuche, dich festzuhalten. Ich nehme an, dass dich gerade dieses Klammern von mir wegstößt. Ich weiß nicht genau, wie ich dagegen angehen soll, aber ich suche nach Möglichkeiten, das wollte ich dir sagen. Ich bemühe mich, mich zu ändern. Ich werde eine Weile auf Highcomb sein, also erreichst du mich mühelos über das Mobiltelefon. Ich hoffe, es geht dir gut. Ich liebe dich, bis dann.“
Angus legte auf. Sein Daumen zitterte, aber er schob es gleich beiseite. Er musste etwas ändern, sonst hatte er keine Chance, also atmete er tief durch und steckte das Telefon ein.
Er hatte eine alte Freundin zu sich gebeten, von der er hoffte, dass sie ihm weiterhalf. Fiona war ihm bereits gemeldet worden, also musste er sich nur auf den Weg machen. Obwohl es sicher nicht nötig war, warf er noch einen schnellen Blick in den Spiegel, um seine Erscheinung zu prüfen. Anders als auf Garbh musste er sich hier um sein Aussehen kümmern, was einer der Gründe gewesen war, Highcomb nach dem desaströsen Ende seiner Ehe den Rücken zu kehren. Er zupfte sich die roten Strähnen zurecht, die ihm in die Stirn hingen, und straffte die Schultern. Sogleich fielen sie wieder, als drückte eine unsichtbare Last auf ihn herab. Das war der schwierige Part, er musste den Schein waren, er durfte niemandem seine Verletzbarkeit offenbaren, dem er nicht im tiefsten Herzen vertraute, aber so eine Person gab es auf Highcomb nicht. Hier lauerte nur Verrat und Betrug.
Angus streckte sich erneut, bevor er losstampfte. Er wollte es als eine Aufgabe betrachten, die der Prinz erfüllen musste, um seine Prinzessin zu sehen, obwohl Patrick von der Allegorie sicherlich nicht begeistert wäre. Er grinste, weil ihm das hübsche Gesicht seines Liebsten direkt vor Augen stand. Patrick würde ihn grummelnd zurechtweisen, dass er keine Prinzessin sei, sondern ein Mann. Ein richtiger Mann …
Der Weg zum Salon verging in süßer Reminiszenz und so grinste Angus noch immer glücklich, als er in den Raum trat. Fiona stand an der Fensterfront und drehte sich zu ihm um. Sie war, wie er, Anfang vierzig und hatte sich erstaunlich gut gehalten. Ihr Haar schimmerte in einem tiefen Braunton und fiel ihr offen über den Rücken. Lediglich einige Spangen hielten die Flut zurück, damit man ihr edles Gesicht bewundern konnte. Sie trug kein Make-up, was sie auch nicht nötig hatte. Ein Hauch Röte lag auf ihren Wangen und spiegelte sich auf ihren Lippen.
„Angus!“ Sie flog förmlich durch den Raum und nahm ihn liebevoll in den Arm. „Mein Lieber!“ Sie drückte ihn enthusiastisch, wodurch er mehr von ihrem Körper spürte, als ihm lieb war, aber anders kannte er Fiona nun mal nicht. Sie trug das Herz auf der Zunge und ihre Zuneigung offen zur Schau. „Mein lieber, lieber …“
„Hallo, Fiona.“ Er erwiderte die Umarmung herzlich. „Schön, dass du Zeit für mich gefunden hast.“
„Immer!“, schwor sie. Fiona drückte sich leicht von ihm fort, als sei er es, der die Umarmung aufrechterhielt und nicht sie. „Du siehst abgespannt aus, alles in Ordnung bei dir?“
Angus erlaubte sich, die Maske fallen zu lassen, und ein bitteres Lächeln flackerte auf. „Nein, aber wann war das auch je der Fall?“
„Nie!“, bestätigte sie mit Pathos. „Du machst dir das Leben einfach gerne schwer!“
Das sah er zwar anders, aber ausdiskutieren wollte er das zu diesem Zeitpunkt auch nicht.
„Wann treffe ich endlich dein Herzblatt? Ich muss gestehen, dass ich es kaum erwarten kann, vor dem sagenhaften …“ Sie brach ab. Ein Runzeln formte sich auf ihrer Stirn, das von einem Aha abgelöst wurde. Das fröhliche Lächeln war zurück. „Du hast mir anscheinend einiges zu erzählen!“
„Ich hoffe, es ist dir recht, dass ich meinen Frust bei dir ablade.“
„Sonst hast du ja niemanden.“ Sie nickte, wobei sie ihn losließ und einen Schritt zurücktrat. Sie waren gleichgroß, wodurch sie sich geradewegs in die Augen schauen konnten. „Es ist merkwürdig, wieder hier zu sein.“
Angus bestätigte es. „Es hat sich nichts geändert, und doch alles.“
Sie nickte bedächtig. „Ich nehme an, wir werden einen Ausflug machen?“
Sie kannte ihn zu gut. Angus grinste müde. „Wenn es dir recht ist.“
„Segeln?“
Er zuckte die Achseln. „Der einzige Ort …“ An dem er sich sicher fühlte. Fiona nickte bereits, schließlich wusste sie von all seinen Dämonen.
„Nun, worauf warten wir?“ Sie hängte sich bei ihm ein und zog ihn bereits Richtung Tür.
„Ich habe mir den Nachmittag freigenommen, obwohl das Haus vor Vorstandsmitgliedern nahezu platzt.“
Fiona sah zu ihm, eine tiefe Furche auf ihrer Stirn bezeugte ihre Irritation. „Nanu?“
„Es ist an der Zeit, dass sich einiges ändert.“
Fiona nickte wieder. „Du brauchst meinen Rat, hm?“
„Ja.“ So, wie sie es ihm schon vor Jahren prophezeit hatte. „Ich stehe am Scheideweg und muss mich wohl entscheiden.“
„Einsamer Eremit oder Leiter eines internationalen Imperiums …“, soufflierte sie mit einem hypnotischen Singsang in der Stimme.
„Wenn es nur das wäre, Fiona. Ohne die Firma könnte ich hervorragend leben.“ Und sicher käme es Patrick auch gelegen, wenn er kein Vermögen besäße und gar nicht in die Verlegenheit käme, dem Liebsten ein Geschenk zu machen.
„Ja, du machst dich gut als Eremit.“ Sie lachte melodisch auf. „Und es ist auch eine verführerische Vorstellung alles und jedem entsagen zu können.“
„Ja.“
„Aber sie ist nicht gut durchdacht.“
„Nein“, gab Angus zu. „Die Einsamkeit nimmt irgendwann überhand.“
„Und Sehnsüchte formen sich …“
„Anscheinend brauche ich dir nichts mehr zu erzählen.“ Angus schob die Tür auf und ließ ihr galant den Vortritt.
„Nanu!“ Ailis vertrat Fiona den Weg, ihr schneidender Blick glitt über ihr langes beiges Kleid, das aus grobem Leinen bestand. „Ist es schon so weit, dass du Rat bei Quacksalbern und Scharlatanen suchst?“
„Mrs McLean“, grüßte Fiona leicht und neigte den Kopf. „Wie schön, Sie nach all den Jahren wiederzusehen.“
Ailis sparte sich eine Bemerkung dazu, oder den zweiten Blick. „Ich erwarte dich seit zwei Tagen zum Gespräch, aber du verweigerst dich, um dir die Karten legen zu lassen?“
„Eigentlich war ich geschäftlich eingespannt, Mutter, aber es wundert mich nicht, dass du das nicht zur Kenntnis nimmst. Wirst du Fiona nun anständig begrüßen oder dich weiter wie eine verbitterte Hexe aufführen?“ Angus spürte den Anflug von Zorn, der ihn so oft in ihrer Gesellschaft überfiel und erst vor wenigen Tagen dazu gebracht hatte, seine Manieren zu vergessen. Noch einmal sollte sie ihn nicht dazu treiben, und eben dazu brauchte er Fiona. Er brauchte Gelassenheit und spirituelle Führung, auch wenn er nicht so recht an das Universum und seine heilende Kraft glauben mochte.
Ailis verzog die Lippen, was deutlich genug war. Angus nickte ihr zu.
„Einen schönen Tag, Mutter. Ich bin nicht abkömmlich.“ Damit ließ er sie stehen und führte Fiona den Gang entlang.
„Ich bin beeindruckt“, stellte die nach wenigen Schritten fest. „Du zitterst zwar vor Zorn, aber du hast dich vornehm zurückgehalten.“
„Danke. Ich muss gestehen, dass ich dem Impuls meist unterliege und sie anschreie. Deswegen brauche ich dich hier.“ Sie erreichten die Halle. Wie jedes Mal, wenn er den Umschlagpunkt des Hauses erreichte, von dem dutzende Räume, Gänge und Treppen fortführten, wurde er von Miss McDuff aufgehalten. Er hatte sie mittlerweile in Verdacht, ihm aufzulauern, konnte es natürlich aber nicht beweisen.
„Mr McLean!“, rief sie ihm atemlos entgegen, während sie auf ihn zuhastete. „Verzeihen Sie, Mylaird, aber …“
„Mrs McLean fordert meine Aufmerksamkeit?“ Der häufigste Grund, aus dem sie ihn ansprach, und auch dieses Mal nickte sie eifrig.
„Mrs McLean wünscht Sie in ihren Räumlichkeiten …“
„Danke. Sollte jemand von Belang nach mir fragen, vertrösten Sie ihn auf morgen. Ich bin nun außer Haus.“ Auch dieser Frau nickte er zu, wobei er Fiona an ihr vorbei geleitete.
„Aber Mr McLean …“ Miss McDuff folgte ihm händeringend. „Die Lady …“
„Den Titel haben wir bereits vor mehr als 250 Jahren eingebüßt. Es gibt keine Lady McLean mehr und strenggenommen auch keinen Laird McLean. Entschuldigen Sie uns nun.“ Er griff nach der Klinke und schob Fiona unbeirrt über die Schwelle. „Benötigst du noch etwas?“
„Nein. Ich habe meine Sachen im Wagen gelassen.“ Ihre Hand schwenkte zu ihrem uralten Ford Fiesta, den sie dreist direkt vor der Freitreppe geparkt hatte. Angus grinste. Ihre Gesellschaft war genau das, was er dringend brauchte.