Читать книгу Heiße Küsse & eine neue Kulisse - Bettina Kiraly, Kathrin Fuhrmann - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеPatrick ließ sich auf den Sitz fallen und zog die Kappe tiefer in die Stirn, bevor er die Sonnenbrille abnahm. Die Reise war bis jetzt die reinste Hölle gewesen. Nein, bestimmt war es einfacher dort zu landen als in New York. Er hatte drei Stunden gebraucht, um nach Edinburgh zu kommen. Dort hatte er bei seinem Glück knapp einen Flug verpasst. Einen weiteren hatte es nicht mehr gegeben, weshalb er in Edinburgh hatte übernachten müssen.
Auch wenn er jetzt endlich in einem Flugzeug Richtung Heimat saß, stand ihm noch einiges bevor. Fünfunddreißig Stunden waren für den Flug angesetzt. Auf die Zwischenlandung in Istanbul freute er sich nicht. Warum war Angus nur im Nirgendwo aufgewachsen?
Es dauerte nicht lange, bis die Stewardess neben ihm stehen blieb und auf ihn herunterlächelte. Am Ausdruck in ihren Augen konnte er erkennen, dass sie genau wusste, wenn sie vor sich hatte.
„Ich wünsche Ihnen einen guten Flug. Sollten Sie irgendetwas benötigen, wenden Sie sich gerne an mich. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.
Er nickte. „Vielen Dank. Ich bin hier ganz zufrieden.“ Als die Stewardess sich um den nächsten Fluggast kümmerte, atmete er erleichtert auf.
„Wusste ich es doch!“, jubelte die Frau auf dem Sitz neben ihm. „Schon als Sie eingestiegen sind, kamen Sie mir sofort bekannt vor. Sie sind Patrick …“
„Pst!“, zischte er. Am liebsten hätte er ihr den Mund zugehalten. Beunruhigt sah er sich nach allen Seiten um. Doch die anderen Gäste der ersten Klasse ignorierten den Aufruhr geflissentlich.
Seine Schultern verkrampften sich dennoch. Die Anspannung, die sich seit dem Streit mit Angus in seinem Nacken festgesetzt hatte, verursachte ihm Kopfschmerzen. Jetzt auch noch von einem anstrengenden Fan erkannt zu werden, war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
„Können wir so tun, als wüssten Sie nicht, wer ich bin?“
„Unmöglich.“ Die Frau lachte auf. „Es freut mich unglaublich, Sie persönlich zu treffen. Tatsächlich habe ich Ihnen bereits vor ein paar Wochen einen Fanbrief geschrieben. Bestimmt ist er auf dem Postweg verloren gegangen, sonst hätten Sie mit Sicherheit geantwortet.“ Sie zwinkerte ihm zu.
Sein Ärger schrumpfte. Dennoch hoffte er, dass sie ihre Worte nicht ernst meinte. Sie mochte ungefähr in seinem Alter sein. Noch vor einem Jahr hätte er die Gelegenheit genutzt, mit diesem attraktiven Wesen zu flirten. Jetzt allerdings wollte er lediglich schweigend in seinem Selbstmitleid baden.
„Tut mir leid“, sagte er. „Ich habe keine Autogrammkarte bei mir. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, schicke ich Ihnen aber gerne eine zu.“
„Sehr freundlich. Erlauben Sie mir, ein Selfie mit Ihnen zu machen? Außerdem darf ich die nächsten Stunden Ihre Gesellschaft genießen. Das ist die größte Ehre.“
Innerlich verdrehte er die Augen, obwohl er ein Lächeln schaffte, den Kopf zu ihr lehnte und für das gewünschte Foto posierte.
Die Frau bedankte sich. Während sie ihr Handy wieder wegsteckte, wanderte ihr Blick immer wieder zu ihm. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Meine Eltern haben ihre Flugmeilen zusammengelegt, damit ich erster Klasse fliegen kann. Wenn ich Ihnen erzähle, dass ich Dank ihnen mein Idol treffen konnte, werden sie mir nicht glauben. Was für ein Zufall!“
„Was für ein Glück“, brummte er sarkastisch.
„Eigentlich gehöre ich noch gar nicht so lange zu Ihren Fans. Ich bin auf Sie aufmerksam geworden, als Sie sich öffentlich geoutet haben.“
So ein Fan also. „Bitte versuchen Sie mich jetzt nicht zu verführen“, bat er. „Ich weiß, dass Frauen es als Herausforderung empfinden, mich von meiner neuen sexuellen Orientierung abbringen zu wollen. Heute habe ich jedoch keinen Nerv, Ihnen höflich zu erklären, dass ich kein Interesse habe.“
Die Frau lachte wieder. Mochte sie auch nervig sein, das Geräusch machte sie sympathisch. „Würde ich mich an Sie ranschmeißen, wäre meine Frau schrecklich enttäuscht.“
Erleichterung durchflutete ihn. „Sind Sie schon lange verheiratet?“
„Zwei Jahre. Ich würde sagen, wir stehen noch ganz am Anfang.“
„In meinen Augen eine lange Zeit. Dann haben Sie sich wohl bereits aneinander gewöhnt“, murmelte er.
„So könnte man es sagen. Es war jedoch schwieriger, sich an die dämlichen Kommentare von Fremden und Bekannten zu gewöhnen. Für Sie als Mann muss es noch schlimmer sein. Die meisten Kerle finden es sexy, wenn zwei Frauen sich küssen. Bei zwei Männern reagieren viele gleich homophob aus Angst, für schwul gehalten zu werden. Die weibliche Weltbevölkerung ist viel offener und toleranter. Die Herren der Schöpfung aber …“
„… wollen nur nicht zu weich wirken“, setzte er fort. „Gerade in der Modewelt darf man sich nicht zu sehr für Trends interessieren, ohne gleich einen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Als würde es für unseren Job irgendeinen Unterschied machen, wen wir lieben.“
„Sage ich doch. Ich beneide Sie nicht darum, ein Mann zu sein. Dass Sie so offen mit Ihrer neuen Beziehung umgegangen sind, hat ein wichtiges Zeichen gesetzt. Immer, wenn sich eine Berühmtheit outet, fällt es jungen Leuten leichter, zu sich selbst zu stehen.“
Von diesem Blickwinkel aus hatte er die Sache noch nicht betrachtet. „Dennoch überrascht es mich, wie feindselig mir von mancher Seite begegnet wird. Ich bin immer noch der gleiche Mensch, aber man behandelt mich ganz anders.“
Sie nickte. „Eine Erfahrung, die Sie mit vielen aus der Community teilen.“
Plötzlich stockte er. „Sie sind aber keine Journalistin, oder? Ich lese das, was ich Ihnen anvertraue, nicht plötzlich in der Presse?“
Statt sich von seiner Unterstellung beleidigt zu fühlen, zog sie ihre Papiere und ihr Handy hervor.
Das Herz rutschte ihm in die Hose. Er rechnete damit, dass sie ihm gleich ihren Presseausweis unter die Nase halten würde. Doch sie deutete lediglich auf ihren Namen in ihrem Reisepass und öffnete dann ihre Facebookseite.
„Keine Presse“, versprach Elisabeth und zeigte ihm die Stelle ihres Profils, an der sie als Arbeitsplatz eine Anwaltskanzlei eingetragen hatte. Auch in ihrem Feed deutete nichts darauf hin, dass sie sich sonderlich für Klatsch und Tratsch interessierte.
Fasziniert betrachtete er die Fotos, die die Fremde mit einer anderen Frau zeigten. Die beiden lächelten Hand in Hand in die Kamera, umarmten sich, küssten sich, waren eindeutig bis in die Zehenspitzen verliebt. Wie es wohl wäre, wenn er so frei zu seiner Liebe stehen könnte? Ob er jemals in der Lage wäre, so unbeschwert mit Angus für Fotos zu posieren?
Sie scrollte zu einem Foto und öffnete die Kommentarsektion. Auf dem Bild war sie wieder mit ihrer Ehefrau zu sehen. Die beiden standen unter einem Rosenbogen und küssten sich. Wenn er die eleganten, weißen Kleider der zwei Frauen und die Blumendekoration richtig interpretierte, handelte es sich um ihren Hochzeitstag.
Die meisten Leute gratulierten ihnen darunter zu dem wunderschönen Setting, dem wichtigen Moment, der deutlich erkennbaren Liebe zwischen ihnen. Andere hingegen wurden ausfallend. Entsetzt registrierte er, dass manche Kommentare das Paar sogar beleidigten.
„Warum haben Sie das nicht gelöscht?“, fragte er mit enger Kehle.
„Weil es mich daran erinnert, die Möglichkeit nicht für selbstverständlich zu sehen, meine Traumfrau zu heiraten. Wir sehen uns vielleicht Unverständnis und Hass gegenüber. Doch immerhin werden wir nicht verfolgt, weil wir unserem Herzen folgen.“
Trotzdem überraschte es ihn, dass sie ihre Verletzlichkeit so offen zeigte. Sie versuchte nicht krampfhaft, das Bild eines perfekten, glücklichen Lebens zu vermitteln. Es war deutlich zu sehen, dass ihre Frau und Elisabeth ein tolles Paar abgaben. Dass es Menschen gab, die das anders sahen, versteckte sie allerdings nicht. Sie zeigte ihre Kampfwunden voller Stolz.
Er hatte gedacht, er müsse auch weiterhin darauf achten, nach außen hin den Eindruck des makellosen Models ohne Sorgen und Probleme zu erwecken. Es war ihm wichtiger gewesen, die Spitzen von Angus’ Mutter zu ertragen und irgendwie ihr Wohlwollen zu erwecken, als sein Missfallen deutlich auszudrücken. Obwohl klar geworden war, dass sie ihn niemals würde leiden können, hatte er versucht, freundlich und unbeeindruckt zu bleiben. In seinen Augen hatte Angus’ Reaktion an dem Bild gekratzt, dass er abgeben wollte. Doch was, wenn das verlorene Liebesmühe war?
Seit er sich geoutet hatte, war ihm von allen Seiten Gegenwind entgegengeweht. Er hatte gehofft, das würde aufhören, wenn er standhaft blieb und Stärke zeigte. In seiner Vorstellung hätte es ihn in der Öffentlichkeit schwach wirken lassen, wenn er sich zu diesen Anfeindungen geäußert hätte. Was, wenn er dabei falsch gelegen hatte?
„Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen das erste Mal eine Frau als Partnerin vorgestellt haben?“, fragte er. „Entschuldigung, falls Sie nicht antworten möchten, kann ich das verstehen.“
Elisabeths Lächeln verblüffte ihn immer wieder. Diese Frau schien nichts zu erschüttern. Ihre positive Ausstrahlung ließ Patrick sogar beinahe seinen Ärger über Angus’ Verhalten vergessen.
„Kein Problem. Meine Eltern haben bereits geahnt, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle. Sie sind großartig damit umgegangen. Miriam hatte es nicht so leicht. Ihre Familie war bei unserer Hochzeit nicht anwesend. Sie leugnen ihre Existenz, seit sie wissen, dass Miriam nichts mit Männern anfangen kann.“
„Beeinflusst das Ihre Beziehung nicht?“
„Am Anfang habe ich versucht, zwischen Miriam und ihren Eltern zu vermitteln. Es schien mir unverständlich, dass man sein Kind verstoßen könnte, weil es sein Leben anders gestaltet, als man es sich vorgestellt hat. Doch inzwischen halten wir uns von ihnen fern. Das ist etwas, das man möglichst schnell lernen sollte. Halten Sie sich von negativen Einflüssen fern. Lassen Sie nicht zu, dass man Ihnen kaputt macht, was Sie mit Glück erfüllt. Wenn Sie etwas oder jemanden lieben, dann müssen Sie darum kämpfen. Leute, die nicht in der Lage sind, uns so zu lieben, wie wir sind, haben uns nicht verdient.“
Er wünschte, es wäre so einfach, seinen Verstand davon zu überzeugen. „Danke für die offenen Worte.“
„Nein, ich danke Ihnen, dass Sie ihre Beziehung zu einem Mann nicht versteckt haben, dass Sie das nicht geleugnet haben. Das hätte die völlig falschen Signale gesetzt. Seien Sie stolz auf das, was Sie getan haben. Und der Rest der Welt kann Ihnen den Buckel runterrutschen.“
„Könnten Sie das dem Rest der Welt mitteilen, Elisabeth?“, fragte er.
„Keine Sorge. Das schaffen Sie auch ganz allein. Das Wichtigste ist, nicht über das beleidigende Verhalten von Ignoranten hinwegzusehen. Wir lernen von Anfang an, unsere Feinde nicht noch zu provozieren. Doch je weniger Gegenwind Hater erhalten, desto sicherer fühlen sie sich. Wir alle sind verantwortlich dafür, die Welt zu einem Ort zu machen, an dem wir alle glücklich sein können. Es spielt keine Rolle, wie wir unser Leben gestalten, solange wir andere dadurch nicht verletzen. Wir haben das Recht, uns für unser Lebenskonzept einzusetzen. Denn würde ich ignorieren, wenn man meine Frau beleidigt, ohne für sie einzutreten, wäre ich genauso schlimm wie die Leute, die uns angreifen. Ich habe meine Meinung auch unter unserem Hochzeitsbild vertreten und die Worte stehen lassen, um ein Signal für andere zu setzen. Wer sich mit mir anlegt, muss mit Gegenwind rechnen.“
„Ich bewundere Sie“, gestand er.
Das brachte sie wieder zum Lachen. Sie zwinkerte ihm zu. „Erzählen Sie mir mehr. Zum Glück haben wir den Rest des Fluges, damit Sie mir wundervolle Komplimente machen können.“
Es war still in seiner Wohnung. So still, dass er es irgendwann nicht mehr ertrug. Gegen Mittag kroch er aus seinem Bett und machte sich einen Kaffee, damit sein Verstand wieder in Schwung kam.
Er hatte einen ganzen Tag Auszeit gebraucht, bevor er das Bedürfnis verspürte, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Davor hatte er sein Handy ausgeschaltet und sich ganz in seinen Gedanken verloren. Das, was die Fremde auf dem Flug zu ihm gesagt hatte, ließ ihn nicht mehr los. Ein Vorbild zu sein, war niemals seine Absicht gewesen. Tatsächlich setzte es ihn unter Druck, jetzt noch mehr von der Presse verfolgt zu werden. Dennoch verstand er, worauf sie hinaus wollte. Und er war bereit anzuerkennen, dass Angus’ richtig gehandelt hatte, als er ihn vor seiner Familie verteidigt hatte. Ungerechtigkeiten zu ignorieren, machte sie nicht ungeschehen.
Angus konnte nichts dafür, dass die Situation für Patrick so schwierig war. Möglicherweise sollte er sich einfach nur auf sein Herz verlassen. Es hatte einen Grund, weshalb Angus sich hatte hineinschleichen können. Und Patrick liebte den Schotten immer noch. Irgendwie musste er lernen, seinem Stolz nicht die Kontrolle über seine Taten zu überlassen. Er reagierte nicht, wie er es in der Nähe von anderen Menschen tat. Angus und Patrick waren beide starke Charaktere. Sie würden sich beide ein wenig zurücknehmen müssen, um eine Möglichkeit zu finden, sich nicht unnötig zu verletzen. Irgendwann musste Patrick sich für seine harten Worte entschuldigen. Vor drei Tagen hatte er Highcomb verlassen. Je länger er wartete, umso schwieriger würde es werden, die Verletzungen auf beiden Seiten zu heilen. Doch zuerst musste Patrick darüber hinwegkommen, dass Angus sich erneut in seine Karriere eingemischt hatte.
Als er das Handy anmachte, wollten die Benachrichtigungen gar nicht mehr abreißen. Angus hatte fünfmal angerufen und zwölf Textnachrichten hinterlassen. Die ignorierte Patrick erst einmal. Ein Anruf war wichtiger, bevor er sich mit der Besorgnis seines Liebhabers auseinandersetzte.
Er wählte Neils Nummer und ging zum Fenster, um nach draußen zu sehen, während er auf seinen Agenten wartete.
„Hallo, Patrick“, meldete Neil sich nach dem zehnten Klingeln. „Wie läuft die Familienzusammenführung?“
„Themenwechsel.“ Patrick räusperte sich. „Hast du einen Auftrag, den ich spontan übernehmen soll? Ich bin wieder in New York.“
„So schlimm, ja? Mach dir nichts draus. Dann ist seine Spießermutter eben kein Fan von dir. Sie wird sich schon irgendwann daran gewöhnen, dich an der Seite ihres Sohnes zu sehen.“
Er brummte nur. „Hast du jetzt etwas für mich zu tun, oder nicht?“ Gott, er hoffte, Neil würde ihm Ablenkung bieten können.
„Tut mir leid. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du tatsächlich so schnell zurückkommen würdest. Im Moment habe ich nichts Passendes auf dem Tisch, aber ich höre mich für dich um. Übrigens gibt es da noch etwas, das ich dir unbedingt erzählen wollte.“
„Hast du wieder eine neue Freundin?“
Neil lachte auf. „Natürlich, darum geht es allerdings bei meinen wichtigen Neuigkeiten nicht. Ich habe vor ein paar Tagen von einem geplanten Film gehört, der bis nächstes Jahr abgedreht werden soll. Eine der Hauptrollen wäre perfekt für deinen Einstieg in die Schauspielwelt.“
Die Erinnerung an den Streit mit Angus drückte Patricks Herz zusammen. „Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, diesen Schritt schon zu gehen.“
„Was redest du denn da für einen Blödsinn? Neulich hast du mir noch in den Ohren gelegen, dass ich dir unbedingt eine Rolle in einem Film verschaffen soll. Du hast verlangt, dass es am besten gleich ein Hollywood-Blockbuster sein sollte. Wenn ich daran denke, wie sehr du mich damit genervt hast …“
„Man kann seine Meinung doch wieder ändern“, unterbrach Patrick.
„Zu spät. Ich habe bereits alles in die Wege geleitet, damit du deine Traumrolle ergatterst.“
Jetzt verspürte er doch einen Anflug von Aufregung. „Meine Traumrolle?“
„Zumindest könnte sie das werden. Roberto Pourtoi plant einen Film über einen erfolglosen Schauspieler, der auf seinen Durchbruch hofft. Dieser Marcus Lovett erhält die Möglichkeit, in einem Independent Film mitzuwirken, in dem er einen schwulen Cowboy spielen soll. Eigentlich steht er ja auf Frauen, aber während der Dreharbeiten kommen sein Filmpartner und er sich näher. Mit jedem Filmkuss wird deutlicher, dass Marcus sich tatsächlich zu dem anderen Cowboy hingezogen fühlt. Zuerst reagiert er total panisch, bevor ihm klar wird, dass das zwischen ihnen mehr als ein Flirt ist.“
„Wie das Leben halt so spielt“, warf Patrick ein und fühlte sich in die Zeit zurückversetzt, in der seine Liebe zu Angus gewachsen war.
„Genau. Es ist, als wäre dieser Film wie für dich gemacht. Klar gibt es auch ein paar Unterschiede. Der andere Schauspieler hat eine kriminelle Vergangenheit. Marcus wird deshalb entführt und muss einiges durchleiden. Dann gibt es noch eine Frau, die er in jungen Jahren betrunken geheiratet hat, und die jetzt, wo er berühmt wird, plötzlich wieder auf der Matte steht. Dennoch habe ich das Gefühl, als gäbe es niemanden, der die Rolle so überzeugend spielen könnte wie du.“
„Tatsächlich klingt der Film interessant“, gab Patrick zu. „Denkst du, ich habe Chancen, die Rolle zu bekommen?“
Neil schnaufte. „Es gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ich habe deine Unterlagen sofort eingereicht, als ich von dem Film gehört habe. Leider hat dieser Roberto Pourtoi keine Ahnung, wer du bist.“
Patrick lachte auf. „Das könnte durchaus von Vorteil sein.“
„Eigentlich nicht. Deine Geschichte mit Angus ist genau das, was dich für die Rolle von Marcus prädestiniert. Als Fotomodel bist du gefragt. Das allein reicht allerdings nicht, um dich für einen Regisseur interessant zu machen.“
„Na, du bist ja geschickt darin, mich aufzumuntern“, beschwerte sich Patrick. Angus würde an dieser Stelle nichts unversucht lassen, um Patrick davon zu überzeugen, dass es ihm gelingen würde, die Rolle zu ergattern. Der sture Schotte würde nicht lockerlassen, bis Patrick fest daran glaubte.
Gott, wie sehr er Angus vermisste. Noch während Neil von diesem Filmprojekt erzählte, wollte Patrick seinem Freund davon berichten. Angus war ein fester Bestandteil seines Lebens geworden. Er wollte seine Erfolge mit ihm feiern und seine Chancen von allen Seiten beleuchten. Möglicherweise sollte er diesen Streit gleich beenden. Wenn Angus ihm versprach, sich niemals wieder in seine beruflichen Angelegenheiten einzumischen, würden sie eine Möglichkeit finden, sich nicht mehr aneinander aufzureiben.
Patrick konnte in seinem Spiegelbild vor der Kulisse von New York erkennen, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen geschoben hatte. Irgendwie war es ja auch niedlich, dass Angus sich so viele Gedanken um Patrick machte, dass er ihn vor seiner Familie verteidigte, dass er das Glück seines Geliebten über sein eigenes stellte. Hatte er sich jemals dafür bedankt?
„Du hast also Interesse daran, Marcus zu spielen?“, fragte Neil und klang dabei seltsam lauernd.
„Unbedingt.“
„Schön, das hatte ich im Gefühl. Dann bist du bestimmt nicht sauer, weil ich versucht habe, deinem Glück ein wenig nachzuhelfen.“
„Wovon sprichst du?“ Patrick verspürte ein unangenehmes Kribbeln in seinem Magen.
„Ich habe ein wenig über diesen Roberto Pourtoi recherchiert und herausgefunden, dass ihr beide einen gemeinsamen Bekannten habt. Das musste ich ausnutzen und in einem Telefonat mit dem Regisseur fallenlassen.“
Das Kribbeln wurde zu einem harten Knoten. „Nein!“
„Doch. Vor drei Tagen habe ich Mr Pourtoi erzählt, dass McLean und du ein Paar seid. Er hatte tatsächlich noch nichts davon in der Klatschpresse gelesen. Scheint sich ganz von Gossip fernzuhalten. Mir ist sowas mehr als suspekt, aber er hält es wohl für eine Tugend, um unbeeinflusst großartige Filme machen zu können …“
Nein. Nein. Nein! Er war nicht in der Lage, Neils sinnlosem Geplapper zu folgen. „Warum hast du mir nicht vor deinem Anruf bei dem Regisseur von dem Plan erzählt?“, unterbrach er. „Warum hast du mich nicht um Erlaubnis gefragt, bevor du mich dieser Peinlichkeit ausgesetzt hast?“
Zwei Sekunden schwieg Neil perplex. „Ich hab nicht geahnt, dass du das so sehen würdest.“
„Seit ich öffentlich gestanden habe, dass Angus und ich ein Paar sind, kämpfe ich dagegen an, nur noch als sein Anhängsel gesehen zu werden. Ich versuche, meinen Weg selbst zu gehen. Von Angus’ Geld und Ruhm wollte ich niemals profitieren. Dass die Presse immer wieder behauptet, ich hätte es ohne Angus nicht in die Riege der Topmodels geschafft, ist absoluter Blödsinn. Schließlich war ich gefragt, bevor ich ihn überhaupt getroffen habe. Jeder sieht in mir nur ein hübsches Aushängeschild, das sich ein Millionär für sein Ego besorgt hat. Als wäre ich eins dieser jungen Püppchen, die sich reiche Kerle zur dritten Ehefrau nehmen.“
„Vergiss, was die Presse schreibt. Wir wissen es besser. Und das ist alles, was zählt.“
„Leider nicht. In den Köpfen der Menschen bin ich bereits als Schmarotzer abgestempelt. Wenn du mich über deinen dämlichen Plan informiert hättest, wäre ich sauer geworden und hätte dir niemals erlaubt, die Angus-Karte für meinen Erfolg zu ziehen.“
„Sicher?“, fragte Neil nach.
Patrick knurrte leise. „Natürlich. Wie soll ich jetzt wissen, ob Pourtoi mich angefordert hat, weil er mich als geeignet für diese Rolle sieht? Wie soll ich jetzt vergessen, dass ich meine Chance auf diesen Film vielleicht nur meiner Verbindung zu Angus verdanke?“
„Wenn du Marcus überzeugend spielst, wird sich niemand darüber Gedanken machen, wieso du zum Casting eingeladen worden bist.“
„Das ist ja nicht mal das Schlimmste.“ Ihm wurde bei der Erinnerung an seinen Streit mit Angus ganz übel. „Dieser Pourtoi hat Angus bereits kontaktiert. Ich habe das Gespräch mitangehört und angenommen, mein Freund hätte unser Abkommen, sich aus meiner Karriere rauszuhalten, gebrochen. Wir hatten eine lautstarke Auseinandersetzung deswegen. Vor Angus’ ohnehin schon pikierter Familie. Was für ein Albtraum!“
Weshalb hatte Angus Patrick nicht gesagt, dass er unschuldig war? Wieso hatte er das Missverständnis nicht aufgeklärt? Vermutlich wäre die Frustration in Patrick dann nicht so stark hochgekocht, dass er sofort abgereist war. Die Beziehung zwischen Angus und Patrick könnte noch in Ordnung sein!
Ohne Neil die Gelegenheit zu geben, zu einer Erklärung anzusetzen, ergriff Patrick noch einmal das Wort. „Vergiss es einfach. Wenn ich die Gelegenheit für dieses Casting erhalte, werde ich es tun. Sollte ich allerdings noch einmal mitbekommen, dass du meinen Freund dazu benutzt, mir einen Job zu verschaffen, beende ich unsere Zusammenarbeit. Und jetzt entschuldige mich. Ich muss ein Missverständnis klären.“
Er legte auf, las Angus’ Nachrichten und hörte sich die Sprachnachrichten an. Die Stimme seines Geliebten zu hören, in der Anspannung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit mitschwang, schnitt ihm ins Herz. Obwohl Angus nichts falsch gemacht hatte, wie Patrick jetzt wusste, hatte er sich nicht in Vorwürfen ergangen oder versucht, sich zu erklären. Keine Ahnung, ob Patrick ihm geglaubt hätte. Doch er rechnete Angus hoch an, dass er ihn nicht bedrängte. Es war gemein von Patrick gewesen, so lange auf Tauchstation zu gehen. Auch dafür sollte er sich entschuldigen. Was Angus in den vergangenen Tagen wohl durchgemacht hatte? Wie es ihm jetzt ging?
Endlich wählte er mit klopfendem Herzen Angus’ Nummer. Die Sache musste geklärt werden. Sofort. Patrick würde nicht wieder auf dieses einschüchternde Anwesen von Angus’ Familie reisen, um sich von der Verwandtschaft seines Freundes schlecht behandeln zu lassen. Doch für seine Überreaktion musste er sich entschuldigen. Irgendwie würden sie schon einen Weg finden, ihre beiden übergroßen Egos mit der Beziehung in Einklang zu bringen.