Читать книгу Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche - Kathrin Loewe - Страница 13

III.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Das allgemeine Selbstbestimmungsrecht wird jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern unterliegt, neben den allgemeinen Schranken40, den Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“, Art. 137 Abs. 3 WRV. Zu Zeiten der Frankfurter Reichsverfassung von 1849, an die Art. 137 Abs. 3 WRV letztlich angelehnt ist41, hat sich der Staat von jeglichem Eingriff in die gesellschaftliche Ordnung enthalten. Dagegen hat sich diese gesamtpolitische Haltung schon zu Zeiten der Weimarer Republik stark gewandelt und der Gesetzgeber war zur Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Funktionsbereiche nach der Reichsverfassung legitimiert – insbesondere im Bereich der Arbeitsverfassung nach Art. 157 bis 165 WRV.42 Der Schrankenvorbehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in Form des „für alle geltendes Gesetzes“ bedarf schon deshalb einer genauen Auslegung, um eine übermäßige staatliche Einmischung abwenden zu können. In welchem Umfang die Religionsgemeinschaften bei der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten frei sind, hängt deshalb in großem Maße von der in der Vergangenheit viel diskutierten Definition dieser Schranken ab. Jenseits ihrer eigenen Angelegenheiten sind Religionsgemeinschaften aber dem Staat und dem staatlichen Recht genauso verpflichtet wie weltliche Organisationen.43 Die Schrankenklausel wirkt damit als Kollisionsregel: Sie beschreibt zum einen die Grenze der Regelungszuständigkeit der Religionsgemeinschaften und beschränkt zum anderen die Zuständigkeit des Staates, da nur solche Normen für die Religionsgemeinschaften bindend sein können, die für alle geltendes Gesetz sind.44

1.Ansatz von Johannes Heckel

Jahrelang hat die Rechtsprechung in der Bundesrepublik45 die Formel von Johannes Heckel angewendet, nach der ein „für alle geltendes Gesetz“ wie folgt interpretiert wurde: „Ein Gesetz, das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliches Gesetz ist, aber auch nur ein solches Gesetz.“46 Diese Heckel’sche Formel begegnete allerdings vielen Einwänden und es wurde vorgebracht, dass sie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht zu sichern vermöge.47 Unter anderem wurde kritisiert, dass sie zu wenig präzise sei und damit praktisch kaum handhabbar. Außerdem sei die Grenzziehung in einer rational kaum nachvollziehbaren, freien Abwägung erfolgt und nicht in einem rechtlich und rational argumentierenden Prozess, um die praktische Konkordanz zwischen rivalisierenden Rechtsgütern herzustellen.48 Zudem ergibt sich aus dem Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG, dass der Staat nicht nur die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften akzeptiert, sondern auch ihr bekenntnismäßiges Verständnis respektiert. Der Schrankenvorbehalt gibt dem Staat auch nicht im Rahmen von Gesetzen, die die Sozialordnung festlegen, das Recht für die Religionsgemeinschaften zu entscheiden, wie sie ihren Auftrag zu erfüllen hat.49

2.Bereichslehre und „Jedermann-Formel

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb einen eigenen Weg zur Begriffsbestimmung der Schrankenklausel eingeschlagen. Danach dürfen die Kirchen innerhalb ihres Selbstbestimmungsbereichs nicht an das „für alle geltende Gesetz“ i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV gebunden sein, denn dadurch würde die verfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt geschmälert werden.50 Der Bereich der rein innerkirchlichen Angelegenheit, das „forum internum“, ist daher dem staatlichen Eingriff vollständig entzogen, im Gegensatz zu Sachverhalten, die unmittelbaren Bezug zur weltlichen Rechtsordnung haben (Bereichslehre).51

Dieser Lehre ist entgegenzuhalten, dass zwischen Sachverhalten der innerkirchlichen Bereiche und solchen, die Bezug zur weltlichen Rechtsordnung haben, nicht immer scharf abgegrenzt werden kann. Schließlich können auch eigene Angelegenheiten der Kirche in den weltlichen Rechtskreis hineinwirken. Somit handelt es sich letztendlich wiederum um eine Abwägungsentscheidung. Im Grunde kommt es deshalb maßgeblich darauf an, wer diese Grenzziehung treffen darf.52

Die Bereichslehre wurde darum durch verschiedene Theorien in der Rechtsprechung modifiziert und weiterentwickelt. In der Entscheidung vom 21.09.197653 hat das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht weiter verdeutlicht und klargestellt, dass eine Materie auch dann eine „innere kirchliche Angelegenheit“ bleibe, wenn sie mittelbare Rechtswirkungen in den staatlichen Zuständigkeitsbereich hat. In diesem Bereich kommt nur solchen Bestimmungen der Status eines „für alle geltenden Gesetzes“ zu, die für die Kirchen und Religionsgemeinschaften dieselbe Bedeutung wie für jeden anderen haben. Denn „trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten, dann bildet es insoweit keine Schranke“.54 Jedes Gesetz, das sich zwar nicht speziell gegen die Kirche wendet, sie aber härter trifft als andere, ist somit nach der so genannten „Jedermann-Formel“ nicht als „ein für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV anzusehen. Die „Jedermann-Formel“ soll damit die Schaffung von einschränkendem Sonderrecht verhindern, das sich gegen Kirchen und Religionsgemeinschaften richtet.55 Positiv formuliert können staatliche Gesetze also nur dann die religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmung beschränken, wenn sie für das Gemeinwesen bedeutsame Rechtsgüter beschützen. Ein für alle geltendes Gesetz im Sinne der Vorschrift ist danach ein Gesetz nur dann, wenn es „zwingenden Erfordernissen des friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche in einem religiös und weltanschaulich neutralen politischen Gemeinwesen entspricht.“56

3.Wechselwirkungs- und Abwägungslehre

Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zieht einen differenzierteren Verhältnismäßigkeitsmaßstab heran, ohne dabei jedoch von den früheren Ansätzen ausdrücklich abzurücken.57 In der grundlegenden Entscheidung vom 25.03.198058 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass insgesamt der Wechselwirkung zwischen dem selbständigen Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen und dem staatlichen Schutz anderer Rechnung getragen werden soll. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistet demnach „in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter“.59 Danach soll jedes Gesetz, das dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken zieht, selbst auf eine solche Schranke treffen, nämlich die materielle Wertentscheidung der Verfassung, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Bereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat anerkennt.60 Die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht begrenzende Schranke ist deshalb im Wege der Güterabwägung zu ermitteln, damit die Wechselwirkung von Verfassungsgarantie und einschränkendem Gesetz gebührende Berücksichtigung findet.61 Abzuwägen ist dabei das kirchliche Selbstbestimmungsrecht mit damit kollidierenden Rechten Dritter oder sonstigen Verfassungsgütern. Zwar stellt das Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WRV kein Grundrecht im eigentlichen Sinn dar, aber es besteht eine enge Verbindung zur Religionsfreiheit des Art. 4 GG.62 Die Wechselwirkungslehre kann somit zur Anwendung kommen und im Fall einer erforderlichen Abwägung ist das Verhältnis von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck zu bestimmen.63 Die völlige Vernachlässigung des einen oder anderen Verfassungswerts muss vermieden werden.64

Zu beachten bleibt allerdings, dass bei jeder Entscheidungsfindung die Kirchenfreiheit vor dem Hintergrund des staatskirchenrechtlichen Gesamtsystems des Grundgesetzes berücksichtigt werden muss. Offen bleibt also durch die reine Abwägungstheorie, welches Gewicht bei der Abwägung im Einzelfall dem Recht der Religionsgesellschaften auf Selbstbestimmung einzuräumen ist.65 Weder eine automatische Privilegierung der Religionsgesellschaften, noch eine Abwägung gleichberechtigter Positionen und Rechtsgüter nach Maßgabe der zu Art. 5 Abs. 2 GG entwickelten Kriterien entspräche einer vom Bundesverfassungsgericht gewollten Abwägung unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Letzterem, also einer Grundrechtsabwägung gleichberechtigter Positionen, erteilt das Bundesverfassungsgericht eine Absage. Bereits in seiner Entscheidung vom 21.9.197666 stellt es klar, dass bei einer Abwägung im Rahmen von Art. 137 Abs. 3 WRV dem geistig-religiösen Auftrag der Kirchen Rechnung getragen werden müsse und deshalb die Schrankenformel gerade nicht mit dem „allgemeinen Gesetz“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG gleichgesetzt werden könne. Weitere Entscheidungen heben ebenfalls die Bedeutung des kirchlichen Selbstverständnisses im Rahmen der Abwägung explizit hervor.67 Danach müsse bei der Begrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch ein für alle geltendes Gesetz, dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen sein.68 Eine besondere Rolle spielt dabei die Nähe des berührten Gebiets zum zentralen kirchlichen Auftrag. Je ausgeprägter der fragliche Sachverhalt das religiöse Zeugnis zum Ausdruck bringt, desto stärker muss der beschränkende Gesetzgeber auf das Selbstverständnis Rücksicht nehmen.69 Umgekehrt vermag das kirchliche Selbstverständnis auch in Bezug auf innere Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einer Güterabwägung unterworfen werden, wenn eine Kollision mit staatlichen Schutzrechten vorliegt, allerdings ist dem kirchlichen Selbstverständnis im Rahmen der Abwägung hohes Gewicht beizumessen.70 Die Abwägung muss grundsätzlich auf eine Weise erfolgen, „die es gestattet, auf beiden Seiten davon auszugehen, dass staatliche Gesetze nicht den Kirchen und Religionsgemeinschaften wesentlichen eigenen Ordnungen beeinträchtigen und dass kirchliche und religionsgemeinschaftliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden.“71 Nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz sind kollidierende Rechtsgüter also schonend auszugleichen.

Die dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehenden Gesetze müssen damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten und keines der beteiligten Grundrechte darf zu Lasten des anderen einseitig berücksichtigt werden.72 Insgesamt sichert die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts die Freiheit der Religionsgemeinschaften innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung.73

Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche

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