Читать книгу Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche - Kathrin Loewe - Страница 18
I.Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich
ОглавлениеDas Verhältnis von Staat und Kirche bzw. der staatlichen Vorschriften und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wurde vor allem durch die Rechtsprechung des BVerfG geprägt. Das Staatskirchenrecht insgesamt wurde seit der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr nur von der Literatur und der Staatspraxis federführend ausgeformt und mit Leben gefüllt, sondern das BVerfG übernahm hierbei mehr und mehr eine Führungsrolle.148 Auch bei der Interpretation des Schrankenvorbehalts des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des Arbeitsrechts, wenn sich die Kirchen der Gestaltungsform des staatlichen Privatsrechts zur Begründung ihrer Dienstverhältnisse bedienen, spielt seine Rechtsprechung eine tragende Rolle. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Auffassungen der Literatur sowie die geschichtliche Entwicklung in der Rechtsprechung zur Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich veranschaulicht.
1.Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung
Zum Thema Schrankenvorbehalt und staatliches Arbeitsrecht wurden in der Literatur zunächst zwei völlig verschiedene Auffassungen vertreten. Die eine Ansicht ging von einem Vorrang des kirchlichen Rechts im Bereich des Arbeitsrechts aus und damit von einem eigenen Kirchenrecht. Die andere Auffassung dagegen hielt alle arbeitsrechtlichen Vorschriften auch im kirchlichen Bereich für verbindlich und sah damit einen Vorrang des staatlichen Rechts.149 Das BVerfG hat mit grundlegenden Beschlüssen den Meinungsstand mehr und mehr fortentwickelt.
Kalisch150, ein Vertreter der ersten Ansicht, hat bereits 1952 die Schaffung eines eigenständigen kirchlichen Dienstrechts gefordert. Gerechtfertigt hat er dieses Erfordernis mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft, die alle Beschäftigten im kirchlichen Bereich umfasst und vom Wesen und Auftrag der Kirche beherrscht wird.151 Mit dem Leitbild einer Dienstgemeinschaft soll ausgedrückt werden, dass der Auftrag Jesu, ihm im Dienst der Versöhnung zu folgen, sich nicht nur auf den Dienst jedes Einzelnen beschränkt, sondern auch ein Zusammenstehen vieler in der Gemeinschaft des Dienstes gefordert wird.152 Diese Gemeinschaft erfordere die Gestaltung eines eigenständigen Dienstrechts für einen Bereich, „der in der hier erfolgenden Weise weder vom öffentlichen Dienstrecht noch vom allgemeinen Arbeitsrecht geregelt werden kann, weil der Auftrag der Kirche seinem Ursprung und Inhalt nach einzigartigist. Das kirchliche Dienstrecht ist weder Arbeitsrecht noch öffentliches Recht, sondern Kirchenrecht’.153 Eine Prüfung, ob sich dieses kirchliche Arbeitsrecht innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV hält, erübrige sich deshalb. Mayer-Maly154 hat diesen Ansatz weitergeführt, indem er dem staatlichen Arbeitsrecht nur subsidiäre Geltung zuspricht. Für den Fall, dass eine Religionsgesellschaft von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht und eine eigene Regelung für ihre Beschäftigten im kirchlichen Dienst geschaffen hat, so seien grundsätzlich auch nur diese Normen anzuwenden. Nur wenn die Kirche von ihrem Selbstbestimmungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat und keine eigenen Normen geschaffen hat, kann auf die staatliche Ordnung zurückgegriffen werden, sofern sich die entsprechende Anwendung mit der Eigenart des kirchlichen Dienstes verträgt.155 Allein bei elementaren Grundsätzen der staatlichen Arbeitsverfassung und damit Normen von grundsätzlichem Charakter könne das staatliche Arbeitsrecht dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht eine Schranke ziehen.156
Ebenso ging Geiger157 davon aus, dass der Staat mit der Formulierung in Art. 137 Abs. 3 WRV die kirchliche Kompetenz zur Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten anerkennt und damit auch davon ausgeht, dass die Kirche von dieser Kompetenz Gebrauch macht. Da die Kirche den Raum, der ihr zur Regelung ihrer Angelegenheiten offensteht, in vielen Bereichen nicht genutzt hat und sich damit aus ihrem „ursprünglichen Regelungsbereich“ zurückgezogen hat, sind in diesem dann „Anleihen bei der staatlichen Ordnung“ aufzunehmen und damit das staatliche Recht anzuwenden, wie etwa im Bereich des Arbeitsvertragsrechts.158 Wenn die Kirchen also kircheneigene Gesetze über Dienstgemeinschaft und Dienstordnung für die bei ihnen Beschäftigten erlassen und eigene Gerichte bilden würden, dann müssten auch keine staatlichen Arbeitsgerichte über Streitigkeiten aus dem kirchlichen Dienst entscheiden.159 Dabei übersieht Geiger jedoch, dass bei einer Inanspruchnahme der Privatautonomie und damit einer privatrechtlichen Begründung eines Arbeitsverhältnisses gerade kein ursprünglicher Regelungsbereich der Kirche vorhanden ist, sondern die Kirchen auf die Formen des staatlichen Rechts zurückgreifen.160 Insgesamt bleibt bei dieser These vom Vorrang des kirchlichen Rechts ungeklärt, wie der Konflikt zu lösen ist, wenn elementare Grundsätze des staatlichen Arbeitsrechts durch die eigenständige Gestaltung des Dienstes nach dem kirchlichen Selbstverständnis berührt werden.161
Nachdem sich seit dem Beschluss vom 17.02.1965162 als „Startschuss“ das BVerfG verstärkt in die Ausformung und Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts einbrachte, wurde die Diskussion um die Anwendbarkeit der staatlichen Normen im Bereich des Arbeitsrechts Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre parallel zu den ergangenen grundlegenden Entscheidungen des BVerfG163 lauter.164 Neumann führt hierzu erklärend aus, dass die Frage des Schrankenvorbehalts im Arbeitsrecht erst dann aufgetaucht sei, weil nun eigenständige kirchliche Regelungen getroffen würden.165 Damals wurde die sogenannte Heckel’sche Formel, nach der nur ganz besonders bedeutende Gesetze die Kirchenautonomie begrenzen können, überwiegend aufgegeben und durch das neue Verständnis des Bundesverfassungsgerichts ersetzt.166 Danach können zu den ’für alle geltenden Gesetze[n] nur solche Gesetze rechnen, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für Jedermann“167. Trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, also beschränkt die Norm ihr Selbstverständnis, so ist sie keine Schranke i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV.168
Verfechter der Ansicht, dass dem staatlichen Arbeitsrecht ein strikter Vorrang einzuräumen ist - die den Großteil der Stimmen im Schrifttum darstellte169 - schwächen wegen dieser Rechtsprechung des BVerfG ihre früheren Thesen teilweise ab und relativieren die Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich. Frank beispielsweise geht zwar nach wie vor von einer zwingenden Geltung des sozialen Kündigungsschutzes, des Jugend-, Mutter- und Schwerbehindertenschutzes auch im kirchlichen Bereich aus, stellt aber ansonsten nicht mehr auf eine uneingeschränkte Geltung des staatlichen Arbeitsrechts ab, sondern setzt auf Relativierung und Differenzierung angesichts der Schrankenrechtsprechung.170 Nur sehr vereinzelt geht man dennoch soweit, einen strikten Kompetenzverlust der Kirchen zur Regelung eines eigenständigen Dienstrechts aufgrund der Tatsache anzunehmen, dass die Kirchen sich der staatlichen Privatautonomie bedienen. Nell-Breuning sieht es beispielsweise als inkonsequent an, wenn sich die Kirchen einerseits „des Arbeitsvertrags [zu] bedienen und sich damit dem individuellen Arbeitsrecht als dem für alle geltenden Gesetz [zu] unterwerfen, andererseits aber alles, was in den Bereich des kollektiven Arbeitsrechts einschlägt, als spezifisch, kirchlich‘ und in diesem Sinn, eigene‘ Angelegenheiten an[zu]sehen und dafür mit Berufung auf Art. 137Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG Freistellungen von der allgemein geltenden Regelung [zu] beanspruchen.“171 Birk sieht die rechtliche Bindung kirchlicher Mitarbeiter durch einen Arbeitsvertrag ebenso nicht als eigene Angelegenheit im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses an172, wohingegen das BVerfG in seiner späteren Entscheidung vom 25.03.1980 allerdings ausdrücklich klarstellt, dass eine Bedienung staatlichen Rechts im Rahmen von Organisations- und Ordnungsformen nicht die Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche aufhebt.173
Mit seiner Entscheidung vom 25.03.1980174 und der Anwendung eines Abwägungsmodells zur Bestimmung des Schrankenvorbehalts erreicht das BVerfG eine differenziertere Interpretation des Art. 137 Abs. 3 WRV, wie sie teilweise in der Literatur bereits herangezogen wurde.175 Weiss geht beispielsweise bereits vor der Entscheidung des BVerfG von der Notwendigkeit einer Abwägung hinsichtlich der Geltung des staatlichen Arbeitsrechts aus und möchte dabei die kirchliche und staatliche Ordnung so weit wie möglich zur Übereinstimmung bringen, „ohne einerseits die Kirchenautonomie auszuhöhlen und ohne andererseits die durch staatliches Arbeitsrecht den Arbeitnehmern eingeräumten Garantien preiszugeben“.176 Diese Entwicklung ist im Vergleich zum früheren Vorgehen nach der Bereichsscheidungslehre als methodischer und sachlicher Fortschritt zu begrüßen.177 Zudem stellt das Gericht klar, dass „die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht [hebt indessen] deren Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche nichts“ aufhebt.178
2.Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1985
Weder die These vom Vorrang des kirchlichen Rechts noch die These vom strikten Vorrang des staatlichen Rechts erfasst die Ausprägungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts also umfassend, wenn die Kirche sich bei dem Abschluss eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie bedient.179 Die These vom Vorrang des kirchlichen Rechts allein übersieht, dass bei einer Inanspruchnahme der Privatautonomie und damit einer privatrechtlichen Begründung eines Arbeitsverhältnisses, kein „ursprünglicher Regelungsbereich“ der Kirche betroffen und die staatliche Rechtsordnung als Ergänzung vorauszusetzen ist.180 Der strikte Vorrang des staatlichen Arbeitsrechts wiederum vernachlässigt, dass das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes die Eigenständigkeit der kirchlichen Ordnung gerade anerkennt. Was genau zu ihren eigenen Angelegenheiten gehört, wird deshalb nach ihrem Selbstverständnis bestimmt, weil der Staat dafür keine Maßstäbe kennt und somit „insoweit farbenblind“ ist.181
Das BVerfG hat in seinem richtungsweisendem Beschluss vom 04.06.1985 dann eine Art Mittelweg eingeschlagen und klargestellt, dass das staatliche Arbeitsrecht als „schlichte Folge einer Rechtswahl“182 auch im kirchlichen Bereich Anwendung findet, wenn sich die Religionsgemeinschaften im individualrechtlichen Bereich der jedermann offen stehenden Privatautonomie bedienen, auch wenn die Regelung der Arbeitsverhältnisse zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche zählt. Grundlage für die Geltung des staatlichen Arbeitsrechts ist dann konkret der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag.183 Allerdings ist diese Geltung des staatlichen Arbeitsrechts nicht insgesamt zwingend, denn das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften darf trotz der grundsätzlichen Geltung des staatlichen Arbeitsrechts nicht ausgehebelt werden und steht somit in einigen Bereichen einer vollständigen Anwendbarkeit des staatlichen Arbeitsrechts entgegen.184
3.Kirchliche Dienstgemeinschaft und Offenhalten eines eigenen Weges
Den Kirchen ist also auch im Bereich des Arbeitsrechts - auch wenn dort grundsätzlich staatliche Arbeitsrechtsvorschriften für sie gelten – ein eigener Weg offenzuhalten zur Gestaltung des kirchlichen Dienstes und seiner arbeitsrechtlichen Ordnung in der von ihrem Selbstverständnis gebotenen Form.185 Man spricht dabei auch von einer arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie.186 Denn die Kirchenautonomie sichert grundsätzlich die Freiheit der Kirchen innerhalb der staatlichen Ordnung.187
Kirchlicher Beweggrund, im Arbeitsrecht zum Teil eigenständige Wege zu gehen, und Grundlage dieses modifizierten, „kirchlichen Arbeitsrechts“ ist insgesamt das Leitbild der Dienstgemeinschaft, das die Arbeitsrechtsbeziehungen in der Kirche prägt.188 Sie bezeichnet das Gemeinschaftsverhältnis zwischen der Leitung und der Mitarbeiterschaft einer kirchlichen Einrichtung.189 Mit dem Leitbild einer Dienstgemeinschaft soll ausgedrückt werden, dass der Auftrag Jesu, ihm im Dienst der Versöhnung zu folgen, sich nicht nur auf den Dienst jedes Einzelnen beschränkt, sondern auch ein Zusammenstehen vieler in der Gemeinschaft des Dienstes gefordert wird.190 Nach dem Selbstverständnis der Kirche umfasst dieser Dienst die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen.191 Zur Erfüllung dieses Auftrags ist jeder berufen, der im Dienst der Kirche steht, da es in der Dienstgemeinschaft keinen „auftragsfreien Raum“ gibt. Aus ihrem Leitbild ergibt sich, dass auch eine Konfliktaustragung im Rahmen des Dienstverhältnisses respektvoll und fair erfolgen muss.192 Die Kirche unterscheidet sich damit in diesem Punkt von allen anderen Einrichtungen und Betrieben, denn nirgends sonst wird das eigene Tätigsein jedes Einzelnen auch mit einem übergeordneten Werk verbunden, an dem alle mitarbeiten als Gemeinschaft. Sie hebt sich dadurch unter allen anderen Betrieben heraus.193 Die Kirche soll ihren Auftrag in der Nachfolge Christi so auslegen und leben dürfen, wie sie ihn versteht. Sie ist dabei lediglich an die „Schranken der für alle geltenden Gesetze“ gebunden, die sich in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, dem Willkürverbot, den guten Sitten, dem „ordre public“ sowie den Arbeitsschutzgesetzen gebunden.194 Denn die Ordnung des Wirkens der Kirche ist als Ordnung innerhalb – nicht jenseits – des gesamten Gemeinwesens zu verstehen.195
Wie das Bundesverfassungsgericht eigens ausgeführt hat, darf die Einbeziehung kirchlicher Arbeitsverhältnisse in das staatliche Recht die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen.196 Damit beendete das BVerfG eine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die bei der Kündigung von Mitarbeitern im kirchlichen Dienst nur abgestufte Loyalitätspflichten anerkennen wollte – abhängig von der Nähe der Tätigkeit des Betroffenen zu den kirchlichen Aufgaben –, weil „auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine,Abstufung‘ der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit.“197 Es können sich also aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Religionsgemeinschaften bei Arbeitsverhältnissen mit Beteiligung von Kirchen bzw. kirchlichen Einrichtungen vom staatlichen Arbeitsrecht abweichende Regelungen ergeben, wenn ansonsten die spezifisch religiöse Eigenart im Bereich des arbeitsrechtlich organisierten Dienstes bedroht wäre.198 Es ist dem kirchlichen Arbeitgeber also gestattet, „die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes“ nach seinem Verständnis auszugestalten und „in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach [seinem] Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen“.199
Das Eingehen von Arbeitsverhältnissen auf der Grundlage von Arbeitsverträgen ist für die Kirchen also kein Tatbestand, der nicht mehr vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht umfasst und damit außerhalb der Verfassungsgarantie angesiedelt ist.200 Deshalb zählt das religionsgemeinschaftliche Dienst- und Arbeitsrecht zu den eigenen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft, auch wenn diese privatrechtliche Arbeitsverhältnisse eingeht.201
Die Kirchen haben sich auf individualrechtlicher Ebene dazu entschieden, außerhalb des engeren, öffentlich-rechtlich geregelten Bereichs auf die privatrechtlichen Gestaltungsformen des staatlichen Rechts zur Begründung ihrer Dienstverhältnisse zurückzugreifen.202 Es findet deshalb grundsätzlich das individualrechtliche Arbeitsrecht vollumfänglich Anwendung, bei dessen Auslegung die kirchlichen Besonderheiten jedoch zu berücksichtigen und einzelne Bestimmungen gegebenenfalls einzuschränken sind. Es wird den Kirchen etwa die Möglichkeit eingeräumt, selbst zu regeln, welche Voraussetzungen ein Mitarbeiter zur Einstellung erfüllen muss. In diesem Zusammenhang führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 04.06.1985 ausdrücklich aus: „Auch im Wege des Vertragsschlusses können daher einem kirchlichen Arbeitnehmer besondere Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung auferlegt werden. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch. Beides zusammen ermöglicht es den Kirchen erst, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen. Das schließt ein, daß die Kirchen der Gestaltung des kirchlichen Dienstes auch dann, wenn sie ihn auf der Grundlage von Arbeitsverträgen regeln, das besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft aller ihrer Mitarbeiter zugrunde legen konnen (vgl. BVerfGE 53, 366 (403 f.)).“203
Auch im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich sind die kirchlichen Besonderheiten zu beachten und der Kirche eigene Wege offenzuhalten. Hier hat sie sich gegen die Übernahme des Tarifvertragsmodells entschieden und stattdessen den sog. „Dritten Weg“ eingeschlagen, bei dem das Leitbild der Dienstgemeinschaft bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen in den Verfahrensstrukturen einer Arbeitnehmerbeteiligung zum Ausdruck kommt.204 Zudem hat die katholische Kirche mit der Rahmen-MAVO eine eigene Mitbestimmungsordnung für den kirchlichen Bereich geschaffen.