Читать книгу One Memory - Katie Weber - Страница 7
Caden
ОглавлениеEs war nicht leicht, dem gerecht zu werden, was andere von dir erwarteten. Entweder sie setzten die Messlatte zu hoch, sodass du sie niemals erreichen würdest, oder sie zwängten dich in etwas hinein, für das du schlicht und ergreifend nicht geschaffen warst.
In meinem Fall war es weder noch. Zumindest war es das, was ich mir seit einigen Jahren einzureden versuchte.
Obwohl ich tagtäglich in einem schicken Maklerbüro hinter dem Schreibtisch saß, die interessantesten Immobilienobjekte und Kunden kennenlernte, hatte ich ständig das Gefühl, es würde etwas fehlen. Als wäre irgendetwas nicht richtig. Oder am falschen Platz.
Gelangweilt sah ich auf die Uhr, die an der Wand über meinem Collegediplom hing, und begann meinen Schreibtisch aufzuräumen.
»Schon Feierabend?«
Aus vor Wut verengten Augen sah ich auf zu meinem Boss. »Es ist gleich fünf, Gerry. Ich habe meine Termine für heute bereits abgearbeitet und muss erst wieder morgen früh um acht bei meinen neuen Interessenten sein.«
Unzufrieden verzog er das Gesicht und zupfte grübelnd an seinem penibel getrimmten Schnurrbart. »Wenn du meiner kleinen Prinzessin etwas bieten willst, Foster, solltest du langsam anfangen, mehr Kunden an Land zu ziehen und von den Immobilien hier in Old Creek zu überzeugen.«
Wütend spannte ich meinen Kiefer an und packte demonstrativ meine Sachen zusammen. »Keine Sorge, Jade wird es an nichts fehlen. Dafür werde ich sorgen.«
Ungläubig lachte der Alte auf und schüttelte den Kopf, als hätte ich einen Scherz gemacht. »Wir sehen uns morgen, Foster. Sei pünktlich beim Kunden.«
War ich das jemals nicht gewesen?
Ich verkniff mir meinen Kommentar und ließ ihn davonstapfen. In diesem Moment erinnerte ich mich wieder daran, welch unglaublich dumme Idee es gewesen war, ausgerechnet im Maklerbüro von Gerry Greenberg anzufangen. Nicht nur, dass der Typ mehr als schwierig war, noch dazu war er auch noch der Vater meiner Verlobten.
Jade und ich kannten uns seit der Highschool und waren bereits damals gute Freunde. Dass wir eines Tages mehr füreinander empfinden würden, war für mich bis vor zwei Jahren unvorstellbar. Doch gerade als ich als frischgebackener Absolvent vom College zurück in meine Heimat kehrte und mein Leben neu zu ordnen versuchte, war Jade immer für mich da. Ganz egal, wie schwierig es manchmal war ...
Sie war anders als ihr Dad, anders als ihre gesamte restliche Familie, die im Grunde nur aus verwöhnten und verzogenen Snobs bestand. Ihre Mutter war ganz eindeutig kaufsüchtig, ihr Bruder spielte für sein Leben gern. Wie viel von dem Geld seines Vaters er bereits verzockt und aus dem Fenster geschmissen hatte, wagte ich nicht zu schätzen. Es mussten abertausende Dollar sein, die Clive in Spielautomaten gesteckt hatte.
Jade wäre so etwas nicht einmal im Traum eingefallen. Sie verdiente schließlich ihr eigenes Geld und versuchte, nicht auf die Hilfe ihres reichen Vaters angewiesen zu sein. Vor einigen Monaten hatte sie erst ihre eigene kleine Boutique eröffnet und ich war deswegen mächtig stolz auf sie.
»Wir haben schon nach fünf, Foster! Wann kommst du endlich? Ich dachte, wir wollten noch kurz zum Friedhof, bevor wir zu Vince gehen und uns das Spiel ansehen?« Perry streckte seinen Kopf durch meine verglaste Bürotür und sah mich abwartend an. Auch mit ihm war ich bereits seit der Highschool befreundet, genau wie mit Vince und mit Cole Anderson, unserem damaligen Rudelführer.
Cole und ich waren einmal die besten Freunde. Jetzt besuchten Vince, Perry und ich ihn seit einigen Wochen regelmäßig an seinem Grab.
Seufzend schaltete ich den Computer aus und griff nach meinem Autoschlüssel. »Meinst du nicht, es ist seltsam, wenn ich jedes Mal mitkomme? Ich bin sicher, Cole hätte gerne darauf verzichtet, dass ausgerechnet ich an seinem Grab stehe und ihn darum bemitleide, nicht mehr am Leben zu sein.«
Perry verzog das Gesicht. »Du gehörst genauso zu uns, wie er zu uns gehört hat, Foster. Ganz egal, ob ihr zerstritten wart, ich bin sicher, unser Kumpel würde sich freuen, wenn du ihn hin und wieder besuchst.«
Bitter lachte ich auf. »Das kannst du unmöglich ernst meinen, Peters. Schließlich war er derjenige, der abgehauen ist und sich danach nie wieder gemeldet hat – bei keinem von uns. Cole wäre es egal gewesen, ob ihn jemals einer von uns an seinem beschissenen Grab besucht hätte. Darauf würde ich meinen Arsch verwetten.«
Perry hielt mir die Tür auf, als ich mit einem dicken Stapel Ordner hinausging, die ich für die Recherche der neuen Immobilien zu Hause benötigte. »Er ist tot, Caden. Zeig ein bisschen Respekt. Ich weiß, den hast du selbst für jemanden wie Cole übrig. Ganz egal, was damals zwischen euch vorgefallen ist.«
Schnaubend hievte ich die unvermeidliche Heimarbeit für heute Nacht auf die Rückbank meines Wagens und sah meinen Freund resigniert an. »Von mir aus.«
Als Perry, Vince und ich eine halbe Stunde später am Friedhof von Old Creek ankamen, war die Stimmung wie immer gedrückt. Niemand von uns verstand, was vor einigen Wochen in der Nähe von Saint John’s vorgefallen war und wie unser alter Freund letztlich ums Leben gekommen war.
Bis heute rätselte die ganze Stadt darüber. Denn nicht einmal seine Eltern oder die Polizei hatten bisher einen Anhaltspunkt, was tatsächlich geschehen war.
»Ich glaube, er hat sich selbst das Leben genommen«, sprach Vincent die Worte aus, die uns alle schon einige Male durch den Kopf gegangen waren.
Gemeinsam liefen wir mit gesenkten Schultern durch die schmalen Gänge und Pfade des alten Friedhofs in Richtung auf Coles Grab zu.
»Dass er sich einige Zeit vor seinem Tod offenbar nicht mal mehr bei seiner Familie gemeldet hat, wundert mich ehrlich gesagt auch nicht. Coles Beziehung zu seiner Mom und auch zu seinem Dad war nicht gerade die beste«, meinte Perry nachdenklich, als Vince uns beide plötzlich einige Meter vor dem Grab unseres Freundes zum Anhalten zwang.
Verständnislos wechselten Perry und ich einen Blick, bevor wir dem von Vince folgten und mein Herz für den Bruchteil einer Sekunde aussetzte.
»Ist das ...?«, flüsterte Peters leise, konnte es aber anscheinend genauso wenig glauben wie ich, wen wir da gerade an Coles Grab stehen sahen.
»Elisa.« Es war nur ein Wispern, das meine Lippen verließ, und doch fühlte es sich merkwürdig an, diesen Namen nach so langer Zeit wieder auszusprechen.
»Was macht sie hier? Ich dachte, sie wäre weg. Zurück in Irland oder wo auch immer ihre leiblichen Eltern herkamen.« Vincent sah uns an, und nicht nur Verwunderung, sondern auch Verwirrung und Unglaube spiegelten sich in seinem Blick wider.
Vermutlich genau wie in meinem.
»Ist sie es denn wirklich?«, fragte Perry unsicher und sah mich erwartungsvoll an. »Caden, ist sie es?« Perry Peters wusste, warum er diese Frage nur mir stellen konnte.
Auch wenn er damals immer so getan hatte, als würde er es nicht bemerken oder es nicht sehen können, er wusste um meine Gefühle für Elisa.
»Sie ist es.« Ohne jeden Zweifel.
»Warum stehen wir dann noch hier? Gehen wir zu ihr«, entschied Vincent entschlossen. »Ich meine, vielleicht weiß sie ja, was mit Cole passiert ist und wo er die ganzen Jahre war?«
Perry und ich schüttelten gleichzeitig den Kopf. »Das halte ich für keine so gute Idee, Vince«, sagte Peters leise und sah wieder hinüber zu Elisa. »Sie wirkt irgendwie ... anders.«
»Fremd«, korrigierte ich ihn flüsternd, drehte mich im nächsten Moment um und machte mich auf den Weg zurück zum Wagen.
Ich hielt es keine Sekunde länger aus, Elisa Murphy dabei zuzusehen, wie sie teilnahmslos vor Coles Grab stand und dabei so distanziert und kalt wirkte, wie ich es bei ihr noch nie gesehen hatte.
Diese Frau war genau wie unser Freund über mehrere Jahre spurlos verschwunden. Niemand wusste, wo sie sich aufhielten und ob sie gemeinsam geflüchtet waren.
Keiner konnte mir sagen, ob sie überhaupt noch am Leben war oder ob es ihr gut ging. Nach drei Jahren hatte ich es irgendwann aufgegeben, nach ihr zu suchen – wie ein Vollidiot, der nicht loslassen konnte. Der nicht wahrhaben wollte, dass sie sich endgültig entschieden hatte.
Nur eben nicht für mich.
Nachdem die Jungs und ich uns am Abend das Footballspiel angesehen hatten und niemand von uns ein weiteres Wort über den Vorfall auf dem Friedhof verloren hatte, kreisten meine Gedanken dennoch nur um diese eine Sache.
»Ich glaube, ich habe vorhin Elisa Murphy an Coles Grab gesehen«, sagte ich zu Jade, als ich auf unserem Bett im Schlafzimmer saß, während sie sich im angrenzenden Badezimmer zum Schlafen fertig machte.
»Kann sein«, kam es knapp und zu meiner Verwunderung zurück.
»Wusstest du, dass sie wieder hier ist?«, fragte ich irritiert und spannte mich unweigerlich an.
»Dad hat es mir vor ein paar Tagen erzählt.« Jade kam mit der Zahnbürste im Mund ins Schlafzimmer und holte sich aus dem Schrank ein frisches T-Shirt.
»Dein Vater? Woher wusste er davon?« Ich beobachtete meine Verlobte, wie sie sich mit nur einer Hand ihren BH aus- und das T-Shirt anzog, doch auch jetzt noch waren meine Gedanken vollkommen woanders.
»Er hat ihr anscheinend ein Haus angedreht.«
Ich runzelte die Stirn. »Sie lebt also wieder hier? Wie lange schon?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ein paar Wochen.« Jade zuckte gleichgültig mit den Schultern und wollte gerade zurück ins Badezimmer gehen, als ich sie aufhielt.
»Und du hast dich bisher nicht mit ihr getroffen und hast es auch nicht für nötig gehalten, mir zu erzählen, dass sie wieder in der Stadt ist?«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Wütend funkelte sie mich an, verschwand kurz im Badezimmer, um sich den Mund mit Wasser auszuspülen, kam wieder zurück und sah mich eindringlich und lauernd an. »Wieso hätte ich das deiner Meinung nach tun sollen, Caden?«
Ich wusste, worauf ihre eigentliche Frage abzielte, doch auf dieses Thema würde ich mich sicher nicht noch einmal einlassen. Wir hatten in der Vergangenheit oft genug darüber gestritten, und das, obwohl Elisa schon lange kein Teil meines Lebens mehr war.
Mit verständnislosem Blick sah ich meine Verlobte an und griff nach ihrer Hand, um sie zu besänftigen. »Weil wir alle einmal ihre Freunde waren, Jade. Sehr gute Freunde sogar.«
»Sie scheint sich aber nicht mehr an uns zu erinnern. An nichts von früher«, erwiderte sie schnaubend, riss sich von mir los und legte sich ins Bett.
Verwirrt sah ich sie an. »Wie meinst du das?«
Erneut zuckte sie mit den Schultern, als wäre es ihr egal. »Dad hat erzählt, sie hätte sich bei der Hausbesichtigung ziemlich komisch verhalten. Wusste nicht mehr, dass sie sich kennen und dass sie hier zur Schule gegangen war, zum Beispiel.«
Blödsinn!
Ich lachte ungläubig auf. »Das ist unmöglich. So etwas vergisst man schließlich nicht einfach so.«
Jade musterte mich einen Moment lang. »Offenbar schon.«
Ich verstand es nicht. War es ihr denn wirklich gleichgültig, dass ihre frühere beste Freundin wieder in der Stadt war? Und wieso erzählte ihr Vater, Elisa würde sich nicht mehr erinnern? Wollte er seine Tochter nur schützen?
Gerry Greenberg hatte noch nie etwas von Elisa Murphy gehalten. Aus dem simplen wie auch perfiden Grund, weil sie eine Waise war. Elisas leibliche Eltern stammten aus Irland, und damit galt sie unter den Alteingesessenen aus Old Creek als Einwanderin, als Eindringling, der keine Berechtigung hatte, hier sein zu dürfen.
Warum er ihr dann trotzdem erst vor wenigen Wochen oder Tagen ein Haus verkauft hatte, war nur ein weiteres Rätsel, das ich unbedingt lösen wollte.
»Vielleicht weiß Elisa, was mit Cole passiert ist? Weswegen er diesen Unfall hatte und wo er die letzten Jahre war«, überlegte ich laut und starrte gedankenverloren zu Boden.
»Sie war bei ihm, Caden. All die Jahre war sie bei Cole«, hörte ich Jade tief seufzen.
Überrascht sah ich meine Verlobte an. »Woher willst du das so genau wissen?«
Sie verzog das Gesicht. »Dad hat erzählt, dass sie das Haus, das sie von ihm gekauft hat, zu einem großen Teil von Coles Erbe bezahlt hat.« Jade sah mich eindringlich an und seufzte erneut, als ich noch immer nicht verstand, was sie mir damit sagen wollte. Oder was ich vielleicht auch gar nicht verstehen wollte. »Sie waren verheiratet, Cade. Elisa war Coles Ehefrau.«
Wie schon einige Stunden zuvor auf dem Friedhof setzte mein Herz für einen kurzen Schlag aus und ich erstarrte ob dieser Erkenntnis. Meine Kehle trocknete aus und schnürte sich bei dem Gedanken zu, Jade könnte tatsächlich recht haben.
Protest kroch aus meinem tiefsten Inneren nach außen und ich konnte es nicht verhindern. Auch wenn ich wusste, dass es falsch war und mir eigentlich längst hätte egal sein sollen, so war es das nicht.
Die Vorstellung, Cole hätte Elisa wirklich zu seiner Frau gemacht, ließ nicht nur Übelkeit in mir aufsteigen, sie ließ mich wütend die Hände zu Fäusten ballen und Cole Anderson zum Teufel wünschen. Ganz egal, ob er tot war oder lebendig. In diesem Moment machte das keinen Unterschied für mich.
»Welches Haus hat dein Dad ihr verkauft? Für welches hat sie sich interessiert?«, fragte ich, mich mühevoll zusammenreißend, um Jade nicht zu zeigen, dass ihre Sorge all die Jahre doch begründet gewesen war und Elisa immer ein Teil meines Herzens gehören würde.
»Ich glaube, die alte Blockhütte am Waldsee, soweit ich verstanden habe. Keine Ahnung, was sie damit will, aber du kennst ja meinen Dad. Wenn er ein Geschäft wittert, verkauft er dem Interessenten auch die letzte Bruchbude, wenn es sein muss.«
Ja, ich kannte ihren Dad. Doch genauso und noch viel mehr kannte ich Elisa Murphy. Und deswegen wusste ich in diesem Augenblick, dass sie noch immer da war – das rothaarige Mädchen von früher, das mich vom ersten Moment an verzaubert hatte. Sie steckte noch immer in ihr.