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Prolog – Routine

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Axel Hoppe saß in einem A320, biss in sein Hühnerwrap und flog wie eine Eintagsfliege über die 3000er hinweg. Eine andere Eintagsfliege war ums Leben gekommen und deshalb war er nun unterwegs. Dienstreise. Ein Journalist war von einer Jacht ins Meer gestürzt und ertrunken. Eine Frau war alleine auf dem Boot zurückgeblieben. Frau, Mann, Boot – alles deutsch. Deshalb holten die Kollegen der Policía nacional vorsichtshalber einen Bullen aus Deutschland hinzu. An Bord des Bootes sähe es nach einer ziemlichen Orgie aus, hatten die Spanier berichtet. Außerdem hatten sie 50.000 Euro im Gepäck des jungen Mannes gefunden.

Eine Dame in Blau mit Tüchlein um den Hals und streng zusammengebundenem Haar unterbrach die Gedanken des Kriminalhauptkommissars Hoppe. Er gab ihr den geleerten Kaffeebecher zurück, klemmte sein Tischchen an der Lehne vor ihm fest und machte es sich ein wenig bequem. Etwas eingedöst durchforstete er den Fall noch einmal. Eine wohlhabende verheiratete Frau hatte diesen jungen Mann also zu sich gerufen. Robert Vleih hieß er, Journalist. Einige Magazine druckten regelmäßig etwas von ihm, einen etwas reißerischen Blog betrieb er selbst. Stories über Ein-Euro-Jobber, die am Bau der neuen Universitätsbibliothek beteiligt waren oder über Staatssekretäre aus dem Bildungsministerium, die eine Kette für Nachhilfeunterricht besaßen, waren nicht schlecht. Der Journalist hatte auch einen Kriminalroman angekündigt. Irgendwie hatte er ein bisschen auf jeder Hochzeit getanzt.

Ein leises Bing drängte sich in Hoppes Gedanken. Er öffnete die Augen und sah, dass die kleinen Anschnallzeichen bereits leuchteten. Nachdem er die beiden Gurtenden ineinander geklickt hatte, blickte er aus dem Flugzeugfenster. Unter ihm lag das Meer wie ein riesiger schwarzer Teppich und er schaute so lange darauf, bis aus dem Schwarz allmählich Blau wurde. Schiffe konnte er jetzt deutlich erkennen. Auch ein Strand war klar auszumachen. Im Bauch des Flugzeugs rumpelte es. Die Räder wurden herausgeklappt. Unten tauchte eine Marina als exaktes Viereck auf. Schroffe Kliffküsten, manchmal ein Haus. Jetzt erkannte er die sagenhafte Bucht, an der entlang sich die Häuser der Inselhauptstadt bis weit hinein in eine dunkelgrüne Hügellandschaft abzeichneten. Die Stadt war mit dem Meer über etliche Kilometer Hafenanlage verbunden, in der abertausende Jachten, etliche Kreuzfahrtliner und Frachter lagen. Auf Reede warteten ebenfalls viele Schiffe. Die Bucht quoll über. Axel erinnerte sich, dass auch ein Fischereihafen mit kleinen Holzbooten, dem Gewirr aus zum Trocknen ausgelegter Netze und den typischen hellblauen Plastikkisten dort unten durchaus mithalten konnte. Dieses ausladende Zusammenspiel zwischen Land und Meer bewachte, so schien es, die Jahrhunderte alte Kathedrale an einem Ende der Stadt. Und schon wanderten Axels Gedanken zwanzig Jahre zurück, als er mit Kathrin zum ersten Mal hier gewesen war. Sie hatten das Wahrzeichen der Stadt erklommen, waren durch das Gassenlabyrinth der Altstadt gelaufen und immerzu hatte Kathrin nach den verborgenen Stadtpalästen mit ihren Innenhöfen und schattigen Loggien Ausschau gehalten. Mit den Fingerspitzen hatte sie über jedes einzelne Holztor der städtischen Oasen gestrichen und sehnsüchtig zu jedem der winzigen Balkone emporgeschaut.

Das Flugzeug flog eine Kurve und weg war alles. Wie die Zeit vergeht, dachte er. Jetzt fliege ich nach etlichen Jahren für eine unerfreuliche Routineangelegenheit hierher. Vielleicht sollten wir noch einmal gemeinsam wiederkommen. Ob Michel sich noch für Urlaub mit seinen Eltern interessierte? Wahrscheinlich nicht, wenn er sogar bald alleine wohnen wird. Sah Axel jetzt aus dem ovalen Fenster, waren da nur noch karge Wiesen, kleine Feldsteinmauern und die verwitterten Windmühlen auf ihren dicken, steinernen Stumpen. Er merkte, dass er sentimental geworden war, nicht nur wegen der alten Erinnerungen. Er hatte sich zu einem Austauschjahr in Frankfurt am Main überreden lassen und nachdem das geklärt war, wurde er von den richtigen Fällen nach und nach abgezogen. Nur noch so etwas wie diese Protokollierung hier vor Ort blieb kurz vor seinem Weggang für ihn übrig. Fakten einsammeln und wieder nach Hause. Berlin-Palma war schließlich keine große Sache. Er holte tief Luft. So hatte dieser Robert Vleih das sicher auch gesehen. Aber musste es ausgerechnet eine verheiratete Frau und diese Jacht mit Polstermöbeln an Deck sein? Hatte dieser Schreiber nicht mehr Phantasie? War der am Ende doch nur ein mit Taschengeld ausgestatteter Bohemien, der sich verhoben hatte? Habe ich mich verhoben?, fragte sich Axel. Immerhin stand in einigen Wochen der Wechsel nach Frankfurt an. Wie es dazu nur kommen konnte!

Am Gepäckband schaltete Axel sein Mobiltelefon ein. „Lieber Kunde, willkommen in Spanien! Sie surfen, simsen und telefonieren im EU-Ausland ohne Aufpreis wie zuhause.“ Sonst nichts. Er stellte sich ein wenig abseits und beäugte die wartende Menschenmenge. Ziemlich entspannt schienen die meisten zu sein. Wanderschuhe, Flipflop, Sneakers. Und der da? War das nicht dieses Schlagersternchen? Job oder privat? Und ich? Ein richtiger Job mit Mannschaft und Verantwortung ist das hier auch nicht. Heute hier, morgen dort und irgendwann eben Frankfurt. Karriere hin oder her. Ob das die richtige Entscheidung war? Wer will denn unbedingt Oberkommissar oder Polizeirat werden, wenn man dafür wie ein Schüler verschickt werden muss? In knapp drei Monaten ist es soweit. Der erste Koffer rumpelte durch die schwarzen Gummilappen. Eine Reisetasche, wieder ein Koffer, eine Sporttasche. Augenblicklich gerieten die Leute in Bewegung. Auch Axel erblickte sein Gepäck, nahm es vom Band und ging.

In der Ankunftshalle des Flughafens fand er den Mann, der „Axel Hoppe“ auf einem Pappschild geschrieben vor sich hielt. Er ging auf ihn zu. „Buenos Dias. Yo soy …“ Das hatte er gestern Abend noch trainiert.

Der Mann lächelte und gab ihm die Hand. „Sehr erfreut und herzlich Willkommen. Ich bin Javier Torres.“ Er deutete auf den Ausgang, auf den sie gemeinsam zusteuerten. Auf dem Weg zum Parkhaus besprach der Kollege der Policia nacional die nächsten zwei Tage. „Wir haben für sie ein Zimmer in Port d’ Andratx besorgt. Dann sind sie gleich vor Ort.“

„Danke. Gracias!“ Ach verflixt. Das bisschen Gracias kann ich lassen.

„Ist es Ihnen recht, wenn wir gleich raus zur Jacht fahren, bevor wir diese Frau Schmidt aufsuchen?“

„Natürlich, dafür bin ich gekommen.“

„Ich glaube, dass wir da den üblichen Fall von Überschwänglichkeit und deren Folgen haben.“

Sie hielten Schritt mit den vielen Fluggästen.

„Üblich?“

Er erhielt keine Antwort. Stattdessen wies sein Kollege auf das Parkhaus, auf das sie zuliefen. Hoppe war es recht, dass sie im Moment nicht viel sprachen. Die Wärme und das Licht überwältigten ihn. Im Parkhaus stand auf dem ersten Platz gleich hinter der Schranke ein Seat Toledo. Torres öffnete den Kofferraum, nahm zwei Wasserflaschen heraus und reichte ihm eine davon.

Bald darauf hatten sie den Flughafen hinter sich gelassen und fuhren auf der von üppigen Oleandersträuchern gesäumten Autobahn durch flaches Land. Kleine Olivenbaumplantagen, Schafe unter Johannesbrotbäumen rechts und links der Strecke.

„Möchten Sie kurz ins Hotel?“, fragte der spanische Kollege.

„Das ist nicht nötig. Wir können gleich zum Boot und zum Fundort des Toten fahren.“

Torres schaute herüber und nickte. „Wissen Sie, wir haben hier manche Male solche Angelegenheiten. Es muss alles schnell gehen. Sonst kommen Fotografen hinaus aufs Meer, schnüffeln herum, suchen die Frau in ihrem Haus auf. Am Ende haben wir eine Sensation, die unterhält, aber die Urlauber auch verschreckt.“

„Ich sehe nicht, dass es sich um Prominenz handelt.“

„Das Boot weist eine Größe auf, ab der man nachfragt, wem es gehört.“

Hoppe dachte einen Augenblick nach. „Gibt es Besatzungsmitglieder?“

„Die wurden an dem Abend nach dem Ankern im Beiboot weggeschickt.“

Torres lenkte den Seat von der Autobahn herunter. Augenblicklich passierten sie Hotels, Appartementhäuser, Cafés, Boutiquen, Restaurants und Läden, vor deren Eingängen Strandutensilien und Nippes auf Haken und Kleiderstangen angepriesen wurden. Menschen schlenderten die Straßen entlang, aßen Eis, waren unterwegs Richtung Wasser, das zwischen den Häusern immer wieder zu sehen war.

„Wir fanden es von der Dame übrigens gewagt, die Besatzung fortzuschicken“, sagte Torres.

Sie hatten den Ort und seine Urlauber hinter sich gelassen.

„Vielleicht kann sie das Boot auch alleine fahren“, überlegte Hoppe laut.

„Kann sie nicht.“

„Haben Sie sie gefragt?“

„Muss ich nicht. Sie werden sehen.“

Hoppe ließ die Aussage auf sich wirken, schaute durch die Windschutzscheibe auf weite Flächen aus grünbraunen Wiesen, die von niedrigen Steinmauern durchzogen und mit Bäumen bepflanzt waren.

In die entstandene Sprachlosigkeit hinein fragte Torres: „Kennen Sie die Gegend?“

„Ich war einmal hier. Vor etlichen Jahren.“

Jetzt sprach er aus, worüber er vor einigen Minuten im Flugzeug nachgedacht hatte. Warum war er mit Kathrin und auch mit Michel nicht öfter durch die Straßen von Palma gestreift oder in der Tramuntana gewandert?

„Ich fahre für sie einen kleinen Umweg“, sagte sein ortsansässiger Kollege.

Kurz darauf fuhren sie auf einer schattigen Straße, die sich durch waldreiches Gebiet schlängelte. Von hier aus schienen die Berge zum Greifen nahe genauso wie das Meer. Die mediterrane Vegetation stimmte eine Andersartigkeit an, von der man glaubte, dass sie das Leben leicht machen würde. Axel räusperte sich. Der Mann neben ihm sah ihn wissend an und fuhr.

Keiner der beiden sagte etwas, als sie von einer Anhöhe auf eine Hafenbucht hinunterblickten, deren Gediegenheit Axel bis hinauf ins Auto spürte. Umrandet von bewaldeten Hügeln, in deren Grün Farbflecke verschiedenster Domizile auftauchten, lag dort unten also Port d’ Andratx. Eine Bucht, in deren Meerwasser die Jachten ruhig lagen. Eine Bucht, die Geborgenheit und große Erwartungen gleichermaßen versprach. Der Seat nahm die letzten Kurven, enterte den Ort, durchkreuzte enge Straßen und Axel nahm sich vor, ein bisschen zuversichtlicher auf die kommende Zeit zu blicken.

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