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1 Sonntags

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„Es war schön gestern Abend, nicht wahr?“

Viktor drehte sich zu seiner Frau um. „Hab ich dich aufgeweckt?“ Er hatte bis eben in seinem Bücher-Zeitschriftenstapel nach einem Bericht des Brennstoffzellen-Forums gesucht.

Isabel räkelte sich unter ihrer Decke. „Nicht wirklich.“

Er fläzte sich quer übers Bett. „Ich wollte nach dem Kino eigentlich gehen, dachte ihr wärt gerne allein was trinken gegangen.“

„Warum?“

„Sarah ist deine alte Freundin.“

„Und deine.“ Isabel hatte sich auf die Seite gedreht und stütze ihren Kopf auf eine Hand.

„Sarah hat sich verändert“, sagte er. Gestern Abend hatte er sie nach etlichen Jahren wiedergesehen.

„Zwanzig Jahre gehen an niemandem spurlos vorüber.“ Seine Frau Isabel stieß einen dramatischen Seufzer aus.

Viktor lächelte sie an. „Sarah ist ein wenig reserviert geworden. Oder einfältig. Ich frage mich, ob sie das wirklich war, die damals mit dir in diesem Loch gehaust hat?“

„Erinnere dich lieber an deine Bude.“

„Immerzu denke ich daran.“ Viktor küsste sie. „Es war der Beginn von uns beiden.“ Seine Hände schoben die Decke beiseite. Er hielt ihre Hände, küsste seine Frau, strich über ihren Hals. Er wollte sie. Jetzt. Am Morgen war Isabel unwiderstehlich. Sie sah ihn aus ihren dunkelgrünen Augen an und Fältchen formten sich dabei zu zarten Halbmonden um ihre Mundwinkel. Isabel zog Viktor zu sich heran.

Später spielte er mit einer Strähne ihrer kräftigen dunklen Haare, während sie ihren Kopf auf ihn bettete und mit den Fingern an seinen Beinen entlangstreichelte.

„Ich liebe dich“, sagte sie in die Luft hinein.

„Und ich dich erst.“

Isabel erhob sich, legte ihre Hände auf seinen muskulösen Oberkörper, glitt mit dem Kopf hinunter über Viktors Bauch, weiter hinunter. Sie liebkoste, küsste und stand auf. Er aalte sich. „Wo war eigentlich dieser Rüdiger gestern Abend?“

„Ein Alarm wurde bei einem seiner Kunden ausgelöst. Dann rufen die manchmal den Chef an, hat mir Sarah erklärt.“

„Statt der Polizei?“ Er sah es vor sich, wie Isabel mit den Augen rollte und den Mund verzog. Sogar wenn sie mit dem Rücken zu ihm stand, konnte er ihre Mimik erahnen.

Auch sie brauchte sich nicht umdrehen, um seine Gedanken irgendwo im Gesicht abzulesen. Eine Sicherheitsfirma, deren Leute nachts mit scharfen Waffen am Gürtel zu einem Gewerbehof mit schmierigen Baracken hinter Maschendrahtzaun unterwegs waren. So stellt sich Viktor das vor. Das wusste sie genau. Hat er deshalb abfällig über Sarah gesprochen? Sie blickte in den kleinen Garten, der zu den Gründerzeitvillen ihres Wohnviertels typischerweise dazugehörte. Im vergangenen Jahr hatte die Hausverwaltung ein paar Mandelbäume in großen Pflanzkübeln entlang des Weges zur Remise aufstellen lassen. Doch jetzt waren die Kübel in einen Winterschutz gehüllt. Isabel drehte sich um. Viktor lag auf dem Bett. Kopf und Arme streckte er gen Bücherstapel. „Gehst du heute Nachmittag noch in den Club?“, fragte sie.

„Ja, ich fahre mit dem Rad.“

„Und der Rückweg? Bist Du dann nicht zu kaputt?“

„Ich trainiere nicht. Heute hat mein Kinder-Achter einen Wettkampf.“

„Dann komme ich später nach. Die Jungs sind so niedlich.“

„Wenn du deine schrecklich grüne Jacke anziehst, sehe ich auch gleich, wenn du da bist.“

„Die Farbe ist In!“, sagte sie und wollte ihm im Vorbeigehen eine Kopfnuss verpassen.

Im rechten Moment aber hielt Viktor sie fest, um Schmeicheleien in ihr Ohr zu flüstern. Bis er behutsam „Lass uns gehen“ sagte.

Hand in Hand spazierten sie an jedem Sonntag durch den Park, liefen an einem absurd kleinen Weiher und am Holzhausenschlösschen vorbei.

„Heute will ich durchs Tor schreiten“, sagte Isabel und zog ihn in die sehr kurze Kastanienallee.

Mit dem Schlösschen im Rücken gingen sie also durch ein erhabenes, gusseisernes Tor, das stets offenstand. Ein I-Tüpfel an Schönheit an der Grenze zu ihrem Refugium, das Viktor nie ganz unbeeindruckt ließ. Er liebte Wohlstand ohne Krach.

Auf dem „Oeder Weg“ allerdings liefen sie dem geräuschvolleren Leben entgegen. Schließlich wollte niemand mehr auf ein Frühstück in einem gut besuchten Café mit dem Getöse des Kaffeemahlens im Hintergrund verzichten. In ihrem Stammlokal reichte der junge Mann hinter dem Tresen Isabel die Sonntagszeitung, nachdem er ihnen ein ‚Morgen’ gewünscht hatte. Die Kellnerin sah von ihrem Tablett auf und lächelte zur Begrüßung. Der kleine Tisch am Fenster war frei. Viktor half Isabel aus dem Mantel, ging zu den Garderobenhaken und blieb dort vielleicht eine Sekunde länger als nötig stehen. Er sah Isabel an, sah sie aus dem Fenster blicken, sah sie eine Haarsträhne hinters Ohr klemmen. Huschte da ein Lächeln über ihre Lippen? Er ging zu ihrem Tisch, drücke ihr einen Kuss auf den Mund und setzte sich. Sie nahm eine seiner Hände und ließ sie auch dann nicht los, als die Kellnerin nach ihren Frühstückswünschen fragte.

„Ich nehme diesmal ein Spiegelei, kein gekochtes“, sagte Isabel. „Und vielleicht noch einen Obstsalat. Nein, doch nicht. Nicht im November. Also nur die Spiegeleier und sonst wie letzte Woche und vorletzte Woche und vorvorletzte Woche.“ Die Frauen lachten.

„Und du, Viktor?“, fragte die Kellnerin.

„Für mich bitte alles wie immer.“ Er lehnte sich zurück und Isa begann, die Zeitung für sie beide aufzuteilen.

„Bald wirst du hier groß erwähnt sein“, sagte sie.

„Nicht ich. Der Wasserstoff-Akku!“ Natürlich wusste er, dass Isabel auf seinen Vorstandsposten bei der EnVer hinauswollte.

Isabel schüttelte ein wenig den Kopf und gab ihm den Sportteil rüber. „Du kannst auch Politik haben, ich fange mit Rhein-Main an.“

Die Kellnerin kam voll beladen wieder. Sie schob die Vase mit dem Herbstlaub ein Stück beiseite, stellte ein Stövchen auf und leerte ihr Tablett. In einer Hand seine halbe Zeitung haltend half Viktor der Kellnerin mit flüchtigen Handgriffen. Eine Kanne Assamtee, eine Tasse mexikanischen Kaffees, ein Korb Brötchen, zwei Teller, eine Tasse. „Den Rest bringe ich euch gleich“, sagte die junge Frau.

Isabel lächelte Viktor an. Er sah zu seiner Frau hinüber. Das hier war ihr Sonntagmorgen.

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