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Kapitel 3

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An den Sonntagen war es weiterhin am schwierigsten gewesen. Die meisten Menschen traten in Familieneinheiten auf oder erst gar nicht in Erscheinung. Die Betriebsamkeit der anderen Tage wich einer leblosen Leere. Greta hatte

begonnen, an diesem Tag regelmäßig ihre Großtante zu besuchen.

Daniels Verlust hatte sie einsilbig gemacht. Gemessen an der Trauer über sein Fehlen wirkte jedes Gespräch sinnentleert. Verglichen mit der Nähe, die sie mit ihm erlebt hatte, war jede Begegnung banal. Dennoch hatte Greta wieder häufiger das Bedürfnis verspürt, unter Menschen zu sein, die nicht ihre Kollegen waren. Manchmal war sie auch in ihrer Nachbarschaft allein einen Kaffee trinken gegangen. Dort saugte sie den beruhigenden Singsang fremder Stimmen auf, die um sie herumsummten, ohne etwas von ihr zu wollen. Atmende Körper, die schützend zwischen ihr und der Einsamkeit standen.

Am Nachbartisch saß ein junges Paar mit einer Bulldogge. Greta mochte Hunde, allerdings waren Bulldoggen nicht ihr Typ. Sie stand eher auf langbeinige, schlanke Tiere wie den ungarischen Vorstehhund. Greta hatte mehr als einmal darüber nachgedacht, sich einen Hund zuzulegen, war aus praktikablen Gründen aber davon abgekommen. Mit Daniel hätte sie sich früher oder später einen gekauft. Allein schon wegen der Kinder. Die Vorstellung, dass Kinder mit Tieren aufwuchsen, gefiel ihr.

Plötzlich spürte Greta etwas Weiches, Warmes an ihrem nackten rechten Bein. Die Bulldogge vom Nachbartisch lehnte vertrauensvoll an ihrer Wade. Greta streichelte über den runden Rücken des Tiers. Seine Wärme schien über ihr Bein hoch in den Körper zu kriechen, ihren eingesperrten Geist in seinem Betonkerker zu besuchen und zu umhüllen. Gleichzeitig wurde sie sich ihrer Bedürftigkeit mit einer Brutalität bewusst, dass es ihr Tränen in die Augen trieb. Die Bulldogge leckte ihr den rechten Fuß, der in einer Sandale steckte. Es kitzelte zwischen den Zehen. Die Besitzerin fragte mit französischem Akzent, ob Othello, wie die Bulldogge offenbar hieß, sie stören würde. Ohne Gretas Antwort abzuwarten, zog die junge Frau das Tier am Halsband zu sich herüber. Greta spürte über Kaffee und Kuchen noch eine ganze Weile dem Leib des Hundes nach. In ihrem Innern atemberaubende Einsamkeit, die sie schließlich zurück nach Hause und in die Verzweiflung trieb.

Sie wollte auch einen Hund haben und täglich diese bedingungslose Zuneigung erleben. Aber sie konnte ihn schlecht mit in die Redaktion oder ins Theater nehmen. Ihr Leben ließ keinen Hund zu. Nicht einmal einen Hund.

Wenige Wochen später zog dann Herr Schrödinger bei Greta ein. Rein äußerlich betrachtet war er ein perfektes Wesen.

Ihr Bruder Nick hatte ihn dagelassen, als er in die USA ging. Nick hatte Herrn Schrödinger gar nicht erst gefragt, ob er Lust gehabt hätte, mit ins Ausland zu gehen. Er hatte seine Egyptian Mau einfach bei Greta abgegeben. Nick hatte auch Greta nicht gefragt, ob es ihr passte, seinen Kater aufzunehmen. Doch was mit verlassenen Lebewesen geschehen konnte, wusste sie nur zu gut. Daher hatte sie die Katze adoptiert, obwohl sie sich lieber einen Hund gekauft hätte.

Herr Schrödinger ließ sich allerdings nicht so ohne Weiteres adoptieren und er hielt sich zweifellos für etwas Besonderes. Genau wie Nick, dachte Greta. Doch selbst ein arroganter Kater wie Schrödinger hatte seine Bedürfnisse. Greta trug die Verantwortung dafür, dass Schrödinger etwas zu fressen bekam, dass sein Kratzbaum in einer sonnigen Ecke stand und sein Klo gesäubert wurde und dass er genügend Auslauf auf dem Hof hatte, ohne Vögel zu behelligen oder sich mit den beiden Katzen ihres Nachbarn in die Wolle zu bekommen. Das brachte Normalität in Gretas Leben und ließ ihr ein neues Rückgrat wachsen.

Doch zunächst hatte sie sich mit den tierischen Trophäen abfinden müssen, die ihr der elegante Vierbeiner ungefragt mitbrachte. Als Ehrerbietung, wie sie von ihrem Nachbarn erfuhr, bei dem Greta sich bitterlich über die Funde auf ihrer Türschwelle beklagte. Das Rotkehlchen hatte eine offene Brust, aus der alles Mögliche herausquoll. Der Feldmaus hatte Schrödinger rücksichtsvollerweise das Genick gebrochen. Ihr Kopf hing in unnatürlichem Winkel herab.

Gretas Entsetzen rief beide Male den Nachbarn auf den Plan. Ihr Ekel hatte sich nur Stunden später in einem ausgeprägten Lippenherpes geäußert.

Von wegen Ehrerbietung. „Du bist abscheulich“, schimpfte sie ihren neuen Mitbewohner aus. Doch dieser drehte in anmutiger Geste seinen Kopf zur Seite als suchte er die- oder denjenigen, an den Gretas Worte gerichtet sein mochten.

Beim nächsten Mal ignorierte sie ihn in der Hoffnung, dass es ihn von weiteren Jagdausflügen abhalten müsste. Vielleicht hatten ihm drei Opfergaben genügt, vielleicht hatte Greta sich auch einfach keiner weiteren für würdig erwiesen. In jedem Fall beließ er es dabei.

Greta und das Wunder von Gent

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