Читать книгу Wo ist denn eigentlich dieses Glück? - Katja Pelzer - Страница 11
Kapitel Neun
ОглавлениеFrau Eberhard kommt hier im Heim mit allen Menschen gut aus. Ich mag sie eigentlich auch von allen am liebsten.
Irgendwann mal, nachdem ich mich oft gewundert habe, dass sie nie Besuch bekommt, habe ich sie gefragt, woran das liegt.
Sie hat gelächelt, den Kopf geschüttelt und geantwortet, dass ihre Freundinnen schon alle verstorben sind. Ihre Geschwister auch. Und Kinder hatte sie keine.
„Ich war das jüngste von drei Geschwistern“, hat sie mir dann erzählt. „Mein großer Bruder war schon als Junge der reinste Gentleman. Es gab einen Jungen, der mich mochte. Ich ihn aber nicht. Er hat mir einmal am Kaugummiautomaten aufgelauert, an dem ich immer vorbeimusste. Er hat mir Kaugummi geschenkt und wollte dann einen Kuss dafür haben, als ich den Kaugummi aber schon längst im Mund hatte. Ich habe den Kopf geschüttelt. Und denken Sie sich! Da hat er mich am Arm gepackt und versucht mich auf den Mund zu küssen. Da war ich gerade acht.“
Sie schüttelt sich vor Lachen, in Erinnerung an die Situation.
Ich muss auch lachen – „Sie scheinen ja ein richtiger Feger gewesen zu sein!“
Da haut Frau Eberhard mir gespielt empört leicht mit einer Hand auf den Unterarm. „Warten Sie, die Geschichte ist noch nicht zu Ende!“
„Ich konnte mich jedenfalls losreißen und bin weggerannt. Was hat mein Herz wild geschlagen! Ich hatte von da an schreckliche Angst vor diesem Jungen und dass er den Kuss weiter einfordern würde. Ich habe das meinem Bruder erzählt und er hat mich seitdem immer bis zur Schule gebracht, obwohl er und unsere Schwester schon auf dem Gymnasium waren, als ich in die Grundschule kam und ganz woanders hinmussten. Mein Bruder und ich sind dann immer besonders früh losgegangen. Der Junge hat mich seitdem in Ruhe gelassen. Und mein Bruder war mein Leben lang mein Held. Er ist später Bauingenieur geworden und hat in Afrika Brücken gebaut. Ich habe ihn sehr geliebt. Leider ist er schon so früh gestorben. Und meine Schwester auch. Tja, nun wissen sie, warum ich nie Besuch bekomme.“
Dieses Gespräch hat irgendwann während meines ersten Jahres hier im Seniorenheim stattgefunden. Damals war Frau Eberhard noch keine Achtzig gewesen und ihr Gesundheitszustand wesentlich besser. Aber eigentlich ist sie noch immer ganz gut beieinander. Ihr Geist kann auch heute noch zu Höchstform auflaufen. Nur eben nicht mehr so häufig. Aber es ist einfach rührend, Frau Eberhard mit Herrn Arnold turteln zu sehen.