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Kapitel Drei

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Meine Eltern waren gläubige Menschen. Sehr gläubige.

Jeden Sonntag schleiften sie mich in die Kirche. Schon in einem Alter, in dem mir die Worte von der Kanzel wie eine Fremdsprache erschienen.

Mein Vater hieß Paul und als ich ein kleines Mädchen war, engagierte er sich hin und wieder in der Gemeinde. Er las während der heiligen Messe manchmal das Evangelium, holte die Hostien aus dem Tabernakel und verteilte sie gemeinsam mit dem Pastor. Wenn der Pastor während der Wandlung dann Papst Paul dankte und für ihn betete, war ich überzeugt, dass mein Vater der Papst war, schließlich machte er ja die ganze Zeit all diese sinnvollen Dinge während des Gottesdienstes. Und er hieß Paul. Mir kam das sehr schlüssig vor.

Eines Tages, nach der Messe, fragte ich ihn. Weil ich so davon überzeugt war, kam die Frage, vermutlich eher rhetorisch rüber, nach dem Motto: „Du bist doch der Papst, oder!?“

Ich habe meinen Vater noch nie so lachen sehen. Vorher nicht und nachher nicht. Und als er es Sekunden später meiner Mutter erzählte, weil ich die Frage nicht besonders laut gestellt hatte, lachte auch meine Mutter schallend. Erst war ich leicht beleidigt. Dann freute ich mich aber, dass ich sie so zum Lachen bringen konnte. Und dann sah ich auch ein, dass mein Vater ja gar keine Zeit hatte, der Papst zu sein, weil er eigentlich als Jurist bei einer Firma gearbeitet hat. Meine Mutter war seit meiner Geburt zu Hause geblieben. Vorher hatte sie als Sekretärin in derselben Firma gearbeitet wie mein Vater.

Alice heiße ich, weil meine Mutter Lewis Carroll liebte. Sie war selbst eine große Geschichtenerzählerin. Und Lewis Carroll war für sie sozusagen der Urvater der Fantasy. Sie nahm mich einmal mit ins Kino in den Disney-Trickfilm Alice im Wunderland. Ich habe nur ihr zu Liebe durchgehalten. Am liebsten wäre ich schreiend rausgerannt. Vor allem die Herzkönigin und ihre Garde waren mir als Kind zu unheimlich. Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass sie mich Alice genannt hat, weil sie hoffte, dass ich für mich auch eine Art Wunderland finden würde, in dem ich mich würde behaupten können, in dem ich schrumpfen, wachsen und schließlich ich selbst werden könnte – ein richtig guter Mensch. Mit lustigen Freunden und ganz viel Glück Aber es ist gar nicht so einfach ein guter Mensch zu sein, und gleichzeitig glücklich.

Den frühen Tod meiner Eltern konnte ich jedenfalls weder verhindern noch verwinden. Sie sind bei einem Busunglück ums Leben gekommen, als sie sich einmal alleine eine Reise gönnten. Da war ich gerade mit der Schule fertig und achtzehn Jahre alt. Lange hatten sich meine Eltern auf diese Fahrt nach Slowenien gefreut. Sie hatten schon so viel über die unberührte Natur dort gehört und mein Vater war ein leidenschaftlicher Fliegenfischer. Er stand dann in Slowenien mit seinen wasserdichten Hosen und hohen Gummistiefeln in den wilden Flüssen. Die meisten Fische, die er fing, ließ er wieder frei. Nur zwei Regenbogenforellen ließen er und meine Mutter sich in ihrem Hotel zubereiten. Sie hatten eine wunderbare Zeit. Das erzählten sie mir am Telefon.

Ich habe sie nie wiedergesehen.

Der Bus war an der Steilküste in einer Kurve mit einem Lkw kollidiert, der viel zu schnell unterwegs gewesen war. Der Bus war in Flammen aufgegangen und meine Eltern hatten sich nicht mehr rechtzeitig aus dem brennenden Bus retten können.

Das ist schon eine ganze Weile her.

Aber so kommt es, dass ich noch immer dort lebe, wo ich aufgewachsen bin. In der Wohnung meiner Eltern. So kann ich ihnen auch weiterhin nah sein und mich auf eine Art sicher fühlen, wie ich es nicht tue, wenn ich mich außerhalb meiner Komfortzone bewege.

Ich habe dann doch nicht Literatur und Sprachen studiert, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte.

Das ging nicht. Mir fehlte einfach das Geld. Eine Ausbildung schien mir vernünftiger. Krankenschwestern wurden immer gebraucht. Und nach dem Tod meiner Eltern, hatte ich das Bedürfnis zu helfen. Das war beinahe organisch. Eines hat sich aus dem anderen ergeben. Ich habe diese Entscheidung später nie hinterfragt. Wahrscheinlich habe ich irgendwann auch keine andere Wahl mehr gehabt. Also bin ich jetzt Schwester und Kümmerin Alice.

Wo ist denn eigentlich dieses Glück?

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