Читать книгу Beautiful Soup - Katja Pelzer - Страница 10
Achtes Kapitel
ОглавлениеMein Mann macht sich lustig. Er behauptet, ich achtete mittwochs jetzt immer ganz besonders auf meine Kleidung. Was natürlich völlig abwegig ist.
„Dein Dozent scheint ja ziemlich attraktiv zu sein. Oder doch einer deiner Mitcoder?“, fragt er augenzwinkernd.
„Sehr witzig“, sage ich und bin empört. „Du glaubst wohl, Programmieren ist ein Spaziergang oder so was! Ist es aber nicht. Das ist höhere Mathematik.“
„Eben“, sagt mein Mann. „Da kann dir auch ein schickes Outfit nicht weiterhelfen.“
„Doch“, kontere ich. „Kann es. Wenn ich mich wohlfühle, lerne ich auch viel einfacher.“
Mein Mann lächelt nachsichtig. Kunststück. Gegen die Hirnmasse eines Raketenbauers ist die einer Online-Journalistin natürlich zu vernachlässigen.
Und außerdem lächelt er, weil er sich meiner so sicher ist, dass er mich niemals verdächtigen würde, auch nur einen Gedanken an andere Männer zu verschwenden. Er hat ein Urvertrauen in die Wiege gelegt bekommen, das durch nichts zu erschüttern ist. Gerne hätte ich manchmal selbst etwas davon ab.
Dann wäre ich jetzt auch etwas souveräner und würde nicht beim Aus-der-Tür-Rauschen über den Siebziger-Jahre-Schlag meiner Hose stolpern.
Außerdem würden dann auch solche Menschen wie unser Nachbar einfach an mir abperlen. Der überschreitet bei mir – freiwillig oder unfreiwillig, das sei hier mal dahingestellt – sämtliche Grenzen. Er ist unhöflich und rücksichtslos. Sein Fernseher läuft Tag und Nacht, egal ob er selbst zu Hause ist oder schläft. Mein Mann und ich vermuten, dass er ihn während seiner Abwesenheiten für seine Katze laufen lässt, damit die sich nicht so alleine fühlt. Durch die Wand zwischen seiner und unserer Wohnung jedenfalls dringen täglich vierundzwanzig Stunden lang Gedudel, Gedröhne, Gequatsche, Gemetzel, Geträllere und Geballere.
Das nervt.
Aber vor allem füttert er die Tauben. Vielleicht weil er sonst niemanden hat. Ich weiß es nicht.
Sie danken es ihm und ungefragt auch uns, indem sie alles volltropfen und regelmäßig stakkatoartige Jackson Pollocks auf den Hof und die dort vorhandenen Autodächer malen.
Und unser Nachbar füttert weiter die Tauben, als hätte er Angst, dass sie sonst verhungern könnten.
Das tut er auch jetzt gerade, während ich an ihm vorbeilaufe, weil ich, wie meistens zu spät bin.
Und weil ich zu spät bin, kann und will ich da jetzt auch nichts weiter zu sagen.
Ich habe irgendwann einmal versucht, ihm klar zu machen, dass die Tauben eben nicht verhungern. Dass es in unserer Stadt, wie überhaupt in jeder Stadt, von Nahrungsquellen für Tauben nur so wimmelt. Noch dazu haben die Viecher Flügel, die sie problemlos zum nächsten natürlichen Taubenbuffet tragen.
Aber der Nachbar möchte sich scheinbar einmal im Leben unentbehrlich fühlen. Er will gebraucht werden. Er hat ja niemanden sonst. Also will er glauben, dass die Tauben ihn brauchen und, was noch viel wichtiger zu sein scheint – ihn lieben.
Ganz schlechte Voraussetzungen sind das für unsere sachlichen Hinweise, dass er das Füttern besser unterlassen sollte.
Daher laufe ich jetzt also an ihm vorbei, nicke flüchtig und eile von dannen.
Zum Zug nach Köln raus aus dem Zug vorbei am Dom zum kleinen Café Glück mit meinem cremig-nussigen Sojacappuccino und Sams Prophezeiung – „Du wirst etwas ganz Neues lernen!“ (habe ich ihm von Python erzählt?) – weiter in die Redaktion und anschließend ins Seminar, weil ja Mittwoch ist.
Tatsache ist, dass ich wohl niemals eine gute Programmiererin sein werde. Alles ist so logisch, dass ich manchmal nicht hinterherkomme mit der Logik.
Doppelte runde Klammern, Gänsefüßchen für alles, was lesbar sein soll. Eckige Klammern für unsere Listen.
Da muss ich mich schon ziemlich konzentrieren und alles, was ich an Hirnmasse habe, zusammenkratzen.
Es ist einfach nicht die natürliche Richtung, die meine Gedanken gehen würden, wenn ich sie lasse. Ich muss sie bändigen, sie lenken. Wenn sie vor einer Mauer landen, muss ich mich mühen, einen Durchschlupf zu entdecken. Ich möchte diesen Durchschlupf finden. Unbedingt.
Ich bin tatsächlich ziemlich getrieben. Beinahe wundere ich mich, wie getrieben ich bin. Ich war tatsächlich schon eine ganze Weile nicht mehr so getrieben wegen irgendetwas.
Manchmal renne ich mit den Gedanken aber einfach nur gegen die Mauer. Pralle ab. Bin zu verbissen. Dann finde ich nicht unbedingt die Lösung. Manchmal muss ich loslassen und einen neuen Anlauf nehmen. Über die Mauer geht es jedenfalls nie. Aber es gibt für alles eine Abkürzung.
Wir machen Listen und Schleifen. Auf diese Weise programmieren wir beispielsweise einen Countdown-Kalender, der die Tage bis zu den großen Ferien herunterzählen soll. Beziehungsweise die Tage markiert, an denen wir Termine haben. Jeden Mittwoch erinnert uns dieser Kalender an unseren Unterricht. Das ist wieder alles ganz logisch. Aber ich brauche eine Weile, um den Durchschlupf in meiner Gedankenmauer zu finden.
Jaschar hilft mir. Ich nenne ihn jetzt Joschi, obwohl ich Jaschar einen schönen Namen finde. Aber Joschi nennen ihn seine Freunde. Hat er gesagt. Und wer mir hilft, ist mein Freund.
Das ist tatsächlich bemerkenswert und außergewöhnlich. Denn junge Männer langweilen mich normalerweise schnell. Sie sind für meinen Geschmack oft zu sehr von sich selbst eingenommen. Sie halten sich für Marvel-Superhelden – unwiderstehlich, mit fantastischen Fähigkeiten. Haben noch keine Grenzen gezeigt bekommen, weder von ihren Eltern, noch von ihrem Leben. Sie haben kaum etwas erlebt und meinen schon, sie hätten ein Anrecht auf Alles und ihnen allein gehörte die Welt.
Aber Jaschar hier ist ganz anders. Er hat Leidenschaft, Energie und Ziele. Vor allem aber ist er bereit alles zu geben, um sie zu erreichen.
Er möchte berühmt werden.
Wenn er so erzählt, von seinen Vorbildern, von seiner Musik und woher er die Inspiration nimmt, wenn er Liedtexte schreibt, dann sauge ich interessiert alles in mich auf. Seine geballte Begeisterung und junge Energie sind total ansteckend.
Wenn wir auseinandergehen, fühle ich mich selbst schlagartig zwanzig Jahre jünger. Dabei habe ich mich vorher nicht einmal alt gefühlt.
Er hat einfach eine gute Ausstrahlung, die alles in ein schönes Licht taucht. Auch das Banale. Unwichtiges wirkt plötzlich wichtig, Alltägliches scheint weniger alltäglich.