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Siebtes Kapitel

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Beim Codieren geht es nicht um Glauben oder Intuition um aus dem Bauch heraus schon mal gar nicht und auch nicht einfach ums Auswendiglernen. Es dreht sich eher alles um mathematisches Knobeln und ganz viel Logik.

Das war ja zu erwarten.

Ist aber beides nicht so meine Stärke.

Mein Kopf und mein Inneres sind eher geisteswissenschaftlich als naturwissenschaftlich programmiert. Biologie finde ich zwar ganz schön, aber in der Theorie ist sie auch nichts für mich. Das mühsam im Biologieunterricht verinnerlichte Facettenauge der Fliege brauche ich in meinem Alltag nicht zu kennen. Außer vielleicht für die Einsicht, dass ich niemals ein so hochentwickeltes Lebewesen erschlagen könnte.

Ich habe die Naturwissenschaften jedenfalls möglichst früh aus meinem Leben verbannt. Und das, obwohl ich durchaus die große Ästhetik logischen Denkens erkenne.

Theoretisch zumindest.

Wenn ich beispielsweise den logischen Gedankengängen eines Menschen folge.

Mir selber ist das alles allerdings nicht von Natur aus gegeben. Ich muss es mir hart erarbeiten.

Weil wir im Seminar nebeneinandersitzen sind Jaschar und ich beim Programmieren dauerhaft in eine Zweiergruppe eingeteilt worden.

Zweiergruppen finde ich gerade noch okay. Das ist eine Gruppengröße, die grundsätzlich nicht verkehrt ist, weil ich sie überschaue und sie durchaus konstruktiv und produktiv sein kann. Ein einzelnes Gegenüber ist gut und wird mir nicht zu viel.

Jaschar trägt an diesem recht grauen Tag Schwarz – einen engen, schwarzen Rolli, und enge, schwarze Jeans.

Ich trage ein mehrfarbiges Wollkleid mit einer hellblauen Bluse darunter um dem Grau etwas entgegen zu setzen.

Auch Python arbeitet übrigens mit ganz viel Farbe. Python treibt es sogar recht bunt, möchte ich fast sagen.

Mein Blick fällt auf Jaschars Hände, die über die Tastatur des Laptops gleiten, wie über die Tastatur eines Synthesizers. Es sind schöne Hände – lang, schmal, aber auch kräftig irgendwie. Sie sehen aus, als könnten sie zupacken. Seine Haut hat einen Olivton, wie ich ihn auch gerne hätte, aber niemals haben werde.

„Jaschar ist ein schöner Name“, sage ich leise zu ihm, weil ich niemanden stören will, aber auch niemand mitkriegen muss, dass wir uns nicht übers Coden unterhalten und auch nicht dass ich Jaschar einen schönen Namen finde.

Jaschar jedenfalls lächelt. „Danke“, sagt er.

Jaschar hat eine angenehm warme Stimme und sehr besondere, karamellbraune Augen, mit denen er mich offen und freundlich ansieht.

Und als würde er eine Frage beantworten, die an dieser Stelle immer folgt, auch wenn ich sie jetzt gar nicht gestellt habe – nicht einmal im Stillen – setzt er nach einer kleinen Pause hinzu: „Meine Eltern kommen aus der Türkei.“

Ich nicke andächtig und schweige. Was könnte ich dazu jetzt auch Tiefschürfendes beitragen? Was weiß ich schon über die Türkei?

Ich war mal in Istanbul vor langer Zeit. Ich habe das eine oder andere Buch gelesen, das entweder dort spielte oder von einem türkischen Schriftsteller oder einer türkischen Schriftstellerin geschrieben worden ist und ich habe einen sehr schönen türkischen Film gesehen – Der Traum des Schmetterlings von Yılmaz Erdoğan. Er ist zwei jungen türkischen Dichtern gewidmet, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Tuberkulose dahinsiechten, ohne sich jemals an dem ihnen zustehenden Erfolg erfreuen zu können.

„Meine Freunde nennen mich Joschi“, sagt Jaschar in meine Gedanken hinein.

Ich lächele ihn an, weil ich schon mal einen Joschi kannte. Einen fiktiven zwar, der aber sehr realistisch und ausdrucksvoll aus einem Buch zu mir sprach. Joschis Garten hieß es, von Ursula Wölfel.

Es hat mich als Kind tief berührt, wie der Protagonist, ein Schlüsselkind namens Joschi, seine Freizeit einem Garten inmitten der Betonwüste einer Stadt widmet.

Gärten hatten für mich dadurch schon als kleines Mädchen eine Bedeutung. Wenn ich bei meinen Großeltern Zeit verbrachte, nahm mein Opa mich mit in seinen Gemüsegarten. Ich durfte mit ihm Erbsen ernten, aber auch Stachelbeeren. Und mit meiner Oma habe ich die Ernte dann küchenfertig gemacht.

Beim Erbsenpuhlen landeten immer wieder einzelne grüne Perlen in meinem Mund und explodierten dort in aller Süße. Genauso wie die köstlichen Tomaten, die damals noch nicht überzüchtet waren und ebenfalls ein intensives Aroma entwickeln konnten.

Auch diese Erinnerungsbilder voller Geborgenheit sind ein Teil meiner glücklichen Kindheit, die sich nicht von anderen glücklichen Kindheiten unterscheidet und gehören daher eigentlich nicht hierher.

Aber Joschis Garten und der Gemüsegarten im Hinterhof meiner Großeltern prägten mich dahingehend, dass ich schon als kleines Mädchen wusste, wie etwas wächst und ich mir früh der wohltuenden, meditativen Wirkung des Ackerns bewusst war. Was mir in meinem Leben, das später nicht immer so glücklich verlief, sehr geholfen hat.

In diesem Leben sitze ich jetzt neben Jaschar, genannt Joschi und lerne Denken auf eine Art, wie ich noch nie gedacht habe.

Es geht im Seminar dieses Mal um Funktionen.

Wir knobeln also ein wenig an den Funktionen herum. Aber ehrlich gesagt hat das Ganze in diesem Stadium noch viel mit Abschreiben von der Tafel zu tun.

Es gibt ein kleines Playersymbol, das wir immer dann anklicken sollen, wenn wir uns vergewissern wollen, ob ein Code funktioniert.

Das machen Jaschar und ich bei unserer Funktion jetzt auch und sie spuckt auch etwas aus.

Zunächst allerdings eine Fehlermeldung.

Da fehlt irgendwo eine Klammer oder auch ein Einschub.

Jaschar lässt mich machen und drängelt nicht.

Bis ich den Fehlerherd gefunden habe, vergehen einige Minuten.

Aber es ist bisher irgendwie auch keine Hexerei und macht noch immer Spaß.

Vor allem auch, weil die Programmentwickler scheinbar viel übrig haben für schöne Namen: Digital Ocean (im Grunde das Gegenteil eines Meeres, nämlich eine Cloud für Unternehmen und Teams.) Oder BeautifulSoup – eine Art digitale Bibliothek, über die wir Coder Daten aus HTML und XML-Dokumenten ziehen können.

Den Namen hat sich diese freie Programmbibliothek bei Alice im Wunderland geliehen. Die falsche Schildkröte singt das Schildkrötenlied, in dem die Beautiful Soup vorkommt.

„Sie ist zwar langsam, aber für den Anfang genau das richtige“, sagt David unser Dozent.

Und so kochen wir unser eigenes Süppchen damit, langsam wie Schildkröten.

Rasperry Pi ist auch so ein tolles Ding oder Easter Egg. Allein für solche Namen liebe ich das Programmieren.

Aber auch wenn ich Sprache sehr mag und gerne mit Worten arbeite, hilft mir das bei Python natürlich jetzt erst einmal nicht weiter.

Jaschar ist viel näher am Thema dran, das merke ich gleich.

Neben dem Journalismus spielt er ja in einer Band und erinnert mich daran, dass Mathematik und Musik einander sehr nah sind.

Er ist Schlagzeuger. Was genau zu seinen Händen passt, die so sensibel und doch kräftig wirken.

Seine Band macht so eine Art Brit-Pop, beeinflusst von Pulp, Blur und Damon Albarn, sagt er.

Und ich sage ihm, dass die ja wohl nicht wirklich aus seiner Zeit kommen, auch wenn Damon Albarn nach wie vor höchst aktiv und wirklich toll ist, wie ich finde.

„Ich fühle mich eher in den Neunzigern zu Hause“, flüstert Jaschar jetzt zurück und die Musik aus dieser Zeit ist ihm daher einfach näher, wie er mir erklärt.

Er mag aber auch David Bowie. Seine Stimme genauso wie seine Songs.

Die Siebziger und Achtziger sagen Jaschar musiktechnisch allgemein zu. Aber alles was neuer ist als Neunziger? Nö. Darauf steht er nicht so.

Dann erinnern wir uns plötzlich wieder daran, dass wir ja eigentlich zum Programmieren hier sind und nicht zum Plaudern. Das kommt zum Glück von ganz allein und ohne dass uns jemand darauf aufmerksam machen muss.

Aber es ist so eine Vertrautheit zwischen uns, dass wir am liebsten einfach weiterreden würden. Dabei liegt eine gute Generation zwischen ihm und mir.

Ich schaue ihn von der Seite an, bewundere sein markantes Profil und wundere mich.

Beautiful Soup

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