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Kapitel 5

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London - Frankfurt, Herbst 2012

« Was hättest du sonst gemacht, Sam? Ihm eine auf die Fresse gehauen? Einem Werwolf?»

Sam drängelte sich hinter einer Frau vorbei, die sich bemühte, Ihr Gepäck aus den oberen Ablagefächern zu holen. Dabei ächzte und stöhnte sie, weil sie zu klein war.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen“, bot er an. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und lächelte. „Vielen Dank.“ Sie rutschte zurück auf ihren Platz. „Es ist die braune Tasche, die schon fast draußen hängt. Ja ... genau die da“, sagte sie, als er sie an einem Henkel hinauszog. Er gab sie der Frau, wandte sich ab und suchte Alexas roten Lockenkopf. Sie starrte aus dem Fenster, an ihrem Sitznachbarn vorbei, die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, ihre Schultern waren angespannt. Sam hockte sich in den Gang, berührte ihren Arm. „Hey.“ Ihr Kopf wirbelte zu ihm. Noch immer klebte das weiße, riesige Pflaster über ihrer Nase, und die Hämatome an ihren Augen schillerten blau.

„Tut es noch weh?“, flüsterte er besorgt.

„Ja, es pocht, und jedes Mal, wenn ich blinzle, fühlt es sich an, als würde jemand eine kleine Nadel durch meine Stirn jagen.“ Sie seufzte, sah müde aus.

„Was war das für eine Sache mit Adam? Habe ich irgendwas nicht mitgekriegt?“ Sam stand auf, weil jemand an ihm vorbei wollte. Als er sich wieder hinhockte, lächelte Alexa gequält. „Du willst mich jetzt nicht ehrlich über mein Liebesleben ausfragen, Sam?“

Er grinste schief, schüttelte den Kopf. „Naja, weißt du … ehm…“, stotterte er. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sie ihn durchschauen würde, nun war er aber trotzdem nicht darauf vorbereitet.

„Wenn du meinst, ich hätte mit ihm geschlafen, weil ich dich vergessen will, nimmst du dich wichtiger als du bist.“ Alexa war eben zu schlau. Sie stupste ihn gegen die Schulter. Er räusperte sich. „Nee, das hätte ich nicht … im Leben nicht … okay, du hast recht. Ja, das habe ich geglaubt.“ Sie lachten. Eigentlich so wie früher, nur dass sie nicht mehr einander gehörten. Sam seufzte. „Ich bin für dich da, Alexa. Wenn du mich brauchst, höre ich dir zu.“

„Um nochmal darauf zurück zu kommen, was du vorher gesagt hast: Was hättest du sonst gemacht, Sam? Ihm eine auf die Fresse gehauen? Einem Werwolf?“ Das letzte Wort flüsterte sie ihm leise zu und kicherte. Sie hob ihre Hand, berührte seine Wange mit den Fingern, zog sie wieder zurück, holte tief Luft. „Das mit uns ist etwas anderes. Wenn da überhaupt ein uns existiert. Ich kann dir nur sagen, dass ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf bekomme, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.“ Traurig blickte sie auf ihre Hände. „Ich bin sauer auf ihn. Er hat einem unschuldigen Menschen weh getan, um an etwas heranzukommen, das er gegen mich austauschen konnte. Weißt du, Sam“, sie sah ihn an, und ihre Augen schwammen in Tränen, „das ist momentan nicht mal das Schlimmste. Ich fühle mich ausgenutzt. Ich glaube, er hat nur mit mir geschlafen, um sich zu beweisen, dass er noch immer schwul ist. Vielleicht hat er gehofft, dass er keinen hochkriegt oder so etwas. Dass es ganz fürchterlich sein würde.“ Sam zog die Augenbrauen hoch. Er spürte eine unbändige Wut auf Adam. Und sie war verknallt. Das spürte er.

Das war jedoch nicht alles. Es war mehr als das, da war einfach mehr.

„Du liebst ihn?“

„Ja, ich glaube, ich liebe ihn.“

Endlich war es raus. Mit offenem Mund starrte er seine Ex-Freundin von unten an. Alexa nickte ergeben.

„Entschuldigen Sie. Würden Sie bitte Platz machen? Wir servieren jetzt Kaffee und kalte Getränke.“ Sam hob den Kopf zu der Stewardess, die ihn freundlich anlächelte. Mist, er wollte noch so viel wissen. Wie konnte das sein? Nach wenigen Treffen, nach einem flüchtigen Intermezzo auf dem Flugzeugklo? Alexas Gefühle spielten ihr womöglich einen Streich. War sie nicht noch vor wenigen Tagen in der Gewalt eines Verrückten gewesen, der ihre Hand verätzt und ihr die Nase gebrochen hatte? Das konnten unmöglich echte Gefühle sein.

„Hören Sie, es wäre sehr nett, wenn Sie …“

„Jaaaaa. Ist ja schon gut.“ Sam erhob sich. „Wir reden gleich“, sagte er zu Alexa und ging zurück zu seinem Platz.

„Und? Was hat sie gesagt?“, fragte Anna, als er sich neben ihr auf den Sitz fallen ließ und sich gewohnheitsmäßig wieder anschnallte.

Sam seufzte, fuhr sich durch die stoppeligen Haare.

„Sie liebt ihn“, antwortete er ausdruckslos. Anna schloss die Augen, machte nur ein leises „Mhmmm“, und sah ihn weiter an.

„Wie kann das bitte sein? Wenn ich den in die Finger kriege, ist er dran, echt jetzt.“ Anna kicherte. Als sie seinen Blick sah, hüstelte sie verhalten.

„Tschuldigung. Die Vorstellung, wie du auf einen Werwolf losgehst …“

„Das hat Alexa auch gerade gesagt.“

Sie sahen sich an und lachten.

„Okay, jetzt mal im Ernst“, fing er wieder an, „wir sind ja hier nicht im Film oder einem Liebesroman. Vermutlich ist sie einfach sehr labil im Moment, was ich verstehen kann. Trotzdem hätte der Wichser eine Abreibung verdient.“ Sam ballte die Fäuste. Anna legte ihre Hände darüber.

„Ich kann dir bestätigen, dass Werwölfe eine unglaubliche Anziehungskraft auf Menschen ausüben. Vielleicht nicht auf jeden, aber wie du schon richtig erkannt hast, ist Alexa sehr labil im Moment. Dennoch sind ihre Gefühle echt. Und vermutlich seine auch.“

„Kaffee, Tee?“ Der Servierwagen rollte an ihnen vorüber. Sam sah auffordernd zu Anna, die den Kopf schüttelte.

„Nein, danke.“ Als die Stewardess an ihnen vorbei war, führte Sam das Gespräch fort. „Liebe? Aber Adam ist schwul. Er hat sie sicher nur ausgenutzt. Seinen Trieben nachgegeben.“

„Nee, Sam. So ist das nicht. Wenn es so wäre, hätte er sich einfach einen Mann gesucht. Wie schon gesagt, sind Werwölfe anders als Gestaltwandler. In ihnen tobt der Wolf immerwährend.

Sie brauchen menschliches Blut, sie brauchen menschliches Fleisch. Sie sind eigentlich böse. Nur Adam nicht. Er befindet sich im Zwiespalt. Ich habe ein solches Wesen wie ihn zuvor auch noch nie kennengelernt.“ Sam war verwirrt.

„Was genau meinst du damit? Ich verstehe dich nicht.“

„Erinnerst du dich an den Moment, als er Alexa auf dem Arm trug und du auf sie zukamst?“

Sam schnaubte. Ob er sich erinnerte? Er hatte Angst um sein Leben gehabt. Außerdem war das nicht lange her. Wie sollte er das vergessen können?

„Nun. Normalerweise markieren Werwölfe keine Menschen. Für sie sind sie ihr Futter. Was Adam gemacht hat, war, seine Gefährtin zu beschützen. Vor dir.“

Kuss der Wölfin - Die Begegnung (Band 3)

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