Читать книгу Stachel der Erinnerung - Kat Martin - Страница 7

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Du lieber Gott, ich komme zu spät. Jessie hörte die große Standuhr in dem mit Wandteppichen ausgeschmückten Raum die Viertelstunde schlagen, gerade als sie vor der mächtigen Mahagonitür stand.

Samuel Osgood, der Butler, trat neben sie. »Guten Abend, Miss Jessica.«

Sie hielt einen Augenblick inne und nahm sich Zeit, sich zu fangen. »Guten Abend, Ozzie.« Ihre Hände zitterten ein wenig. Sie strich damit über die blaue Seide ihres Kleides und hoffte, der Mut würde sie nicht verlassen.

»Wenn ich das sagen darf, Miss, Ihr seht bezaubernd aus in dem Kleid.«

Der liebe gute Ozzie. Sie lächelte ihn dankbar an. »Danke, Ozzie.« Sie straffte sich, holte noch einmal tief Luft und bedeutete dann dem stattlichen Butler, die Tür zum Salon zu öffnen.

Ohne ein Geräusch schwang die schwere Tür auf, und Jessie ließ die Schönheit des Raumes auf sich wirken. Das Licht der Kerzen in den großen Leuchtern flackerte über dem mit dicken Teppichen belegten Fußboden. Mit den bemalten Decken und den mit Intarsienarbeiten verzierten Ebenholzmöbeln wirkte der Raum beruhigend auf sie. Sie war dankbar für dieses Gefühl.

Jessie zwang sich zu einem Lächeln, als sie das Zimmer betrat und zu dem Kamin aus dunkelbraunem Marmor ging, der sich an der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Ein kleines Feuer brannte darin, und Jessie sah, daß der Marquis schon auf sie wartete.

Sie entdeckte aus den Augenwinkeln den Kapitän, Graf Strickland, wagte es jedoch nicht, ihn anzusehen. Statt dessen lief sie direkt auf seinen Vater zu, der sie liebevoll anlächelte, ihre Hände in die seinen nahm, sich vorbeugte und ihr einen Kuß auf die Wange gab.

»Guten Abend, meine Liebe.«

»Guten Abend, Papa Reggie. Es tut mir leid, daß ich zu spät komme.«

Die blonden Augenbrauen des Kapitäns zuckten hoch, als er hörte, wie sie seinen Vater anredete. Offensichtlich gefiel ihm das ganz und gar nicht.

»Matthew, ich möchte dir mein Mündel vorstellen, Jessica Fox. Jessica, das ist mein Sohn Matthew.«

Seine Blicke brannten auf ihrer Haut, als er in ihr Gesicht sah und dann seine Augen über ihren Körper wandern ließ.

»Mistress Fox.« Sein Mund war spöttisch verzogen. Er nahm ihre behandschuhte Hand in seine und beugte sich förmlich darüber, als sie sich von ihrer anmutigen Verbeugung erhob. Er trug seine dunkelblaue Uniform, die goldenen Knöpfe glänzten, die Epauletten auf seinen Schultern ließen diese noch breiter aussehen. Die enge weiße Hose schmiegte sich an seine langen, muskulösen Schenkel. Im Licht der Kerzen schimmerte sein Haar so golden wie die Flammen.

Jetzt sah er wieder in ihr Gesicht. »Ihr seht sehr hübsch aus heute abend. Ich bin froh, festzustellen, daß Ihr keine ... gesundheitlichen Schäden ... wegen Eures heutigen Unglücks erlitten habt.«

Sie weigerte sich, den Köder anzunehmen. Nur eine zarte verlegene Röte überhauchte ihr Gesicht. »Ich habe mich recht gut erholt, vielen Dank.« Sie entzog ihm ihre Hand, entschlossen, sich von ihm nicht provozieren zu lassen. »Ich fürchte, ich bin keine sehr gute Reiterin. Ich hätte vorsichtiger sein sollen, doch ich hatte Papa Reggie versprochen, pünktlich zu sein.«

Der Marquis runzelte die Stirn. »Was für ein Unglück ist dir denn zugestoßen?« Er sah seinen Sohn an. »Ich hatte keine Ahnung, daß ihr beiden einander schon begegnet seid.«

»Es war nicht der Rede wert, Papa Reggie. Ein kleiner Reitunfall. Glücklicherweise war Seine Lordschaft dort und konnte mir seine Hilfe anbieten.«

Sie warf dem Grafen einen bittenden Blick zu. Der Marquis wäre entsetzt, wenn er herausfinden würde, auf welche Art sie seinen Sohn begrüßt hatte. »Es geht mir wunderbar, wie Ihr wohl seht. Ihr braucht Euch keine Sorgen um mich zu machen.« Sie wußte, der Kapitän war weit davon entfernt. Ihm würde es vermutlich am besten gefallen, wenn sie sich den Hals brechen würde.

Sie wartete auf die Worte, mit denen er sie bloßstellen würde, mit denen er sie als dieselbe unerzogene Göre hinstellen würde, die er schon früher gekannt hatte. Doch er hob nur sein Weinglas und prostete ihr zynisch zu. »Auf Eure Gesundheit, Mistress Fox.« Er verzog leicht den Mund, dann nippte er an seinem Rotwein.

Jessie wartete angespannt auf seine nächste Attacke, doch er schwieg. Sie unterhielten sich nun über Nebensächlichkeiten, über die Veränderung des Wetters, die Reise des Kapitäns von Portsmouth. Auch wenn er sie weiterhin beobachtete, so gehörte doch seine ganze Aufmerksamkeit seinem Vater. Vielleicht würde er doch nicht die ganze Zeit über versuchen, sie in eine Falle zu locken. Eventuell hatte ihm ja ihr Anblick in dem seidenen Kleid und ihr Benehmen als vollendete Lady die Sprache verschlagen. Was auch immer der Grund dafür war, sie war dankbar für den Aufschub, für die Möglichkeit, sich gegen ihn wappnen zu können.

Er würde sie ganz sicher nicht in Ruhe lassen, dessen war sie sicher. Doch zumindest wahrte er die Höflichkeit. Er glaubte noch immer, daß ihr nichts an seinem Vater lag, daß sie ihn nur für ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele benutzte. Sie wußte es, weil er in seinen Briefen davon geschrieben hatte. Sie hätte diese Briefe nicht lesen dürfen. Der Marquis wäre schrecklich wütend, wenn er es wüßte. Aber ihre Neugier hatte über ihre Erziehung gesiegt.

Sie gab ehrlich zu, daß die Vermutungen des Kapitäns am Anfang der ganzen Geschichte sogar richtig gewesen waren. Sie hatte wochenlang gegrübelt, wie sie die Aufmerksamkeit des alten Herrn erregen könnte. Nachdem ihre Mutter gestorben war, war sie auf sich allein gestellt gewesen. Außer Viola und ihrem gelegentlich unerwünscht anwesenden Halbbruder Danny hatte sich niemand um sie gekümmert. Nach dem Angriff des Betrunkenen in dem Schankraum war sie schließlich gezwungen gewesen, das Gasthaus zu verlassen und sich einen Ort zu suchen, an dem sie unbehelligt leben konnte.

Sie hatte den Marquis um Hilfe gebeten, weil er immer so nett zu ihr gewesen war. Wenn er ins Dorf kam, hatte er stets eine Münze oder zwei für sie übrig gehabt, als hätte es schon damals ein Band zwischen ihnen gegeben. Von Anfang an hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, und jetzt liebte sie ihn wie den Vater, den sie nie gehabt hatte.

Aber davon verstand der Graf überhaupt nichts. Er sah nichts als ihr Mißgeschick, ihre Lügen, ihre Diebereien und Betrügereien. Er glaubte nur das Schlimmste von ihr, und er wollte zeigen, daß er recht hatte.

Und Jessie war genauso entschlossen, das Gegenteil zu beweisen.

Er machte eine großartige Schau daraus, ihr den Arm zu bieten, und ein beunruhigendes Glitzern erschien in seinem Blick, als sie dem Anstand folgte. Sie fühlte die rauhe Wolle seiner Uniformjacke, die Wärme seines Körpers, und ein unerwartet wohliges Gefühl durchrieselte sie.

Auch wenn sie sehr nervös war, so überkam sie doch ein Anflug von Belustigung. Was würde dieser hochgewachsene, attraktive Kapitän zur See sagen, wenn er wüßte, daß ihr Grund, ihn bei jeder Gelegenheit zu ärgern, nur der war, seine Aufmerksamkeit zu erringen?

Was würde Graf Strickland sagen, wenn er wüßte, daß sie ihn schon immer angebetet hatte?

Das Abendessen war endlich zu Ende. Papa Reggie hatte eine große Anzahl köstlicher Gerichte bestellt – Fasan mit Austernfüllung, Kalbsmilch, geröstete Ente, Steinbutt in Hummersauce, verschiedene Gemüse und Salate und eine riesige Süßspeise in Form eines Ankers als Nachtisch.

Während des gesamten Mahls unterhielten sie sich angeregt miteinander. Sie sprachen von der englischen Blockade, die Napoleon und die französische Flotte davon abhalten sollte, sich für eine Invasion der britischen Insel zu sammeln, eine der größten Ängste des Landes.

Das Schiff des Kapitäns, die Norwich, lag vor Brest und der Bucht von Biscaya, sie unterstand dem Kommando des Admirals Cornwallis.

»Wir waren wenigstens nicht so weit von zu Hause weg wie Nelson und die Schiffe, die im Mittelmeer stationiert waren«, erzählte der Kapitän. »Wir konnten alle drei Monate neue Verpflegung aufnehmen, ohne große Probleme. Aber trotzdem war nach zwei Jahren auf See, ohne Landurlaub, die Moral auf dem Schiff ziemlich gesunken.«

Jessie setzte sich steil auf. »Ihr meint, Ihr habt diese armen Männer nicht einmal von dem Schiff gelassen?«

Der Kapitän sah sie an, sein Blick war kühl. »Seid Ihr damit nicht einverstanden, Mistress Fox?«

Ihre Finger schlossen sich fester um den Kelch aus Kristall, den sie gerade an ihre Lippen führen wollte. »Nicht einverstanden ist noch milde ausgedrückt. Gütiger Gott, das ist regelrecht unanständig. Was geschieht mit den Familien dieser Männer? Die meisten sind in den Dienst der Marine gezwungen worden. Sie wurden gegen ihren Willen an Bord dieser Schiffe gebracht – und dann hat man ihnen noch nicht einmal erlaubt, an Land zu gehen?«

»Etwas weniger als die Hälfte der Mannschaft war das Ergebnis von Aushebungsmannschaften. Die meisten haben sich rekrutieren lassen, und einige waren Quotenmänner – sie wurden auf das Schiff geschickt als Strafe für Verbrechen, die sie begangen hatten. Ich persönlich bin der Meinung, daß die Männer unter meinem Kommando loyal genug gewesen wären, um wieder zurückzukommen, wenn ihr Landurlaub beendet gewesen wäre. Sie hatten sich in ihre Lage ergeben und waren gewillt, das Beste daraus zu machen. Doch leider war Admiral. Cornwallis da anderer Meinung.« Er sah sie mit diesen bezwingenden mitternachtsblauen Augen an. »Darf ich Euch daran erinnern, Miss Fox, daß auch ich in den letzten beiden Jahren an Bord geblieben bin?«

Jessie biß sich auf die Unterlippe. Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Sie bezweifelte keinen Augenblick, daß Matthew Seaton ein fairer und fähiger Kapitän war. Er war der Sohn des Marquis von Belmore, ein Mann mit dem gleichen edlen Blut wie sein Vater.

»Es tut mir leid, Graf. Ich weiß, Ihr habt nur Eure Pflicht erfüllt. Jemand muß auf England aufpassen, ganz gleich, welche persönlichen Entbehrungen dafür ertragen werden müssen. Doch zwei Jahre erscheinen mir so lange. Es muß mühselig gewesen sein für Euch.«

Seine Blicke ließen sie nicht los. Er versuchte zu erkunden, ob ihre Worte ernst gemeint waren. »In gewisser Weise war es schwierig. Manchmal war das Warten zermürbend. Und wenn die Verpflegungsrationen knapper wurden, kauten wir Kekse voller Würmer, aßen Fleisch mit Maden und tranken Wasser, das so braun war wie Baumrinde. Aber mit fünfhundert Männern unter meinem Kommando gab es immer eine Menge Arbeit – es war gewiß niemals langweilig. Und dann ist da ja auch noch das Meer, endlos weit und voller Schönheit und Herausforderungen.« Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. »Beinahe so wie eine verführerische Frau – genauso gefährlich.«

Sie ignorierte die Anspielung, die wohl an sie gerichtet war. »Ich würde auch gern einmal über das Meer segeln. Ich möchte das Stampfen des Schiffes unter meinen Füßen fühlen und den frischen, kühlen Wind in meinem Gesicht. Als Kind habe ich mir oft gewünscht, ich wäre ein Junge, denn dann wäre ich von zu Hause weggelaufen und zur See gegangen. Ich hätte mich als blinder Passagier versteckt oder als Kabinenjunge verdingt.« Sie warf ihm einen spitzbübischen Blick zu. »Vielleicht hätte ich dann eines Tages sogar unter Euch Dienst getan, Kapitän.«

Sein leichtes Lächeln wandelte sich in offene Belustigung. »Das Leben ist höchst unvorhersehbar, Miss Fox. Man weiß nie, wie sich die Dinge entwickeln werden.«

Heiße Röte stieg ihr ins Gesicht. Sicher hatte sie sich den Unterton in seiner Stimme nur eingebildet. Sie blickte zum Marquis und stellte fest, daß er die Stirn gerunzelt hatte.

»Na ja, auf jeden Fall bin ich froh, daß du als Mädchen geboren wurdest, meine Liebe.« Der Marquis lächelte sie an, tätschelte ihre Hand und drückte sie leicht. »Jungen machen wesentlich mehr Schwierigkeiten, und sie sind bei weitem nicht so unterhaltsam.«

Als sie den Grafen wieder ansah, stellte Jessie fest, daß er jetzt derjenige war, der die Stirn runzelte.

Matthew streckte sich in dem gepolsterten Sessel aus, während sein Vater ihm ein Glas Brandy eingoß. Er dachte an Jessie Fox – oder vielmehr an die Frau, zu der Jessie Fox erblüht war. Er war nicht überrascht gewesen, daß sie sich verspätete, obwohl sein Vater darüber ernstlich verstimmt gewesen war.

»Ich denke, das ist das Vorrecht einer Frau«, hatte Matt ihn besänftigt, obwohl er verdammt gut wußte, warum das Mädchen sich verspätet hatte. Und dann war sie ins Zimmer getreten. Sie war in einem Hauch von blauer und silberner Seide an ihm vorübergeschwebt zum Kamin, wo der Marquis auf sie gewartet hatte. Nicht einen einzigen Blick hatte sie ihm geschenkt, sie war geradewegs zu seinem Vater gegangen.

Erstaunlicherweise war Matt ihr dafür dankbar gewesen.

Von dem Augenblick an, als das Mädchen den Raum betreten hatte, hatte es ihm die Sprache verschlagen. Er hatte sie nur angestarrt, unfähig, seine Blicke von ihr loszureißen, von dieser Frau mit dem goldenen Haar und den erstaunlich klaren blauen Augen, einige Töne heller als die seinen. Vorher, als sie verdattert und schmutzbesprenkelt in der Pfütze gehockt hatte, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sie genauer zu betrachten. Heute abend allerdings stellte er fest, daß sie einige Zentimeter größer war als das schmächtige, aufsässige Mädchen, an das er sich erinnerte. Ihre jugendliche Unbeholfenheit war einer Anmut und Schönheit gewichen, die er nur bei sehr wenigen Frauen gesehen hatte.

Ein langer schlanker Hals erhob sich über glatten, blassen Schultern, ihr üppiges Haar besaß einen herrlichen, seidigen Goldton. Ihre Brüste füllten prall das Mieder eines eleganten Kleides, das genau die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen. Ihm war die Anspannung in der Haltung ihrer Schultern nicht entgangen, doch nichts davon zeigte sich in den ebenmäßigen Linien ihres Gesichtes. Er hätte die fünfzehn Jahre, die er jetzt in der Marine diente, dafür gegeben, zu wissen, was sie dachte. Doch Jessie Fox verstand es genauso gut, ihre Gedanken zu verbergen, wie er.

Als sein Vater neben ihn trat, kehrte er mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Der alte Herr reichte ihm das Glas mit Brandy, dann lehnte er sich gegen die Wand und stützte einen Ellbogen auf den Kaminsims. Heute abend sah er gesünder aus, seine Wangen hatten mehr Farbe, und er schien energiegeladener zu sein.

»Nun, mein Junge, was hältst du von ihr?«

Matt lächelte dünn. »Du sprichst von ihr, als sei sie ein hochgezüchtetes Pferd. Das Mädchen ist bezaubernd, wenn es das ist, was du wissen willst.«

»Ich habe dich gefragt, was du von ihr hältst. Sie hat dir gefallen, darauf würde ich wetten. Wie könnte sie dir nicht gefallen? Das Mädchen strahlt eine solche Lebenslust und Wärme aus. Wenn sie lächelt, dann ist es, als würde die Sonne aufgehen.«

Matthew runzelte die Stirn, als er das Leuchten in den Augen seines Vaters bemerkte, das immer dann erschien, wenn er von Jessica Fox sprach. Ein häßlicher Gedanke tauchte in ihm auf.

Er schwenkte den Brandy in seinem Glas, dann blickte er zu seinem Vater auf. »Vor ein paar Jahren, als du mir zum ersten Mal von dem Mädchen erzählt hast, habe ich geglaubt, du würdest sie dazu ausbilden, deine Geliebte zu werden. Damals hast du mir versichert, das sei nicht so. Hat sich deine Beziehung zu Jessica verändert? Jetzt, wo ich sie gesehen habe, könnte ich gut verstehen ...«

Die Hand des Marquis schlug hart auf den Kaminsims. Wie ein Donnerschlag klatschte seine Handfläche auf den Marmor. »Jessica ist für mich wie die Tochter, die ich nie gehabt habe. Sie ist freundlich und liebevoll, süß und tugendsam, und meine Gedanken für sie waren niemals andere als die eines Vaters für sein Kind.«

Matthew senkte den Kopf. »Es tut mir leid, Vater. Ich wollte weder dich noch das Mädchen beleidigen.« Es war eigenartig, daß bei den Worten seines Vaters Erleichterung in ihm aufstieg. Und gleichzeitig mischte sich diese mit der Vorstellung, daß dieses Mädchen bestimmt eine herrliche Geliebte sein würde.

»Ich bin ein alter Mann, Matthew. Ich habe mich in letzter Zeit nicht sehr wohl gefühlt. Du und Jessica, ihr seid alles, was ich auf dieser Welt noch habe. Ihr beide bedeutet alles für mich. Ihr seid die Zukunft von Belmore, mein Grund, am Leben zu bleiben.«

Matthew stand auf. »Mir ist klar, daß du mit mir rechnest, Vater. Ich habe bereits über meine Entlassung aus dem Militärdienst sowohl mit Cornwallis als auch mit Admiral Nelson gesprochen. Leider sind sie der Meinung, wie auch ich, daß eine entscheidende Konfrontation zwischen Frankreich und England auf See stattfinden wird. Und solange diese Schlacht nicht stattgefunden hat – solange England nicht sicher ist vor einer Invasion, ist mein Platz an Bord der Norwich.Bis zu dem Zeitpunkt kann ich mein Offizierspatent nicht mit reinem Gewissen aufgeben.«

»Ich verstehe, daß deine Treue sehr tief geht, Matthew, und ich bin darüber auch sehr stolz. Allerdings ist der Posten eines Kapitäns auf einem Schiff inmitten einer Seeschlacht ein äußerst gefährlicher Ort. Du bist mein einziger noch verbliebener Erbe. Ich kann es mir nicht leisten, dich zu verlieren – Pflicht hin oder her.«

»Du weißt, wie ich darüber denke, Vater. Wir haben schon mehrmals über dieses Thema gesprochen.«

Der ältere Mann seufzte. »Ja ... nun ja, wie es auch sei, im Augenblick ist das nicht das Thema, über das ich mit dir sprechen möchte. Das Thema, das mir am Herzen liegt, betrifft mein Mündel. Es ist auch der Grund, warum ich ihr erlaubt habe, sich mit angeblichen Kopfschmerzen, die sie sicher nicht hatte, in ihr Zimmer zurückzuziehen, obwohl der Abend noch jung ist.«

Der Marquis bedeutete Matt, sich wieder zu setzen. Er ließ sich ihm gegenüber in einen bequemen Sessel fallen. Dann beugte er sich vor und holte eine Zigarre aus einer Rosenholzschachtel, die auf einem kleinen Tisch zwischen ihnen stand.

»Möchtest du dich auch bedienen?« fragte er und deutete auf die Schachtel, doch Matt schüttelte den Kopf und nippte statt dessen an seinem Brandy.

Sein Vater hielt die Zigarre unter seine gerade, aristokratische Nase, die der von Matthew so ähnlich war, und atmete tief den Duft des teuren Tabaks ein. »Wie ich schon sagte, verstehe ich sehr gut, daß du Verpflichtungen zu erfüllen hast, ehe du nach Belmore zurückkehren kannst. Aber Tatsache ist, nachdem Richard nicht mehr lebt, hast du außer deinen Pflichten England gegenüber auch noch andere Verpflichtungen, die genauso wichtig sind und die du bedenken solltest.« Der Marquis schnitt das Ende der Zigarre mit einer silbernen Zange ab. Matt hielt einen Fidibus in das Kaminfeuer, dann zündete er seinem Vater die Zigarre an.

»Das Herrenhaus von Seaton gehört bereits dir«, sprach der Marquis weiter und paffte eine kleine Rauchwolke in die Luft. »Belmore mit all seinen Ländereien wird ebenfalls bald dir gehören.«

»Sag so etwas nicht, Vater. Du wirst noch jahrelang die Geschäfte führen. Es ist nicht nötig ...«

»Hör mir zu, mein Sohn. Ich bin ein alter Mann, ich habe meine Gebrechen, und ich bin müde. Ich würde dir schon morgen die Zügel von Belmore übergeben, wenn du zu Hause wärst und bereit, meine Geschäfte zu übernehmen. Die Verantwortung liegt schwer auf meinen Schultern. Für diese alten Schultern wird sie langsam zu schwer – ich bitte dich um deine Hilfe, Sohn.«

»Aber natürlich, Vater. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.«

Der alte Mann lehnte sich in seinen Sessel zurück und zog genüßlich an seiner Zigarre. Einige Kerzen auf dem Tisch warfen ihren Schein auf sein silbernes Haar.

»Wie ich schon sagte, du und Jessica, ihr seid die Zukunft von Belmore. Ganz einfach ausgedrückt – ich möchte, daß ihr beiden heiratet.«

»Was?« Matthew sprang auf. »Vater, das ist doch absurd.«

»Ist es nicht. Du hast das Mädchen heute abend gesehen. Es gibt kein weibliches Wesen auf dieser Welt, das bezaubernder ist als sie. Sie ist intelligent und charmant. Und sie liebt Belmore Hall genausosehr wie du.«

Matt biß fest die Zähne zusammen und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Vater, ich kann ganz unmöglich dein Mündel ehelichen. Ich bin doch fast verlobt. Lady Caroline und ich sind uns einig. Wir kennen einander seit unserer Kinderzeit, und es steht schon sehr lange fest, daß wir beide heiraten werden.«

»Ja ... seit der Zeit, als ich dich zu meinem Erben eingesetzt habe. Wäre der Titel nicht an dich gegangen, hätte sie dich wahrscheinlich gar nicht genommen.«

Matt antwortete ihm nicht darauf. Mit seiner Behauptung hatte sein Vater leider nicht ganz unrecht.

»Warum bist du so entschlossen, Lady Caroline zu heiraten?« fragte er jetzt.

»Jeder Mann würde sie heiraten wollen. Caroline Winston hat alles, was ein Mann sich an einer Frau nur wünschen kann – sie kommt aus einer guten Familie, sie hat Geld und ist von hoher Herkunft. Sie ist wohlerzogen, und sie ist außergewöhnlich attraktiv. Unsere Wesen gleichen einander, und ihr Vater wird sie mit einer Mitgift ausstatten, die ein kleines Vermögen ist – einschließlich des Gutes, das gleich neben Belmore liegt. Die ganze Angelegenheit ist so gut wie beschlossen.«

»Aber sie ist nicht endgültig. Du hast noch nicht um sie angehalten, und ich bitte dich jetzt, statt dessen Jessica zu heiraten.«

Ärger stieg in Matt auf. »Warum, um Himmels willen? Jessie Fox und ich, wir kennen einander gar nicht.«

»Ich habe dir meine Gründe genannt. Weil ich ein sehr alter Mann bin. Ich bin für Jessicas Wohlergehen verantwortlich. Ich mache mir Sorgen um ihre Zukunft, genauso wie ich mich um die deine sorge, und ich möchte, daß sie gut versorgt ist. Mit dir als ihrem Ehemann kann ich sicher sein, daß es ihr gutgehen wird.«

Matthew schüttelte den Kopf, er konnte nicht glauben, was sein Vater da von ihm verlangte, und er bemühte sich sehr, ruhig zu bleiben. »Lady Caroline wird schon sehr bald nach Winston House reisen. Ich habe vor, sie zu besuchen, sobald sie dort ist. Und wenn ich meine Entlassung erst eingereicht habe und sie angenommen worden ist, habe ich die Absicht, um ihre Hand anzuhalten.«

Sein Vater sah ihn mit ernstem Blick an. »Wenn du dieses Mädchen lieben würdest, könnte ich verstehen, daß du zögerst, Jessica zu heiraten. Aber du liebst Caroline nicht. Du erwähnst ihren Namen nur sehr selten.«

»Liebe ist das letzte, was ich für meine Frau empfinden möchte. Du hast meine Mutter geliebt, und als sie gestorben ist, hat es dich fast umgebracht. Du hast die letzten zwanzig Jahre um sie getrauert. Wie ich schon sagte, Caroline und ich passen sehr gut zusammen. Das ist mehr als genug.«

Einen Augenblick lang schwieg sein Vater, er zog nur bedächtig an seiner Zigarre. »Ich glaube, daß du und Jessica auch sehr gut zueinander passen werdet.«

Matthew verlor die Geduld. »Das ist verrückt! Das Mädchen ist nichts als eine Göre. Seit dem ersten Tag, als wir einander begegnet sind, haben wir uns ständig gestritten.« Er lächelte zufrieden. »Das letzte Mal, als sie mir einen ihrer Streiche gespielt hat, habe ich deine liebe kleine Jessica übers Knie gelegt. Ich habe ihr den Po versohlt, so wie sie es verdient hatte, und wenn sie nicht vorsichtig ist, könnte sich das wiederholen.«

Sein Vater lachte leise. »Ich gestehe, sie ist manchmal schwer zu bändigen. Jessica hat ihren eigenen Willen, und sie hat auch die Neigung, sich oft in Schwierigkeiten zu bringen. Sie braucht einen Mann, der mit ihr fertig werden kann, ein Mann, der keine Angst davor hat, es mit ihr aufzunehmen. Einen solchen Mann wird sie respektieren, und sie wird ihm eine sehr gute Frau sein.«

Der Zorn, den Matt fühlte, war so groß, daß es ihm schwerfiel, die nächsten Worte auszusprechen. »Sie hat dir das eingeredet, nicht wahr? Sie hat Angst, daß ich sie rauswerfen könnte, wenn du einmal nicht mehr da bist. Nun, ich werde dir etwas sagen, Vater – dieses hinterhältige kleine Biest hat dich vielleicht eingewickelt, aber mir macht sie nichts vor. Sie ist schon die ganze Zeit nur hinter deinem Geld her. Und jetzt greift sie auch noch nach dem Titel von Belmore. Du willst, daß ich Jessie Fox heirate? Den Teufel werde ich tun – sie ist die Tochter einer Dirne!«

Alle Farbe wich aus dem Gesicht des alten Mannes. Matt verfluchte sich dafür, die Beherrschung verloren zu haben. Aus den Augenwinkeln entdeckte er einen Hauch blauer Seide durch den Türspalt, als sei jemand hastig davongelaufen.

Gütiger Himmel – die kleine Hexe hatte gelauscht! Matt betrachtete das angespannte Gesicht seines Vaters und die Art, wie seine Hände die Lehne des Sessels umklammerten. Schon jetzt bedauerte er seine Worte.

»Du irrst dich in Jessica«, erklärte sein Vater mit ruhiger Würde, als er sich wieder gefaßt hatte. »Sie hat keine Ahnung von alldem. Es ist ganz einfach meine Überzeugung: Wenn ihr heiratet, werdet ihr beide mit Freude die Früchte dieser Vereinigung ernten.«

Matthew fuhr sich mit der Hand durchs Haar, eine Locke fiel ihm in die Stirn. »Es tut mir leid, Vater, ich hätte nicht so aufbrausen dürfen.« So etwas geschah ihm höchst selten, eigentlich nie.

»Vielleicht hätte ich abwarten sollen, hätte euch beiden die Möglichkeit geben sollen, einander besser kennenzulernen. Ich habe es nicht getan, weil ich nicht viel Zeit habe. Und weil du dich Lady Caroline zugewendet hast.«

»Ich verstehe«, antwortete Matt. Jetzt hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er sank auf seinen Sessel zurück. »Wie ich schon sagte, ich entschuldige mich für mein aufbrausendes Temperament.« Dennoch war er davon überzeugt, daß Jessie seinen Vater dazu überredet hatte. So, wie sie ihn ständig manipulierte.

»Ich habe dich nur selten um etwas gebeten, Matthew. Doch jetzt bitte ich dich ganz einfach nur, deine Vorurteile beiseite zu schieben und Jessica so zu sehen, wie ich es tue. Verbringe ein wenig Zeit mit ihr. Wenn dein Urlaub vorüber ist und du sie immer noch nicht heiraten willst, werde ich dich nicht weiter drängen.«

Matthew zögerte nur einen Augenblick, dann senkte er den Kopf und nickte zustimmend. Sein Vater war krank, er wollte ihn nicht unnötig aufregen. Sicher könnte er dieses Mädchen für ein paar Wochen ertragen.

»Wie du wünschst, Vater.« Nach allem, was sie mit angehört hatte, fragte sich Matt, ob Jessie bereit war, ihn zu ertragen.

Die Morgendämmerung brach grau und trübe an, genauso grau und trübe wie Jessies Stimmung. Ihre Glieder waren schwer, sie fühlte sich steif und schwerfällig nach einer ruhelosen Nacht. Hinter ihren Schläfen pochte ein leichter Schmerz. Sie hatte nur wenige Stunden geschlafen. Die Worte des Kapitäns hatten sie verletzt und zornig gemacht. Dennoch hatte sie schon zuvor genau gewußt, was er dachte.

Sie hätte nicht lauschen dürfen. Sie hätte nach oben gehen sollen, wie sie es vorgehabt hatte. Doch sie hatte gewußt, daß Papa Reggie etwas Schwerwiegendes auf dem Herzen gehabt hatte, und sie war entschlossen gewesen, herauszufinden, was es war.

Lieber Gott – eine Ehe mit seinem Sohn, dem zukünftigen Grafen von Belmore! Es war lächerlich und wirklich äußerst absurd.

Trotzdem hatte ihr Herz zu rasen begonnen, in dem Augenblick, als sie diese Worte aus seinem Mund gehört hatte. Er war der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte, das Bild eines strahlenden Helden in einer marineblauen Uniform. Als die Mädchen in der Akademie von Mrs. Seymour über ihre Traummänner gesprochen hatten, hatte sie sich dabei Matthew Seaton vorgestellt, sie hatte sogar überlegt, wie es wohl sein würde, wenn er sie küßte.

Sie hatte gewußt, daß es albern von ihr war, es waren die Träume eines dummen kleinen Mädchens, doch wenn sie an ihn dachte, erwachte in ihrem Inneren eine zarte Sehnsucht. Als sie dann erfuhr, daß er endlich nach Hause kommen sollte, hatte sie nicht vermeiden können, daß ihre Hoffnungen in den Himmel schossen. Immerhin hatte sie die letzten Jahre ausschließlich damit verbracht, beinahe jeden Tag bis zur frühen Morgendämmerung zu lernen. Sie hatte sich in der Schreibkunst geübt, bis ihre Finger schmerzten und sich an ihrem Mittelfinger Blasen bildeten. Sie hatte ihre Lektionen in Französisch wiederholt, bis ihr Kopf schwirrte und die Stimme versagte – und all das würde sich jetzt endlich auszahlen, obwohl es das ja eigentlich sowieso schon getan hatte.

Wenn sie daran dachte, wie verschieden sie von der wilden, schmutzigen kleinen Unruhestifterin war, die der Kapitän früher gekannt hatte, gab es diesen einen kurzen, süßen Augenblick, in dem sie sich erlaubte, an ihre kindischen Träume zu glauben.

Jetzt jedoch kannte sie die harte, bittere Wahrheit.

In der letzten Nacht hatte sie nur geweint. Die brutalen Worte hatten sie bis ins Innerste getroffen. Heute morgen aber war sie wieder gefaßt und wappnete sich gegen das, was auf sie zukommen würde. Sie war Gott von Herzen dankbar für die herrlichen Geschenke, die er ihr gemacht hatte. Sie wußte im Grunde, daß der Kapitän mit dem, was er gesagt hatte, recht hatte. Er war ein Aristokrat, ein Mitglied des Adels. Die Tochter einer Dirne war wohl kaum eine passende Heiratskandidatin für einen Grafen.

Und dennoch, selbst wenn sie hundert Jahre alt würde, seine grausamen Worte würde sie niemals vergessen.

Sie suchte in ihrem Schrank nach einem passenden Kleid und zog dann ein zitronengelbes Morgenkleid hervor, weil sie hoffte, die fröhliche Farbe würde auch ihre Laune aufhellen. Dann läutete sie nach der Kammerzofe, die ihr beim Anziehen helfen sollte. Sie würde Viola nicht aufwecken. Die ältere Frau brauchte ihren Schlaf. Außerdem wußte sie, daß es Vis klugem Blick nicht entgangen wäre, wie schlimm sie heute morgen aussah.

Die tränenreiche letzte Nacht genügte.

Heute war sie entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie war glücklich hier bei Papa Reggie, glücklicher als je zuvor in ihrem Leben. Sicher, es gab Zeiten, da fühlte sie sich einsam, manchmal sogar isoliert, als wäre sie als heranwachsende junge Frau in eine völlig andere Welt geboren worden als die, in der sie zuvor gelebt hatte.

Doch gab es auch Menschen, die von ihrer Tüchtigkeit abhängig waren, und sie war stolz darauf, wie weit sie es gebracht hatte. Sie hatte wichtigere Dinge zu tun, als einem Stutzer wie Strickland nachzutrauern.

Draußen war es gerade hell geworden, die ersten Strahlen der Sonne fielen ins Zimmer. Jessie nahm sich den Morning Chronicle von einem Tisch in der Eingangshalle. Die Zeitung war vom Vortag, weil sie erst mit der Postkutsche von London kam. Mit der Zeitung in der Hand ging Jessie in die Küche. Ein großer eiserner Topf stand auf dem Herd mit den acht Kochstellen, und der Duft frischer Weizenmehlkuchen aus dem Ofen stieg ihr in die Nase. Der köstliche Geruch erinnerte sie immer wieder daran, was für ein Glück sie hatte, ihren Magen füllen zu können. Nie mehr wachte sie jetzt hungrig auf, um einem weiteren bitteren Tag entgegenzusehen.

Jessie winkte der Köchin, Mrs. Tucker, zu und begrüßte auch Nan und Charlotte, ihre Helferinnen, die schon dabei waren, das Essen für den heutigen Tag vorzubereiten. Dann warf sie einen Blick in die Zeitung: Sie las die Überschriften, als sie zum Tisch hinüberging: Französisches Geschwader erreicht Westindien.Etwas kleiner gedruckt stand darunter: General Nugent erklärt, daß Jamaica nicht der Gefahr einer Invasion ausgesetzt ist.

Sie ließ sich auf eine der Bänke nieder. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den Berichten in der Zeitung.

»Ihr interessiert Euch wohl für das Geschehen in der Welt, Mistress Fox?« Die tiefe Stimme des Kapitäns ertönte vom anderen Ende des langen Tisches.

Jessies Kopf fuhr hoch. »Was ... was tut Ihr denn hier?« Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Seine Worte von gestern abend hallten noch in ihren Ohren. »Ihr solltet eigentlich noch schlafen.«

Er sah die Blässe ihrer Wangen, und es wirkte so, als wolle er etwas sagen. Doch dann verhärtete sich sein Blick.

»Es tut mir leid, wenn ich Euch enttäuschen muß. Ich schlafe kaum länger als bis zur Morgendämmerung. Die Frage ist eher, was tut Ihr hier? Ich bezweifle, daß mein Vater von Euch erwartet, in der Küche zu arbeiten.«

»Wohl kaum.« Sie blickte mit leisem Schuldgefühl auf die Zeitung. Es war unschicklich für eine Frau, etwas anderes zu lesen als das Modejournal, das Jessie tödlich langweilig fand. Sie hob ihr Kinn ein wenig höher. »Um ehrlich zu sein, Euer Vater hat es nicht gern, wenn ich mit den Dienstboten zusammen bin. Ich sehe jedoch keinen Grund dafür, ihnen zusätzliche Arbeit aufzubürden, nur weil ich früher aufstehe als die anderen.«

»Sehr rücksichtsvoll, Miss Fox. Den gleichen Gedanken hatte auch ich. Und da wir beide einer Meinung sind, würdet Ihr mir Gesellschaft leisten?

Die Zeitung in Jessies Hand zitterte leicht. Sie wollte nicht mit ihm zusammen frühstücken. Nach dem, was er am gestrigen Abend gesagt hatte, wollte sie ihn nie wiedersehen. Auf der anderen Seite hatte er keine Ahnung, daß sie seine Worte gehört hatte. Sicher konnte sie sich in ihre Rolle schicken. Sie konnte so tun, als hätte sich zwischen ihnen nichts verändert.

Er würde nicht wissen, daß die grausamen Worte, die er so verächtlich ausgespuckt hatte, ein Stück aus ihrem Herzen gerissen hatten.

Sie betrachtete sein kantiges, glattrasiertes Gesicht und sah, wie das Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, sein Haar golden schimmern ließ. Er hatte schon immer gut ausgesehen, doch in den letzten Jahren hatte er eine Kraft entwickelt, eine Charakterstärke, die ihn noch anziehender machte. Sie brauchte ihn nur anzusehen und in ihrem Magen flatterten Schmetterlinge, und eine ungewollte Wärme breitete sich in ihrem Inneren aus.

Ihre Antwort war schärfer, als sie es beabsichtigt hatte. »Es tut mir leid, aber ich habe Pläne für den Morgen. Ich habe gerade noch Zeit, einen der Weizenkuchen zu essen, dann muß ich weg.«

»Wieder auf einen Eurer verrückten Ritte, Miss Fox? Sollte das der Fall sein, so hoffe ich doch, daß Ihr wenigstens auf dem Weg bleibt und nicht querfeldein reitet. Denn ich denke nicht, daß Ihr oder auch das Pferd einen weiteren Unfall wie den von gestern unbeschadet überleben würdet.«

Sanfte Röte stieg bei seinen Worten in ihre Wangen. »Ich versichere Euch, Mylord, daß das nicht die übliche Art ist, wie ich mich fortbewege.« Doch davon schien er nicht überzeugt. Und sie wiederum hatte nicht die Absicht, ihm zu verraten, daß sie einer Freundin geholfen hatte und deshalb so eilig und spät dran gewesen war. Bei der Geburt eines Babys zu helfen war kaum die passende Beschäftigung für ein unverheiratetes Mädchen. Er würde ihr das lediglich als ein weiteres Vergehen anlasten.

Sie merkte, daß er sie beobachtete. Seine Augen wanderten ungeniert über ihren Kopf bis zu den sanften Rundungen ihrer Brüste. Sie verspürte erneut ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Magen, und ihre Wangen brannten.

Er trug seine Reitkleidung, enganliegende schwarze Hosen und ein weißes Batisthemd, dazu die gleichen schwarzen Schaftstiefel, die er auch gestern angehabt hatte. Sein Gesicht war von der Sonne dunkel gebräunt und sein Haar noch feucht. Es lockte sich leicht und hatte die Farbe von Piratengold.

»Danke, Mrs. Tucker«, sagte er, als die Köchin ihnen Tee und Weizenmehlkuchen brachte, sowie ein Stück kalten Braten für den gesunden Appetit des Kapitäns.

»Es ist schön, Euch wiederzusehen, Kapitän ... auch wenn Ihr ausseht, als könntet Ihr erheblich mehr von meiner Kochkunst vertragen.« Sie war Irin, etwas untersetzt und kleiner als die anderen, arbeitete hart und war immer gut gelaunt.

Matt lächelte sie fröhlich an und biß herzhaft in einen der heißen Kuchen. Er kaute nachdenklich, schluckte den Bissen herunter und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Und Ihr, Maizie Tucker, seid noch immer die verdammt beste Köchin auf dieser Seite von Dublin.«

Die kräftige kleine Frau lachte vergnügt, blinzelte ihm zu und machte sich wieder an die Arbeit.

Jessie schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit nun ebenfalls einem der heißen, gebutterten Kuchen. Sie bestrich ihn dick mit Honig, wickelte einen weiteren Kuchen in eine Serviette und wollte aufstehen. Doch sie fühlte Matts Blicke und sah ihn gezwungenermaßen an.

»Ich denke, ich werde heute ein wenig ausreiten«, meinte er. »Um Belmore neu zu entdecken. Möchtet Ihr mich nicht begleiten?«

Jessies Inneres verkrampfte sich. Er bat sie, mit ihm auszureiten. Er behandelte sie, als sei sie ihm gleichgestellt. Dabei wußte sie doch ganz genau, was er von ihr hielt. Wut stieg in ihr auf, heiß und glühend. Sie verkniff sich eine zornige Antwort und schüttelte den Kopf. Der dicke blonde Zopf, der ihr bis zur Taille hing, tanzte dabei hin und her. »Wie ich schon sagte, ich habe bereits etwas anderes vor.«

Seine Augen wurden eine Schattierung dunkler. Er hatte sie nur darum gebeten, um seinem Vater eine Freude zu machen, dessen war sie sicher. Doch statt sich zu freuen, daß sie seine Bitte abgelehnt hatte, sah er wütend aus.

Sie zwang sich zu einem charmanten Lächeln. »Ich fürchte, ich muß jetzt gehen.« Zögernd reichte sie ihm die Zeitung, die sie heute morgen nicht hatte lesen können, und steckte sich den letzten Bissen ihres Kuchens in den Mund, allerdings nicht so damenhaft, wie sie es gewünscht hätte.

Lord Strickland zog die Augenbrauen hoch. Jessie verschluckte sich fast, als sie sein amüsiertes Lächeln bemerkte. Sie schob die Bank etwas heftiger zurück, als sie beabsichtigt hatte, und stand endgültig auf. Der Kapitän tat es ihr gleich. Neben seiner hohen, schlanken Gestalt kam sie sich sehr klein vor.

»Ich wünsche Euch einen angenehmen Ritt, Mylord«, erklärte sie hölzern.

Er verbeugte sich kurz vor ihr. Das Lächeln, das um seinen Mund spielte, war spöttisch. »Genießt Euren Tag, Mistress Fox.«

Jessie konnte nicht schnell genug von ihm wegkommen. Sie eilte zum Hinterausgang der Küche und lief dort die Treppe hinunter zu ihrer Verabredung.

Stachel der Erinnerung

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