Читать книгу Verkettet - Katrin Fölck - Страница 5
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ОглавлениеWie ich schon vermutet habe, kann sich vom Hotelpersonal niemand wirklich an meine Schwester erinnern, außer dem Zimmermädchen.
Aber dieses weiß auch nur zu berichten, dass meine Schwester früher als geplant ausgecheckt hat und zu ihrem Freund ziehen wollte.
Von dieser Seite kann ich also nicht weiter auf Hilfe hoffen.
Bleibt nur, Carlos Gonzales zu finden. Den Geliebten meiner Schwester.
Zum Glück habe ich außer seinem auch den Namen der Straße, in der sich das Haus befindet, in dem er wohnt.
Die Anschrift stand auf dem Briefkuvert, übrigens dem letzten, das meine Schwester geschickt hat.
Ich schätze, ansonsten wäre es für mich ungemein schwerer.
Weiterhin kann ich mir denken, dass hier in Havanna der Name Carlos Gonzales nicht nur einmal zu finden ist, obwohl ich annehme, dass Gonzalez mit „z“ öfter vorkommt.
Ich lasse mich mit dem Taxi zu ihm bringen.
Als wir das Haus erreichen, steige ich aus und bezahle den Fahrer. Ich lasse ihn nicht warten, da ich nicht weiß, wie lange es dauert und wann ich zurückkommen werde.
Ich überquere die Straße und bleibe kurz vor dem Haus stehen. Ich hole tief Luft und blicke an der Häuserfront hinauf.
Das Haus ist nichts Besonderes. Es sieht aus wie alle anderen auch. Alt.
Ich öffne die schwere Eingangstür, deren Holz genauso Farbe gelassen hat, wie die bröckelnde Hauswand und die abgesplitterte Farbe an den Fenstern, die man nur noch erahnen kann.
Essengeruch empfängt mich.
Bevor ich Richtung Treppe gehe, biege ich nach links und rechts zu den sich dort befindlichen Wohnungstüren ab, um einen Blick auf die Türschilder zu erhaschen.
In der dritten Etage bin ich endlich am Ziel.
Da steht es: Gonzales.
Ich warte einen Moment, erstens, weil ich nach dem Aufstieg Luft brauche, und zweitens, weil ich nicht weiß, was mich erwartet.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Dann klingle ich.
Ich warte vielleicht drei, vier Sekunden, doch es tut sich nichts.
Ich klingle wieder und warte.
Nichts.
Ich lege mein Ohr an die Holztür und höre, dass jemand in der Wohnung herumspringt.
Ich lege meine Hand auf die eiserne Türklinke und sehe mit Erstaunen, dass sie plötzlich nachgibt.
Jetzt gibt es für mich kein Zurück mehr.
Die Tür springt auf.
Vor mir steht ein etwa zwölf- oder auch dreizehnjähriges Mädchen in einem bunten Kleid und blickt mich erschrocken, aber auch gleichfalls erstaunt an.
Sie dreht sich um und ruft nach ihrer Mutter.
Eine korpulente ältere Frau erscheint, wischt sich ihre Hände an der Schürze ab und baut sich vor mir auf.
Ich mustere sie kurz.
Ihr ehemals schwarzes Haar zeigt erhebliche graue Strähnen.
Ihr Alter lässt sich schwer schätzen.
Ich weiß, dass die Sonne die Menschen schneller altern lässt. Trotzdem ist sie für ihr Alter ausgesprochen schön.
Die Beiden stehen vor mir und mustern mich genauso unverhohlen.
Endlich finde ich meine Sprache wieder.
„Senora Gonzales?“
Als sie bejaht, frage ich nach Carlos, ihrem Sohn.
Ich erkläre ihr, dass ich aus Deutschland komme und nach meiner Schwester suche. Und dass ich unbedingt mit Carlos sprechen muss, weil er mit ihr zusammen war.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie sich zurückzieht.
Ohne jegliche Gefühlsregung, nur mit einem Kopfschütteln, beteuert sie mir: „Carlos ist nicht da. Und ich weiß auch nicht, wann er wieder kommt.“
Damit ist für sie die Unterhaltung beendet.
Sie dreht sich um und geht zurück in den Raum, aus dem sie gekommen ist.
Unschlüssig, ob ich gehen oder bleiben soll, beobachtet von dem Mädchen, trete ich den Rückzug an.
Dabei huscht mein Blick zufällig in eines der Zimmer, dessen Tür offen steht und nur von einem durchsichtigen Vorhang aus Perlenstricken vom Flur abgetrennt ist.
Ich sehe einen gebräunten muskulösen Oberkörper, der in blauen Jeans steckt, und auf einem Bett liegt.
Als ich die schwere Tür hinter mir schließe, habe ich das Gefühl, dass mich die Frau angelogen hat. Absichtlich.
Aber warum?
Für heute gebe ich mein Unterfangen auf.
Doch ich würde wiederkommen.
Schon bald.
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Frustriert setze ich mich in eine kleine Bar.
In meinem Kopf schwirren die Gedanken nur so.
Wieso war seine Mutter so abweisend zu mir?
Was wusste sie?
Wusste sie, wo meine Schwester verblieben ist, was mit ihr passiert ist?
Meine Enttäuschung schlägt in Wut um.
In Wut auf mich.
Wieso habe ich mich so leicht wegschicken lassen? Warum war ich nicht hartnäckiger?
Vielleicht weil ich Angst hatte. Angst davor, was ich erfahren hätte.
Ich bestelle Cuba Libre. Rum mit Cola.
Noch einen.
Mein Blick verliert sich in der dunklen Szenerie der Bar. Die Menschen nehme ich nicht wirklich wahr.
Ich bin immer noch zu sehr mit mir selbst beschäftigt.
Habe mich ausgeschlossen vom Geschehen um mich herum.
Dann jedoch kehre ich aus meiner Gedankenwelt zurück und erblicke vier leere Gläser vor mir auf dem Tisch.
Ich höre die Rhythmen wieder.
Das Lachen und die Stimmen der Menschen rings um mich herum dringen wieder zu mir durch.
Ich kann die wabernden Zigarrenkringel aufsteigen sehen, den schwadenden Rauch riechen.
Ich glaube, ich brauche frische Luft.
Mir ist schwindlig.
Ich bin es nicht gewohnt, so schnell so viel zu trinken.
Und bei diesen Temperaturen sowieso nicht.
Aus den Augenwinkeln heraus nehme ich eine Bewegung wahr.
Da ist ein Typ, der sich zu mir herunterbeugt.
„Brauchst du Hilfe?“
Ich schüttele mit dem Kopf.
Das hätte ich nicht tun sollen. Das macht den Schwindel noch schlimmer.
Ich muss mich mit der Hand abstützen, um nicht seitwärts wegzurutschen.
Ich sehe sein Gesicht.
Jung, hübsch.
Und sein Lachen.
Lacht er mich aus?
Ich merke, dass ich wieder sauer werde.
„Oh, oh“, höre ich ihn sagen, „bleib am besten ganz ruhig sitzen.“
Dann ruft er dem Typen hinter der Bar etwas zu.
Dieser bringt ungefähr drei Minuten später etwas an unseren Tisch.
Der junge Mann an meiner Seite, schüttet etwas in ein Tuch, windet es zusammen und drückt es mir in den Nacken.
Ich will aufbegehren, doch er stoppt mich.
„Sch, sch, immer mit der Ruhe.
Atmen.
Das ist nur die Hitze…“
Sein Blick erfasst die leeren Gläser auf dem Tisch.
Grinsend fährt er fort: „Obwohl ich mir da jetzt nicht mehr so sicher bin…“
Ich habe mit mir zu tun und sage erstmal gar nichts.
Sein Lachen ist verschwunden.
„Und, besser?“ fragt er mich ernst.
Ich nicke.
„Das ist gut.“
Er blickt mich immer noch an.
„In welchem Hotel wohnst du denn?“ fragt er mich.
Ich sehe ihn, seiner Frage wegen, erstaunt an.
Mein Gehirn arbeitet extrem langsam.
Natürlich, denke ich so bei mir, ihm muss klar sein, dass ich in einem der Hotels in der Nähe abgestiegen bin. Dass ich hier bin, um Urlaub zu machen.
Also will er mich abschleppen.
Er scheint der richtige Typ für dieses Vorhaben zu sein…
Wie viele Frauen wird er mit dieser Masche wohl schon rumgekriegt haben?
Vielleicht nahm er ja sogar Geld von ihnen für seine Liebesdienste?
Oder gaukelte er ihnen Liebe vor, um über sie nach Deutschland zu kommen?
Um sie auszunehmen?
Schließlich würde er ja für sie seine ganze Familie in Kuba im Stich lassen und ihnen den Ernährer nehmen…
Abweisend wende ich mich ab.
Ihm entgeht das nicht.
„Was ist?“ fragt er.
Als ich ihm nicht antworte, sagt er: „Ich würde gerne wissen, was da gerade in deinem Kopf vor sich geht.“
Aber in meinem Kopf tut sich nichts mehr.
Ich will nur noch zurück in mein Hotel.
In mein Bett.
Den heutigen Misserfolg einfach vergessen.
Mein Blick huscht über seinen Körper.
Er ist groß, schlank, muskulös.
Irgendwie hat er etwas Geheimnisvolles an sich, etwas Verwegenes.
Ich glaube nicht, dass er ein typischer Kubaner ist.
Dafür ist er nicht dunkel genug.
Aber was heißt das hier schon?
Immerhin ist Kuba eine Insel. Die Einen kamen und blieben. Andere fuhren weiter. Von den einstigen Sklaven mal ganz abgesehen.
Das, was mir jedoch sofort an ihm auffällt, weil es total ungewöhnlich ist, sind seine blauen Augen.
Seine Haare trägt er als Rastas, im Nacken zusammengebunden.
Er sieht aus wie ein Pirat, denke ich, fehlt nur noch der Ohrring.
Doch als er mir seine andere Seite zudreht, sehe ich, wie etwas an seinem Ohr blitzt.
Ich mache erste Anstalten, mich zu erheben.
Er hilft mir hoch.
„Danke, geht schon.“, stammle ich.
Er lässt von mir ab.
Ich bezahle meine Rechnung, jedoch nicht, ohne ihm einen Drink seiner Wahl zu spendieren, damit er nicht ganz leer ausgeht, denke ich und grinse in mich hinein.
Doch das vergeht mir schneller als gedacht.
Zurück auf der Straße wird es nicht einfacher für mich.
Die Sonne blendet.
Ich muss mich kurz an einer der Häuserwände anlehnen. Ich schwanke mehr, als dass man es Laufen nennen könnte.
Wie ich es zum Hotel schaffe, weiß ich letztendlich nicht wirklich.
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In der Nacht träume ich schlecht. Von meiner Schwester.
Ich weiß nicht, ob es der Rausch ist. Oder aber der Wunsch, mit ihr zusammen zu sein, weil ich sie so sehr vermisse.