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Wieder stehe ich vor Carlos` Wohnungstür und klingle. Ich warte lange.

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Vielleicht ist es aber auch Absicht, damit ich von mir aus wieder gehe.

Fast tu ich das auch.

Doch plötzlich wird die Tür doch noch geöffnet.

Von seiner Mutter.

Als sie mich erkennt, will sie die Tür wieder schließen, doch ich stelle beherzt und vielleicht auch ein wenig forsch meinen Fuß dazwischen. Das ist von mir nicht so geplant, eher ein Reflex.

Sie ist meiner Reaktion wegen verwundert, das kann ich ihr ansehen. Aber ich bin es auch.

„Bitte“, stammle ich bloß. „Ich muss mit Carlos sprechen… Es ist wichtig.“

„Er schläft.“

Eine Schimpftirade prasselt auf mich nieder.

Ich muss gar nicht verstehen, was sie da von sich gibt. Ich kann es allein am Klang ihrer Stimme hören, wie aufgebracht sie ist.

Dann steht er überraschend hinter ihr.

Groß, schlank.

Die Haare verwuschelt, schläfrig.

Nur mit seiner Schlafanzughose bekleidet.

Ein Tatoo prangt auf der Schulter. Ein Skorpion.

Ich starre ihn von oben bis unten an.

In natura sieht er noch viel besser aus als auf dem Foto, schießt es mir in den Kopf.

Als es mir bewusst wird, werde ich rot.

„Mamacita, ist schon gut.“, sagt er beschwichtigend, legt seinen Arm um ihre Schulter und umarmt sie kurz.

„Ein Kaffee wäre nicht schlecht…“, setzt er nach, während sie sich in die Küche begibt.

Jetzt hat er Zeit, mich zu mustern, bevor er fragt:

„Also, wer will hier was von mir?“

„Darf ich vielleicht hereinkommen?“, frage ich ihn.

Er kratzt sich am Kopf und macht eine einladende Armbewegung.

Ich gehe hinter ihm her, in sein Zimmer.

Es ist dasselbe, auf das ich letztens beim Weggehen einen Blick werfen konnte.

Er nickt mir zu und bedeutet mir, Platz zu nehmen.

Ich sehe mich um.

Das Zimmer ist klein. Sehr klein.

An der Wand Bilder halbnackter Frauen, ausgeschnitten aus Hochglanzmagazinen, Motorräder, ein Wandbild von Che.

Das Bett ungemacht.

Somit habe ich ihn geweckt.

Ein Schrank, ein Regal, ein Tisch, zwei Stühle.

Das ist alles.

Das Fenster zum Balkon weit geöffnet.

Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.

„Es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.“, sage ich.

Seine Mutter kommt mit dem Kaffee.

Zu meinem Erstaunen stellt sie auch mir eine Tasse hin.

Das Lächeln spart sie sich.

„Ich bin wegen Kristin hier. Meiner Schwester.“

Er sieht mich überrascht an.

„Du bist Kristins Schwester?“

Ich nehme ein leichtes Zittern bei ihm wahr.

Er lässt die Tasse mit dem Kaffee sinken.

Ohne darauf zu achten, wo er sie abstellt, setzt sie gerade noch am äußersten Tischrand auf. Ein Teil des schwarzen Getränks schwappt auf die Tischdecke.

Er scheint es nicht wahrzunehmen, obwohl sein Blick dem Fleck folgt.

Auch ich starre nun auf den Fleck, der sich immer mehr ausbreitet.

Aus seinem Gesicht ist sämtliche Farbe gewichen.

Ich weiß nicht, was seine Reaktion bedeutet.

Er erhebt sich und geht zum Fenster.

Er dreht mir den Rücken zu. So gibt er vor, hinauszuschauen. Ich glaube jedoch nicht, dass er irgendetwas da draußen sieht.

Minutenlang passiert gar nichts. Er scheint weit weg. Dann dreht er sich langsam wieder zu mir um.

In seinem Gesicht arbeitet es. Das kann ich ihm ansehen.

„Hat sie dich geschickt?“

Ich verstehe seine Frage nicht und blicke etwas Begriff stutzig drein.

„Wieso kommt sie nicht selbst, wenn sie etwas von mir will?“

Irgendwie komme ich mir vor, wie im falschen Film.

Was wird hier gespielt?

Wieso stellt er mir all diese Fragen?

Eigentlich bin ich doch diejenige, die hierher gekommen ist, um Antworten von ihm zu bekommen…

Es verwirrt mich.

Darauf bin ich nicht eingestellt. Gar nicht.

Ich muss kurz nachdenken.

Doch mein Kopf verweigert sich mir. In ihm ist nur Leere.

Das einzige, was ich gerade noch so hervorbringe, ist ein: „Ich habe gehofft, dass ich sie hier finde.“, bevor sich ein dicker Kloß in meinem Hals festsetzt.

Er hat die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen.

„Hier finde? Was soll das heißen? Ich versteh nicht ganz.“

„Sie war doch zuletzt hier … mit Ihnen.“ „Bei Ihnen.“, verbessere ich mich, obwohl ich nicht glaube, dass es dadurch besser wird.

„… das ist ein viertel Jahr her…“

Dieser Satz trifft mich mit voller Wucht.

Wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Das Fundament, welches ich mir die letzten Monate aus Ausflüchten und mittels Wunschvorstellungen aufgebaut habe, beginnt, zusammenzubrechen.

Ich fühle mich, als wäre ich gerade mit hundert Sachen an die Wand gefahren.

Ich will das nicht wahrhaben.

Weil nicht sein darf, was nicht sein kann.

Kristin musste einfach hier sein. Bei ihm.

Wo denn sonst?

Ich kann den Gedanken einfach nicht zulassen, dass ihr etwas zugestoßen ist.

Etwas Schreckliches.

Etwas Unvorstellbares.

Etwas Unabänderliches.

Auch wenn ich weiß, dass ich mich auch damit auseinandersetzen muss. Mit der Möglichkeit, dass sie nicht mehr am Leben ist.

Aber das kann ich nicht.

Ich brauche etwas, woran ich mich festhalten kann.

Einen kleinen Lichtblick.

Ein wenig Hoffnung.

Das Foto, denke ich.

„Das Foto.“, sage ich.

Ich krame in der Tasche und hole es wie zum Beweis heraus. Aber was soll das beweisen?

„Das zeigt Sie mit meiner Schwester, hier in Kuba… Sie hat es mir geschickt... Und sogar Ihren Namen und die Adresse darauf geschrieben… und das Datum…“

Er nimmt es in die Hand und betrachtet es lange.

Doch er sagt nichts. Hinterher wirkt er irgendwie traurig.

„Und weswegen denkst du, dass sie immer noch mit mir zusammen sein muss oder ich wissen muss, wo sie sich aufhält?“

Es klingt irgendwie sarkastisch. Das kann ich seiner Stimme anhören.

Ich werde immer unsicherer.

Meine Hände fangen an zu zittern, genau wie meine Stimme. Ich kann mich nicht mehr lange kontrollieren. Das ist die pure Angst, die jetzt in mir hoch kriecht.

Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, wie das Gespräch mit ihm verlaufen würde. Abläuft.

Aber jetzt läuft es aus dem Ruder. Das ist selbst mir inzwischen klar.

Ich bin nicht im Geringsten darauf vorbereitet. Hatte mir auch gar keine Gedanken darüber gemacht, was ich ihn eigentlich fragen wollte.

Schon schießen mir die Tränen in die Augen.

„Ich habe gehofft, sie hier zu finden…“

Er sieht mich ernst an.

„Ich kann dir nicht helfen.“

Seine Antwort macht mich sprachlos.

Mein Mund bleibt offen.

In meinem Kopf kreisen die Gedanken wie in einem Karussell.

Wieso sagt er so etwas?

Wo ist Kristin?

Dass ich diese Frage laut gestellt habe, wird mir erst bewusst, als er darauf antwortet,

indem er sagt: „Ich weiß es nicht.“

Das ist so ungeheuerlich.

Unerträglich.

Hart.

Sie musste doch hier sein, bei ihm. Sie musste einfach…

Ich habe schon wieder Tränen in den Augen.

Doch dieses Mal aus purer Verzweiflung.

Verkettet

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