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Kapitel 4

Mein letzter Termin für diesen Tag hatte nicht allzu lange gedauert. Ein italienischer Geschäftsmann war auf der Suche nach neuen Räumen, um seinen Wirkungskreis zu erweitern. Nachdem ich ihm die Bürofläche in einer ruhigen Seitenstraße präsentiert hatte, waren wir so verblieben, dass er sich am Montag noch einmal bei mir melden wollte.

Anschließend schaute ich bei Signore Russo im Büro vorbei, um mit ihm die Termine für nächste Woche durchzugehen, was länger dauerte als geplant, denn er war sehr gesprächig und unterhielt sich mit mir gern über Gott und die Welt.

Es war bereits später Nachmittag, als ich den Heimweg antrat, voll bepackt mit Tüten, um meinen Gästen heute Abend etwas anbieten zu können. Bereits an der Haustür strömte mir ein verlockender Duft entgegen.

Ich zog meine Pumps aus, durchquerte den Flur und erreichte die Wohnküche. Mickal stand am Herd und hantierte geschäftig mit Töpfen. Er sah nicht einmal auf, als ich meine Taschen auf der Anrichte abstellte.

»Spaghetti alla puttanesca«, erklärte er fachmännisch.

»Oh.« Ich stieß ein nervöses Lachen aus, fühlte mich schon wieder befangen in seiner Gegenwart und wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte.

Mickal drehte den Kopf zur Seite, um mich anzusehen. »Du magst keine Spaghetti?«

»Doch, ich liebe Spaghetti«, sagte ich schnell. »Ich bin nur überrascht, dass du schon wieder in der Küche stehst und das Essen zubereitest.«

Mickal betrachtete mich aufmerksam, seine blauen Augen funkelten vor Belustigung. »Es gab nichts weiter zu tun. Die Haustür funktioniert wieder einwandfrei, der Wasserhahn ist repariert und das Licht im Bad war ein Klacks, ich musste nur die Glühbirne auswechseln. Beide Steckdosen sind einsatzbereit.« Er legte den Kochlöffel zur Seite. »Der Abfluss in der Dusche war verstopft, darum habe ich mich auch gekümmert. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«

Mit offenem Mund starrte ich ihn an.

»Gibt es sonst noch etwas zu reparieren?«, hakte er nach und musterte mich abwartend.

Für einen kurzen Moment war ich versucht, ihm von meinem Kleiderschrank zu erzählen. »Eigentlich nicht«, schob ich meinen letzten Gedanken beiseite. »Ich gehe duschen und ziehe mir etwas Bequemeres an«, sagte ich, während ich die Einkäufe wegräumte. »Eine Freundin kommt nachher vorbei, sie möchte dich kennenlernen.«

Mickal hielt in der Bewegung inne. »Warum?«

Ich richtete mich auf. »Warum sie vorbeikommt?«

Er zog die Augenbrauen zusammen. »Warum will sie mich kennenlernen?«, präzisierte er seine Frage.

Darauf wusste ich im ersten Augenblick nichts zu antworten. »Ähm … weil sie sich Sorgen macht«, erklärte ich, nachdem ich mich entschieden hatte, bei der Wahrheit zu bleiben. »Normalerweise nehme ich keine fremden Männer mit nach Hause. Sie möchte nur sichergehen, dass ich nicht in Gefahr bin.«

Seine strahlend blauen Augen musterten mich eingehend. Ich schluckte unter seinem eindringlichen Blick. Dann nickte er, wirbelte herum und widmete sich wieder dem Essen. Scheinbar hatte Mickal beschlossen, sich seinem Schicksal zu ergeben, statt mit mir darüber zu diskutieren.

Ich betrachtete seinen breiten Rücken, die muskulösen Oberarme, und hatte wieder das Gefühl, ihn zu kennen. Irgendetwas an ihm kam mir vage bekannt vor, auch wenn ich genau wusste, dass so etwas völlig unmöglich war.

»Ich schaue kurz nach Mom und gehe dann duschen«, murmelte ich tief in Gedanken versunken.

Dieser Mann, so fremd er mir auch war, ließ mein Herz ungewollt höher schlagen. Und das war etwas, womit ich definitiv nicht gerechnet hatte.

Mom lag noch genau so im Bett wie am Morgen, als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Nun waren ihre Augen jedoch geschlossen, ihr Mund leicht geöffnet. Auf leisen Sohlen schlich ich ins Zimmer, nahm die beiden Teller mit dem Frühstücksei vom Nachtschrank und überprüfte mit einem kritischen Blick das Wasserglas. Es fehlte nur sehr wenig. Ich seufzte. Mom hatte kaum etwas getrunken.

Leise tapste ich zur Tür und zog sie hinter mir zu. Schlimm genug, dass Mom nichts essen wollte, aber sie musste unbedingt mehr trinken. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte, ich konnte sie ja schlecht dazu zwingen.

Zu meinem Glück war Mickal mit dem Essen beschäftigt, sodass ich mich mitsamt den beiden Tellern voll Ei unbemerkt ins Bad schleichen konnte, um sie im Klo zu entsorgen. Die leeren Teller spülte ich eilig im Waschbecken ab und verstaute sie anschließend in einem kleinen Regal darunter. Darum würde ich mich kümmern, sobald Mickal nicht mehr hier wohnte.

Nach einer ausgiebigen Dusche wickelte ich meinen Körper in ein Handtuch, stellte mich vor das Waschbecken und betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Obwohl wir nun schon über zwei Jahre in Italien lebten, hatte ich noch immer keine Farbe bekommen. Mein Gesicht war genauso blass wie eh und je. Zu meinem Leidwesen kamen meine Sommersprossen, die sich während der letzten Monate extrem vermehrt hatten, durch die helle Haut noch mehr zur Geltung. Sie waren praktisch überall, was mich wahnsinnig aufregte, aber leider nicht zu ändern war.

Kritisch beäugte ich meine feuchten kupferroten, überlangen Haare. Schon einige Male hatte ich mit dem Gedanken gespielt, sie abzuschneiden, wenigstens um die Hälfte zu kürzen, weil es hier in Italien so heiß war. Doch ich brachte es nicht übers Herz. Mom liebte meine langen Haare, sie war ganz verrückt danach. Und obwohl ihre Haare den gleichen kupferfarbenen Ton hatten, behauptete sie noch immer steif und fest, meine Haarfarbe wäre so viel schöner als ihre. Dagegen kam ich nicht an.

Als ich in die Wohnküche kam, stand das Essen bereits fertig angerichtet auf der Terrasse.

Ich hatte mich für mein hellgrünes Trägerkleid entschieden, das mit den kleinen weißen Blümchen, das ich besonders gern mochte. Barfuß ging ich nach draußen, wo Mickal bereits auf mich wartete.

»Das sieht lecker aus«, lobte ich und ließ mich leise stöhnend auf den Stuhl plumpsen. Meine Beine schmerzten, sie brannten wie Feuer. Vielleicht sollte ich mir von dem Geld, das ich von Mickal bekommen würde, ein Auto kaufen. Nur ein kleines, damit ich unsere Einkäufe nicht immer den ganzen Weg bis zum Haus schleppen musste.

»Bitte«, holte mich Mickal aus meinen Gedanken und reichte mir ein Glas Wasser.

Dankbar nahm ich einen kleinen Schluck und genoss das Gefühl, als das kühle Nass meine trockene Kehle befeuchtete.

»Wie war dein Tag?«, erkundigte er sich, während er nach seiner Gabel griff.

Nach einem weiteren Schluck antwortete ich: »Sehr ereignisreich. Gleich mein erster Besichtigungstermin wäre um ein Haar eine Hausgeburt geworden.«

Mickal ließ die Gabel sinken und schaute mich perplex an.

Mein Magen hob sich leicht, als sich unsere Blicke trafen. »Die Kundin war hochschwanger«, rückte ich mit den Details heraus. »Dann ist die Fruchtblase geplatzt. Zum Glück kam der Krankenwagen, den ich gerufen habe, noch rechtzeitig.«

Mickal hatte aufmerksam zugehört. Jetzt nahm er seine Gabel wieder in die rechte Hand und schaufelte sich eine unerhört große Portion Spaghetti in den Mund. »Das hört man auch nicht alle Tage«, sagte er, nachdem er hinuntergeschluckt hatte. »Wann möchte deine Freundin kommen?«, wechselte er schlagartig das Thema.

Mickal war davon nicht begeistert, seine angespannte Miene sprach Bände. Er war alles andere als erpicht darauf, meine Freundin kennenzulernen, dennoch bemühte er sich um einen neutralen Tonfall.

»Patrizia«, sagte ich und schluckte ebenfalls hinunter. »Meine Freundin heißt Patrizia, und wie ich sie kenne, kommt sie nicht allein.«

Er antwortete mir mit einem Lächeln, wovon ich ganz weiche Knie bekam, und ich konnte gar nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. Mein Puls schoss augenblicklich in die Höhe.

»Ähm …« Händeringend suchte ich nach den richtigen Worten.

Sein Anblick machte mich sprachlos, vor allem dann, wenn er mir so nah war wie in diesem Augenblick. Ungewollt wanderten meine Augen über seine breite Brust, über das schwarze Shirt bis zu seinem Gesicht. Zu den vollen Lippen, die er noch immer zu einem charmanten Lächeln verzogen hatte.

»Unsere Clique besteht aus vier Frauen und drei Männern«, versuchte ich mich von seinen unbeschreiblich anziehenden Lippen abzulenken. »Sofia und Davide sind momentan im Urlaub, sie werden also nicht kommen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Carlotta, Francesco und Silvio hier auftauchen werden. Dafür wird Patrizia schon sorgen.«

Von vornherein war mir klar gewesen, dass Patrizia nicht allein hier auftauchen würde, denn unser wöchentlicher Cocktailabend fand immer in Gesellschaft unserer gemeinsamen Freunde statt. Nun war das aber sicher nicht der eigentliche Grund, sondern vielmehr nur eine Tatsache. Bei mir wohnte ein fremder Mann im Haus, ein Mann, den Patrizia nicht kannte. Aus diesem Grund würde sie Francesco, ihren zwei Jahre älteren Bruder, und ihren Cousin Silvio mitbringen. Um sich abzusichern, falls es nötig sein sollte, meinen Besuch vor die Tür zu setzen.

Mickal schien nicht sonderlich beeindruckt von meinem Geständnis. Munter schaufelte er sich weiter seine Spaghetti in den Mund, während er zustimmend nickte.

Ich tat es ihm gleich und ließ mir das Essen schmecken, das wirklich ausgezeichnet war.

»Danke für das tolle Essen«, merkte ich an, als wir zwanzig Minuten später den Tisch abräumten. »Aber du musst das nicht machen, ich hoffe, das weißt du.« Die Sache war mir ein wenig unangenehm. Er sollte sich auf keinen Fall dazu verpflichtet fühlen.

Mickal reichte mir ein Glas Wein. »Das tue ich gern«, sagte er leichthin. »Auf diese Weise kann ich mich etwas nützlich machen.«

Ich blinzelte und versuchte, bei der Sache zu bleiben. Noch nie zuvor hatte ich einen Mann mit solch stechend blauen Augen gesehen. Sie übten eine Anziehungskraft auf mich aus, die ich mir einfach nicht erklären konnte.

Schnell murmelte ich eine Entschuldigung und setzte ihn in knappen Worten davon in Kenntnis, dass ich meiner Mom nun das Essen bringen würde.

Tatsächlich öffnete sie die Augen, als ich ein paar Minuten später den Teller mit Spaghetti auf ihrem Nachtschrank abstellte.

Sie begrüßte mich mit einem schwachen Lächeln. »Hallo, mein Schatz. Wie war dein Tag?«

Ich schluckte in Anbetracht ihrer bleichen, fast schon durchsichtig schimmernden Haut. »Ganz gut«, murmelte ich beklommen. Heute Morgen hatte sie so viel besser ausgesehen. »Hast du Hunger, Mom?«

Als sie den Kopf schüttelte, presste ich die Lippen zusammen. Seit Tagen schon hatte sie keinen richtigen Appetit mehr, was meine Sorge um sie nur noch verschlimmerte.

»Ich möchte nichts essen«, sagte sie kaum hörbar. »Ich möchte einfach nur schlafen. Ich bin so schrecklich müde.«

Mein Herz schlug etwas schneller. »Mom, du machst mir Angst.«

Ihre Lider hoben sich, sie lächelte. »Du musst keine Angst um mich haben. Ich muss mich nur etwas ausruhen, dann komme ich schon wieder zu Kräften.«

Sollte ich ihr das wirklich glauben?

»Aber ich könnte einen Schluck Wasser vertragen.«

Ich half ihr dabei, sich aufzurichten, und führte das Glas an ihre spröden Lippen.

Sie nippte nur kurz daran. »Danke«, hauchte sie, dann fiel sie erschöpft in das Kissen zurück, als hätte ihr dieser kleine Akt der Anstrengung alles abverlangt.

»Soll ich nicht doch lieber den Doktor holen?«, flehte ich sie an. »Er kann dir bestimmt etwas verschreiben, damit du schneller zu Kräften kommst. Vitamine oder so.« Meine Stimme klang panisch.

Doch Mom schüttelte den Kopf, so wie immer, wenn ich das Wort Doktor in den Mund nahm. »Lass mich einfach ein bisschen schlafen«, bat sie.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also ließ ich ihr ihren Willen. »Patrizia kommt mich heute besuchen«, sagte ich beim Hinausgehen.

»Das ist schön«, murmelte sie schläfrig. »Richte ihr liebe Grüße von mir aus.«

»Mache ich.« Innerlich zerrissen zog ich die Tür hinter mir zu.

Was sollte ich nur tun? Konnte ich tatsächlich nur danebenstehen und zusehen, wie Mom von Tag zu Tag immer schwächer wurde?

Mein Puls hatte sich noch immer nicht beruhigt, als ich, mit den Gedanken immer noch bei Mom, mit den Vorbereitungen für meine kleine Party begann. Ohne großes Interesse richtete ich die Antipasti auf einem Teller an, holte ein paar Gläser aus dem Schrank und zupfte die Trauben von den Stielen, um sie neben dem Käse auf einer Platte anzurichten.

Mom würde sich nicht mehr erholen, davon war ich inzwischen überzeugt. Ihr Zustand währte nun schon viel zu lange, und was auch immer dahintersteckte, sie würde nicht mehr zu Kräften kommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie …

Der Gedanke erschreckte mich so sehr, dass mir die Weinflasche aus der Hand glitt. Bevor sie jedoch den Boden erreichte, hatte Mickal sie aufgefangen. Wie in Zeitlupe stellte er sie auf den kleinen Tisch, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.

»Du machst dir große Sorgen um deine Mutter«, kam er sogleich zur Sache.

Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworfen, um mich an seiner Schulter auszuheulen. Er würde mich sicher in den Arm nehmen, mich trösten und mir versichern, dass doch noch alles gut werden würde. Oder?

Langsam hob ich den Kopf und schaute ihn an. Dabei versuchte ich, meine aufgewühlten Gefühle außen vor zu lassen und mich stattdessen nur auf sein Gesicht zu konzentrieren. Auf seine Augen, die so tröstlich wirkten in diesem kummervollen Augenblick.

Mickal stand so dicht vor mir, dass ich die Hitze zwischen uns förmlich spüren konnte, und der Drang, sein Gesicht zu berühren, wurde mit einem Mal überwältigend.

Wie hypnotisiert hob ich langsam den Arm und bemerkte, wie er die Lippen zusammenpresste. Dann kam er noch einen Schritt näher und mein Herz setzte beinahe aus. Ich wich nicht zurück, ließ aber meinen Arm sinken, fühlte mich plötzlich hilflos und verletzlich.

»Du musst keine Angst vor mir haben«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich bin einer von den Guten.«

Ich schluckte hart, als er seine Finger um eine meiner langen Haarsträhnen schloss und sie aufmerksam betrachtete.

»So rot wie das Herbstlaub in Gredonjen«, flüsterte er voller Ehrfurcht. Dann hob er den Blick und schaute mich wieder an. »Du bist wunderschön, Hannah. Das schönste Wesen, das ich je gesehen habe.«

Mir wurde beinahe schwindlig. »Ich dachte, du hältst mich für irgendeine dumme Tussi«, brachte ich mühsam hervor.

Mickal grinste schief. »Jemand hat mal zu mir gesagt, dass der erste Eindruck nicht immer automatisch der richtige ist.« Dann wurde er todernst. »Du hast mich schon in dem Augenblick umgehauen, als ich dich zum ersten Mal sah.« Er war mir gefährlich nah. »Du kannst mir vertrauen«, flüsterte er mir ins Ohr.

Ich schauderte. »Kann ich das?«

Behutsam zog er seine Finger aus meinen Haaren und war gerade dabei, seine Hand an mein Gesicht zu schmiegen, da hupte ein Auto in unmittelbarer Entfernung.

Erschrocken wich ich vor ihm zurück. Mein Herz schlug so laut, dass ich Angst hatte, er würde es hören. Meine Wange, obwohl er sie nicht einmal berührt hatte, fühlte sich nun seltsam kalt an.

»Das wird Patrizia sein.« Meine Kehle war staubtrocken, ich hatte Mühe zu sprechen.

Mickal nickte wortlos, als ich mich an ihm vorbeidrängte, um meine Freundin zu begrüßen. Doch sein intensiver Blick folgte mir bis in den Flur. Die kleinen Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, und der heftige Wunsch, einfach nur in seiner Nähe zu sein, wurde von Minute zu Minute stärker.

Ich musste mich unbedingt zusammenreißen!

Mit einem Blick in den Spiegel überprüfte ich mein Aussehen. Die kleinen roten Flecken in meinem Gesicht, die langsam verblassten, erschienen immer dann auf meiner Haut, wenn ich nervös oder aufgeregt war. Wie in der Sekunde, als mir bewusst geworden war, dass er vorhatte, mich zu berühren.

Noch einmal betrachtete ich mein Gesicht, die cremeweiße Haut, überzogen mit unzähligen Sommersprossen, meine grünen Augen, meine Haare.

So rot wie das Herbstlaub in Gredonjen? Bei Gelegenheit musste ich ihn fragen, was dieses Gredonjen sein sollte.

Patrizia begrüßte mich überschwänglich, als ich die Haustür öffnete. Sie verteilte Küsschen auf meinen Wangen, eines links und eines rechts, und schloss mich in die Arme.

»Wo ist er?«, flüsterte sie mir dabei ins Ohr.

»In der Wohnküche«, antwortete ich genauso leise.

Francesco und Silvio begrüßten mich mindestens ebenso überschwänglich, als hätten wir uns schon Jahre nicht mehr gesehen. Scheinbar hatte Patrizia bereits geplaudert.

Carlotta kam unmittelbar hinter den beiden Jungs herein. Mit genervtem Blick durchforstete sie ihre Handtasche. »Ciao bella«, sagte sie und küsste mich ebenfalls auf beide Wangen. »Verdammt, ich habe mein Handy vergessen«, fluchte sie kurz darauf, noch immer im Flur stehend, die rechte Hand schon wieder tief in ihrer Handtasche vergraben. »Dabei warte ich auf einen sehr wichtigen Anruf.«

»Lass mich raten«, neckte ich sie. »Ein Anruf von einem deiner Verehrer?«

Carlotta hob den Kopf und grinste ertappt. »Ich habe mich noch nicht entschieden, wer mich am Samstag ausführen darf.« Mit einer gut einstudierten Handbewegung warf sie ihr langes braunes Haar über die Schulter und klimperte mit den braunen, dick geschminkten Augen. »›Genieße dein Leben, solange du jung bist‹, hat meine Nonna immer gesagt.«

Carlotta war weder oberflächlich noch arrogant, auch wenn sie auf den ersten Blick so wirkte. Sie verstand es nur sehr gut, sich in Szene zu setzen, wofür ich sie beneidete, da sie es ohne Probleme schaffte, ihre Vorzüge zu betonen. Meine Vorzüge musste ich erst noch finden.

»Patrizia erzählte etwas von einem fremden Mann in deinem Haus«, kam Carlotta auf den Punkt und spähte neugierig um die Ecke. »Ist er Single?«

Ich warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Wie wäre es, wenn du ihn selbst fragst?«

Ich schlug den Weg zur Wohnküche ein, Carlotta folgte mir. Zu meinem Leidwesen hatte Patrizia Mickal bereits in Beschlag genommen, als wir die Wohnküche erreichten. Zusammen mit Francesco und Silvio, die sich rechts und links von ihr positioniert hatten, stand Patrizia direkt vor ihm. Die Arme locker vor der Brust verschränkt, bombardierte sie ihn mit Fragen.

Mickal antwortete auf Italienisch, mit einem leichten Akzent, der seiner Stimme einen Hauch von Exotik verlieh. Dabei strahlte er eine Geduld aus, die mich unweigerlich an meinen Dad erinnerte.

Dad hatte auch nichts aus der Ruhe bringen können, ganz egal, wie verzwickt die Situation auch gewesen war. Immer hatte er eine Lösung gewusst, hatte sich niemals unterkriegen lassen, genauso wie Tony, der unserem Dad so sehr geähnelt hatte.

Ich vermisste die beiden so sehr.

In Gedanken schalt ich mich und schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Ich musste dringend damit aufhören, ständig in der Vergangenheit herumzuwühlen. Davon würde es auch nicht besser werden.

Ich gab mir einen Ruck, verdrängte die trüben Gedanken und versuchte, mich auf den Abend zu freuen, denn immerhin waren fast alle Menschen versammelt, die mir am Herzen lagen. Also schnappte ich mir ein Glas, schenkte mir Wein ein und stellte mich anschließend neben Patrizia, nur für den Fall, dass sie doch noch auf den Gedanken kommen sollte, Mickal an die Gurgel zu springen.

Doch meine Sorge war völlig unbegründet. Binnen einer halben Stunde hatte Mickal es geschafft, meine Freundin samt Gefolge um den kleinen Finger zu wickeln. Ihr Lächeln wirkte nun viel freundlicher und offener. Francesco und Silvio entspannten sich immer mehr.

Carlotta stellte sich hinter mich, mit einem Glas Wein in der Hand. »Hannah, der Typ ist Sex pur«, flüsterte sie mir in einem unbeobachteten Moment ins Ohr.

»Psst«, machte ich grinsend und boxte ihr in die Seite. »Benimm dich, Carlotta. Du bist hier nicht auf der Jagd.«

Sie kicherte. »Was nicht ist, kann ja noch werden.« Dann zog sie mich ein Stück nach hinten, außer Hörweite der anderen, und musterte mich mit ernster Miene. »Oder hast du selbst Interesse an diesem muskelbepackten Prachtstück?«

Ich presste die Lippen zusammen, weil ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. Hatte ich denn Interesse?

Unsere Clique folgte einem unausgesprochenen Kodex: Niemals im Revier des anderen wildern. Carlotta war zwar ein kleines männermordendes Wesen, die nichts anbrennen ließ, doch sie würde sich niemals an einem Mann vergreifen, wenn sie wusste, dass er mir auch gefiel. Darauf basierte unser aller Freundschaft.

Unsicher zuckte ich mit den Schultern, was Carlotta dazu veranlasste, verschwörerisch zu grinsen. »Alles klar«, hauchte sie, ihre Augen funkelten voller Vorfreude. »Das wurde aber auch langsam mal Zeit, Süße.«

Ich lief knallrot an, die blöden roten Flecken waren sicher auch wieder da.

Ohne Mickal eines Blickes zu würdigen, was mir unheimlich schwerfiel, weil ich ihn am liebsten den ganzen Tag lang beobachtet hätte, schlängelte ich mich an Carlotta vorbei und schnappte mir den Teller mit Antipasti, um ihn nach draußen auf die Terrasse zu bringen.

Der Abend verlief ohne Zwischenfälle. Wir standen oder saßen auf der Terrasse, ließen uns das Essen schmecken, schlürften Cocktails und unterhielten uns über dies und das. Doch immer, wenn sich unsere Blicke zufällig trafen, schaute ich Mickal fragend an, denn ich wollte unbedingt wissen, wie er es geschafft hatte, meine misstrauische Freundin so schnell auf seine Seite zu ziehen. Doch jedes Mal lächelte er nur und zuckte mit den Schultern, als könnte er kein Wässerchen trüben, was ich ihm jedoch nicht eine einzige Minute lang abkaufte. Später, wenn wir allein wären, wollte ich ihn danach fragen, das nahm ich mir fest vor. Und dann würde er mir verraten müssen, was er mit meiner Freundin angestellt hatte, darauf würde ich bestehen.

Mitten in der Nacht wurde ich von einem markerschütternden Schrei geweckt.

Sofort war ich hellwach.

Mom!

In letzter Zeit litt sie unter Albträumen, die so furchtbar sein mussten, dass sie davon schreiend aufwachte. Wahrscheinlich ging es um Dad und meinen Bruder. Um den schrecklichen Unfall, der alles verändert hatte. Zumindest war das bei mir am Anfang der Grund dafür gewesen, warum ich jede Nacht schweißgebadet aufgewacht war.

Schlaftrunken rappelte ich mich auf. Mein Kopf dröhnte von den Cocktails, die etwas stärker gewesen waren als üblich.

Ohne das Licht einzuschalten, tastete ich mich zur Tür und schlurfte hinaus in den Flur. Beinahe hatte ich Moms Schlafzimmer erreicht, als eine dunkle Gestalt die Treppe hinaufgestürmt kam.

Barfuß und nur mit einer schwarzen langen Baumwollhose bekleidet bremste Mickal direkt vor mir ab. Er sah aus, als wäre er aus dem Schlaf gerissen worden.

Der Anblick seiner nackten, muskulösen Brust ließ meinen Puls höher schlagen. Mit großen Augen starrte ich ihn erschrocken an. Seine Oberarme waren mit unzähligen Tätowierungen bedeckt, die sich über beide Schultern schlängelten und vermutlich irgendwo auf seinem Rücken endeten. Und sie leuchteten in einer seltsam fluoreszierenden Farbe.

Doch das war es nicht, was mich so dermaßen schockierte, dass ich mich kaum bewegen konnte.

Mickal verharrte auf der oberen Treppenstufe in geduckter Haltung, bereit zum Sprung, falls es nötig sein sollte. In seiner rechten Hand blitzte ein langes Messer auf.

Nein, das war kein Messer, berichtigte ich mich. Das war ein Schwert.

Die rabenschwarze Klinge funkelte gespenstisch in dem knappen Mondlicht, das durch ein kleines Fester am Ende des Flures drang.

Dieses Schwert war keine Attrappe. Es war echt!

»Was zum Teufel soll das?«, fuhr ich ihn an, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Du hast eine Waffe in mein Haus gebracht? Spinnst du?«

Noch immer hatte ich Mühe, den Anblick, der sich mir bot, zu verarbeiten.

Ein echtes Schwert! Das konnte nur ein schlechter Scherz sein.

Ich konnte Mom hinter der verschlossenen Tür leise wimmern hören, was mich daran erinnerte, warum ich überhaupt in den Flur gekommen war.

»Du bleibst hier stehen«, kommandierte ich und legte meine Finger auf die Türklinke. »Rühr dich ja nicht vom Fleck.«

Mickal nickte zögernd und richtete sich auf. Seine zusammengekniffenen Augen folgten jedem meiner Schritte, ich spürte, dass er mich anstarrte. Doch das war mir egal, so verwirrend die Situation auch war. Zuerst musste ich mich um Mom kümmern.

Diesmal war sie nicht von ihrem Albtraum wach geworden, sie wälzte sich nur unruhig von einer Seite zur anderen.

Behutsam setzte ich mich auf die Bettkante, redete mit leisen Worten auf sie ein und versuchte, sie zu beruhigen.

Seit dem Tod meines Vaters schlief sie nur noch mit eingeschalteter Nachttischlampe, weil sie die Dunkelheit nicht ertragen konnte, wie sie selbst sagte.

Ihr eingefallenes, bleiches Gesicht war von tiefem Kummer gezeichnet, dunkle Ringe lagen unter ihren dichten Wimpern.

Bei ihrem Anblick schluckte ich hart. Alles Schöne verschwand aus ihrem Gesicht, jeden Tag ein bisschen mehr. Und ich konnte nichts dagegen tun. Noch nie in meinem Leben war ich mir so hilflos vorgekommen.

Ich blieb noch so lange, bis sich ihre Gesichtszüge langsam wieder entspannten, und hielt dabei ihre Hand. Dann verließ ich das Schlafzimmer, um mich dem Verrückten zu widmen, der es gewagt hatte, eine verdammte Waffe in mein Haus zu schmuggeln.

Mickal stand nicht mehr am Treppenabsatz.

Mit der rechten Hand tastete ich nach dem Lichtschalter und entdeckte ihn weiter hinten im Flur, wo er mit weit aufgerissenen Augen eines von Moms Bildern anstarrte.

»Kannst du mir erklären, was zum Teufel du dir dabei gedacht hast?«, ging ich mit gedämpfter Stimme auf ihn los.

Seine mächtigen Muskeln bewegten sich unter seiner Haut, als er den Kopf drehte und mich anschaute. »Woher stammt das Bild?«

Unwillkürlich schlang ich die Arme um meine Mitte. Ich war so wütend auf ihn. Und enttäuscht, weil ich nicht wusste, ob ich ihm noch trauen konnte. »Mom hat es gemalt«, entgegnete ich kühl. »Würdest du mir das da« – mit einem Nicken deutete ich auf das Schwert in seiner rechten Hand – »bitte mal erklären?«

Seine reglose Miene verriet nichts von dem Aufruhr, der scheinbar in ihm tobte. Doch seine angespannte Haltung in Verbindung mit seinen schmalen Augen waren eindeutige Anzeichen dafür.

»Deine Mom hat das gemalt?«

Als ich nickte, verdüsterte sich seine Miene schlagartig. Plötzlich wirkte er überrascht, gleichzeitig aber auch erschrocken.

»Das spielt doch überhaupt keine Rolle«, versuchte ich, das Thema wieder auf meine ursprüngliche Frage zu lenken. »Bist du in der Lage, mir eine Erklärung zu liefern, oder soll ich dich lieber gleich vor die Tür setzen?«

Meine Drohung prallte wirkungslos an ihm ab. Mickal ließ sich von mir nicht einschüchtern. Er war nicht der Typ, dem man drohen konnte.

»Mom hat die Bilder aus ihrer Erinnerung heraus gemalt«, versuchte ich meine Taktik zu ändern, um ihn auf diese Weise zum Reden zu bringen. »Das hat sie zumindest immer behauptet, wenn ich sie danach gefragt habe.«

Mickal zog eine Augenbraue hoch.

Sein fragender Blick brachte mich dazu, ihm viel mehr zu erzählen, als ich eigentlich wollte. »Mom und Dad sind früher sehr viel umhergereist. Bis mein Bruder geboren wurde. Danach ist meine Familie noch ein paar Mal umgezogen, unter anderem nach Amerika, wo ich geboren wurde. Mom hat sehr viele Bilder gemalt. Sie sagte einmal, dort sei sie am glücklichsten gewesen.«

Seinem grüblerischen Gesichtsausdruck nach zu urteilen gingen ihm gerade mehrere Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Seine blauen, wunderschönen Augen blickten mich ernst an, die vollen Lippen waren nur noch ein grimmiger Strich.

»Ich muss mit ihr sprechen«, sagte er nach einer Minute des Schweigens. Seine fordernde Stimme ließ keinen Widerspruch zu.

Dennoch glaubte ich, mich verhört zu haben. »Vielleicht morgen früh«, schlug ich vor, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte. »Aber nur, wenn es ihr etwas besser geht.« Ich verstand nicht, was das alles bedeuten sollte, und ich wollte ihn eigentlich auch nicht zu Mom lassen.

»Uns bleibt keine Zeit«, drängte Mickal, wandte sich von dem Bild ab und kam auf mich zu. »Morgen früh könnte es zu spät sein.«

Ich blinzelte. »Zu spät für was?«

Seine fesselnden blauen Augen fixierten mich. »Ich muss mit ihr sprechen«, wiederholte er, diesmal noch eindringlicher.

»Das … geht jetzt nicht«, stotterte ich. »Mom schläft tief und fest. Außerdem ist sie viel zu schwach, um Besuch zu empfangen. Schon gar nicht mitten in der Nacht.«

Mickals Finger legten sich noch fester um den Griff des Schwertes. »Ich bin kein Besuch«, stellte er klar und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

Das Mondlicht brach sich in seiner honigblonden Mähne und tauchte seine Gestalt in ein seltsames Licht. Sein stattlicher Anblick in Verbindung mit dem Schwert in der rechten Hand vermittelte mir unweigerlich ein Bild von einem Krieger aus längst vergangenen Zeiten. Das Bild, das sich in meinem Kopf manifestierte, zeigte Mickal auf einem Schlachtfeld. Über und über besudelt vom Blut seiner Feinde, kämpfte er sich den Weg zum Sieg frei. Das Bild wurde so klar, dass ich vor Schreck den Atem anhielt.

»Wenn du … kein Besuch bist, was … was bist du dann?«, hörte ich mich stockend fragen. Es kostete mich alle Kraft, meinen Blick von seinem nackten Oberkörper zu lösen und mich stattdessen auf sein ernstes Gesicht zu konzentrieren.

Mickal beugte sich leicht nach vorn, sodass er mit mir beinahe auf Augenhöhe war. »Ich bin Mickal aus dem Hause Tarojan. Ich bin gekommen, um die Familien zu beschützen, die sich vor den Schatten verstecken, um sie sicher in unsere Heimat zu geleiten.«

Sein stechender Blick drang bis in mein tiefstes Inneres vor. Ich schluckte hart, als er noch näher kam.

»Ich muss mit deiner Mutter sprechen. Jetzt!«

Die Seelenlicht Chroniken

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