Читать книгу Maria Theresia - Katrin Unterreiner - Страница 9
Gut vorbereitet auf den Thron?
ОглавлениеMan sollte meinen, dass Karl, der mit den Jahren doch realistisch sehen musste, dass seine Frau zwar keine Kinder mehr bekam, gleichzeitig aber so weit gesund war, dass auch eine neuerliche Ehe und mögliche Söhne immer unwahrscheinlicher wurden, alles unternahm, um seine älteste Tochter Maria Theresia als seine Nachfolgerin und künftige Regentin aufzubauen. Doch weit gefehlt – Karl unternahm rein gar nichts. Maria Theresia lebte das typische Leben einer Prinzessin, deren einzige Aufgabe es einmal sein sollte, zu heiraten und mit höfischen Manieren, angenehmer Konversation, Gesang, Tanz, Reiten und Jagd einem Ehemann eine gute und kurzweilige Gattin zu sein. Keine Rede von politischer Bildung, juristischen und wirtschaftlichen Grundkenntnissen, diplomatischen Gepflogenheiten und Spielregeln. Es ist interessant, dass ausgerechnet Karl, der doch mit der Pragmatischen Sanktion die weibliche Erbfolge einführte, dennoch nichts für ihre dementsprechende Ausbildung unternahm – so als ob er eigentlich nicht damit rechnete, dass seine Tochter ernsthaft seine Nachfolge antreten könnte. So legte er zunächst auch wesentlich mehr Augenmerk auf die Einbindung seines Schwiegersohnes Franz Stephan, den er wie einen Sohn an seinem Hof aufzog und an Staatsgeschäften teilhaben ließ, ja ihn sogar zum Statthalter in Ungarn machte. Kronprinzessin Maria Theresia hatte hingegen keine einzige auch nur annähernd politische Aufgabe, nicht einmal bei öffentlichen repräsentativen Auftritten durfte sie eine besondere Stellung einnehmen, um sie beim Volk bekannt und beliebt zu machen. Es scheint fast so, als ob Karl paradoxerweise seiner eigenen Erbfolgebestimmung misstraut hätte. Aber auch Franz Stephan wurde schließlich nicht wirklich als „Nachfolger“aufgebaut. Als „Franzose“ war und blieb er im Land eher unbeliebt, es zeigte sich zudem, dass er politisch uninteressiert war und diese Rolle gar nicht anstrebte. Somit bleibt unklar, welches Ziel Karl hinsichtlich seiner Nachfolge wirklich verfolgte. Resigniert schrieb er 1739 an Franz Stephan: „Mein großer Trost ist, daß meine Tochter in so guten Händen weiß und sicher bin, daß sie E.L. lieben, und hoffe endlich, sie sich darum allweil mehrers bewerben wird und daß Sie ihr in allen noch ein rechten Vater abgeben werden.“11
Man sollte meinen, dass sich die beinahe demonstrative Passivität und schließlich Resignation des Kaisers bitter rächen sollte und Maria Theresia praktisch chancenlos war, als Karl am 20. Oktober 1740 mit 55 Jahren zwar unvermutet an einer Pilzvergiftung, aber dennoch nicht als junger Mann starb. Der Kaiser hinterließ seiner Tochter weder ein wirtschaftlich blühendes Land noch Geld und schon gar kein gut gerüstetes Heer. Johann Christoph Bartenstein, Protokollführer der Staatskonferenz, zeichnete ein düsteres Bild der Situation: „Der Verlust eines so großen Monarchen wurde durch die Umstände, in welchen sich derselbe ergeben, nicht wenig vergrößert. Zwei schwere und blutige Kriege waren kurz vorher hergegangen (im Westen bzw. in Italien gegen Frankreich und im Osten gegen die Osmanen). Beide sind so unglücklich als möglich geführet worden, in beiden hatte der Staat namhaft eingebüßet (das Königreich Neapel-Sizilien und die Lombardei sowie die Walachei, das nördliche Serbien mit Belgrad und Nordbosnien). Die übriggebliebenen Erbkönigreiche und Länder waren also an Geld und Volk nicht wenig erschöpft, auch von allen Seiten gegen einen eindringenden Feind offen.“12
Maria Theresia bestätigte später auch, wie aussichtslos ihre Situation bei ihrem Regierungsantritt war, da auch im Land niemand so recht an die junge Erzherzogin und Königin glauben wollte: „In diesen Umständen fande ich mich ohne Geld, ohne Credit, ohne Armée, ohne eigene Experienz (Erfahrung) und Wissenschaft und endlich auch ohne allen Rath, weilen ein jeder aus ihnen anforderist sehen und abnehmen wollte, wohin die Sachen sich wenden würden.“13 Am Tag nach Karls Tod fand bereits die erste Sitzung der Geheimen Konferenz unter dem Vorsitz der neuen Königin statt. Der erste Hofkanzler Graf Sinzendorf referierte über die zukünftige Politik und sprach sich in erster Linie dafür aus, die Ruhe aufrechtzuerhalten. Maria Theresia wurde schlagartig klar, dass sie sich nicht auf diese Berater verlassen konnte, die sich an die neue Situation weder anpassen konnten noch wollten, zuerst so taten, als wäre nichts, und danach mutlos resignierend Maria Theresia erst recht im Stich ließen und in ihren Augen völlig nutzlose Vorschläge machten. An den böhmischen Kanzler Philipp Graf Kinsky schrieb sie verärgert: „Was vor (für) Grillen (närrische, schrullige Ideen), warumb solche Gesichter, reden ist notwendig und nicht die arme Königin noch mehr zu decouragieren (entmutigen), sondern ihr helfen und raten. Morgen früh komme er zu mir.“14 Daher sparte sie später auch nicht mit Kritik an ihrem Vater, den sie zwar sehr geliebt, der sie jedoch so völlig unvorbereitet gelassen hatte: „Da sich der unvermuthete betrübliche Todes-Fall meines Herrn Vatters Höchstseeligster Gedächtnis ereignet und vor mich umb so viel mehr schmertzlich ware, weilen nicht allein selben verehret und geliebet als einen Vattern, sondern als wie die mindeste Vasallin als meinen Herrn angesehen und also doppelten Verlust und Schmertzen empfunden und damalhen die zu Beherrschung so weitschichtiger und vertheilter Länder erforderliche Erfahr- und Känntnüss umb so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niehmals gefällig ware, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beyzuziehen noch zu informieren; So sahe mich auf einmal zusammen von Geld, Trouppen und Rat entblößet. Keine Erfahrung in Ansehung derer Räte wohnete mir bey und eben darumben die natürliche Weise damahls gehabte grosse Timiditaet (Ängstlichkeit) und Diffidenz (Mißtrauen), welche gedachte Unerfahrenheit zur Ursach hatte, die Auswahl deren so sehr benöthigten Ratschlägen und Informationen sehr erschwerete.“15
Der Krönungszug Maria Theresias führte vom Platz Am Hof zum Stephansdom. Zeitgenössischer Kupferstich.
Europas Mächte sahen ihre Chance gegen die mächtigen Habsburger gekommen. Preußen marschierte in Schlesien ein und Bayern, das die Pragmatische Sanktion nie anerkannt hatte, schloss sofort mit Preußen, Frankreich und Spanien ein Bündnis gegen Österreich, womit sich Maria Theresia nicht nur mit einem Krieg gegen Preußen um Schlesien, sondern mit einem Krieg gegen Europa um ihr gesamtes Erbe konfrontiert sah. In Ungarn wurde sie zwar zur Königin gekrönt, aber erst dank einer flammenden Rede, in der sie den ungarischen Reichstag um militärische Unterstützung bat, erreichte sie die Stellung eines ungarischen Aufgebots, ohne das sie im Erbfolgekrieg chancenlos gewesen wäre. Dennoch blieb die Situation im Land mehr als prekär und der Ausgang der Kriege und ihr Schicksal waren absolut ungewiss. Als Prag vom bayerischen Kurfürsten Karl I. erobert wurde und sich dieser am 19. Dezember 1741 zum böhmischen König krönen ließ, verloren sogar Maria Theresias Minister die Hoffnung und einige fielen ihr sogar – um ihre privaten Interessen zu schützen – in den Rücken: „Gesamte meine Ministri anstatt Muth Mir zuzusprechen, ließen solchen gänzlich sinken, und liessen nicht undeutlich sich verlautten, als ob sie alles für nicht viel weniger als desperat anseheten, ja es sucheten so gar einige sich zu retirieren (zurückzuziehen) und verlohren sich letztlich so weit, dass einige davon sich nicht gescheuet, die Erlaubnis von mir anzusuchen, dem Curfüsten nach seiner zu Prag vor sich gegangenen Crönung wegen ihrer in Böhmen liegenden Gütern schriftlich zu huldigen. Ich allein, ohne eytlen Ruhm zu melden, ware etwa die jenige, die unter allen diesen Drangsalen den meisten Mut annoch beybehielt …“16
Als Karl kurz darauf sogar als Karl VII. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt wurde, huldigten ihm zahlreiche österreichische Städte und selbst in Wien schlug die Stimmung in der Bevölkerung zugunsten des neuen Wittelsbacherkaisers um, wie auch folgender Maueranschlag aus Wien belegt:
Vivat!
Der Kaiser ist tot,
Wir bekommen jetzt großes Brot.
Der Lothringer ist uns zu schlecht,
Der Bayer ist uns eben recht.17
Doch Maria Theresia zeigte gerade in dieser beinahe aussichtslosen Situation ihre Stärke. Unermüdlich und mit großem Zorn, als Frau nicht selbst ins Feld ziehen zu können, versuchte sie dafür „wenigstens“ ihre weiblichen Vorteile zu nutzen, um zumindest die Stimmung im Land zu bessern, und startete eine wohldurchdachte PR-Offensive: Sie zeigte sich strahlend schön, charmant und optimistisch in der Öffentlichkeit, pflegte ihr Image als unglückliches Opfer der europäischen Aggressoren, gab sich volksnah und aufgeschlossen, ließ jedermann zur Audienz vor und sorgte mit populären Sofortmaßnahmen für Stimmung. Grundnahrungsmittel wurden verbilligt und die Maßnahmen öffentlichkeitswirksam in den Zeitungen verlautbart: „Brot, Wein und Fleisch ist auf einen billigeren Preis gesetzt worden, welches bei den gegenwärtigen Zeiten starken Eindruck hat. Ferner haben Ihro Majestät den Schluß gefaßt, viel Wildpret fällen zu lassen … Die Klerisei (Kirche) und die weltlichen Herrschaften ist anbefohlen worden, ihre Kornspeicher zu öffnen und den Vorrat um einen billigen Preis abzustehen. Das Brot wird viel größer gebacken … zur Erleichterung des gemeinen Mannes (ist) die königliche Verfügung ergangen, daß das Rindfleisch, welches sonst in den Wintermonaten teurer geworden, um zwei Pfenninge unter dem bisherigen Preis … ausgehauen werden soll.“18 Der preußische Gesandte schilderte ihre Charmeoffensive folgendermaßen: „Bei ihrer Thronbesteigung fand sie das Geheimnis, sich die Liebe und Bewunderung aller Welt zu erringen. Ihr Geschlecht, ihre Schönheit, ihr Unglück trugen nicht wenig dazu bei, daß die Lobeserhebungen, an denen die vom Hofe besoldeten Journalisten nicht sparten, günstig aufgenommen wurden. Sie nahm sich in Acht und zeigte sich nur von der guten Seite, leutselig, fromm, freigebig, wohltätig, volkstümlich, mutig, hochherzig, gewann sie sich bald die Herzen der Untertanen, die sich die Regung der Zuneigung, welche sie anfangs für den verstorbenen Kaiser Karl VII., den ehemaligen Kurfürsten von Bayern, empfunden hatten, als Verbrechen vorwarfen … Sie gab jedem Audienz und las selbst die Bittschriften, kümmerte sich um die Rechtspflege, ließ sich die Regierungsgeschäfte angelegen sein, bedachte den einen mit guten Worten, den anderen mit einem Lächeln oder einer verbindlichen Wendung, machte ihre abschlägigen Antworten erträglich, gab großartige Versprechungen, trug äußerste Frömmigkeit zur Schau … liebte den Prunk, ließ Schauspiele aufführen … und beklagte sich über das Unglück, in das ihre Feinde sie gestürzt hätten, nannte sich untröstlich, wider ihren Willen gezwungen zu sein, ihre Widerwärtigkeiten mit ihren treuen Untertanen teilen zu müssen, versprach, bei Gelegenheit den Eifer eines jeden zu belohnen, versicherte Ungarn, ihre alten Vorrechte wiederherstellen und bestätigen und ihren alten Beschwerden abhelfen zu wollen, trug Geistesstärke zur Schau, bot ihrem Unglück Trotz und versuchte, durch ihren Mut ihren Untertaten solchen einzuflößen.“19
Und tatsächlich: Die Stimmung schlug um, Zuversicht machte sich breit und die junge Königin festigte nicht nur im Land ihre Position, sondern gewann immer mehr Rückhalt und damit finanzielle Unterstützung, die für eine erfolgreiche Verteidigung ihres Reiches unerlässlich war. Podewils schilderte: „Man hörte Lobeserhebungen über diese Fürstin. Jeder erhob sie in die Wolken … Das Volk ertrug die Steuern, ohne zu murren. Die Großen schossen Geld vor, oft ohne darauf zu warten, daß man sie bat. Die Ungarn drängten sich, für sie zu kämpfen. Die Offiziere dienten mit Freuden zum halben Sold, da sie sie überzeugte, es sei nicht ihre Schuld, daß sie ihnen jetzt nicht mehr gebe. Jeder stand ihr voll Eifer bei und beeilte sich, sich für die beste aller Fürstinnen aufzuopfern. Man vergötterte sie. Alle Welt wollte ihr Bild haben. Niemals erschien sie in der Öffentlichkeit, ohne daß das Volk sie umdrängte.“20
Neue Zuversicht machte sich breit: Maria Theresias Ritt auf den Pressburger Krönungshügel. Ölgemälde von Philipp Ferdinand von Hamilton.
Maria Theresia überzeugte aber nicht nur mit Charme, Schönheit und guter Laune. Im Gegenteil, sie imponierte (vor allem auch den Männern) dadurch, dass sie sich selbst nicht schonte und man ihr auf Grund ihrer unprätentiösen Lebensführung, die Stärke und Kraft demonstrierte, diese auch im Handeln und Regieren zutraute. So verschaffte sie sich Respekt und Anerkennung, was gerade am Beginn ihrer Regierung absolut notwendig war, um überhaupt ernst genommen zu werden. Podewils schrieb erstaunt nach Berlin: „Es scheint, als sei sie ärgerlich, als Frau geboren zu sein. Sie nimmt keinerlei Rücksicht auf ihre Schönheit, setzt sich ohne Schonung den Unbilden der Witterung aus, ergeht sich mehrere Stunden in glühender Sonne und bei Kälte, die sie viel besser verträgt als Hitze.“21 Auch ihr Obersthofmeister Fürst Khevenhüller notierte bewundernd in seinem Tagebuch: „Da der liebe Gott sie mit einer für eine Frauenspersohn recht verwunderlichen Leichtigkeit, denen Fatiguen zu widerstehen, begabet hat, womit sie es villen Männern weit bevortut, aber auch eben von darummen auf ihre Gesundheit und gutte Leibes Constitution, was mann auch dargegen zu ihren eigenen Besten vorstellet, gar zu vill bauet und trauet …“22
Der Kampf um das Erbe: die Belagerung Prags durch die Österreicher unter dem Oberbefehl Franz Stephans. Gemälde von A. Querfurt, 1742.
Doch noch hing ihre Stellung am seidenen Faden – denn es gab keinen männlichen Erben und die Geschichte hatte deutlich gezeigt, dass die weibliche Erbfolge nicht reibungslos akzeptiert wurde. Erst die Geburt des heißersehnten Thronfolgers Joseph am 13. März 1741 ließ endgültig alle kritischen Stimmen verstummen und Maria Theresia hatte sich ihre unangefochtene Position als Monarchin ihres Reiches gesichert. Anlässlich des 36. Geburtstages ihres ältesten Sohnes fasste sie die damals dramatische Situation in einem Brief an ihren zweitgeborenen Sohn Ferdinand zusammen: „Mein lieber Sohn, welch großer Tag heute für mich, der in mir all meine Entschlüsse vor sechsunddreißig Jahren wachruft, und wie mir damals zugleich die Gewissheit wurde, dass die göttliche Vorsehung unserem Hause das Szepter erhalten wollte – in der kritischsten Stunde schenkte sie mir einen Sohn. Ich hatte kein Königreich mehr, das mir nicht streitig gemacht worden wäre, und ein Jahr später wusste ich nicht einmal, wo ich niederkommen sollte, da ich in Wien nicht bleiben konnte, Böhmen und Oberösterreich verloren, Niederösterreich von Bayern bedroht, Italien und die Niederlande verwüstet, Ungarn von der Pest heimgesucht, so dass, als mein Gepäck vor Ofen ankam, die Tore wegen der Ansteckungsgefahr geschlossen waren und ich sofort wieder umkehren musste. Wenn ich an die damaligen Zeiten denke und mit den jetzigen vergleiche, so habe ich allen Grund, getrost zu sein. Wenn wir nach Gottes Willen aus guten Tagen wie aus bösen Stunden lernen, dürfen wir mit einer friedlichen Zukunft rechnen.“23
Dank ihrer Entschlossenheit, ihres Kampfgeistes, Mutes und Durchhaltevermögens war es Maria Theresia schließlich gelungen, ihr Erbe trotz schwierigster Umstände zu verteidigen und im Land als Königin und Erzherzogin allgemein anerkannt zu werden.