Читать книгу Pin ins Herz - Katrin Wiedmaier - Страница 5

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Kapitel 2

«Emmi, unsere Entscheidung hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Es tut mir wirklich sehr leid, weil ich mit Ihnen eine fleißige, kompetente Mitarbeiterin verliere, aber Sie wissen doch, wie das läuft.» Mir wird heiß und kalt zugleich, ich will das nicht hören.

«Zuerst wird immer an der Werbung gespart, und Sie sind nun einmal, wie es der Sozialplan vorgibt, die Einzige, die unverheiratet ist und keine Kinder hat.»

Obwohl ich in dem Moment weiß, dass er es ehrlich meint und seine Miene auch echtes Bedauern ausdrückt, tut es weh, was ich da gerade höre.

«Ok, ich nehme an, es ist egal, was ich jetzt sage oder tue, dies ist eine bereits gefällte Entscheidung, oder?» Der letzte Funken Hoffnung, an dem ich mich gerade kurz vor einer Panikattacke festhalte, schwingt in diesem Satz mit, vielleicht gibt es einen kleinen Spalt irgendwo. Doch der Funke fliegt davon, noch bevor ich mir richtig Gedanken darum machen kann.

«Ja Emmi, diese Entscheidung steht fest und ich persönlich finde es wirklich bedauerlich. Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas anderes sagen.» Er zieht die Schultern nach oben und hebt die Hände in die Luft, um sein Bedauern auszudrücken. Ein Gedanke formt sich in meinem Gehirn wie lästiges Ohrensausen. Ich vernehme eine Stimme, kann sie aber erst lokalisieren, als ich dieses fiese Flüstern höre, das vor Schadenfreude nur so trieft. Es ist mein innerer Schweinehund, dem vermutlich grad einer abgeht.

«So liebe Emmi, jetzt hast du keine Ausrede mehr, jetzt wird sich etwas in deinem Leben verändern, ätsch. Selbst schuld, du hättest einfach mal eher deinen Arsch hochkriegen sollen. Blöd, dass du es nicht leiden kannst, wenn andere über dich bestimmen. Tja, sag nicht, ich wäre dir damit nicht ständig in den Ohren gelegen.»

Mir ist, als würde ich Selbstgespräche führen. Dieser Gedanke fühlte sich so real an, dass ich für einen Moment echt verwirrt bin. Ich höre dem Chef gar nicht mehr zu, der irgendwas von Abschlussprojekten und Messe erzählt, stattdessen schweife ich meilenweit ab. Die letzten Monate hat sich ein ansehnlicher Batzen auf meinem Konto angehäuft, da ich aufgrund meines Liebeskummers jegliches Sozialleben außerhalb meiner vier Wände und auch die meisten Vorschläge meiner Freundin kategorisch abgelehnt habe. Die Lust daran ist mir wirklich gründlich vergangen und dazu gehören leider auch die monatlichen Shopping-Touren. Ich könnte doch meinen Traum verwirklichen. Ich könnte jetzt endlich tun, was ich schon immer wollte, ins Ausland gehen und Lebenserfahrung sammeln. Ich bin frei, schießt es mir durch den Kopf, und noch bevor ich vor Erleichterung dümmlich vor mich hin grinse, was überaus peinlich und schwer erklärbar wäre, macht mir dieser Gedanke angst. Ich will das ja, ich will ja, dass sich etwas ändert, aber ich hätte schon gerne selbst entschieden, was, wann und wie. Ich mag es grundsätzlich nicht, wenn jemand über mich bestimmt, hier kann ich jedoch nichts dagegen tun. Das lähmt mich. In angespannter Atmosphäre wünschen wir uns ein schönes Wochenende, ha der war gut, und ich schleiche zurück an meinen Platz. Geistesabwesend ziehe ich den Bleistift aus meinen Haaren und schiebe sie mir so dicht an die Augen, dass ich wenigstens das Gefühl bekomme, unsichtbar zu sein. Bei kleinen Kindern funktionierte das doch auch, dass sie sich vor den Augen der Erwachsenen verstecken und sich dann ernsthaft wundern, dass man sie findet. An diesem Abend bin ich nicht wie gewohnt die Letzte im Büro, sondern die Erste, die geht. Ohne auf die mitleidigen Blicke meiner Kollegen einzugehen, straffe ich meine Schultern, blicke sie direkt an und verabschiede mich betont fröhlich von Ihnen. Ich würde hier und jetzt nicht in Tränen ausbrechen, darauf habe ich einfach keine Lust. Und es würde rein gar nichts an der Situation ändern. Ich lief hier in der Vergangenheit schon viel zu oft mit vom Heulen verquollenen Augen rum, damit muss jetzt endlich Schluss sein. Wenn mir die Entscheidung über Änderungen meiner Zukunft schon nicht selbst überlassen wird, dann mach ich das jetzt richtig. Liebes Schicksal, das kannst du haben!

Ein entscheidendes Plus für meinen Chef ist die Tatsache, denke ich, während ich den Flur entlanglaufe, dass er mir wenigstens an einem Freitagnachmittag eröffnet hat, dass ich den Einsparmaßnahmen unserer Firma zum Opfer gefallen bin. Ich strecke kurz den Kopf in die Tür der Personalabteilung und verabschiede mich von meiner Kollegin, die bis vor Kurzem noch in meiner Marketingabteilung tätig war.

«Er hat es dir also doch noch heute erzählt.» Sie klingt zufrieden. Das wiederum macht mich stutzig.

«Warum sagst du das in so zufriedenem Tonfall?»

«Emmi, ich habe ihn gebeten, es dir möglichst heute noch zu sagen, weil du dann das ganze Wochenende hast, um diese Information sacken zu lassen.» Sie legt mir die Hand auf die Schulter.

«Sieh mal, wenn er es am Montag verkündet hätte, müsstest du die ganze Woche gute Miene zum bösen Spiel machen. Und das wollte ich dir einfach ersparen. Es ist doch echt tragisch genug, dass du bald nicht mehr hier bist.» Sie klingt wehmütig.

«Ja, vermutlich hast du recht, danke dafür. Dann geh ich jetzt mal nach Hause und lass sacken», gebe ich kleinlaut zu. Sie muss mir nichts weiter erklären, das würden wir nächste Woche in Ruhe tun, sie meint nur, ich kann mir den Resturlaub auch ausbezahlen lassen, denn wenn ich all meinen Urlaub nehmen würde, wäre ich nicht mehr lange da. Zudem ist die Abfindung, die mir nach 12-jähriger Betriebszugehörigkeit zusteht, nicht zu verachten und kann wohl erst mal als Trostpflaster herhalten. Ich danke ihr und wünsche auch ihr ein schönes Wochenende. Ob es Absicht war oder nicht, es verschafft mir persönlich tatsächlich zwei Tage, in denen ich in meinen vier Wänden alleine meine Wunden lecken und über die weitere Zukunft nachdenken kann. Hoch die Hände – Wochenende.

Auf dem Heimweg lege ich im Supermarkt meines Dorfes einen Stopp ein und kaufe noch genau die Dinge, von denen ich der Meinung bin, sie könnten mich beim Wunden lecken und beim Pläne für die Zukunft schmieden, unterstützen. Tiefkühlpizza, Cola, Zigaretten und eine Flasche meines Lieblingsweines, ein relativ teurer spanischer Crianza. Und mit teuer meine ich alles, was über fünf Euro geht. Ziemlich beerig und schwer, aber genau das, was ich heute Abend brauchen würde. Ich fühle mich unwohl und ausgerechnet heute sitzt meine ehemalige Nachbarin an der Kasse, die mich schon von klein auf kennt. Erfreut wie immer, wenn sie mich sieht, lächelt sie mich an. Zu meiner Überraschung sagt sie aber heute nichts zu den Einkäufen, die vor ihr auf dem Band liegen. Und das will was heißen, denn das tut sie sonst immer. Manchmal hasse ich sie auch dafür, denn ihre gut gemeinten Kommentare hinterlassen nicht selten ein schlechtes Gewissen bei mir. Da kommen dann solche Bemerkungen wie «na Emmi, bekommst du heute Abend Besuch? Diese Pizza habe ich auch schon mal mitgenommen, als es schnell gehen musste.»

Und ich stelle mir immer vor, was ich dann antworten würde: «Nein Frau Singer, ich bekomme heute keinen Besuch, ich habe heut Mädelsabend mit mir selbst, und ich bin einfach zu faul zum Kochen.» Aber natürlich schaffe ich das nie. Alles, was ich spontan zustande bekomme, ist ein aufgesetztes Lächeln. Aber dann, sobald sich die Schiebetüren des Ladens hinter mir geschlossen haben, dann liefert mir mein unzuverlässiges Hirn unzählige schlagfertige Möglichkeiten. Immer das Gleiche.

Ich habe mir auch schon oft überlegt, ob ich einfach mal nur absolut gesunde Dinge aufs Band lege, nur um dann ihren Kommentar darauf zu hören. Leider kommt mir dieser Gedanke immer erst, nachdem mein Einkaufskorb mit typischen Single-Produkten beladen ist. Ich bin schon an der Tür, da höre ich ihre Stimme, vermutlich wie alle anderen Leute auch, die sich momentan im Laden befinden.

«Ich wünsch dir ein tolles Wochenende Emmi.» Bestimmt nett und ohne Hintergedanken gemeint, interpretiere ich in diesem Moment eine Spur von Mitleid in ihre Stimme. Hat sich mein Schicksal denn so schnell bis zu ihr rumgesprochen? Wundern würde es mich nicht, in diesem Dorf kann man einfach keine Geheimnisse haben. Ich werde paranoid, vermutlich merkt sie einfach, dass ich heute nicht so fröhlich und ausgelassen bin wie sonst immer. Und gesprächig bin ich schon gar nicht. Sesam, schließ dich heute bitte etwas schneller. «Danke, Ihnen auch, tschüss», ist dann aber auch alles, was ich zustande kriege, bevor die Schiebetür sich hinter mir schließt.

Ich steige also mit meinen unglaublich gesunden Einkäufen die Stufen bis zu meiner Maisonette-Wohnung hoch und ausgerechnet jetzt gerade drückt sich mein mitteilungsbedürftiger Vermieter im Flur rum. Bleibt mir denn heute gar nichts erspart? Es ist zu spät, um zu flüchten, er hat mich bereits gesehen.

«Hallo Herr Schnell, Sie, ich bin heut sehr in Eile, schon viel zu spät dran.» Schon die ersten Stufen hinter mir, höre ich gerade noch den vorwurfsvollen Einwand des älteren Mannes.

«Ja ja, ihr jungen Leute, immer in Eile. Dann will ich mal nicht schuld sein, wenn Sie was auch immer verpassen», sprachs und macht seine Haustür eine Spur lauter zu als üblich. Herrje, jetzt ist er auch noch eingeschnappt. Als hätte ich sonst keine Sorgen gerade. Die Erleichterung, seinen Inquisitionsfragen für heute entkommen zu sein, überwiegt aber bei Weitem. Ich habe sowieso den Eindruck, dass er ab einer gewissen Uhrzeit am Fenster hängt und nur darauf wartet, bis ich nach Hause komme, um mich dann vollzuquatschen. Gut, er ist Rentner, aber ist das mein Problem? Meinen Gedanken nachhängend finde ich an der Wohnungstür zu allem Überfluss noch das Schild «Kehrwoche.» Wie ich das hasse. Ich verstehe ja, wieso man ab und an putzen muss und meist macht mir das auch Spaß, weil ich dabei laute Musik höre. Aber erstens mach ich nun wirklich keinen Schmutz, wenn ich die paar Stufen im Treppenhaus hochlaufe und zweitens doch nicht alle zwei Wochen. Genervt nehme ich das Schild ab und lege es auf meinen schwarzen Schuhschrank, der links neben der Türe an der Wand steht. Ok, bei genauerer Betrachtung ist er wirklich etwas staubig, räume ich resigniert ein und stecke den Schlüssel in das Schloss der Wohnungstür. Mechanisch streife ich mir die Schuhe von den Füßen, lege den Schlüssel achtlos auf den Glastisch unter meinem Garderobenspiegel und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Kein Wunder hatte die Kassiererin vorhin Mitleid mit mir. Traurige Augen starren mir entgegen, ich sehe aus wie das personifizierte Elend. Die Tüte mit den Einkäufen stelle ich auf dem Küchentisch ab, dann knall ich mich erst mal der Länge nach auf die Couch. Wenn ich mich auf meiner kuscheligen schwarzen Ledercouch ausstrecke und meinen Kopf in das Sammelsurium bunter Kissen bette, die ich alle als meine Lieblingskissen betrachte, stellt sich normalerweise immer recht schnell ein Entspannungszustand bei mir ein. Doch ich warte vergeblich drauf, heute funktioniert das nicht. Ich fühle mich klein, mir ist irgendwie übel und bin total durcheinander. Ich würde jetzt gerne weinen. Ich habe mal gelesen, dass weinen in solchen emotional angespannten Situationen unheimlich befreiend sein soll, ähnlich wie ein Gewitter nach einem schwülen Tag. Aber es kommen keine Tränen. Stattdessen fängt mein Kopfkino an, die Gedanken in einer irren Geschwindigkeit in meinem Hirn durcheinanderzuwirbeln, dass mir fast schwindelig wird. Arbeit verloren – arbeitslos – kein Geld – Freiheit – ich kann endlich tun, was ich möchte – morgens nicht mehr auf den Wecker angewiesen sein, der mich sowieso immer im Stich lässt – in Ruhe einen Kaffee auf meinem Balkon genießen und dabei erst einmal überlegen, was ich so mit dem Tag anfangen kann. Das Karussell dreht sich immer schneller – sozialer Abstieg – Isoliertheit – Mitleid – Einsamkeit – Strand – Meer – ja ich will zuerst ans Meer – Strandspaziergänge – lange Nächte unter Palmen – Abschied – meine persönlichen Dinge packen – das Karussell wird zur Achterbahn. Und wenn das auch nichts gänzlich Neues für mich ist, geht es mir heute definitiv zu schnell. Ich presse die Fingerspitzen an meine Schläfen und versuche es mit bewussten Atemübungen. Nichts passiert, die erhoffte Linderung bleibt aus, der Druck lässt nicht nach. Hat sich denn heute alles gegen mich verschworen?

Soll ich meine Mutter anrufen? Meine Schwester? Meine beste Freundin Lizzie? Sie würde wahrscheinlich alles stehen und liegen lassen und mit einer Flasche Wein und Chips vor der Tür stehen und versuchen, mich abzulenken, was normalerweise auch immer funktioniert. Liz ist eine richtig gute Freundin und nach allem, was wir schon zusammen erlebt haben, muss sie mich wirklich lieben, denn sonst hätte sie schon längst die Flucht ergriffen. Sie ist eine Freundin der Sorte «mich kann nichts mehr erschüttern bei Dir.» Wenn es mir so richtig mies geht und ich am Boden liege, legt sie sich erst mal dazu, weint mit mir, flucht wie ein Bauer und schimpft, dass selbst die Rohrspatzen blass vor Neid werden. Dann gehen wir irgendwann ins Sitzen über, das erste Lächeln, und irgendwann kugeln wir uns vor Lachen. Der Grund ist meist nicht auszumachen. Ich kann sie dann nur ansehen und sagen «Danke, dass es dich gibt.» Wir ergänzen uns sehr gut, denn Liz bügelt meine Schwächen aus und ich ihre. Sie redet gerne und viel, ich eher weniger. Sie ist immer gut gelaunt, egal was geschieht, ich bin schon mal mies drauf und kann das dann auch nicht überspielen. Ich verabscheue Heuchelei. Dafür hat sie absolut kein Gespür für die Menschen um sich rum, ihre Antennen scheinen völlig immun gegen jegliche Schwingungen und Stimmungen, zumindest während sie spricht. Wenn es etwas zu organisieren gibt, verbreitet sie schneller Chaos, als man gucken kann und von Ordnung hält sie auch nichts. Dann komm ich ins Spiel, denn das sind meine Stärken.

Meine Entscheidung ist gefallen. Ich möchte heute nicht lachen, nicht reden, ich möchte mich heute in meinem Unglück suhlen und alleine Pizza essen und eine Flasche Wein trinken. Um dann betrunken die Treppen zu meinem Schlafzimmer hochzuwanken und mich erschöpft und alleine in mein Bett zu legen und irgendwann einzuschlafen. Idealerweise träume ich dann, dass alles gut ist, dass alles gut wird. Das muss ich heute erst einmal mit mir alleine ausmachen. Auch die gut gemeinten Ratschläge meiner Mutter und die hilflosen Aufmunterungsversuche meiner Schwester möchte ich heute nicht hören. Allein der Gedanke an Sätze wie «Es wird alles gut» verschlechtern meine eh schon miese Laune noch einmal erheblich. Denn in meiner kleinen Welt ist heute nicht wirklich alles gut, und das möchte ich zelebrieren.

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