Читать книгу Pin ins Herz - Katrin Wiedmaier - Страница 7

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Kapitel 4

Der kommende Montag ist echt ätzend. Bis alle ihr Mitleid bekundet haben, blablabla, ich verstehe es ja irgendwie, aber ich will das nicht hören. Als ich allerdings erfahre, wie hoch meine Abfindung plus der Betrag für den restlichen Urlaub ist, kann es mir nicht schnell genug gehen. Mit dieser Einstellung vergehen die letzten Wochen dann wirklich wie im Flug und eh ich mich versehe, ist er da: der letzte Tag. Da ich seit Wochen fast jeden Abend zu Hause recherchiert und gelesen, mich informiert und auch einige Filme über Spanien angeschaut habe, bin ich mental schon so weit vom Büroalltag entfernt und freue mich sogar auf meine neue Freiheit. Irgendwie geht der Tag vorbei. Ich packe die letzten persönlichen Sachen in meine Tasche, verabschiede mich und gehe, doch mit einem dicken Kloß im Hals, aus dem Gebäude. Ich winke dem Pförtner zum Abschied zu und murmle ein leises «Tschüss.»

Der Weg zu meinem Auto erscheint mir heute extrem lange. Ich weiß, wenn ich jetzt noch jemanden treffe, kann ich die Tränen nicht mehr aufhalten. Erleichtert lasse ich mich in den Sitz sinken und atme erst mal tief durch. Und nun? Ich habe keine Lust und keine Kraft, mich heute oder das bevorstehende Wochenende mit meiner Zukunftsplanung zu beschäftigen. Allein sein? Ja, aber nicht jetzt. Was ich jetzt brauche, ist eine spontane Shoppingtour, das lenkt mich etwas ab. Und auch, wenn ich nicht fündig werde, einfach nur zu schauen, was es Neues gibt, mich inspirieren zu lassen und zu träumen, darauf habe ich jetzt Lust. Und tatsächlich, nachdem ich anfangs ziellos durch die Straßen laufe, entdecke ich eine kleine Boutique, in deren Schaufenster Vintage-Klamotten ausliegen, die mich irgendwie magisch anziehen. Und warum habe ich diese Boutique bisher nie gesehen? Vielleicht ist sie neu, denke ich mir und betrete den Laden, dieses typische Klingeln des Glöckchens über der Tür kündigt mein Eintreten an. Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit ich in diesem Laden verbringe, auf der Heimfahrt steht auf dem Rücksitz meines Wagens jedoch eine Einkaufstasche mit ansehnlichem Inhalt. Als ich den A-Linien-förmigen, bodenlangen weißen Rock mit großem Blüten-Print in einem leuchtenden Blau entdeckt hatte, schlug mein Herz einen Takt höher, er lässt mich von Meer und Strand träumen. Das schlichte weiße Oberteil mit einem lockeren Schnitt an den Schultern und schmalerer Silhouette in der Hüfte verleiht dieser legeren Kombination einen Hauch von Eleganz und schreit geradezu nach Sand und Palmen, finde ich jedenfalls. Meine innere Unruhe vorerst gestillt, beschließe ich, das vor mir liegende Wochenende dafür zu nutzen, mal wieder so richtig auszumisten.

Sich von Altem zu befreien, das reinigt doch auch die Seele, habe ich zumindest mal in einer Zeitschrift gelesen. Zu meinem Kleiderschrank führt eine Holzwendeltreppe direkt unters Dach, dahinter ist ein einziger großer Raum mit Fenstern an der Giebelseite meiner Maisonette-Wohnung. Mein Kleiderschrank ist wirklich groß und zum Bersten vollgestopft mit Kleidung, Bettwäsche, Handtüchern, selbst meine Handtaschen finden darin ihren Platz. Zu beiden Seiten des Treppenaustritts sind Regale in die Dachschräge eingebaut, die Höhe ist zwar nicht berauschend, jedoch die Tiefe dieser Regale. Das wäre im Übrigen ein geniales Versteck, sollte ich mich mal verstecken müssen. Ich glaube, ich dreh langsam durch. Mein Kleiderschrank ist wirklich groß und ich habe trotzdem nie Platz. Er ist schlicht unpraktisch und deshalb beschließe ich, gleich dort mit meiner Seelenreinigung anzufangen. Ich bin erstaunt, wie leicht es mir fällt, mich von meinen Dingen zu trennen, es verschafft mir eine innere Erleichterung, ok, und wieder bin ich abgelenkt und das hinderte mich daran, über meine Zukunft nachzudenken. Bei jedem Teil, was mir in die Hände kommt, frage ich mich, ob ich das die letzten zwei Jahre anhatte, ob es qualitativ noch in Ordnung ist und ganz wichtig, ob es mir noch gefällt. Anfänglich bin ich noch sehr zögerlich, lege das ein oder andere Teil auf die Seite, aber es gelingt mir immer besser und nach kurzer Zeit habe ich nicht nur verloren geglaubtes wiederentdeckt, sondern einen ansehnlichen Haufen auf dem Boden. Ich werde dieses Mal auch nicht in die alte Falle tappen, die Kleider erst einmal im Keller zu verstauen. Denn ausnahmslos jedes Mal komme ich irgendwann auf die Idee, den Sack wieder zu durchwühlen und das ein oder andere Teil wandert dann wieder zurück in meinen Schrank. Also schleppe ich den recht schweren Sack die Flurtreppen hinunter, vielmehr stoße ich ihn vor mir die Stufen hinunter, wuchte das Teil in den Kofferraum meines Autos und fahre direkt zum nächsten Altkleidercontainer. Gleich fühle ich mich um Welten besser, es ist wirklich ein befreiendes Gefühl. Außerdem kann sich jetzt jemand an meinen Kleidern erfreuen, der die Mittel nicht hat, diese einfach so zu kaufen. Auf der Rückfahrt schleicht sich der Gedanke ein, dass ich dieses Oberteil oder jene Hose vielleicht doch hätte behalten sollen, es gelingt mir aber, den Gedanken recht schnell zu verdrängen, indem ich bereits überlege, wo ich als Nächstes weitermachen soll. Mein Schreibtisch ist mir schon lange ein Dorn im Auge, da hilft es auch nicht unbedingt, dass er der Blickfang ist, wenn man meine Haustür öffnet. Ich habe ihn am Fenster neben der Balkontür in meinem großen Wohnzimmer platziert und ich kann auch mit gutem Willen einfach nichts mehr verstecken oder in meiner Anbauwand verstauen, weil auch da bereits alles voll ist. Ich bin so richtig im Element, denn als Nächstes kommt die Garderobe dran, dann das Bad und zuletzt der Schuhschrank. Ich räume und putze mir förmlich meine Gedanken weg, was bis jetzt ganz gut funktioniert. Mittlerweile ist es Abend und ich gönne mir ein heißes Bad. Danach bin ich einfach nur platt, lege mich auf die Couch und rufe meine Freundin an. Dieses Mal versucht sie mich in der Tat, zu überreden, mit ihr auszugehen, doch sie hat keine Chance, keine zehn Pferde bringen mich heute Abend noch vor die Tür. Zu meiner Freude kommt einer meiner Lieblingsfilme im Fernsehen, ich weiß nicht wie oft ich schon «Armageddon» angeschaut habe, wie viele Tränen bei diesem Film geflossen sind. Und auch dieses Mal, wie die letzten 50 Male, muss ich genau an der gleichen Stelle hemmungslos heulen, das erste Mal wohl bemerkt, als sie dieses «Leavin‘ on a jetplane» singen. Meine ganzen aufgestauten Emotionen, verdrängten Gedanken und Gefühle brechen aus mir raus und ich kann mich lange nicht beruhigen. Das ist eine der schönen Seiten, wenn man alleine wohnt. Ich muss mich nicht erklären oder meine Gefühle verbergen. Erschöpft und müde krieche ich die Stufen hoch, krabble in mein Bett und falle recht schnell in einen erholsamen Schlaf.

Und als würde es schon zu einer Wochenend-Gewohnheit gehören, werde ich am nächsten Morgen vom Klingeln des Telefons unsanft aus meinen Träumen gerissen. Oh man, ich habe jetzt wirklich keine Lust, aufzustehen. Ich ziehe mir das Kissen übers Gesicht und warte einfach das Ende der Bandansage ab. An Schlaf ist nun leider nicht mehr zu denken, und so steige ich etwas missmutig aus dem Bett. Ich weiß, dass mir ein Besuch bei meiner Mutter heute nicht erspart bleibt und mich beschleicht die leise Ahnung, dass sie der Verursacher dieses grässlichen Telefonklingelns war. Das Abhören des Anrufbeantworters gibt meiner Vermutung recht. «Hallo Mädel, melde dich doch mal, wenn du aufgewacht bist, wir können doch heute Vormittag in die Stadt fahren und mal sehen, ob wir was Nettes finden. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich», tönt die Stimme meiner Mutter vom Band.

Das ist Ihre Art, mich aufzumuntern. Aber bin ich deprimiert oder traurig? Nein, irgendwie durchlebe ich zwar gerade eine Achterbahn der Gefühle, aber dieser Art sind sie nicht, das ist es nicht, was ich fühle. Ich schaue mich in der Wohnung um und zum ersten Mal lasse ich den Gedanken zu, dass ich vielleicht gar nicht mehr lange hier bin. In dieser tollen Wohnung mit dem Südbalkon, auf dem ich schon viele schöne Stunden verbracht habe. Ich gebe mir eine Auszeit von vier Wochen, in denen es mir möglich sein sollte, mithilfe von Lizzie und auch meiner Familie, alles für meine große Reise vorzubereiten. Der Gedanke, in diesem Zuge endlich nicht mehr um den Spanischkurs zu kommen, den ich schon so lange angehen will, entlockt mir ein Lächeln. Wie oft habe ich mir schon vorgenommen, endlich damit zu beginnen, mit meiner Lektüre an spanischen Lern-CDs, Büchern und Karteikarten könnte locker das halbe Dorf Spanisch lernen. Doch schon nach dem Ersten «Ola, me llamo Emmi, et tu?», verliert sich meine Motivation im Nirwana. Es soll doch auch Menschen geben, die sich mit Kleinigkeiten zufriedengeben, und zu der Sorte gehöre ich eben, tröste ich mich jedenfalls über diesen Missstand hinweg. Diese Ausrede funktioniert leider nur partiell. Ich liebe diese Sprache, ich könnte stundenlang zuhören, wenn jemand Spanisch spricht. Allein schon dieses rollende R, das ist so sexy. Und doch verstehe ich rein gar nichts außer Ola und Adios. Später am Tag macht ich mich also auf den Weg zu meiner Mutter. Die fünf Minuten Fahrt mit dem Auto nutze ich natürlich für eine Zigarette. Zugegeben alles andere als ein Genuss, vielmehr eine blöde Angewohnheit. Sie sieht mich vom Küchenfenster aus auf den Hof einparken und steht bereits erwartungsvoll an der offenen Tür, als ich endlich aussteige. Ihre Miene schwankt zwischen echter Freude und Mitleid.

«Komm her, wie geht es dir heute?»

«Gut», sage ich, «erstaunlich gut sogar. Ich bin gerade dabei, Pläne für die Zukunft zu schmieden und die stimmen mich heute fröhlich.» Ich will ihr heut von meinem Plan erzählen, aber dazu brauche ich eine Tasse Kaffee, an der ich mich festhalten kann. Ich bin sehr nervös, vermutlich weil ich befürchte, sie redet mir das Ganze aus. Ich will also gerade loslegen, da legt sie los.

«Also hör mal, ich habe mir viele Gedanken gemacht, was du jetzt tun könntest, was dir guttun würde, ich möchte dir einfach irgendwie helfen. Und da habe ich ein Telefonat mit meiner Freundin in Barcelona geführt und sie hat mich auf eine super Idee gebracht. Wie wäre es, wenn du einfach mal eine Zeit lang ins Ausland gehst, nach Spanien? Du liebst doch dieses Land.» Erwartungsvoll sieht sie mich an.

«Und jetzt kommt das Beste, du könntest, natürlich nur, wenn du willst, in dem Haus von Silvia wohnen, sie hat in einem kleinen Touristenort im Norden ein Haus und würde es dir zur Verfügung stellen. Dann wärst Du relativ sicher dort und nach einer kleinen Auszeit könntest du dir eine Arbeit suchen.»

Voller Eifer spricht sie weiter. «Empuriabrava wird auch das klein Venedig Spaniens genannt wegen seiner vielen Wasserstraßen. Mit rund 8.000 Einwohnern scheint dieses Städtchen im Norden Spaniens recht überschaubar zu sein. Auch die Lage ist vielversprechend, am Ausläufer eines Gebirges gelegen und direkt am Meer in einer Art Bucht. Die Stadt ist recht schmal, vom Ortseingang bis zum Meer sind es ungefähr 3 km. Barcelona ist zwar etwas entfernt, aber vielleicht ergibt sich eine Lösung in ihrer Firma, oder du findest etwas anderes. Was sagst du? Mädel, sag doch was.»

Ihre Gesichtszüge entgleiten ihr, als sie mich ansieht. Ich kann nicht annähernd in Worte fassen, was ich fühle, was mir durch den Kopf geht, als ich da so in der Küche meiner Mutter sitze und ihr zuhöre. Ich kann es gar nicht glauben, ich bin völlig fassungslos. Das Ganze wird von der Tatsache gekrönt, dass es sich bei Empuriabrava um eine Stadt handelt, die gerade mal 25 km von Cadaques entfernt liegt, das Örtchen, in das ich mich auf den ersten Bilderblick verliebt habe. Das ist doch jetzt ein Witz, oder? Wo ist die versteckte Kamera? Ich kann nichts sagen, ich starre meine Mutter mit offenem Mund an, zugegeben, sieht sicherlich ziemlich dämlich aus, und dann bekomme ich auch noch einen meiner berühmten Lachanfälle. Wenn mein Adrenalin zu hoch ist, reagiert mein Körper mit einem hysterischen Lachanfall, ich kann das nicht steuern und leider hat mich das schon in die ein oder andere peinliche Situation gebracht. Doch jetzt stehe ich auf, immer noch lachend, und falle meiner Mutter um den Hals. Manchmal geht mir meine Mutter gehörig auf die Nerven, aber in diesem Moment liebe ich sie von ganzem Herzen. Sie selbst will es mir anfangs gar nicht glauben, als ich ihr von meinen Plänen erzähle und schließlich sitzen wir beide in der Küche und lachen und lachen, bis mein Lachen irgendwann in ein klägliches, wimmerndes Weinen übergeht. Meine Mutter würde sich gleich ans Telefon hängen, nachdem ich gegangen war, um Silvia von dieser Entwicklung zu erzählen.

An der Tür hält sie meinen Arm fest und sagt: «Weißt du Mädel, mir ist natürlich nicht nur wohl bei dem Gedanken, dass du alleine ins Ausland gehst. Aber die Tatsache, dass wir beide unabhängig voneinander die gleiche Region Spaniens gewählt haben, sagt mir, dass diese Entscheidung richtig ist. Wir können nicht vorhersagen, was geschieht, aber für mich ist das ein Zeichen, dass du es versuchen musst. Stürz dich in das Abenteuer und wenn es dir nicht gefällt, kommst du wieder nach Hause und dann sehen wir weiter.»

Auf der Heimfahrt hat mein Kopfkino die zweifache Geschwindigkeit eingestellt. Ganz langsam, irgendwo im hintersten Teil meines Hirns manifestiert sich dieser Gedanke und ich fühle mich gut dabei.

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