Читать книгу Feuerblüte II - Катя Брандис - Страница 6

Wenn die Nacht beginnt …

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Jorak beobachtete, wie Alena und ihre Freunde die Schänke verließen, und folgte dem Schein der Fackel im Abstand von zwei bis drei Baumlängen – er konnte sie gerade noch als Lichtpunkte sehen. Zum Glück blies ihm der Wind entgegen, sodass Cchraskar ihn nicht wittern konnte, und Jorak achtete darauf, außer Hörweite zu bleiben.

Er selbst hatte nur eine kleine Laterne, die er nach drei Seiten abgeschirmt hatte, damit der größte Teil des Lichts nach unten fiel. Sehr viel sah man damit nicht. Aber er hatte gute Ohren. Jorak hörte, dass zu seiner Rechten ein kleiner Fluss entlangströmte, und er bemerkte ein Knistern und Knacken im Wald auf seiner linken Seite, das ihm gar nicht gefiel. Eine Gänsehaut überzog seine Arme, und er überlegte, ob er sein Schwert ziehen sollte. War vielleicht besser. Er musste sich sowieso an das Ding gewöhnen. War lange her, dass er eins benutzt hatte.

Mit dem Schwert in der Hand blickte er sich um. Irgendetwas huschte dort vorne entlang! Nervös ging Jorak in Kampfpose und schwenkte das Schwert hin und her. Diesmal sah er, was sich dort im Wald bewegte. Es war sein eigener Schatten.

Jorak kam sich dämlich vor, als er sein Schwert wegsteckte und weiterging. Eine Känguru-Maus spürte seine Schritte, hüpfte hinter einem Klumpen Moos hervor und floh vor ihm. Das Wandern war eine Tortur für seine aufgescheuerten Füße. Schon nach zehnmal zehn Atemzügen zog Jorak seine Sandalen aus und ging barfuß. Der weiche, feuchte Waldboden fühlte sich gut an – außer wenn Jorak auf einen spitzen Stein oder Zweig trat.

Etwas raschelte im Gebüsch. Jorak vergewisserte sich, dass er sich diesmal nicht getäuscht hatte. Nein, ich fürchte mich nicht, dachte er grimmig. Da ist irgendetwas. Etwas Großes. Er verließ den Pfad und schlug einen Halbkreis, um vor Alena und ihre Freunde zu gelangen. Sein Herz schlug einen Trommelwirbel. Er würde das Biest gar nicht erst an Alena herankommen lassen.

Da vorne. Ein Schatten, kaum zu erkennen. Jorak nahm allen Mut zusammen und sprang mit gezücktem Schwert auf das Vieh zu.

Zum Glück schaffte er es gerade noch rechtzeitig, seinen Schlag abzufangen. Empört blickte ihn ein Hirschmensch an, der kauend im Gebüsch stand. „Wüs soll düs?“, fragte er und zuckte mit der breiten Nase, die seinem menschlich geschnittenen Gesicht einen beleidigten Ausdruck gab. „Künn man nücht mal in Rühe sein Abendessen einnühmen?“

„Tut mir schrecklich leid“, stammelte Jorak und hoffte, dass Alena und die anderen nichts bemerkt hatten und nicht plötzlich mit neugierigen Blicken aus dem Gebüsch auftauchen würden. „War keine Absicht!“

„Düs sah aber schün so aus!“, rief der Hirschmensch ihm hinterher. Jorak verzichtete auf eine Antwort, er machte sich eilig davon.

Nach einer Weile ging der zweite Mond auf, Jorak sah ihn durch die Bäume hindurchblinzeln. Er lauschte auf die Stimmen von Alena und ihren Freunden, die ganz gedämpft zu hören waren. Allmählich ließ seine Nervosität nach, und er bemühte sich, nicht an die peinliche Episode mit dem Hirschmenschen zu denken. Sie waren ein gutes Stück in Richtung Grenze vorangekommen und noch nichts war passiert. Vielleicht waren die Berichte über die eindringenden Wesen übertrieben. Eigentlich war es sogar ganz schön, nachts im Wald zu sein. Die Luft roch frisch und kühl, nach Baumharz und Erde … kein Vergleich mit dem Gestank Ekaterins und besonders des Schwarzen Bezirks an einem heißen Tag …

Jorak fühlte einen Stich am Bein. Es fühlte sich so an, als hätte ihn jemand mit einer rot glühenden Nadel gestochen. Er unterdrückte einen Fluch und hielt die Lampe nach unten um zu sehen, was ihn da erwischt hatte. Wahrscheinlich eine besonders fette Fiebermücke.

Es war ein Wesen, wie er es noch nie gesehen hatte. Eine Art graue Zecke, so groß wie eine Tarba-Münze. Sie war dabei, sich an seinem Bein festzusaugen. Und sie war nicht allein, noch vier oder fünf andere Zecken krochen kitzelnd an seinem Bein hoch und brachten sich in Position für ihren Stich.

Hastig versuchte Jorak sie von seinem Bein zu wischen. Aber für jede, die er abstreifen konnte, krochen doppelt so viele nach. „Au, verdammt!“, fluchte Jorak, hob die Laterne und sah sich nervös nach einem Fluchtweg um ? der ganze Waldboden bewegte sich. Hunderte von diesen Viechern kamen auf ihn zu. Und dort, gerade jenseits des Lichtkreises … kauerte eine große dunkle Masse, die sich langsam in seine Richtung bewegte… nein, es waren mehrere!

„Ach du große Wolkenschnecke“, entfuhr es Jorak. Also waren mindestens zwei Arten von Biestern über die Grenze gekommen!

Er hatte keinerlei Lust abzuwarten, was die größere Zeckenvariante mit ihm vorhatte. So schnell es ging, watete er durch den knietiefen Fluss und machte sich daran, den drei Menschenlängen hohen Steilhang am anderen Ufer hochzuklettern. Aber die Erde war so bröckelig, dass sie ständig von oben nachrutschte. Es war schwierig, einen Halt zu finden, immer wieder brachen die Griffe, die er sich für Hände und Füße grub, heraus. Unter ihm bäumte sich die dunkle Masse auf, schnappte nach seinen Füßen, versuchte hinter ihm her den Hang hochzukriechen. Als Jorak einen Blick nach unten warf, sah er ein rundes Schneckenmaul mit zwei Reihen von Zähnen. Groß genug, um seinen Fuß in einem Stück zu verschlucken und das Bein gleich mit.

Jorak bekam eine Baumwurzel zu fassen und klammerte sich daran fest. Schließlich hatte er sich zwei Menschenlängen weit hochgezogen. Hier oben wurde die Erde zum Glück etwas fester und war voller dünner Wurzeln. Irgendwie schaffte er es ganz nach oben und warf sich keuchend platt auf den Bauch. Das hier kann man ohne Zweifel als etwas Neues für den Tag durchgehen lassen, dachte Jorak mit wild rasendem Herzen.

An seinem Bein hing noch eine kleine Zecke. Jorak klaubte sie herunter, hob sie hoch und schaute zu, wie sie schwach zwischen seinen Fingern zappelte. Entweder war das Blut eines Gildenlosen nicht bekömmlich oder das Wasser, durch das er gewatet war, hatte ihr den Garaus gemacht. Das war interessant!

Die großen Biester, die ihm auf den Fersen waren, rutschten in der bröckeligen Erde immer wieder nach unten. Jorak bewaffnete sich mit einem langen Ast, um im Notfall nachzuhelfen. Machte ihnen das Wasser nichts aus? Wie hatten sie es über den Fluss geschafft? Er hob die Lampe und stellte fest, dass im Fluss zwei tote Wesen lagen ? anscheinend hatte das Wasser sie umgebracht, er war es jedenfalls nicht gewesen. Die anderen Biester benutzten ihre Rücken als Trittsteine und kamen so trockenen Fußes zum Hang!

Jetzt erst fielen ihm Alena und ihre Freunde wieder ein. O je – wenn sie noch nicht die gleichen Probleme hatten wie er, würden sie sie demnächst haben. Bald würden sie einen Retter dringend brauchen. Aber Jorak war sich auf einmal alles andere als sicher, ob er der richtige für die Rolle war.

***

Nervös lauschten sie in die Dunkelheit. „Klingt nach einem Kampf“, sagte Alena und überlegte, ob sie zurückgehen und nachsehen sollte, was sich dort tat. Doch in diesem Moment fauchte Cchraskar: „Zurücckkk!“

Da sah Alena sie. Große Schatten, die aus dem Wald auf sie zukamen – langsam zwar, aber stur und unerbittlich. Sie riss ihr Schwert heraus und Kilian und Jelica taten es ihr nach. Der Smaragd glühte schon so hell, dass er die Umgebung in ein grünes Licht tauchte. Alena rief eine Flamme, ließ sie direkt unter dem Wesen auflodern, aber Feuer beeindruckte sie nicht. Das Schwert lag ihr leicht in der Hand, zerschnitt die Luft mit dem weichen Geräusch einer Vogelschwinge. Sie ließ es auf eins der lebenden Steine niedersausen – und war schockiert darüber, dass der gehärtete Iridiumstahl nicht einmal eine Kerbe in den Rückenpanzer schlug.

Alena wich dem gierigen Maul aus und versuchte das zeckenähnliche Tier mit einem Fußtritt umzuwerfen. Das brachte es einen Moment lang aus dem Gleichgewicht. Mit einem vollendet geführten Stoß glitt Alenas Schwert durch die Stelle, an der sie die Kehle vermutete. Die Zecke stieß einen dumpfen Laut aus und eine schwarze Flüssigkeit glänzte im Licht der Fackel. Aber es schob sich weiter voran, nur etwas langsamer als zuvor. Beim Feuergeist, waren die zäh! Alena wiederholte ihr Manöver und schaffte es, eins der gepanzerten Beine abzuschlagen. Das wirkte endlich. Nun schien das Tier nicht mehr die Richtung halten zu können und kroch im Kreis.

Dafür spürte sie gerade noch rechtzeitig, dass von hinten zwei andere Wesen angriffen. Alena fuhr herum, ließ ihr Schwert herumwirbeln. Diesmal schnitt der Stahl durch die Panzerung des Kopfes – die verletzten Biester starben zwar nicht, blieben aber liegen.

Doch trotz der Erfolge sah es schlecht für sie aus. Cchraskar jaulte vor Wut; er kam nicht gegen die gepanzerten Körper an. Leichtfüßig sprang er ihnen auf den Rücken und versuchte ihnen in den Hals zu beißen, aber ohne Erfolg. Jelica brüllte und fluchte, Kilian schleuderte wütend Steine auf die Wesen.

Alena und die anderen wurden immer weiter zurückgedrängt. Und die Nacht hatte erst begonnen, der zweite Mond war gerade aufgegangen!

Da hörte Alena eine Stimme. Sie schien aus weiter Ferne zu kommen. „Geht zum Wasser! Zum Wasser!“ Dann hörte Alena jemanden wegrennen.

Was sollte das? Wer war das gewesen? Zum Wasser ? was für ein ekelhafter Gedanke. Menschen der Feuer-Gilde konnten Wasser, und ganz besonders große Mengen davon, nicht ausstehen. Wahrscheinlich würde ihr das Zeug die Haut vom Körper ätzen. Und wer wusste, wie tief dieser Fluss war – lieber gefressen werden als ertrinken! Besser, sie versuchten es mit ein paar anderen Feuerarten … sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Biester Kaltem Feuer trotzen konnten … aber um ein Kaltes Feuer zu rufen, musste sie sich konzentrieren …

Eins der lebenden Steine schnappte nach ihrem Fuß und Alena zahlte es ihm mit einem Hieb heim, der ihm gleich ein ganzes Beinpaar abtrennte.

„Verdammt, Alena, komm endlich ? wir müssen es probieren!“, rief Kilian, verpasste einem der großen Zecken noch einen Schlag auf den Kopf und wich zurück, bis er mit den Füßen im Wasser stand. „Es tut gar nicht weh, es ist nur ziemlich kalt!“

„Der Fluss ist viel zu klein, selbst wenn sie Wasser nicht mögen, kommen sie schnell an uns ran!“, schrie Alena. In diesem Moment biss gleich ein halbes Dutzend der kleinen Zecken zu und sie überlegte sich das mit dem Fluss noch einmal.

Es war ein gruseliges Gefühl, wie das Wasser um ihre Knöchel spülte. Jelica packte sie am Arm und zerrte sie tiefer in den Fluss hinein. „Klingenbruch, Alena, stell dich doch nicht so an …“

Cchraskar sprang und landete mit einem großen Platsch neben ihr. Jetzt war Alena sowieso patschnass. Sie gab ihren Widerstand auf und watete hinter Jelica her.

In diesem Moment hörten sie das Krachen und Poltern flussaufwärts. Alena ließ eine Flamme auflodern, um mehr sehen zu können. Zwei Baumlängen von ihnen entfernt schien der halbe Berg heruntergebrochen zu sein, eine Steinlawine hatte sich gelöst. Oder hatte sie jemand losgetreten? Sie erkannte eine Gestalt in einem wehenden dunklen Umhang, die an der oberen Kante des Hangs entlangrannte.

Alena versuchte sich an der Steilwand hochzuziehen, merkte aber, dass das Gestein zu locker war – wenn sie so weitermachte, bekam sie noch eine Lawine auf den Kopf.

„He, du!“, rief sie dem Mann zu. „Hast du ein Seil? Kannst du uns hochziehen?“

„Bleibt besser da unten – hier oben sind sie auch schon!“, bekam sie zur Antwort und schon war der Fremde verschwunden. Ja, tatsächlich. Ab und zu fiel eine der kleinen Zecken von der Kante aus zappelnd auf sie herunter, verschwand im Wasser und tauchte nicht mehr auf.

Schon fünfmal zehn Atemzüge später merkte Alena, was der Fremde mit seinem Felsrutsch bezweckt hatte. Er staute den Fluss auf!

Angeekelt und erleichtert zugleich fühlte Alena das Wasser um sich steigen. Es stieg und stieg, bis der Fluss schließlich über die Ufer trat. Bald stand der Waldboden unter Wasser, ein flacher See breitete sich um sie herum aus. Nach einer Weile wurde er nicht mehr größer, weil das Wasser um die Barriere herumfloss. Aber der kleine Stausee erfüllte seinen Zweck – er hielt die Zecken weit genug von ihnen weg. Ganze Legionen von ihnen hatten sich am Ufer versammelt wie ein gierig wimmelnder Teppich.

Das Wasser war kalt und sie standen bis zu den Knien darin. Schon bald beklagte sich Jelica: „Ich kann meine Zehen nicht mehr fühlen!“

„Ich auch nicht“, stellte Alena fest und hoffte, dass sie noch da waren und nicht irgendetwas sie abgefressen hatte.

„Vielleicht hätten wir lieber einen Baum hochsteigen sollen.“ Kilian schlotterte schon vor Kälte. Auch Cchraskar fauchte ungehalten. Schließlich kletterten sie abwechselnd auf den Rücken einer toten Großzecke, die im Wasser lag, und rieben ihre Füße, um sie wieder warm zu bekommen. Von oben, vom Steilhang her, kam hin und wieder ein rauschendes Krachen, es klang, als würde etwas sehr Schweres auf den Boden aufschlagen.

Es wurde eine lange Nacht. Als die Sonne endlich aufging und die Wesen sich verzogen, waren Alena und ihre Freunde völlig erschöpft und durchgefroren. Bibbernd machten sie im Wald ein Feuer und hielten Hände und Füße nah an die wärmenden Flammen. Cchraskar fuhr seine Krallen ein Stück aus und kämmte sich mit Leidensmiene das nasse Fell durch.

Neugierig untersuchte Kilian die acht toten Großzecken, die über den Kampfplatz verstreut lagen. Sie hatten raue, blaugraue Panzer, die sich fast so hart anfühlten wie Stein, vier Beinpaare, die so lang waren wie ein menschlicher Unterarm, außerdem abgeflachte Köpfe mit Raspelzähnen und einem Saugmaul.

„Die beste Strategie ist wirklich, zwei Beine auf einer Seite abzuschlagen, damit sie die Richtung nicht mehr halten können“, meinte Kilian. „So, wie du’s gemacht hast, Alena. Aber nur dein Smaragdschwert ist hart genug, unsere sind nicht aus so gutem Stahl.“ Traurig betrachtete er die Scharten in seiner Klinge. „Wisst ihr was? Ich glaube, es war ein Riesenfehler, so viele Leute aus Daresh zur Grenze zu schicken. Man kann diese Biester gar nicht zurückschlagen. Ich habe das unangenehme Gefühl, dass der Ruf sie nur mit jeder Menge Frischfleisch versorgt.“

„Wenn das jetzt jede Nacht so geht, dann kommen wir nie zur Grenze“, stöhnte Jelica und legte die Hände um einen dampfenden Becher Cayoral. „Und vielleicht ist das auch besser so … mir ist egal, ob Zarko blöde Sprüche reißt, wenn wir wieder daheim sind …“

„Wir müssen tagsüber weiter, es hilft nichts“, sagte Alena und beschloss Jelicas Andeutung zu überhören. Das Feuer knisterte und knackte, als sie noch einen Ast nachlegte. Alena dachte über den Mann nach, der ihnen geholfen hatte. „Wenn dieser Kerl im dunklen Umhang den Fluss nicht aufgestaut hätte, wäre es für uns übel ausgegangen. Ich glaube, es war der Mann aus der Schänke – der mit dem Messerkunststück.“

„Konntest du diesmal sein Gesicht erkennen?“, fragte Jelica.

„Nein, ich habe ihn nur kurz gesehen und er hat wieder die Kapuze getragen.“

Alena stand auf, schritt am Fluss entlang den Steilhang ab und fand die Stelle, wo der Fremde den Hang hochgeklettert war. Sie prägte sich die Form seiner Fußspuren ein und benutzte dann die Grifflöcher, die er gegraben hatte, um ebenfalls nach oben zu kommen.

Im Wald sah es schlimm aus, kreuz und quer lagen frisch gefällte Bäume herum. Durchgenagt! An den Spuren stellte sie fest, dass der Fremde schließlich doch noch in den Fluss gesprungen war – nur ein Stück stromaufwärts. Wieso war er nicht zu ihnen herübergewatet? Sah aus, als würde er sich absichtlich von ihnen fern halten! Sie wurde immer neugieriger.

„Gut, dass wir nicht probiert haben, auf Bäume zu klettern“, berichtete Alena den anderen nach ihrer Rückkehr. „Das hat der Fremde anscheinend gemacht und sie haben ihn von einem Baum nach dem anderen runtergeholt.“

Doch ihre Freunde hörten schon nicht mehr zu. Sie hatten sich in ihre Decken gerollt und schliefen. Alena zuckte die Schultern und blickte zu Cchraskar hinüber. Er gähnte, sagte aber tapfer: „Ich mach die erste Wache, die erste.“

„Du machst dich gerade sehr beliebt“, teilte ihm Alena dankbar mit und bat ihn sie gegen Mittag zu wecken. Es half nichts, sie mussten heute noch über die Grenze.

***

Die letzte Strecke mussten Alena und die anderen schleichen. Immer wieder hörten sie Stimmen von Menschen – Soldaten der Regentin und Gruppen von Freiwilligen. Viele hatten sich nach den nächtlichen Kämpfen erschöpft zum Schlafen hingelegt. Cchraskar warnte Alena jedes Mal rechtzeitig und sie tauchten ins Gebüsch oder umgingen die Lichtungen mit Hunderten von schlafenden Menschen auf Zehenspitzen. Überall lagen die Körper von toten Zecken, einige stanken schon.

Dann standen sie an der Stelle, die der Dhatla-Züchter ihnen beschrieben hatte. Wiese auf der einen Seite, Steinwüste auf der anderen. Und in der Ferne der Turm, der hoch über der Ebene aufragte. Es war ein so herrlicher Anblick, dass sie alle verstummten.

Dort ist Pa, dachte Alena sehnsüchtig. Beim Feuergeist, ich würde ihn so gerne sehen. Wieso hat er mich nicht mitgenommen? Was er wohl machen würde, wenn er wüsste, dass ich hier bin? Hoffentlich findet er heraus, was mit dem Turm nicht stimmt …

„Äh, Alena?“, fragte Jelica. „Dort drüben gibt’s keine Flüsse oder Seen.“

„Hm, ja, sieht fast so aus.“

„Wie sollen wir uns da vor den Zecken schützen?“

Bin ich vielleicht dein Kindermädchen?, dachte Alena ungeduldig. „Keine Ahnung – das finden wir schon heraus.“

„Wie sollen wir da ungesehen durchkommen?“, fragte Kilian unsicher. „Auf der Ebene gibt’s keine Deckung. Die Soldaten werden uns bemerken und zurückholen.“

„Nicht wenn wir schnell machen und in Richtung Turm gehen, sodass es aussieht, als hätten wir eine Botschaft für die Leute dort. Falls sie uns vor dem Turm schnappen, behaupte ich einfach, ich wollte unbedingt meinen Vater besuchen.“ Alena kniff die Augen zusammen. Das mit der Deckung stimmte nicht. Es gab eine ganze Menge großer Felsbrocken, die in der Gegend herumlagen, und hinter dem Turm sah die Gegend zerklüftet aus. Mit etwas Glück fanden sie dort ein Versteck, in dem sie sich heute Nacht verschanzen konnten.

Kilian nestelte die Karte heraus, peilte die Richtung. „Wir müssen schräg am Turm vorbei, nach Nordosten. Dann müssten wir eigentlich nach ein paar Tagesreisen zu der Stelle kommen. Du weißt schon. Wo auf der Karte ‚Atakán‘ steht.“

Alena musste an den Traum denken, den ihr das Smaragdschwert geschickt hatte. Schritt für Schritt hinein in den Nebel … was wohl jenseits der Grenze auf sie wartete?

„Na, dann los“, sagte sie.

***

Jorak war sprachlos. Was taten die vier da? Wieso meldeten sie sich nicht beim Kommandanten, der für den Grenzabschnitt zuständig war, und ließen sich eine Kampfposition zuweisen? Sie gingen über die Grenze. Waren die noch ganz normal? Was hatten sie vor?

Vielleicht wollen sie zum Turm, dachte Jorak. Ja, sieht ganz so aus. Er überlegte, ob er ihnen weiter folgen sollte. Ob er sich das zutraute. Es war nicht mehr lange hell – sie würden auf der Ebene übernachten müssen. Eins war nach der letzten Nacht klar: Ein Vergnügen würde das nicht werden.

Er dachte wieder an Alena und daran, dass sie gestern zum ersten Mal seit Monaten miteinander geredet hatten. Gut, es waren nur zwei Sätze gewesen und Alena hatte anscheinend seine Stimme nicht erkannt. Aber das war immerhin ein Anfang. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Wenn er sich zu früh enttarnte, war alles aus. Dann hatte er seine zweite Chance verspielt, einen guten Eindruck auf sie zu machen.

Es würde nicht einfach werden, ihnen über diese Ebene bis zum Turm und zurück zu folgen, ohne dass Cchraskar ihn entdeckte. Aber er musste es riskieren. Wenn er dafür noch mal die Gelegenheit bekam, Alena zu schützen, war es die Sache wert.

Immerhin – das täglich Neue von heute ist wirklich vom Feinsten, dachte Jorak andächtig, als er sich die Sandalen wieder anzog und in die steinige Wüste jenseits der Grenze wanderte. Ich bin zum ersten Mal außerhalb von Daresh. Ich fürchte, das lässt sich kaum noch übertreffen.

Feuerblüte II

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